DIW Wochenbericht 20 / 2022, S. 287-294
Alexander S. Kritikos, Maximilian Priem, Anne-Christin Winkler
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„Der Einstellungs- und Integrationsprozess Geflüchteter ist während der Corona-Krise ins Stocken geraten. Eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit über die positiv bewerteten Unterstützungsangebote kann dazu beitragen, dass wieder mehr Unternehmen Geflüchtete in ihren Betrieben einstellen.“ Alexander S. Kritikos
Nach der im Jahr 2015 verstärkt einsetzenden Zuwanderung Geflüchteter hat jüngsten Studien zufolge etwa jedes vierte Unternehmen in Deutschland Geflüchtete eingestellt. Laut einer Umfrage unter 100 Unternehmen mit Erfahrung in der Integration von Geflüchteten hat die Einstellung Geflüchteter verschiedene Effekte. Die Unternehmen berichten von einem Anstieg der Zufriedenheit in der Belegschaft, besserer Positionierung als attraktiver Arbeitgeber und von positiven unternehmerischen Entwicklungen. Gleichzeitig ist die Einstellung von Geflüchteten mit Herausforderungen verbunden, etwa mit Hürden im Einstellungsprozess, mit mangelnden Sprachkenntnissen sowie mit nicht anerkannten Qualifikationen. Diese Probleme lösen die Unternehmen, indem sie staatliche und private Unterstützungsangebote sowie firmeninterne Maßnahmen nutzen. Während mit diesen Maßnahmen die Integration Geflüchteter in die abhängige Beschäftigung gut gelingt, bleibt das Potenzial in Richtung Selbstständigkeit nahezu ungenutzt. Die Gründungsaktivitäten unter den Geflüchteten fallen in Deutschland weitaus geringer aus als in deren Herkunftsländern. Entsprechend sollten Förderungsmaßnahmen für Geflüchtete zur Aufnahme einer Selbstständigkeit stärker in den Blick genommen werden.
Das Jahr 2015 hat sich für viele Menschen in Deutschland als eine wichtige politische Wegmarke eingeprägt. Im Spätsommer des Jahres gelangte eine große Zahl Flüchtender in die Europäische Union. Das Dublin-Abkommen, das im Europäischen Wirtschaftsraum einschließlich der Schweiz die länderspezifische Zuständigkeit zur Überprüfung von Asylanträgen und zur Aufnahme von Antragstellenden festlegt, wurde außer Kraft gesetzt. Viele Flüchtende begaben sich auf den Weg nach Mittel- und Nordeuropa. Bis Ende 2021 haben in Deutschland rund 2,1 Millionen Geflüchtete einen Asylantrag gestellt, davon allein in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt rund 1,2 Millionen.Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2022): Aktuelle Zahlen (online verfügbar, abgerufen am 21. April 2022. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt).
Die starke Zuwanderung hat in Deutschland vor allem in den Jahren 2015 und 2016 eine kontroverse Debatte ausgelöst, inwieweit sich eine solch große Zahl von Geflüchteten in Deutschland integrieren ließe. Einerseits gab es Befürchtungen, steigende Sozialausgaben für Geflüchtete würden die Sozialsysteme erheblich belasten und mithin zu Steuererhöhungen führen.Hans-Werner Sinn (2016): So kann es nicht weitergehen. ifo Schnelldienst 69, Nr. 4, 3–6 (online verfügbar). Andererseits wurde diskutiert, inwiefern und in welcher zeitlichen Frist Geflüchtete perspektivisch als abhängig Beschäftigte oder Selbstständige ohne staatliche Unterstützung leben und selbst in Form von Steuern einen Beitrag für den Staat leisten könnten. Gleichzeitig wurde in ihnen auch ein Potenzial erkannt, wonach die Integration Geflüchteter am Arbeitsmarkt mittelfristig den Fach- und Arbeitskräftemangel reduzieren würde.Zur Diskussion über Risiken und Chancen des Zuzugs von Geflüchteten, vgl. Marcel Fratzscher und Simon Junker (2015): Integration von Flüchtlingen – eine langfristig lohnende Investition. DIW Wochenbericht Nr. 45, 1083–1088 (online verfügbar), sowie Enzo Weber (2015): Szenarien zur Prognose von Flüchtlingseffekten auf die Arbeitslosigkeit. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Aktuelle Berichte Nr. 15 (online verfügbar).
