DIW Wochenbericht 21 / 2022, S. 299-305
Franziska Bremus, Pia Hüttl
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„Die Märkte reagieren auf die Sanktionen gegen OligarchInnen: Von sanktionierten OligarchInnen geleitete Unternehmen erfahren kräftige Kursverluste – stärker als Unternehmen ohne sanktioniertes Führungspersonal. Die Sanktionen treffen also nicht nur die OligarchInnen selbst, sondern haben auch weitergehende ökonomische Folgen. Die Sanktionslisten sollten harmonisiert und erweitert werden.“ Pia Hüttl
Die EU-Kommission hat im Februar 2022 wirtschaftliche Sanktionen gegen ausgewählte russische OligarchInnen verkündet. So sollte Druck auf den Kreml ausgeübt werden, zunächst die Verlegung von Truppen in die Regionen Donezk und Luhansk und schließlich den Angriff auf die Ukraine zu beenden. Der vorliegende Bericht untersucht, wie sich diese Sanktionen auf Unternehmen auswirken, die von russischen OligarchInnen geleitet werden. Die empirischen Befunde zeigen, dass die Aktienrenditen von Unternehmen mit sanktionierten OligarchInnen im Vorstand nach der Ankündigung der Sanktionen deutlich unter den Aktienrenditen von Unternehmen ohne sanktionierte Vorstände lagen. Beispielsweise dürften InvestorInnen aufgrund von Signaleffekten sowie rechtlichen und wirtschaftlichen Unsicherheiten negative Folgen für Unternehmen mit betroffenen OligarchInnen erwarten und sich deshalb zurückziehen. Persönliche Sanktionen können also über die negativen Effekte auf Unternehmenswerte einen gewissen ökonomischen Druck ausüben.
Finanzsanktionen gegen natürliche Personen werden in Konflikten zunehmend als politisches Instrument eingesetzt. Die Sanktionen, die nach der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 ausgesprochen wurden, betrafen vor allem Mitglieder des öffentlichen Diensts und VertreterInnen pro-russischer Kräfte der Krim. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 kamen Sanktionen gegenüber mehr als 40 russischen OligarchInnen, fast 600 PolitikerInnen sowie einigen Militärs hinzu (Abbildung 1).Für eine detailliertere Zeitleiste der Sanktionspakete siehe die Webseite des Europäischen Rats (online verfügbar; abgerufen am 2. Mai 2022. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Insgesamt umfasst das Sanktionspaket gegen Russland eine Vielzahl an Sanktionen gegenüber Personen, Unternehmen und Institutionen und ist in seinem Umfang beispiellos.Zu den spezifischen Maßnahmen siehe die Webseite des Europäischen Rats (online verfügbar). Erklärtes Ziel der Sanktionen ist es, Druck auf die politisch Verantwortlichen aufzubauen, den Angriff auf die Ukraine zu beenden.Vgl. die Webseite der Europäischen Kommission (online verfügbar).
Die EU-Finanzsanktionen gegen einzelne Personen umfassen das Einfrieren von Konten und Vermögenswerten wie Immobilien, Jachten oder Kunstobjekten. An Personen, die auf der Sanktionsliste aufgeführt sind, darf kein Geld für Waren, Dienstleistungen oder Gehälter ausgezahlt werden. Darüber hinaus dürfen Vermögenswerte von sanktionierten Personen nicht gehandelt oder vermietet werden.Vgl. die Webseite des Juristischen Portals von Bund und Ländern (online verfügbar). Vermögenswerte können jedoch wegen der mangelnden Verfügbarkeit an Informationen zu Eigentumsverhältnissen verschleiert oder durch Schlupflöcher vor Sanktionen geschützt werden.Vgl. Sebastian Mack (2022): Licht ins Dunkel bringen – Ein EU-Vermögensregister zur Bekämpfung illegaler Finanzströme. Policy Brief des Jacques Delors Centre an der Hertie School (online verfügbar).
