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Erfolgsgeschichte Euro – Vor 20 Jahren wurde die europäische Währung eingeführt

Blog Marcel Fratzscher vom 4. Januar 2022

Dieser Beitrag erschien im Tagesspiegel.

Der Euro – oder genauer gesagt, die Geldscheine und Münzen – sind am 1. Januar 2022 20 Jahre alt geworden.

Kurz nach Mitternacht am 1. Januar 2002 stand ich in den Bergen Österreichs vor einem Geldautomaten, um gespannt die ersten Geldscheine abzuheben und mich – wie so viele Bürgerinnen und Bürger Europas – zu fragen, ob diese neue Währung denn ihre Versprechen erfüllen wird. Nicht wenige Menschen in Deutschland fremdeln noch immer mit dem Euro. Dabei hat der Euro seine Versprechen viel besser erfüllt als man hätte erwarten können. Trotzdem dürften dem Euro in den kommenden fünf Jahren die schwierigsten Herausforderungen noch bevorstehen. Dabei wird die Zukunft des Euro in unseren eigenen Händen liegen, vor allem in denen der Politik, allen voran der Bundesregierung – mehr noch als in den Händen der Europäischen Zentralbank (EZB), der Hüterin des Euro.

Dieser Gastbeitrag erschien erstmals am 4. Januar 2022 im Tagesspiegel.

Der Euro ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte. Er ist in den vergangenen 20 Jahren genauso stark und stabil gewesen wie die D-Mark in den vier Jahrzehnten davor. Die  durchschnittliche Inflationsrate im Euroraum, wie auch in Deutschland, lag bei unter zwei Prozent, dies ist in etwa halb so hoch wie während der D-Mark-Zeiten. Gerade in den letzten Monaten haben viele in Deutschland die Inflationsraten von über fünf Prozent moniert. Es ist richtig, dass so hohe Inflationszahlen nicht gut sind. Aber auch sehr erfolgreiche  Zentralbanken können Krisen wie diese Pandemie, und die damit verbundene Achterbahnfahrt zwischen fallenden und steigenden Preisen, nicht verhindern. Auch die Deutsche Bundesbank konnte dies nicht, es gab in den 1970er Jahren mehrmals Zeiten mit Inflationszahlen von über sieben Prozent.

Stabilitätsanker Euro

Der Euro und die EZB haben sich als Stabilitätsanker in drei großen Krisen bewiesen: der globalen Finanzkrise, der europäischen Krise und jetzt der Pandemie. Die internationale Rolle des Euro und die hohe Glaubwürdigkeit der EZB haben in diesen Krisen dazu geführt, dass trotzdem Kapital nach Europa gekommenist, da der Euro als sicherer Hafen gilt. Dies hat die Finanzierungsbedingungen günstig gehalten und es Unternehmen, Regierungen und Menschen erlaubt, auch in schwierigsten Zeiten an Kredite zu kommen um notwendige Ausgaben zu  finanzieren.

Der Handel hat sich ausgeweitet

Der Euro hat die wirtschaftliche Integration in Europa vorangetrieben, er hat vor allem zu einem deutlichen Anstieg des Handels und des Kapitalverkehrs innerhalb Europas geführt.  Davon haben alle europäischen Länder profitiert, allen voran die offene Volkswirtschaft Deutschlands. Denn es war gerade die Ausweitung des Handels und der Exporte, die viele Millionen gute Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen oder gesichert hat.

Zweite Leitwährung nach dem Dollar

Der vierte Teil der Erfolgsgeschichte des Euro ist seine erhebliche globale Bedeutung als Leitwährung. Zwar bleibt der US-Dollar in fast allen Belangen die bei weitem dominante globale Leitwährung, der Euro hat sich jedoch als eine zweite und vor allem regional sehr mächtige Leitwährung erwiesen. Dies gilt vor allem für Länder in Europa, die den Euro nicht als ihre  Währung haben, und Nordafrika, für die der Euro ein wirtschaftlicher Magnet mit hoher Anziehungskraft ist.