Vor diesem Hintergrund gibt der Bericht zunächst einen kurzen Überblick über die Erwerbsquoten Geflüchteter in abhängiger und selbstständiger Tätigkeit. Darauf aufbauend wird als Kernelement des Berichts untersucht, welche Erfahrungen Unternehmen mit der Einstellung von Geflüchteten gemacht haben und wie sich deren Beschäftigung wiederum auf die Unternehmen selbst ausgewirkt hat. Zudem stellt der Bericht dar, mit welchen staatlichen und nichtstaatlichen Maßnahmen die Unternehmen seit 2015 bei der Einstellung Geflüchteter unterstützt wurden. Hierzu wurden 100 Unternehmen befragt, die über belastbare Erfahrungen bei der Integration von Geflüchteten in ihren Belegschaften verfügen. Unter den befragten Unternehmen finden sich jeweils zur Hälfte mittlere (50 bis 249 Beschäftigte) und große (mindestens 250 Beschäftigte) Unternehmen. Um für die Umfrage ausgewählt zu werden, mussten mittlere Unternehmen mindestens fünf und große Unternehmen mindestens zehn Geflüchtete in den vorangegangenen fünf Jahren eingestellt haben. Die Unternehmen wurden zwischen Juli und Oktober 2021 unter anderem zu Herausforderungen bei der Einstellung Geflüchteter, wahrgenommenen Unterstützungsangeboten und Empfehlungen an andere Unternehmen befragt (Kasten).Für weitere Informationen zu den Daten, siehe DIW Econ (2022): Von der „Flüchtlingskrise“ zum Jobmotor: Eine Analyse der Erfahrung von deutschen Unternehmen bei der Integration Geflüchteter. Tent Partnership (online verfügbar). Die Studie wurde von Tent Partnership in Auftrag gegeben.
Befragt wurden 100 Unternehmen, darunter jeweils zur Hälfte mittlere (50 bis 249 Beschäftigte) und große (mindestens 250 Beschäftigte). Um in der Umfrage berücksichtigt zu werden, mussten mittlere Unternehmen mindestens fünf Geflüchtete und große Unternehmen mindestens zehn Geflüchtete in den vergangenen fünf Jahren eingestellt haben.
Im Durchschnitt arbeiten etwa 120 Beschäftigte bei den mittleren und 5.310 bei den großen Unternehmen der Befragung. Die Belegschaften sind durchschnittlich zu 42 Prozent weiblich. Ein Fünftel der Beschäftigten hat einen Migrationshintergrund. Insgesamt 883 Geflüchtete arbeiteten zum Zeitpunkt der Umfrage im Sommer 2021 in mittleren Unternehmen und 3.313 in großen Unternehmen.
Insgesamt nahmen Unternehmen mit Hauptsitzen aus allen Bundesländern mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern teil. Sie sind in den verschiedensten Branchen, unter anderem in den Bereichen Gewerbe, Sozialwesen, Dienstleistungen, Handel und Logistik, dem öffentlichen Sektor, Land- und Forstwirtschaft und Fischerei, Energieversorgung sowie Kunst, Unterhaltung und Erholung aktiv. 38 Prozent der Unternehmen erwirtschaften einen Jahresumsatz zwischen zehn Millionen und 50 Millionen Euro, 29 Prozent der Unternehmen erwirtschaften einen Umsatz zwischen zwei Millionen und zehn Millionen Euro.
Durch die selektive Stichprobenauswahl sind die vorliegenden Auswertungen nicht repräsentativ. Insbesondere muss bei der Interpretation berücksichtigt werden, dass die befragten Unternehmen möglicherweise Geflüchteten gegenüber grundsätzlich offener eingestellt sind als Unternehmen, die sich bislang nicht für einen solchen Schritt entschieden haben.
Die Befragungen wurden im Auftrag von DIW Econ von der INFO GmbH zwischen Juli und Oktober 2021 online und telefonisch mit Personen aus der Führungsebene der Unternehmen geführt, die maßgeblich am Einstellungsprozess beteiligt sind. Dabei wurden neben Unternehmenskennzahlen Informationen zu den folgenden Themengebieten erhoben:
Von den hier berichteten Erfahrungen können nicht nur Unternehmen, sondern auch staatliche Stellen für die weitere Ausgestaltung und den möglichen Ausbau staatlicher und privater Unterstützungsangebote zur erfolgreichen Integration Geflüchteter profitieren. Dies gewinnt angesichts hunderttausender Geflüchteter aus der Ukraine an erheblicher Aktualität.
