DIW Wochenbericht 22 / 2022, S. 324
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20000 Euro für jede und jeden zum 18. Geburtstag – ein solches Grunderbe könnte dazu beitragen, „die Startchancen ins Berufsleben etwas gerechter zu gestalten“. So sieht es der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider. Bei vielen jungen Menschen stößt er mit diesem Vorschlag auf Begeisterung, die Mehrheit der Politikerinnen und Politiker hingegen zeigt ihm die kalte Schulter. Dabei könnte ein Grunderbe vielen jungen Menschen neue Chancen und Freiheiten eröffnen, mehr Generationengerechtigkeit schaffen und sich letztlich sogar in finanziellen Gewinnen für den Staat niederschlagen. Denn ein Staat, der in die Fähigkeiten und Potenziale seiner jungen Bürgerinnen und Bürger investiert, trifft die beste Entscheidung, die er treffen kann.
Ein Grund- oder Lebenschancenerbe, wie ich es vor einigen Jahren genannt habe und weiterhin unterstütze, würde die Chancengleichheit verbessern. Es würde manchem jungen Menschen, der keine große finanzielle Unterstützung von den Eltern erhalten kann, dazu bewegen, doch zu studieren oder einen Ausbildungsweg einzuschlagen, der nicht unmittelbar ein vielversprechendes Einkommen abwirft. Es schafft Freiheit, Risiken einzugehen, beispielsweise sich selbstständig zu machen.
Eine Gesellschaft kann nur florieren, wenn sie möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern solche Freiheiten ermöglicht. Innovation und Kreativität können nicht geplant oder staatlich verordnet werden, sondern erfordern den Mut, unkonventionelle Wege zu gehen. Mit einem Grunderbe von 20 000 Euro ließen sich nicht alle Wünsche realisieren, aber es könnte vielen Menschen neue Optionen bei der Gestaltung ihrer Lebenswege eröffnen. Die Idee des Grunderbes ist, dass jeder einzelne Mensch selbst entscheidet und Verantwortung für das eigene Leben übernehmen kann. Das Grunderbe bedeutet Freiheit und Chancen. Wer kann das in einer liberalen Demokratie ablehnen?
Ein häufiger und kürzlich von Mitgliedern der FDP und der Linken geäußerter Einwand gegen das Grunderbe ist, es sei eine Umverteilung nach dem Gießkannenprinzip. Genau das Gegenteil ist der Fall: Das Grunderbe ist eine sehr gezielte Umverteilung von alten zu jungen Menschen. Die älteren Generationen hinterlassen den jungen Menschen eine Welt, die von Klimakatastrophen und geopolitischen Konflikten geprägt ist. Die junge Generation ist von der Pandemie mit am härtesten betroffen, von der psychischen Gesundheit bis hin zu den Bildungschancen. Eine Studie des DIW Berlin aus dem vergangenen Jahr zeigt zudem, dass ein Grunderbe die soziale Ungleichheit zumindest kurzfristig reduziert, denn es verteilt Vermögen von alt zu jung und von reich zu arm um. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung merkt zu Recht an, dass Eigentum zu bilden für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr möglich sei, insbesondere bei explodierenden Mieten und Immobilienpreisen sowie einem großen Niedriglohnbereich.
Neben Deutschland gibt es kaum ein westliches Land, in dem so viele Menschen so wenig Vermögen und Eigentum haben. Fast 40 Prozent der Menschen in unserem Land haben so gut wie kein Vermögen – dazu zählen Ersparnisse, Aktien, Immobilien und Konsumgüter wie ein Auto. Gleichzeitig ist mehr als die Hälfte aller privaten Vermögen in Deutschland nicht mit den eigenen Händen erarbeitet, sondern durch Erbe oder Schenkung erlangt. Zwar gibt es eine Erbschaftsteuer, diese ist jedoch löchriger als ein Schweizer Käse. Von den knapp 400 Milliarden Euro, die jedes Jahr in Deutschland verschenkt oder vererbt werden, erhält der Staat nur knapp acht Milliarden Euro an Erbschaftsteuer. Das sind gerade einmal zwei Prozent. Wenn der Staat eine effektive Erbschaftsteuer von zehn Prozent auferlegen würde, ließen sich knapp 32 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen generieren. Davon könnte er leicht die 15 Milliarden Euro für das Grunderbe finanzieren.
Es ist Zeit für eine grundlegende Reform der deutschen Sozialsysteme, die proaktiver Menschen fördern und Chancen eröffnen sollten. Von einem Grunderbe würden nicht nur junge Menschen profitieren, sondern es würde zu mehr Generationengerechtigkeit und Chancengleichheit beitragen und damit helfen, wichtige gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 20. Mai 2022 bei ZEIT Online erschienen.
Themen: Verteilung, Familie, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-22-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/260555