DIW Wochenbericht 37 / 2022, S. 484
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Die Europäische Zentralbank hat jüngst nicht nur viele mit einer starken Erhöhung des Leitzinses überrascht, sondern sie hat in den vergangenen Wochen eine gefährliche Kehrtwende in ihrer Kommunikation vollzogen. Ihre aggressive neue Kommunikation soll verhindern, dass die Inflationserwartungen zu stark steigen und die Inflation davon galoppiert.
Die neue Strategie ist gefährlich und könnte sich als schädlich für die Glaubwürdigkeit und damit die Effektivität der Geldpolitik erweisen, weil sie ein Versprechen beinhaltet, das die EZB nicht erfüllen kann. Ihre Instrumente sind nämlich nicht ausreichend oder nicht effektiv genug, um das Mandat der Preisstabilität auf absehbare Zeit erreichen zu können.
Die Geldpolitik ist in erster Linie die Kunst des Erwartungsmanagements, bei der eine kluge Kommunikation zumindest teilweise das geldpolitische Handeln ersetzen kann. Aufgabe der Kommunikation ist es, wirtschaftliche Akteure in eine gewünschte Richtung zu lenken, um die Unsicherheit und die Volatilität in Märkten zu reduzieren. Vor allem aber wollen Zentralbanken die Inflationserwartungen gut verankern. In anderen Worten, mit ihren Warnungen wollen sie die wirtschaftlichen Akteure überzeugen, auf Preiserhöhungen und Lohnforderungen möglichst zu verzichten, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern.
Diese Kommunikationsstrategie kann aber nur erfolgreich sein, wenn Zentralbanken ihren Worten auch Taten folgen lassen können. In der europäischen Finanzkrise hat das beeindruckend gut funktioniert: Die EZB führte im Sommer 2012 das Notfallprogramm OMT ein, das nie genutzt werden musste, genau weil die Märkte von der vollen Handlungsfähigkeit der EZB überzeugt waren. Aber genau diese Handlungsfähigkeit hat sie im Augenblick nicht. Weder kann die EZB in den kommenden zwölf Monaten die Inflation signifikant reduzieren, noch die Leitzinsen schnell und stark erhöhen.
Zum einen, weil die Hauptursache für die hohe Inflation außerhalb der Kontrolle der EZB liegt. Zum anderen braucht jede Zinserhöhung gut eineinhalb Jahre, bis sie ihre volle Wirkung auf die Wirtschaft entfalten kann. Selbst wenn die EZB jetzt weiter massiv die Zinsen erhöhen wollte, könnte sie dies kaum tun. Nicht, weil Regierungen mit hohen Schulden in Schieflage geraten würden. Sondern weil ein sehr starker Zinsanstieg die Finanzstabilität gefährden und eine tiefe Wirtschaftskrise riskieren würde.
Mit einem Scheitern ihrer Kommunikationsstrategie würde die EZB an Glaubwürdigkeit verlieren und in Folge ihre Geldpolitik weniger effektiv sein. Es dürfte dann für sie noch viel schwieriger sein als jetzt, Inflationserwartungen gut zu verankern und eine Preis-Lohn-Spirale zu verhindern. Somit läuft die EZB Gefahr, ihr Mandat der Preisstabilität auf eine viel längere Zeit hinaus zu verfehlen, als jetzt schon unvermeidbar ist.
Die neue Kommunikationsstrategie der EZB ist auch aus einem zweiten Grund riskant und kontraproduktiv, denn die EZB suggeriert mit ihren Versprechen, sie allein könne die Preisstabilität gewährleisten. Dies ist nicht nur falsch, sondern sie nimmt dadurch den Druck von Regierungen, ihrer eigenen Verantwortung gerecht zu werden. Die Finanzpolitik dürfte sich in den kommenden eineinhalb Jahren mindestens genauso stark auf Inflation und Inflationserwartungen auswirken wie die Geldpolitik, was eine engere und zumindest implizite Koordination zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik beinhalten sollte.
Die EZB steht vor einem schwierigen Dilemma: Wenn es ihr nicht gelingt, die Inflationserwartungen zu verankern, könnte dies ihre Glaubwürdigkeit und damit die Effektivität der Geldpolitik auf viele Jahre hinaus beschädigen. Daher wäre eine Strategie der Ehrlichkeit die bessere Alternative: Die EZB sollte deutliche Zinserhöhungen durch eine Kommunikation begleiten, die offen und ehrlich erklärt, wieso wir im Euroraum auf die kommenden drei Jahre hinaus eine zu hohe Inflation haben werden.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 9. September 2022 im Handelsblatt erschienen.
Themen: Geldpolitik, Finanzmärkte, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-37-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/265853