Seit 2015 hat in Deutschland in etwa jedes vierte Unternehmen Geflüchtete eingestelltSarah Pierenkemper und Christoph Heuer (2020): Erfolgreiche Integration. Mehr Geflüchtete in Ausbildung und Beschäftigung. KOFA-Studie 2/2020, Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.) (online verfügbar). und damit ihren Betrieben neue abhängig Beschäftigte zugeführt. Laut jüngsten Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit haben mit Stand Januar 2022 etwa 35 Prozent der erwerbsfähigen Personen der zuzugsstärksten Asylherkunftsländern einen Job gefunden, laut der Geflüchteten-Stichprobe des SOEP sind es rund 40 Prozent (Tabelle 1).Dies entspricht 460.326 Personen. Die zuzugsstärksten Asylherkunftsländer sind Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Vgl. Tabelle 1.1 und Tabelle 1.3 der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2022). Migrationsmonitor (Monatszahlen): Deutschland März 2022 (online verfügbar). Die Beschäftigungsquote basiert auf dem Ausländerzentralregister. Anderen Schätzungen zufolge sind sogar schon rund die Hälfte aller Geflüchteten erwerbstätig.Herbert Brücker, Yuliya Kosyakova und Eric Schuß (2020): Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte. IAB-Kurzbericht 04 (online verfügbar). Das schlägt sich in jedem Fall auch in einer fallenden Arbeitslosenquote unter den Geflüchteten nieder. Im Januar 2022 lag die Arbeitslosenquote von Personen aus den zuzugsstärksten Asylherkunftsländern bei 31 Prozent und damit 23 Prozentpunkte unter dem Höchststand von August 2016.Tabelle 1.4 der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2022), a.a.O.
In Prozent
Jahr | Erwerbstätigenquote | Beschäftigtenquote | Selbstständigenquote | Gründungsquote |
---|---|---|---|---|
2016 | 7 | 7 | 0 | 0 |
2017 | 18 | 18 | 0,3 | 0,5 |
2018 | 33 | 32 | 0,5 | 0,3 |
2019 | 41 | 40 | 0,7 | 0,4 |
2020 | 42 | 41 | 1,3 | 0,6 |
Anmerkungen: Anzahl der Beobachtungen (im Jahr 2015 nach Deutschland zugewanderte Geflüchtete im Alter von 18–65 Jahre): 2016: 2.538; 2017: 3.220; 2018: 2.551; 2019: 2.304; 2020: 2.471. Alle Ergebnisse gewichtet. Berücksichtigt werden nur sozialversicherungspflichtig Beschäftige.
Quelle: SOEP v37.
Ganz anders verläuft dagegen die Entwicklung in Richtung Selbstständigkeit. Geflüchtete in Deutschland entscheiden sich für diese Erwerbsform sehr viel seltener als in ihren Herkunftsländern. Gemäß der Geflüchteten-Erhebung des SOEP ist bislang nur etwas über ein Prozent der Geflüchteten selbstständig; die jährlichen Gründungsquoten unter Geflüchteten liegen bei unter einem Prozent (Tabelle 1). Dagegen waren 27 Prozent der Personen vor ihrer Flucht selbstständig.Herbert Brücker, Nina Rother und Jürgen Schupp (2016): IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (online verfügbar). Weiterhin ist aus früheren Studien bekannt, dass die Gründungsneigung unter Migrantinnen und Migranten weit höher ist als unter Deutschen.Alexander S. Kritikos und Anselm Mattes (2017): In Deutschland sinkt die Zahl der Betriebsgründungen, nicht aber in Berlin. DIW Wochenbericht Nr. 26, 539–547 (online verfügbar). Es besteht demnach erhebliches Potenzial zur Ausweitung der selbstständigen Tätigkeit unter Geflüchteten. Aber auch im Bereich des Eintritts in eine abhängige Beschäftigung stagnieren im Zuge der Covid-19-Pandemie die Einstellungen seit 2020 (Tabelle 1); entsprechend gibt es hier wohl auch weiteres Beschäftigungspotenzial für Geflüchtete.Für mögliche Gründe für diese Stagnation siehe Adriana Cardozo Silva, Christopher Prömel und Sabine Zinn (2022): Geflüchtete in Deutschland fühlen sich in der Corona-Pandemie stärker diskriminiert als zuvor. DIW Wochenbericht Nr. 18, 260-268 (online verfügbar).