Identität mit erfunden Motiven klappt nicht

Wieso ist der Euro dann heute, vor allem in Deutschland, noch immer so umstritten und ungeliebt? Die Antwort erhalten Sie, wenn Sie einen Blick auf einen der Euro-Geldscheine werfen. Sie sehen Brücken und Torbögen unterschiedlicher Architekturen. Das Problem: Nichts von dem, was Sie auf diesem Geldschein sehen, hat je existiert. Alle Motive sind frei erfunden und nutzen lediglich Architekturformen men aus verschiedenen Epochen der europäischen Geschichte, etwa der Klassik, des Barock oder der Renaissance. Der wichtigste Grund für dieses  Design war, dass man sich nicht auf Personen oder Monumente einigen wollte, da letztlich alle immer auch einen nationalen Bezug haben.

Und genau hier liegt der Fehler: Die größte Stärke und der Kern der Identität Europas ist seine Vielfalt an Menschen, Kulturen, Ideen und Epochen. Statt diesen Reichtum mit Stolz auf den Geldscheinen des Euro zu zeigen, entschied man sich, fiktive Architekturmotive zu schaffen. So mussten etwa wir Deutschen unsere DM-Scheine mit wunderbaren Motiven von  Gauß oder Berta von Suttner aufgeben für Euro-Scheine mit Motiven, die nicht existieren. Wie soll dies Identität stiften und Identifikation mit Europa oder einer gemeinsamen Währung fördern? Shakespeare, da Vinci und Marie Curie sind ein Teil unserer europäischen Kultur und Herkunft und damit auch ein Teil unserer nationalen, regionalen und lokalen Identität in  Deutschland. Würden wir als Deutsche nicht lieber einen Geldschein mit Shakespeare, DaVinci und Marie Curie in der Hand halten, als einen mit Motiven, die es gar nicht gibt?

Wir stehen nicht im Wettbewerb mit unseren Nachbarn

Diese Euro-Geldscheine sind symptomatisch für das zugrunde liegende Denken, das sich tagtäglich in der Politik auf nationaler und europäischer Ebene widerspiegelt. Wir Europäerinnen und Europäer denken noch immer sehr in nationalen Denkmustern, sehen den Wettbewerb immer noch mehr als die Gemeinsamkeiten mit unseren Nachbarn. Nur wenn wir als Bürgerinnen und Bürger in Deutschland beginnen zu realisieren, dass wir genauso sehr Europäerinnen und Europäer sind, werden wir das wirkliche Potenzial Europas und auch des Euro wirklich ausleben können. Mehr noch, in einem brutaler werdenden System des Wettbewerbs mit China und den USA wird Europa seine Interessen nur dann bewahren können, wenn wir mit einer Stimme sprechen – und dazu gehört ganz entscheidend ein Euro, der eine starke Funktion als globale Leitwährung hat und dem US-Dollar perspektivisch auch Konkurrenz macht.

Gemeinsame Aufgaben gemeinsam finanzieren

Die Reformen liegen auf der Hand: Erforderlich ist eine Vollendung der Währungsunion und eine Behebung der Geburtsfehler des Euro, eine Vollendung der Banken- und  Kapitalmarktunion, eine kluge Fiskalunion und eine besser koordinierte Strukturpolitik. Bevor jetzt Kritikerinnen und Kritiker mit dem Begriff der Schuldenunion kommen: Eine kluge  Fiskalunion bedeutet nicht, dass man füreinander die Schulden begleicht, sondern dass wir Europäerinnen und Europäer gemeinsame Aufgaben und öffentliche Güter Europas auch  gemeinsam finanzieren und organisieren.

Die richtige Antwort auf diese Herausforderungen ist eine Vollendung der Währungsunion, und nicht eine Abwicklung des Euro, wie sich das noch immer manche in Deutschland  wünschen. Auch die EZB muss sich weiterentwickeln und mit ihrer Geldpolitik noch stärker die Finanzstabilität und den Klimaschutz in den Blick nehmen – und zwar nicht als Selbstzweck, sondern damit sie auch in Zukunft ihr Mandat der Preisstabilität erfüllen kann. Und es muss ihr – wie uns allen – gelingen, eine noch immer skeptische deutsche Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass es keine Alternativen zur europäischen Integration mit einer gemeinsamen Währung gibt.

Themen: Europa

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