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China-Strategie: Klug, aber ohne Biss

Blog Marcel Fratzscher vom 19. Juli 2023

Die China-Strategie der Regierung beschreibt Deutschlands Ziele, aber nicht, wie sie erreicht werden können, stellt DIW-Präsident Marcel Fratzscher in einem Gastbeitrag für die FR fest.

Wie sollen die zunehmende Bedrohung und Abhängigkeiten und gleichzeitig großen Chancen, denen sich Deutschland mit Blick auf China gegenübersieht, in Einklang gebracht werden? Diese Frage hat die Bundesregierung in ihrer jüngst vorgelegten China-Strategie versucht zu klären. Diese Strategie ist klug, ausgewogen und pragmatisch. Aber sie bleibt Antworten auf drei entscheidende Fragen schuldig. Vor allem fehlt der Strategie der Biss, um die formulierten Ziele auch tatsächlich erreichen zu können.

Dieser Text erschien am 19. Juli 2023 in der Frankfurter Rundschau.

Eine große Stärke ist die Ausgewogenheit der Strategie. Sie unterstreicht die deutsche Kritik an Chinas Verhalten bei Menschenrechten, Klimaschutz und der Wahrnehmung globaler Verantwortung. Sie betont zu Recht, dass vor allem eine wirtschaftliche Abkopplung von China keine Option sein kann, Deutschland aber seine hohe Abhängigkeit von China deutlich reduzieren müsse.

China-Strategie: Deutschland zu klein, um China Paroli zu bieten

Die Strategie erkennt an, dass Deutschland sich ändern und europäische und globale Kooperationen deutlich stärken muss. Sie nennt beispielsweise Freihandelsabkommen als ein wichtiges Instrument, damit Deutschland die globalen Spielregeln beeinflussen kann. Die Strategie erkennt damit implizit an, dass Deutschland als Land und Wirtschaft zu klein ist, um einem so riesigen Land wie China Paroli bieten zu können.

Und die Strategie betont zu Recht die Dringlichkeit, sehr viel enger bilateral mit China kooperieren zu müssen, gerade bei gemeinsamen Herausforderungen wie dem Klimaschutz. Die Strategie will somit einerseits den USA und ihrem harten Konfrontationskurs gegenüber China nicht in den Rücken fallen, und gleichzeitig China nicht isolieren, sondern stärker integrieren und in die globale Verantwortung nehmen.

Wie soll die Abhängigkeit denn abgebaut werden?

Diesen Stärken stehen drei unbeantwortete Fragen gegenüber. Die Strategie ist detailliert in Bezug auf die Werte und wirtschaftlichen Interessen, die uns in Deutschland wichtig sind. Aber sie sagt nicht, wie diese erreicht werden sollen. Es gibt viele gute Intentionen, aber zu wenig Konkretes.

Wie genau will Deutschland weniger abhängig von China werden? Das Problem Deutschlands ist nicht die wirtschaftliche Abhängigkeit per se – diese war 70 Jahre die Grundlage des deutschen Wirtschaftsmodells und damit zu großen Teilen Grundlage unseres Wohlstands. Das Problem ist vielmehr die enorme Asymmetrie der Abhängigkeit von China, nicht nur beim Handel, sondern vor allem bei Rohstoffen und Direktinvestitionen. Die großen deutschen Automobilhersteller erzielen 30 Prozent oder mehr ihrer weltweiten Gewinne in China. Andere Konzerne tätigen große Investitionen in China und erhöhen ihre Abhängigkeit. Dies macht Deutschland politisch und wirtschaftlich erpressbar, wie die Beispiele der Beteiligungen von Cosco am Hamburger Hafen oder Huaweis an der 5G-Infrastruktur zeigen. Es ist unklar und auch unwahrscheinlich, dass Deutschland diese Abhängigkeit wirklich schnell abbauen und die damit verbundenen Risiken reduzieren kann.

Am Merkantilismus festzuhalten wäre ein schwerer Fehler

Aber will die Bundesregierung diese Abhängigkeit überhaupt deutlich reduzieren? Dies würde erhebliche wirtschaftliche Kosten mit sich bringen. Die Strategie bleibt die Antwort schuldig, wie die Abwägung zwischen Werteorientierung und wirtschaftlichen Interessen in Zukunft aussehen soll.

Über 70 Jahre hinweg hat Deutschland erfolgreich eine Außenpolitik des Merkantilismus verfolgt, bei der kurzfristige wirtschaftliche Interessen meist Vorrang vor geopolitischen Interessen oder Menschenrechten hatten. Es wäre ein schwerwiegender Fehler, daran festzuhalten, denn wie die Strategie zu Recht anmahnt, wird für Deutschlands Zukunft entscheidend sein, wer die globalen Standards und Spielregeln setzt. Werden sich deutsche und europäische Werte bei Menschenrechten, Arbeitsbedingungen, Klimaschutz, Datensicherheit, Privatsphäre oder Verbraucherschutz global durchsetzen, oder werden Unternehmen aus solchen Ländern den Weltmarkt dominieren, die die niedrigsten Standards haben?

Will die Regierung ein Freihandelsabkommen mit den USA?

Und hier liegt die dritte Schwäche der Strategie: Sie spricht von der Notwendigkeit, eine gemeinsame europäische Strategie zu entwickeln, stärker mit den USA zu kooperieren und globale Institutionen zu stärken. Aber sie bleibt konkrete Instrumente schuldig. Wird die Bundesregierung sich nun für ein Freihandelsabkommen mit den USA einsetzen? Und was will sie tun, um globale Institutionen, wie die Vereinten Nationen oder die Welthandelsorganisation WTO, zu stärken?

Die China-Strategie ist ein guter erster Schritt, der Deutschland eine grobe Fahrtrichtung für seinen zukünftigen Umgang mit China gibt. Dies reicht jedoch noch nicht, um die eigenen Interessen zu schützen und Deutschlands globaler Verantwortung gerecht zu werden.

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