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Drei Auswege aus der Strompreis-Misere: Kommentar

DIW Wochenbericht 36 / 2022, S. 468

Claudia Kemfert

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Dass mit den Unsicherheiten durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die gedrosselte Zufuhr russischen Gases nach Europa die Gaspreise steigen, ist ebenso nachvollziehbar wie unerfreulich. Doch nicht nur Gas, auch Strom wird immer teurer. An den Strombörsen klettern die Strompreise derzeit sogar auf neue Rekordwerte. Dass mit dem Gaspreis grundsätzlich auch der Strompreis steigt, liegt am Prinzip der sogenannten „Merit Order“, demnach immer das teuerste Grenzkraftwerk den Preis bestimmt. Da auch Gas verstromt wird, bestimmen vor allem teure Gaskraftwerke den Strompreis an der Börse. Doch warum steigen die Strompreise gerade jetzt so stark? Und wäre eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis eine sinnvolle Lösung?

Fakt ist, dass der hohe Strompreis Ausdruck eines funktionierenden Marktes ist: Der Preis bildet sich durch Angebot und Nachfrage und beim Angebot gibt es derzeit Knappheiten. Nicht durch Deutschland, wie manche meinen. Vor allem Frankreichs Atomkraftwerke verursachen das Stromproblem. Von den 56 Meilern ist derzeit knapp die Hälfte nicht am Netz, weil sie marode sind oder durch die Dürre zu wenig Kühlwasser zur Verfügung steht. Frankreich treibt also die Nachfrage und damit die Preise in die Höhe – ebenso wie die Schweiz übrigens.

Schnell werden Forderungen angesichts der ohnehin schon hohen Inflation laut, den Strompreis vom Gaspreis zu entkoppeln, den Preisbildungsmechanismus auszuhebeln oder aber den Strompreis zu deckeln. Doch gerade der Strompreisdeckel ist die Ursache des Problems: In Frankreich werden die Strompreise subventioniert, was dazu führt, dass zu wenig Strom eingespart wird. Das verschärft das Problem. Hohe Preise sind immer Knappheitssignale, die wirken müssen.

Auch das „Merit Order“-Prinzip abzuschaffen ist nicht so einfach. Der Preisbildungsmechanismus funktioniert an sich, und die Anforderungen an das künftige Marktdesign sind vielschichtig. Doch das Strommarktdesign muss in der Tat überarbeitet und reformiert werden, und zwar vor allem deshalb, weil das jetzige System nicht in der Lage ist, den klimapolitisch notwendigen Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss sich am Markt lohnen. Nötig sind Speicher, Lastmanagementsysteme und unterschiedliche Marktflexibilitäten wie auch Nachfrageanpassungen. Beispielsweise würden sogenannte Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference) schwankende Strompreise ausgleichen und damit bei aktuell stark steigenden Strombörsenpreisen Stromkunden nicht so stark belasten, da die „Übergewinne“ gar nicht erst entstehen würden.

Aber derart fundamentale Marktanpassungen müssen in Europa einheitlich vereinbart werden. Eine Entkopplung des Gaspreises vom Strompreis durch Anpassung der Merit Order ist kurzfristig weder machbar noch sinnvoll. Zielführender wäre es, die Gesetze des Marktes zu nutzen und das Angebot zu erhöhen. Nämlich vor allem durch deutlich mehr erneuerbare Energien, die mit null Grenzkosten die Angebotskurve nach rechts verschieben und die teuersten Grenzkraftwerke (Gas) aus dem Markt drängen. Oder aber durch eine Nachfragesenkung.

Der Ausweg aus der Misere ist somit erstens: Wir benötigen dringend mehr Stromkapazitäten, die dauerhaft billigen Strom produzieren. Das geht nur mit mehr erneuerbaren Energien, deren Kapazitäten in ganz Europa schnell erhöht werden müssen. Das kann schnell gehen, wenn der politische Wille da ist. Erneuerbare Energien senken den Strompreis dauerhaft. Zweitens sollten nicht die Preise gedeckelt werden, sondern die Kosten. Statt Strompreisdeckel sollten besser Haushalte und Unternehmen zielgerichtet entlastet werden. Drittens sollte mittelfristig der EU-Strommarkt in Richtung Carbon Contracts for Difference reformiert werden. Diese Differenzverträge, die bei niedrigen Strompreisen die Erlöse der Anbieter absichern, die sie bei hohen Strompreisen aber weiterreichen müssen, bringen Anbietern Planungssicherheiten und entlasten StromkundInnen. Eine solche Reform der symmetrischen Absicherung muss erarbeitet werden, damit Preissprünge, wie wir sie derzeit erleben, zukünftig nicht mehr auftreten.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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