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Europa sollte den Inflation Reduction Act als Ansporn verstehen: Kommentar

DIW Wochenbericht 8 / 2023, S. 96

Marcel Fratzscher

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Die Empörung über den Inflation Reduction Act (IRA) ist vielerorts groß, auch in Deutschland. Umgerechnet rund 350 Milliarden Euro an Hilfen für Investitionen in Klimaschutz und nachhaltige Technologien stellt die US-Regierung zur Verfügung, die vor allem in den USA ansässigen Firmen zugutekommen sollen. Was hierzulande viele als Bedrohung betrachten, könnte in Wirklichkeit die beste Botschaft sowohl für den Klimaschutz als auch für Europas Wettbewerbsfähigkeit sein.

Die Reaktion auf den IRA zeigt, dass wir noch immer nicht die Dringlichkeit beim Klimaschutz verstanden haben. Die Ablehnung Europas beruht auf dem Argument, der IRA schade der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und führe dazu, dass Innovationen und die Entwicklung nachhaltiger Technologien in die USA verlagert werden. Dem Klima ist es jedoch egal, wo eine klimaschonende Technologie entsteht.

Der IRA ist aus zwei Gründen gut für Deutschland und Europa: Zum ersten, weil das Programm dem Klima hilft. Zum zweiten, weil das Programm Schwächen enthält, die Europa die Chance geben, es besser zu machen und dadurch sogar an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Denn der IRA ist hoch protektionistisch und benachteiligt ausländische Unternehmen, was sich zwar kurzfristig für in den USA beheimatete Unternehmen rechnen könnte. Langfristig jedoch behindert ein solcher Protektionismus Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

Zudem sind manche Bedingungen des IRA, wie der Anteil lokal produzierter Vorleistungen, unrealistisch hoch. Wie eine Studie des DIW Berlin zeigt, sind die USA bei zahlreichen grünen Technologien viel zu abhängig von Rohstoffen und anderen Vorleistungen aus Ländern, mit denen sie keinerlei Handelsabkommen haben. Somit müssen sich ausländische Unternehmen zumindest kurzfristig wenig Sorgen machen, ihr US-Geschäft einzubüßen. Die Politik sollte sich nicht zu leicht von den Unternehmen einschüchtern lassen.

Wir in Deutschland sollten zurückhaltend mit Protektionismusvorwürfen gegenüber den USA sein. Allein im Jahr 2022 hat die EU-Kommission der Bundesregierung 356 Milliarden Euro an Subventionen vor allem für die Industrie genehmigt. Das entspricht in etwa der Größe des IRA, dabei ist die US-Wirtschaft fünfmal größer als die deutsche. Während aber die USA die IRA-Gelder für Klimaschutz und nachhaltige Technologien nutzen wollen, wird ein großer Teil der deutschen Subventionen für klimaschädliche fossile Energieträger ausgegeben.

Drei Elemente sollten Europas Antwort auf den IRA auszeichnen. Zum einen sollte die EU den Hauptfokus nicht auf Subventionen für Unternehmen, sondern auf bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen legen: gute Infrastruktur, exzellente öffentliche Forschungslandschaft, Fachkräfte, weniger Bürokratie und Regulierung und eine Vollendung des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, vor allem der Kapitalmarktunion. Zweitens sollte mehr Wettbewerb und nicht mehr Protektionismus Kern der europäischen Antwort sein. Dies erfordert beispielsweise, Unterstützungen nicht an lokale Vorleistungen zu knüpfen, sondern allen Unternehmen die exzellenten Rahmenbedingungen in Europa zu bieten. Wettbewerb ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Innovation.

Und drittens muss die Antwort europäisch und nicht national sein. Und hier liegt meine größte Sorge: Die Bundesregierung scheint sich europäischen Lösungen, wie dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Souveränitätsfonds, zu verschließen und auf eine nationale Ausgestaltung zu bestehen. Dies würde aber die Heterogenität der EU vergrößern und ihre Attraktivität als Wirtschaftsstandort verschlechtern.

Wir müssen vor allem in Deutschland endlich erkennen, dass der Klimaschutz eine existenzielle Frage ist und über den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheiden wird. Wir müssen verstehen, dass globale Probleme auch globale Lösungen erfordern und nicht nationale Alleingänge. Und wir sollten das IRA-Programm als Ansporn verstehen, es selbst besser zu machen.

Der Beitrag ist am 15. Februar 2023 bei Zeit Online erschienen.

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