Vor diesem Hintergrund nimmt der Bericht die Motivation in den Unternehmen für die Einstellung Geflüchteter in den Blick. In den Befragungen geben die Personen aus der Führungsebene der Unternehmen, die maßgeblich am Einstellungsprozess beteiligt waren, zunächst an, dass sie mit der Einstellung Geflüchteter und deren Integration in ihre Belegschaft als Unternehmen ihrer gesellschaftlichen „Pflicht nach[kommen]“ und „den Geflüchteten Unterstützung leisten“.Unternehmensumfrage (siehe Kasten); Auszüge aus den Freitextantworten auf die Frage „Was würden Sie anderen Unternehmen, die Geflüchtete einstellen wollen, empfehlen?“. Langfristig würden diese aber auch dem Mangel an Arbeitskräften entgegenwirken, der viele Unternehmen verstärkt herausfordert.Lutz Bellmann et al. (2021): Der Mangel an Bewerbungen bremst die Erholung am Ausbildungsmarkt. IAB-Forum (18. November 2021) (online verfügbar). Gleichzeitig berichten die Unternehmen von weiteren positiven Effekten, die sich bereits im kurz- und mittelfristigen Zeithorizont entfalten.
Die Einstellung Geflüchteter bewirkt nach Einschätzung der Unternehmen einen Anstieg der Zufriedenheit der Mitarbeitenden, die sich bei 68 Prozent der Unternehmen in Form eines höheren Engagements und bei 83 Prozent in einer höheren Akzeptanz von Geflüchteten unter allen Beschäftigten zeigt (Abbildung 1).
Gleichzeitig steigt die Unternehmensattraktivität: 80 Prozent der Unternehmen berichten von einer erfolgreicheren Positionierung als attraktiver Arbeitgeber, die sich in einer höheren Anzahl an Bewerbungen anderer Geflüchteter niederschlägt, und 60 Prozent geben an, sie seien nach der Einstellung Geflüchteter auch attraktiver für internationale Auftraggeber.
Interessanterweise spiegelt sich die Integration Geflüchteter ebenfalls in der unternehmerischen Entwicklung wider: 56 Prozent der befragten Unternehmen führen aus, dass sie mit der Einstellung Geflüchteter die durchschnittliche Beschäftigungsdauer aller Mitarbeitenden steigern konnten. 61 Prozent der Unternehmen profitieren von einer gesteigerten Kreativität und 57 Prozent berichten von einer insgesamt höheren Produktivität. Anderen Studien zufolge können diese Zugewinne unter anderem auf die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe zurückgeführt werden, aufgrund derer Geflüchtete Problemstellungen anders adressieren, Prozesse hinterfragen und alternative Lösungsansätze erarbeiten.Philippe Legrain (2016): Refugees Work: A Humanitarian Investment that Yields Economic Dividents. Tent Partnership (online verfügbar).
In der Praxis stellt die Einstellung Geflüchteter für viele Unternehmen ein nicht unerhebliches Risiko dar – insbesondere dann, wenn Unternehmen noch keine Erfahrung mit der Rekrutierung Geflüchteter haben. Diese Herausforderungen unterscheiden sich maßgeblich vom Einstellungsprozess Nicht-Geflüchteter. Zunächst bestehen bei der Suche nach geeigneten Beschäftigten Zweifel über den idealen Rekrutierungskanal, über den Geflüchtete erreicht werden können. Werden potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten identifiziert, müssen deren Qualifikationen beurteilt und eine mögliche Anstellung ausgelotet werden. Schließlich müssen die Unternehmen nach erfolgreichem Vertragsschluss die neue Arbeitskraft einarbeiten und in die Belegschaft integrieren.