Während andere EU-Länder wie Italien schon größere Summen an Vermögenswerten russischer OligarchInnen eingefroren haben, geht es in Deutschland bei der Durchsetzung der Sanktionen bislang langsamer voran. Aufgrund der Herausforderungen bei der Umsetzung der Sanktionen wird aktuell vor allem diskutiert, wie künftig rechtliche Hürden beim Aufspüren und Einfrieren von Vermögenswerten beseitigt werden können.Vgl. Handelsblatt (2022): Lücken im System: Warum die Sanktionen gegen die Oligarchen nur unzureichend greifen. Ausgabe vom 10. April (online verfügbar); Christian Schubert (2022): Oligarchen-Yachten liegen Italien auf der Tasche. FAZ vom 28. April (online verfügbar). Außerdem ist eine wichtige Frage, wie Informationen zu den Vermögenswerten und wirtschaftlichen Verbindungen sanktionierter Personen erhoben und genutzt werden können.Vgl. Sebastian Mack (2022), a.a.O. ; Börsen-Zeitung (2022): Kabinett beschließt bessere Durchsetzung von Sanktionen. Online-Ausgabe vom 10. Mai (online verfügbar, abgerufen am 12. Mai). Insgesamt scheint bisher unklar, auf welche Weise persönliche Sanktionen wirken.
Es wird jedoch berichtet, dass Unternehmen, die eng mit sanktionierten OligarchInnen verbunden sind oder sogar von diesen geleitet werden, seit der Ankündigung der Sanktionen in ihren Geschäftsprozessen beeinträchtigt sind, zum Beispiel weil unsicherer wird, wie Gelder bereitgestellt werden können oder wegen politischen Drucks, keine Geschäfte mit russischen OligarchInnen zu tätigen.Vgl. Handelsblatt vom 10. April 2022, a.a.O.; Michael O’Dwyer, Kate Beioley und George Hammond (2022): Western companies in Abramovich-linked buildings fear paying rent on Moscow offices. Financial Times vom 28. März (online verfügbar); Vgl. Alan Beattie (2022): Sanctions more than ethics have spurred corporate flight from Russia. Financial Times vom 9. März (online verfügbar).
Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Bericht, wie sich in Reaktion auf die jüngsten EU-Sanktionen die Aktienrenditen und damit die Werte von Unternehmen entwickelt haben, in denen sanktionierte russische OligarchInnen Vorstandsmitglieder sind. Als betroffene Unternehmen werden also diejenigen Unternehmen definiert, in denen mindestens ein sanktionierter Oligarch als Vorstandsvorsitzender, als Mitglied der Geschäftsführung oder in anderer zentraler Leitungsfunktion tätig ist.Als Führungspositionen werden alle Berufsbezeichnungen wie Gründer, CEO, Executive Officer, Executive Director, Präsident und Chief Officer berücksichtigt.
Einschlägige Fachliteratur zeigt, dass politische Eliten in Unternehmensvorständen in normalen Zeiten den Unternehmenswert steigern können.Vgl. Eitan Goldman, Jörg Rocholl und Jongil So (2009): Do Politically Connected Boards Affect Firm Value? Review of Financial Studies 22 (6), 2331–2360; Sheng-Syan Chen et al. (2020): Board structure, director expertise, and advisory role of outside directors. Journal of Financial Economics 138 (2), 483–503. Die enge Verbindung zu politischen EntscheiderInnen kann zum Beispiel ein besseres Fachwissen im Umgang mit Bürokratie, Vorteile bei der Auftragsvergabe oder eine bessere Informationslage mit sich bringen. Wenn Sanktionen gegen diese Personen verhängt werden, verringert sich der Wert ihrer politischen Verbindungen oder kehrt sich sogar ins Negative um und beeinträchtigt somit auch den Firmenwert. Im aktuellen Fall der individuellen Sanktionen können betroffene Vorstandsmitglieder durch Stigmatisierungseffekte rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheiten für ihre Unternehmen mit sich bringen und so einen negativen Einfluss auf den Aktienkurs des Unternehmens ausüben.
