Direkt zum Inhalt

Enteignungen sind keine Lösung

Blog Marcel Fratzscher vom 28. Juni 2023

Viele Berliner*innen, die sich vor knapp zwei Jahren beim Volksentscheid für Enteignungen von Wohnungsunternehmen ausgesprochen haben, werden Hoffnung schöpfen. Denn aus dem Abschlussbericht der Expertenkommission wird – nach allem, was bisher bekannt ist – hervorgehen, dass solche Vergesellschaftungen juristisch zulässig sind. Enteignungen wären jedoch ökonomisch und sozial kontraproduktiv: Sie würden zu höheren Mieten, weniger Wohnraum, noch mehr Verdrängung und einer schlechteren Daseinsvorsorge führen.

Dieser Gastbeitrag erschien am 28. Juni 2023 im Tagesspiegel.

Nicht viel besser ist die Bilanz, wenn Unternehmen im Bereich der Grundversorgung vergesellschaftet werden, etwa bei Energie und Wasser. Die gute Nachricht ist: Die Politik ist nicht machtlos. Sie hat Instrumente an der Hand, um eine sozial ausgewogene und gleichzeitig wirtschaftlich kluge Politik zu machen.

Wohnen ist eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit. Mehr als 80 Prozent der Berliner*innen wohnen zur Miete. Für die große Mehrheit sind die Mieten in den vergangenen zehn Jahren viel stärker gestiegen als ihre Einkommen, sodass viele ihren Lebensstandard einschränken mussten. Die Energiekrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat dieses Problem nochmals verschärft.

Verdrängung schadet der Stadt

Junge Familien werden häufig aus ihrem Kiez verdrängt, da sie in ihrer bisherigen und gerade noch bezahlbaren Wohnung schlichtweg keinen Platz für ein zweites oder drittes Kind haben. Das Resultat ist eine zunehmende Verdrängung und Gentrifizierung. Das ist nicht nur hart für die betroffenen Familien, sondern schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und unterminiert das, was Berlin so besonders macht: seine Vielfalt, Offenheit und Durchmischung.

Und es sind zweifelsohne die Falschen, die von dieser Entwicklung profitieren. Es sind die Eigentümer*innen der Wohnungen – Wohnungsbauunternehmen genauso wie Einzelpersonen, die nicht selten mehrere Wohnungen besitzen. Denn der Wertzuwachs der Immobilien und der dadurch verursachte Anstieg der Mieten gehen kaum auf die Leistung dieser Eigentümer*innen zurück.

Der Zuzug nach Berlin, gekoppelt mit der höheren Kaufkraft, ist letztlich die zentrale Ursache für die explodierenden Preise bei Immobilien und Mieten. Es sind somit größtenteils leistungslose Gewinne, die die Eigentümer*innen erzielen. Der wirkliche Skandal ist, dass diese leistungslosen Gewinne kaum oder gar nicht besteuert werden, da es zahlreiche Schlupflöcher gibt, sodass die Gewinne völlig legal zu großen Teilen bei den Eigentümer*innen verbleiben.

Kurzum: Die Frustration vieler Berliner*innen ist verständlich. Denn das System hat nichts mit einer Marktwirtschaft zu tun, sondern mit einer Rentiergesellschaft, bei der die Eigentümer*innen von Immobilien von den vielen hart arbeitenden Menschen profitieren.

Enteignungen lösen dieses Problem jedoch nicht, sondern sie machen es lediglich schlimmer. Enteignungen werden zu weniger Neubau und damit zu einer noch größeren Wohnungsknappheit führen. Dies bedeutet noch stärker steigende Mieten, eine Verdrängung von Menschen mit wenig Einkommen und somit eine noch stärkere soziale Polarisierung.

Vielleicht könnte die Stadt Berlin 100.000 Wohnungen vergesellschaften. Die glücklichen 100.000 bis 200.000 Berliner:innen, die diese Wohnungen dann zu einer subventionierten Miete erhalten, sind die Gewinner. Alle anderen 3,8 Millionen Menschen der Stadt sind jedoch die Verlierer, die von den höheren Mieten und einer noch größeren Knappheit betroffen sind.

Schlimmer noch: Selbst bei konservativen Rechnungen dürfte eine solche Enteignung 30 bis 40 Milliarden Euro kosten. Dieses Geld würde der Stadt Berlin auf viele Jahre hinaus fehlen, um Kitas und Schulen zu bauen oder zu renovieren, um soziale Leistungen zu verbessern, um die Verwaltung zu reformieren oder um die vielen anderen wichtigen Dinge zu tun, die eine Stadt für alle Menschen lebenswert machen.

Ähnliches gilt für eine Enteignung von Energie- oder Wasserkonzernen. Die Frage ist nicht, ob diese Konzerne Gewinne machen, sondern ob die Stadt es selbst besser machen könnte und ob sie stattdessen nicht besser die Gewinne der Konzerne stärker abschöpfen sollte.

Lieber Gewinne gut besteuern

Es gibt Lösungen und Instrumente, wie die Politik dieses Problem deutlich verkleinern, wenn auch nicht komplett lösen kann. Dazu gehört eine kluge Regulierung, um Mietpreiserhöhungen zu verhindern oder Mieten zu senken, wie eine effektivere Mietpreisbremse. Genauso wichtig ist es, die Immobilienwerte und die Wertgewinne deutlich stärker zu besteuern und die vielen Ausnahmen abzuschaffen. Auch eine einmalige Vermögensabgabe auf Immobilien und eine höhere Grundsteuer wären kluge Instrumente, auch wenn Berlin dabei auf eine bundesweite Regelung angewiesen ist.

Das effektivste Instrument ist jedoch ein anderes: eine massive Ausweitung des Wohnungsbaus – mit harten Bedingungen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern und Verdrängung und Gentrifizierung zu verhindern. Dies ist in der Vergangenheit zu häufig nicht nur an den Fehlern von Stadtplanung und Politik gescheitert, sondern auch an den Bürger*innen selbst.

Viele sprechen sich vehement für niedrigere Mieten aus, jedoch auch gegen Neubau und innerstädtische Verdichtung, wenn es ihren eigenen Kiez betrifft. Auch dieser Widerspruch muss aufgelöst werden. Es ist Aufgabe der Politik, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu schaffen, wie sie den wichtigen sozialen Konflikt des Wohnens in der Stadt entschärfen kann. Alle werden dafür ein Opfer bringen müssen. Enteignungen sind jedoch keine Lösung.

keyboard_arrow_up