Dabei ist der Großteil der Unternehmen vor und nach der Rekrutierung mit relativ ähnlichen Themen konfrontiert (Tabelle 2). Über drei Viertel der Unternehmen berichten von mangelnden Sprachkenntnissen; bei mehr als der Hälfte der Unternehmen haben Geflüchtete unzureichende Qualifikationen für die angestrebte Tätigkeit oder können keine Qualifikationsnachweise vorlegen. Über die Hälfte der Unternehmen hat außerdem Probleme damit, im Ausland erworbene Qualifikationsnachweise zu prüfen oder diese mit ihnen bekannten Abschlüssen zu vergleichen.
In Prozent der befragten Unternehmen
Herausforderung | Anteil | Rang | Lösungsansatz | Anteil | Rang |
---|---|---|---|---|---|
unzureichende Sprachkenntnisse | 76 | 1. | berufsbegleitende Sprachkurse | 74 | 2. |
unzureichende Qualifikation für den angestrebten Job | 58 | 2. | Weiterbildungen/Fortbildungen | 67 | 3. |
mangelnde Qualifikationsnachweise | 57 | 3. | Qualifikationsanalyse (kurze „Probearbeit“) | 80 | 1. |
Probleme bei der Anerkennung/Vergleichbarkeit der im Ausland erworbenen Abschlüsse | 56 | 4. |
Anmerkung: Anzahl der Beobachtungen: 100.
Quelle: Umfrage der DIW Econ.
Diesen Schwierigkeiten begegnen Unternehmen mit vielseitigen Maßnahmen, die entweder vom Staat oder externen Dienstleistungsunternehmen angeboten werden oder die sie selbst entwickelt haben. Mit der Kombination einzelner Maßnahmen adressieren die befragten Unternehmen firmenspezifische Belange.
Vor allem der Beginn des Rekrutierungsprozesses ist für viele Unternehmen von Unklarheiten und Unsicherheiten in Bezug auf Abläufe bei der Einstellung Geflüchteter, deren Integration in die Belegschaft und Unterschiede zu nichtgeflüchteten Beschäftigten gekennzeichnet. In dieser Phase stehen die Unternehmen in engem Austausch mit öffentlichen Institutionen, deren Unterstützungsangebote sie vor allem bis zur Vertragsunterzeichnung wahrnehmen.DIW Econ (2022), a.a.O.
Die öffentlichen Angebote leisten Hilfestellungen bei unterschiedlichen Fragestellungen, unterstützen finanziell oder inhaltlich und zielen zum Teil auf bestimmte Beschäftigungsformen wie Ausbildungen ab. Zu den öffentlichen Unterstützungen zählen Angebote des Arbeitgeberservice und die Förderung durch den Eingliederungszuschuss der Arbeitsagenturen und Jobcenter. Weiterhin bietet die öffentliche Hand Unterstützung bei Ausbildungen oder zu deren Vorbereitung an, beispielsweise in Form der Einstiegsqualifizierung und ausbildungsbegleitenden Hilfen ebenso wie durch die assistierte Ausbildung und die Beratung durch Willkommens- und Integrationslotsinnen und -lotsen im Rahmen von länderspezifischen Programmen.
Am weitesten verbreitet von allen Unterstützungsangeboten sind der Arbeitgeberservice der Arbeitsagenturen und der Jobcenter, den 90 Prozent der Unternehmen kennen und der von 88 Prozent genutzt wird, sowie der Eingliederungszuschuss, den 83 Prozent kennen und den 77 Prozent nutzen (Abbildung 2).Dieses Ergebnis wird auch in der folgenden Studie bestätigt: Sarah Pierenkemper und Christoph Heuer (2020), a.a.O.
Die weite Verbreitung des Arbeitgeberservices der Arbeitsagenturen und der Jobcenter wird auch bei der Analyse der meistgenutzten Rekrutierungskanäle deutlich. Bei der Suche nach geeigneten Beschäftigten arbeiten Unternehmen eng mit der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Für die befragten Unternehmen ist dies der wichtigste Rekrutierungskanal; dieser wird von insgesamt drei Viertel der Unternehmen zur Ansprache Geflüchteter genutzt. Direktkontakte zu Geflüchteten-Organisationen und NGOs sowie Online-Stellenbörsen wurden mit 71 Prozent und 66 Prozent an zweiter und dritter Stelle der von Unternehmen am häufigsten genutzten Rekrutierungskanäle genannt.