Für den Iran wurde gezeigt, dass die Aktienrenditen von Unternehmen, die teilweise im Besitz von sanktionierten Eliten sind, positiv auf diplomatische Nachrichten reagieren, die die Wahrscheinlichkeit der Aufhebung von Sanktionen erhöhen.Mirko Draca et al. (2022): On target? Sanctions and the economic interests of elite policymakers in Iran. Warwick Economic Research Papers No. 1400 (online verfügbar). Des Weiteren wurde untersucht, wie sich Sanktionen gegen iranische Unternehmen oder Branchen auswirken. Es zeigt sich, dass die Aktienkurse und die Rentabilität politisch verbundener Unternehmen stärker beeinträchtigt werden als die anderer Unternehmen.Saeed Ghasseminejad und Mohammad Jahan-Parvar (2021): The impact of financial sanctions: The case of Iran. Journal of Policy Modeling 43 (3), 601–621. Außerdem können persönliche Sanktionen dazu führen, dass sanktionierte OligarchInnen nur noch mit geringerem Engagement ihrer Vorstandstätigkeit nachgehen können. Die sanktionierten Personen wenden Zeit und Mühe auf, um unter Umständen Vermögenswerte zu verkaufen oder zu verlagern und generell die Sanktionen zu umgehen. Ein abgelenktes Vorstandsmitglied wird dem Unternehmen wahrscheinlich weniger Aufmerksamkeit schenken, was sich wiederum negativ auf den Unternehmenswert auswirken kann.Antonio Falato, Dalida Dadyrzhanova und Ugur Lel (2014): Distracted directors: Does board busyness hurt shareholder value? Journal of Financial Economics 113 (3), 404–426; Eliezer M. Fich und Anil Shivdasani (2005): The impact of stock-option compensation for outside directors on firm value. The Journal of Business 78 (6), 2229–2254; Tod Perry und Urs Peyer (2005): Board seat accumulation by executives: A shareholder’s perspective. The Journal of Finance 60 (4), 2083–2123.
Generell gibt es einen Konsens in der Fachliteratur, dass der Einfluss von Wirtschaftssanktionen auf das Verhalten des sanktionierten Zielstaates eher gering ist.Robert A. Pape (1997): Why economic sanctions do not work. International Security 22 (2), 90–136; Peter A. van Bergeijk (1989): Success and failure of economic sanctions. Kyklos 42 (3), 385–404; Navin A. Bapat und Clifton T. Morgan (2009): Multilateral Versus Unilateral Sanctions Reconsidered: A Test Using New Data. International Studies Quarterly 53 (4), 1075–1094. Nichtsdestotrotz können wirtschaftliche Sanktionen aber nachteilige Folgen für den Zielstaat haben: Sie verlangsamen das Wirtschaftswachstum und können zu Währungskrisen führen.Dursun Peksen und Byunghawan Son (2015): Economic coercion and currency crises in target countries. Journal of Peace Research, 52 (4), 448–462; Matthias Neuenkirch und Florian Neumeier (2015): The impact of UN and US economic sanctions on GDP growth. European Journal of Political Economy 40, 110–125. Des Weiteren treffen sie vor allem die arme Zivilbevölkerung und vergrößern damit die Armutskluft.Sylvanus K. Afesorgbor und Reuka Mahadevan (2016): The impact of economic sanctions on income inequality of target states. World Development 83, 1–11; Neuenkirch und Neumeier (2016): a.a.O., 110–119.
Für die empirische Analyse werden börsennotierte Unternehmen identifiziert, in denen russische OligarchInnen im Allgemeinen und sanktionierte OligarchInnen im Besonderen als Vorstandsmitglieder oder in einer Führungsposition tätig sind. Als OligarchInnen werden hier gemäß der Definition von Guriev und Rachinsky Geschäftsleute bezeichnet, die ausreichende Ressourcen kontrollieren, um die nationale Politik zu beeinflussen.Sergei Guriev und Andrei Rachinsky (2005): The Role of Oligarchs in Russian Capitalism. Journal of Economic Perspectives 19 (1), 131–150. Für die Rolle der sogenannten Siloviki, Mitgliedern des russischen Geheimdienstes und deren Geschäfte, siehe Michael Rochlitz (2019): The Return of the Siloviki: An Introduction. Russian Politics 4 (4), 493–498. Während die EU-Sanktionsliste Aufschluss über sanktionierte OligarchInnen gibt, wird die Vergleichsgruppe nicht sanktionierter OligarchInnen als russische Geschäftsleute definiert, die in der Milliardärsliste von Forbes zwischen 2012 und 2022 erfasst wurden.Die Forbes-Milliardärsliste umfasst alle Personen, die in einem bestimmten Jahr über ein Vermögen von mehr als einer Milliarde verfügen. Siehe Webseite von Forbes (online verfügbar). Zusätzlich wurden Marktdaten der zugehörigen Unternehmen extrahiert. Daraus resultiert ein Datensatz, der sowohl Unternehmen mit sanktionierten OligarchInnen im Vorstand als auch solche ohne sanktionierte OligarchInnen umfasst. Da die russische Börse am 25. Februar 2022 vorübergehend ihre Aktivität eingestellt hatte, liegt das Augenmerk in dieser Studie auf den Daten von Unternehmen, die außerhalb Russlands an der Börse notiert sind.Die Unternehmen sind zum Beispiel an der Londoner Börse (LSE) oder an der New Yorker Börse (NYSE) gelistet. Auch an diesen Börsen wurde der Handel mit russischen Aktien, Anleihen und Derivaten Anfang März vorübergehend eingestellt. Der Beobachtungszeitraum erstreckt sich über die vier Tage nach der Veröffentlichung der EU-Sanktionsliste.
