Medienbeitrag vom 5. Juli 2023
Die Kappung für hohe Einkommen ist die beste aller schlechten Möglichkeiten. Doch warum bleibt das Ehegattensplitting, das familien- und gleichstellungspolitische Ziele unterläuft, wieder unangetastet?
Beim Elterngeld wird der Rotstift angesetzt: Zwar bleibt die Höhe der Lohnersatzleistung unangetastet, aber künftig sollen weniger Eltern von ihr profitieren. Wer als Elternpaar ein gemeinsam zu versteuerndes Einkommen von mindestens 150.000 Euro pro Jahr hat, soll in Zukunft leer ausgehen. Bisher liegt diese Grenze bei 300.000 Euro. Das Bundesfamilienministerium schätzt, dass dadurch künftig etwa 60.000 Haushalte weniger Elterngeld beziehen werden und sich so knapp 300 Millionen Euro pro Jahr einsparen lassen.
Der Aufschrei in den (sozialen) Medien ist groß. Das verwundert nicht, denn das Elterngeld ist eine sehr beliebte familienpolitische Leistung. Nahezu alle Eltern von Kindern im ersten Lebensjahr beantragen Elterngeld.
Zahlreiche empirische Evaluationsstudien haben positive Effekte der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 nachgewiesen. Beispielsweise sind Mütter mit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr seither häufiger erwerbstätig, die Löhne von Müttern nach der Elternzeit sind höher als früher und die Beteiligung von Vätern an der Elternzeit ist ebenfalls gestiegen.
Allerdings wurde zuletzt von vielen Seiten auch darauf hingewiesen, dass Reformen beim Elterngeld dringend notwendig sind: Erstens die Anhebung des Minimalbetrags von 300 Euro und des Höchstbetrags von 1.800 Euro. Wenn dieser Höchstbetrag über einen so langen Zeitraum wie seit 2007 – und besonders angesichts der derzeit hohen Inflationsraten – nicht angehoben wird, bedeutet das für viele Anspruchsberechtigte implizit eine Senkung der Lohnersatzrate.
Zweitens wäre eine Ausweitung der Partnermonate wünschenswert, damit mehr Väter über einen längeren Zeitraum Elternzeit nehmen und es zu einer gleichmäßigeren Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern kommt.
Mitten in diese Diskussion hinein kommt jetzt die Nachricht der Senkung der Einkommensobergrenze und die damit einhergehende Einschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten. Ist das schlimm? Aus sozialpolitischer Sicht eher nicht: Diejenigen, die betroffen sein werden, sind nicht sozial bedürftig, ganz im Gegenteil: Sie befinden sich in den obersten vier bis fünf Prozent der Einkommensverteilung.
Dieser Gastbeitrag erschien am 5. Juli 2023 im Tagesspiegel.
Allerdings war das Elterngeld nie als Sozialleistung gedacht. Ein wesentliches Ziel des Elterngeldes bei seiner Einführung im Jahr 2007 war, die ökonomische Eigenständigkeit beider Elternteile zu ermöglichen sowie die Väterbeteiligung an der Elternzeit zu steigern. Für diese gleichstellungspolitischen Ziele ist die Senkung der Einkommensgrenze kein gutes Signal.
Die Frage ist, ob neben der Signalwirkung zu erwarten ist, dass die veränderten finanziellen Anreize direkte Folgen haben werden. Was Elternteile mit sehr hohen Einkommen betrifft, ist festzuhalten, dass der Maximalbetrag von 1.800 Euro pro Monat für diese Gruppe bereits jetzt nur einen geringen Teil ihres Nettoeinkommens ersetzt hat. Das Elterngeld dürfte für diese Gruppe also schon bisher keine wirklich relevante Rolle in den Überlegungen zur Aufteilung der Elternzeit gespielt haben.
Es ist aber keine Seltenheit, dass bei sehr hohen Haushaltseinkommen die beiden Partner*innen sehr ungleich verdienen: Für den Elternteil, der vor der Geburt ein niedrigeres Einkommen hat und für den künftig der individuelle Anspruch auf das Elterngeld aufgrund der gemeinsamen Einkommensgrenze wegfällt, kann durch diese Sparmaßnahme eine finanzielle Abhängigkeit vom Partner entstehen, die das Elterngeld eigentlich abbauen wollte. Kurzum: Aus gleichstellungspolitischer Sicht ist die Einsparung beim Elterngeld „keine Glanzleistung“, wie auch die zuständige Ministerin Lisa Paus selbst sagt.
Das Ärgerliche ist: Es gäbe eine in mehrerlei Hinsicht bessere Option, wenn schon gespart werden muss: Statt des Elterngeldes sollte beim Ehegattensplitting gekürzt werden. Als einziger Maßnahme wurde dem Ehegattensplitting bereits im Jahr 2013 im Rahmen der Gesamtevaluation aller ehe- und familienorientierten Leistungen bescheinigt, die meisten Ziele der Familienpolitik nicht zu erfüllen, vor allem nicht die gleichstellungspolitischen.
Zahlreiche Institutionen haben sich in den letzten Jahren immer wieder zu Wort gemeldet und auf die negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings hingewiesen, insbesondere auf die Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen sowie auf die verteilungspolitischen Auswirkungen. Etwa die EU-Kommission oder die OECD haben in diesem Bereich in Deutschland immer wieder Reformen angemahnt. Viele Akteure haben dazu konkrete Reformvorschläge auf den Tisch gelegt, nicht nur das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), sondern beispielsweise auch das ifo Institut, das RWI, der Internationale Währungsfonds oder der wissenschaftliche Beirat im Bundesfinanzministerium, um nur einige zu nennen.
Selbst eine moderate Reform, die den Splittingvorteil nur für besonders hohe Einkommen beschränken würde, brächte Einsparungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro – und somit mehr als das Zehnfache der beim Elterngeld geplanten Einsparungen. Zudem wäre das ein wichtiger Schritt für die Gleichstellungspolitik – im Gegensatz zu den Einsparungen beim Elterngeld.
Themen: Arbeit und Beschäftigung , Gender , Öffentliche Finanzen