Die Unternehmen wurden nach ihrer Zufriedenheit mit den genutzten Angeboten befragt.Dabei gab es folgende Antwortauswahl: Welche der folgenden Unterstützungsangebote zur Einstellung und Integration von Geflüchteten 1) sind Ihnen bekannt? 2) [Wenn bereits bekannt] …haben Sie bereits genutzt? 3) [Wenn bereits genutzt] … wie bewerten Sie diese Angebote von sehr zufrieden (1) bis unzufrieden (4)? Als zufriedenstellend werden die Werte 1 und 2 gewertet. Bei staatlichen Unterstützungsangeboten zeichnet sich eine große Zufriedenheit ab. Dabei werden nicht nur die bekannten, sondern auch weniger verbreitete Unterstützungsangebote sehr positiv von denjenigen Unternehmen bewertet, die diese in Anspruch genommen haben. Unter den weniger verbreiteten Angeboten sind spezielle Beratungsangebote hervorzuheben, beispielsweise durch Integrationslotsinnen und Integrationslotsen oder durch passgenaue Beratungen sowie ausbildungsunterstützende Programme wie die Einstiegsqualifizierung und die assistierte Ausbildung.Unter speziellen Beratungsangeboten werden verschiedene staatliche Programme, zum Beispiel Integrationslotsinnen und -lotsen, passgenaue Besetzerinnen und Besetzer, Willkommenslotsinnen und -lotsen oder Kümmerinnen und Kümmerer zusammengefasst. Über 90 Prozent derjenigen befragten Unternehmen, die diese Art von Unterstützungsangeboten bereits genutzt haben, gaben an, mit den Angeboten zufrieden oder sehr zufrieden gewesen zu sein.
Neben den öffentlichen Angeboten ergänzen Unternehmen ihre Unterstützungsmaßnahmen mit verschiedenen unternehmensinternen oder von Dritten entwickelten Initiativen. 95 Prozent der Unternehmen nutzen mindestens drei verschiedene staatliche und nichtstaatliche Maßnahmen. Durch diese Kombination können sie insbesondere nach der Einstellung von Geflüchteten auf unternehmensspezifische Bedürfnisse eingehen. Dabei können die verbreitetsten Maßnahmen als unmittelbare Reaktion auf häufig auftretende Probleme betrachtet werden (Tabelle 2).
Wenngleich die ergänzenden Maßnahmen über die befragten Unternehmen hinweg vergleichbar sind, variiert die konkrete Umsetzung stark zwischen einzelnen Unternehmen. Beispielsweise bieten etwa drei Viertel der befragten Unternehmen berufsbegleitende Sprachkurse an, um mangelnde Sprachkenntnisse auszugleichen. Diese sind ein maßgeblicher Faktor für die weitere Integration.Cornelia Kristen, Yuliya Kosyakova und Christoph Spörlein (2022): Deutschkenntnisse entwickeln sich bei Geflüchteten und anderen Neuzugewanderten ähnlich – Sprachkurse spielen wichtige Rolle. DIW Wochenbericht Nr. 5, 64–69 (online verfügbar). Die Umsetzung der Sprachförderung hängt jedoch vom jeweiligen Unternehmen ab. Sollen beispielsweise Fachbegriffe vermittelt oder über den Sprachkurs Kontakte im Unternehmen geknüpft werden, bieten sich neben regulären Sprachkursen alternative Angebote wie Sprach-Apps oder die Vermittlung von Tandempartnerschaften zum Spracherwerb unter den Beschäftigten im gleichen Unternehmen an. Im Rahmen von Tandempartnerschaften kann gleichzeitig die gesellschaftliche Teilhabe Geflüchteter gesteigert werden.Magdalena Krieger et al. (2020): Mentorenprogramme fördern die Integration von Geflüchteten. DIW Wochenbericht Nr. 49, 906–914 (online verfügbar).