Die hier vorliegende Stichprobe umfasst schließlich Informationen von 18 Unternehmen mit sanktionierten OligarchInnen im Leitungsgremium und sieben Unternehmen mit Verbindungen zu OligarchInnen, die nicht sanktioniert sind. In 80 Prozent der hier betrachteten Unternehmen, die von den Sanktionen gegen OligarchInnen betroffen sind, unterliegt nur eine Person im Leitungsgremium den Sanktionen, in den übrigen 20 Prozent der betroffenen Unternehmen sind bis zu drei leitende Angestellte sanktioniert. In nicht sanktionierten Unternehmen sind 43 Prozent der OligarchInnen als Vorstandsmitglieder und 57 Prozent in leitenden Positionen tätig (Tabelle). Bei den Unternehmen mit sanktioniertem Führungspersonal sind fast drei Viertel der OligarchInnen in der Unternehmensführung, 17 Prozent als Vorstandsmitglieder und elf Prozent als UnternehmensgründerInnen tätig. Ein Blick auf die Veränderung des Aktienwerts der Unternehmen zeigt, dass Unternehmen mit sanktionierten OligarchInnen im Vorstand nach der Ankündigung der Sanktionen deutlich höhere Kursverluste erleiden (minus 31 Prozent) als Unternehmen ohne Vorstände mit engen Verbindungen zum Kreml (minus 19 Prozent). Die Kursentwicklung gibt also schon erste Hinweise darauf, dass die Sanktionen gegen OligarchInnen den Marktwert der von ihnen geleiteten Unternehmen beeinträchtigen können.
In Prozent
Nicht sanktioniert | Sanktioniert | |
---|---|---|
OligarchIn in leitender Position | 57 | 72 |
OligarchIn im Vorstand | 43 | 17 |
OligarchIn als GründerIn | 0 | 11 |
Veränderung des Aktienkurses (31. Jan–25. Feb) | −18,7 | −30,9 |
Anzahl Firmen in der Stichprobe | 7 | 18 |
Anzahl sanktionierter Personen (Mittelwert) | 0 | 1,1 |
Anmerkungen: Die untersuchte Stichprobe umfasst 25 Unternehmen mit Börsennotierung außerhalb Russlands, in denen OligarchInnen als Vorstandsmitglieder, Top-ManagerInnen oder GründerInnen fungieren.
Quelle: CapitalIQ, eigene Darstellung.
Um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen gegen russische OligarchInnen genauer zu untersuchen, wird eine Ereignisstudie für die erste Welle von EU-Sanktionen ab dem 23. Februar 2022 durchgeführt.Am 22. Februar 2022 kündigte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, in einer Live-Konferenz alle bis dahin vereinbarten Sanktionen in Reaktion auf die russische Politik gegenüber den ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk an. Während bei der Ankündigung keine Einzelpersonen genannt wurden, wurde die Liste mit den Namen und Positionen einen Tag später, am 23. Februar, im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 folgten weitere Sanktionen, auch gegen Personen. Die Entwicklung des Unternehmenswertes in den Tagen nach dem Ereignis wird anhand von marktbereinigten kumulativen abnormalen Renditen (KAR) für jedes Unternehmen und verschiedene Zeitfenster bestimmt (Kasten 1). Um den Einfluss der angekündigten Sanktionen auf die Renditen zu messen, werden dafür zunächst hypothetische Renditen für die Tage nach dem Ereignis prognostiziert, die ohne die Sanktionen zu erwarten gewesen wären. Die Differenz zwischen diesen prognostizierten Renditen und den beobachteten Werten ergeben dann die sogenannten abnormalen Renditen, mit denen der Einfluss der EU-Sanktionen auf den Marktwert der Unternehmen abgeschätzt wird.
Um die abnormalen Renditen zu berechnen, wird das Marktmodell verwendet.Das Marktmodel nimmt eine lineare Beziehung zwischen der Rendite eines beliebigen Wertpapiers und der Rendite des Marktportfolios an. Charles J. Corrado (2011): Event studies: A methodology review. Accounting and Finance 51, 207–234. Die Modellparameter werden auf der Grundlage von Renditen über 170 Handelstage geschätzt, die 20 Tage vor der Ankündigung der Sanktionen enden. Die jeweiligen Marktindizes werden als Ersatz für die Rendite des Marktportfolios verwendet. Somit schätzt man eine normale Rendite während der Tage, die durch das Ereignisfenster abgedeckt werden – im vorliegenden Fall dem Zeitraum vom Tag der Ankündigung der EU-Sanktionen am 22. Februar bis zum vierten Tag danach.
Um den Einfluss der Sanktionen im Rahmen der univariaten Ereignisstudie zu ermitteln, werden die tatsächlichen realisierten Renditen mit den geschätzten Renditen zum Ereigniszeitpunkt verglichen. Ihre Differenz ergibt die sogenannte abnormale Rendite für das Unternehmen c an Tag t (ARct).
Um die Persistenz der Auswirkungen des Ereignisses während eines bestimmten Zeitraums (T1 bis T2) zu testen, kann die abnormale Rendite aufaddiert werden. Daraus ergeben sich die kumulierten abnormalen Renditen (KARc) für jedes einzelne Unternehmen.
KAR(+1,+2)c sind somit die aufaddierten (also kumulierten) abnormalen Renditen von T1 und T2, dem ersten und zweiten Tag nach der Ankündigung der EU-Sanktionen gegen OligarchInnen, also für den 23. und 24 Februar 2022.
Die Berechnungen weisen darauf hin, dass Unternehmen von Sanktionen gegen OligarchInnen in ihrer Führungsebene beeinträchtigt werden. Zwar verzeichneten auch Unternehmen, die von nicht sanktionierten OligarchInnen geleitet werden, nach dem 22. Februar 2022 rückläufige Aktienrenditen. Die Renditen der hier untersuchten Unternehmen, die von den Sanktionen gegen OligarchInnen betroffen sind, sanken in den Tagen nach der Ankündigung der EU-Sanktionen aber deutlich stärker (Abbildung 2). Die kumulierten abnormalen Renditen der Unternehmen mit sanktioniertem Führungspersonal lagen zwei Tage nach dem Erscheinen auf der EU-Sanktionsliste bei knapp minus 21 Prozent (Abbildung 3). Auch in den folgenden Tagen lagen die kumulierten abnormalen Renditen der Unternehmen mit sanktionierten Vorstandsmitgliedern deutlich unterhalb der erwarteten Werte vor der Ankündigung der Sanktionen.
In einem zweiten Schritt wird eine Querschnittsanalyse durchgeführt, bei der die Effekte der Sanktionen auf den Unternehmenswert für Unternehmen mit sanktionierten im Vergleich zu solchen ohne sanktionierte Vorstandsmitglieder geschätzt werden (Kasten 2). In diesem Modell ist es möglich, die Auswirkungen der Sanktionen genauer zu untersuchen, indem einerseits die Differenz des Effekts zwischen Unternehmen mit und ohne sanktionierte Führungskräfte gebildet wird und andererseits unternehmensspezifische Variablen einbezogen werden können. Im vorliegenden Fall wird die Marktkapitalisierung für jedes Unternehmen berücksichtigt, so dass Unterschiede in dieser Variable aus der Reaktion der Aktienwerte herausgerechnet werden. Als gemeinsames Ereignis dient die Veröffentlichung der Sanktionen gegen OligarchInnen am 23. Februar 2022 unter der Annahme, dass die Märkte diese Informationen direkt für von russischen OligarchInnen geführte Unternehmen einpreisen.Einige der hier erfassten OligarchInnen sind erst nach dem 23. Februar 2022 auf der EU-Sanktionsliste erschienen. Die Ergebnisse der Querschnittsanalyse stellen diesbezüglich eine Untergrenze für den geschätzten Effekt dar.
Um die Unterschiede der kumulativen abnormalen Renditen nach Ankündigung der Sanktionen im Querschnitt, also über alle beobachteten Unternehmen mit sanktionierten und nicht sanktionierten OligarchInnen hinweg, besser zu verstehen, wurde folgende Kleinste-Quadrate-Regressionsgleichung aufgesetzt:
wobei c das Unternehmen bezeichnet. Die abhängige Variable KAR(T1,T2)c ist die kumulierte abnormale Rendite für jedes Unternehmen mit einer Verbindung zu russischen OligarchInnen, die über die Tage T1 und T2 nach den Sanktionen kumuliert wurde.