Mit einer Qualifikationsanalyse in Form einer Probearbeit vor Vertragsschluss können Unternehmen Probleme mit fehlenden Qualifikationsnachweisen und der Vergleichbarkeit und Prüfung ausländischer Abschlüsse adressieren – derartige Probleme waren auch bei der Entwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes von 2020 von Bedeutung.Fachkräfteeinwanderungsgesetz vom 15. August 2019 (online verfügbar). Gleichzeitig bietet eine Probearbeit die Möglichkeit, dass Bewerberinnen und Bewerber und die leitenden Angestellten sowie die Belegschaft des Unternehmens sich kennenlernen, ihre gegenseitigen Erwartungen abgleichen und weiteren Förderungsbedarf identifizieren. Mit speziell auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden abgestimmten Fort- und Weiterbildungen werden Qualifikationen vermittelt, die neuangestellte Geflüchtete bei Arbeitsbeginn noch nicht vorweisen können. Der Schwerpunkt solcher Fort- und Weiterbildungen kann unter anderem auf der Vermittlung von für den Arbeitsalltag relevantem Wissen oder auf der Förderung der weiteren Integration beispielsweise durch Sprachkurse liegen, aber auch Geflüchtete auf weitere Bildungsabschlüsse und höhere Positionen vorbereiten.Beispiel hierfür ist die Fallstudie mit Deutsche Post DHL Group im Bericht von DIW Econ (2022), a.a.O.
Weniger verbreitete Herausforderungen der Unternehmen hängen stärker von Charakteristika wie der Lage, Betriebsgröße und Branche, internen Prozessen und der Belegschaft des jeweiligen Unternehmens ab. In diesem Zusammenhang bieten die Unternehmen vielfältige weitere Maßnahmen an, die firmenintern oder mit externer Unterstützung entwickelt werden und gezielt auf die Unternehmensabläufe und die Bedürfnisse der geflüchteten und nichtgeflüchteten Mitarbeitenden abgestimmt sind.
Beispielsweise ist in jedem dritten Unternehmen die Entfernung zum Arbeitsplatz ein Problem für Geflüchtete, die häufig auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind.Wido Geis et al. (2016): Integrationsmonitor. Beschäftigungsentwicklung und regionale Verteilung von Flüchtlingen. Institut der deutschen Wirtschaft Köln (online verfügbar); Tabea Rösch et al. (2020): Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen. Forschungsbericht 36 des Forschungszentrums des Bundesamtes, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (online verfügbar). Dies kann insbesondere bei Firmen in ländlichen Regionen mit schlechter öffentlicher Anbindung oder bei unregelmäßigen Arbeitszeiten ein Problem darstellen, dem durch die Vermittlung von Fahrgemeinschaften entgegengewirkt werden kann. Weiterhin versuchen Unternehmen, über Diversitätstrainings etwaige Vorbehalte ihrer Belegschaft gegenüber Geflüchteten abzubauen, und fördern Kontakte zwischen Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten durch Buddy-Programme oder gemeinsame Events. Diese Beispiele zeigen, dass die Funktion von Unternehmen bei der Integration von Geflüchteten von großer Bedeutung ist. Neben der „Integration durch Arbeit“ können sie als sozialer Raum dienen, in dem es zu regelmäßigem Kontakt und Austausch zwischen Geflüchteten und Nicht-Geflüchteten in der Gesellschaft kommt. Im Rahmen der Kontakthypothese stärkt dieser Austausch die Integration der Geflüchteten in die Gesellschaft insgesamt.Michael Bailey et al. (2022): The social integration of international migrants: Evidence from the networks of Syrians in Germany (online verfügbar).
Die Umfrage unter 100 Unternehmen in Deutschland mit Erfahrung in der Integration von Geflüchteten zeigt, dass sich die Einstellung Geflüchteter in verschiedenen Dimensionen positiv auf die Unternehmen auswirkt. Aufgrund ihrer Erfahrungen planen 88 Prozent der befragten Unternehmen, in den kommenden Jahren weitere Geflüchtete einzustellen. Allerdings sind der Rekrutierungs- und Einstellungsprozess von Geflüchteten ebenso wie die erste Phase nach der Einstellung für viele Unternehmen mit Unsicherheiten verbunden. Diese sind bei der Einstellung von Geflüchteten angesichts mangelnder Sprachkenntnisse und nicht anerkannter Qualifikationen deutlich stärker ausgeprägt als bei nichtgeflüchteten Arbeitssuchenden und erfordern von den Unternehmen entsprechend angepasste Maßnahmen.
Unternehmen nutzen daher eine Vielzahl staatlicher, firmeninterner und von Dritten bereitgestellter Unterstützungsangebote und stimmen diese auf ihre individuellen Bedürfnisse ab. Die sehr positiv bewerteten staatlichen Angebote – wie der Arbeitgeberservices der Arbeitsagenturen und der Jobcenter sowie Qualifikationsanalysen oder Sprachkurse – nehmen Unternehmen insbesondere vor Vertragsschluss in Anspruch. Nach der erfolgreichen Rekrutierung greifen sie vermehrt auf ergänzende Maßnahmen zurück, welche die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten berücksichtigen und welche in die Firmenabläufe eingebettet sind.
Obwohl in der Umfrage nur Unternehmen befragt wurden, die bereits Geflüchtete beschäftigen und mit der Arbeitsintegration Geflüchteter Erfahrungen haben, sind die unterschiedlichen staatlichen Unterstützungsangebote nicht allen gleichermaßen vertraut. So kennt etwa jedes zweite Unternehmen nicht die assistierte Ausbildung und jedem vierten ist die Einstiegsqualifizierung nicht bekannt, ebenso wenig wie die speziellen Beratungsangebote etwa von Integrationslotsinnen und Integrationslotsen. Gezielte Informationen über diese Programme können vor dem Hintergrund der jüngst stagnierenden Einstellungsquoten unter den Geflüchteten zukünftig dazu beitragen, dass weitere Unternehmen von den positiv bewerteten Angeboten profitieren. Durch das Aufzeigen der vielseitigen Unterstützung könnten auch weitere Unternehmen von der Einstellung Geflüchteter überzeugt werden, was insbesondere angesichts der aktuell nach Deutschland gelangenden und zukünftig erwarteten ukrainischen Geflüchteten immer relevanter wird. Entsprechend sollen bestehende Angebote nicht nur beibehalten, sondern nach Möglichkeit ausgebaut werden. Zentral sind Sprachkurse, die Unternehmen als essentiellen Bestandteil für eine gelingende Integration betrachten. Bei der weiteren Entwicklung der Unterstützungsmaßnahmen sollte darauf geachtet werden, den organisatorischen Aufwand zur Nutzung der Angebote möglichst gering zu halten, sodass die Integration Geflüchteter in deren Belegschaft für Unternehmen attraktiv bleibt und nicht zu zusätzlichen Belastungen führt. Auch sollte überlegt werden, inwieweit aufbauend auf dem bisherigen, ad-hoc entwickelten Erfahrungsschatz in den Unternehmen die staatlichen und privaten Unterstützungsangebote besser aufeinander abgestimmt werden können.
Potenzial wird weiterhin bei einem Blick auf die Gründungsaktivitäten unter Geflüchteten sichtbar. Die äußerst geringen Gründungsquoten unter ihnen weisen auf bürokratische Hemmnisse ebenso wie auf Finanzierungsschwierigkeiten hin. Daher sollte neben der Unterstützung bei der Integration Geflüchteter in Unternehmen zukünftig untersucht werden, inwiefern der Ausbau spezieller Förderprogramme die Selbstständigkeit unter Geflüchteten erhöhen kann. Erhalten Geflüchtete einen besseren Zugang zu Kapital, sozialen Netzwerken und Wissen, könnte ihre Integration am Arbeitsmarkt über Selbstständigkeit als wichtige Alternative zur Integration in abhängige Beschäftigung weitaus stärker als bisher gefördert werden.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Unternehmen in Deutschland einen aktiven Beitrag zur Integration Geflüchteter leisten. Das machen sie nicht nur durch die Einstellung der Geflüchteten in ihren Betrieben möglich, sondern auch durch verschiedene Angebote innerhalb ihrer Betriebe, welche die Akzeptanz der Geflüchteten in der Belegschaft erhöhen. Insofern kommen Unternehmen einer wichtigen gesellschaftlichen Funktion nach. Gleichzeitig profitieren Unternehmen von der gestiegenen Diversität in ihren Betrieben. Darüber hinaus tragen diejenigen Geflüchteten, die mittlerweile eine bezahlte Beschäftigung gefunden haben, heute als Steuerzahlerin und Steuerzahler sowie als Konsumentinnen und Konsumenten auch positiv zur Entwicklung der gesamten deutschen Wirtschaft bei.
Themen: Unternehmen, Migration, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: F22;J15;E24
Keywords: migration, labor market integration, integration programs, survey
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-20-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/259573