Die unabhängige Variable Sanktion(0/1)c ist eine binäre Variable, die den Wert 1 annimmt, wenn mindestens ein Oligarch im Führungsgremium sanktioniert wurde, und den Wert 0, wenn kein Führungsmitglied sanktioniert wurde. Xc ist eine Unternehmensvariable, zum Beispiel der Logarithmus der Marktkapitalisierung, und εc ist der Fehlerterm. Das Modell wird für die 25 Unternehmen mit und ohne sanktionierte OligarchInnen in Leitungsfunktionen für verschiedene Zeitfenster geschätzt, nämlich für Tag 1, Tag 1–2, Tag 1–3 und Tag 1–4 nach Ankündigung der Sanktionen am 22. Februar 2022.
Die Schätzergebnisse der Querschnittsanalyse unterstreichen den negativen Effekt der Sanktionen auf die Aktienrenditen der betroffenen Unternehmen (Abbildung 4): Auch wenn Unternehmenscharakteristika wie die Marktkapitalisierung in der Schätzung berücksichtigt werden, zeigt sich ein statistisch signifikanter negativer Einfluss der Sanktionen für die hier untersuchten Unternehmen, die außerhalb Russlands notiert sind. Für Unternehmen mit sanktionierten Mitgliedern der Geschäftsführung waren die kumulierten abnormalen Renditen in den Tagen nach der Ankündigung der Sanktionen um bis zu elf Prozentpunkte niedriger als bei den übrigen hier betrachteten Unternehmen.
Grundsätzlich haben die Märkte also allein auf die Ankündigung der Sanktionen deutlich reagiert und besonders solche Unternehmen unter Druck gebracht, die sanktionierte OligarchInnen im Vorstand haben. Die Frage, wie dauerhaft dieser negative wirtschaftliche Einfluss ist, kann allerdings erst untersucht werden, wenn weitere Informationen wie zum Beispiel Bilanzdaten der Unternehmen zur Verfügung stehen.
Die empirische Analyse deutet darauf hin, dass die persönlichen Sanktionen gegen russische OligarchInnen wirtschaftliche Auswirkungen über das persönliche Vermögen der Sanktionierten hinaus haben können. Die Aktienmärkte reagierten nach der Ankündigung der EU-Sanktionen gegen russische OligarchInnen sichtbar: Aktienrenditen von Unternehmen mit sanktionierten OligarchInnen im Vorstand gingen deutlich stärker zurück als die Renditen vergleichbarer Unternehmen ohne sanktioniertes Führungspersonal. Um abschätzen zu können, wie dauerhaft und groß die wirtschaftlichen Effekte der Sanktionen gegen OligarchInnen sind, braucht es allerdings weitere Daten und Forschung.
Auch wenn sich die Umsetzung der Sanktionen in der EU als schwierig erweist und nur bedingt vorankommt, dürfte auch ein gewisser Druck über die dokumentierten negativen Auswirkungen auf den Börsenwert der betroffenen Unternehmen entstehen. Aus dieser Perspektive kann es also sinnvoll sein, die Liste der sanktionierten Geschäftsleute in Leitungspositionen zu erweitern. Dabei könnte man bei der Harmonisierung der Sanktionslisten von Großbritannien, den USA und der EU ansetzen. Das würde Unsicherheiten bezüglich des rechtlichen und wirtschaftlichen Umgangs mit sanktionierten Personen verringern und gleichzeitig Lücken in den einzelnen Sanktionsregimen schließen.Vgl. Martin Arnold und Sam Fleming (2022): Banks push Brussels for clarity to avoid “overcompliance” with sanctions on Russia. Financial Times vom 7. April (online verfügbar). Bisher werden in den verschiedenen Wirtschaftsregionen nämlich zum Teil unterschiedliche OligarchInnen sanktioniert. Beides untergräbt die Logik und Glaubwürdigkeit von personenspezifischen Sanktionen.Vgl. Courtney Weaver und James Politi (2022): Why the US has hit some Russian oligarchs with sanctions but not others. Financial Times vom 14. April (online verfügbar).
Themen: Ungleichheit, Europa
JEL-Classification: G14;G34;P16
Keywords: sanctions, stock market reaction, event study, Ukraine, Russia, war
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-21-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/259574