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Verwaltungsqualität entscheidet mehr als Regulierungsdichte über Wachstumspotenziale von Unternehmen

DIW Wochenbericht 42 / 2023, S. 585-592

Alexander S. Kritikos, Sara Amoroso, Benedikt Herrmann

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  • Bericht auf Basis von Daten der OECD und Eurostat untersucht, wie Regulierungsdichte, Verwaltungsqualität und Entwicklung schnell wachsender Unternehmen zusammenhängen
  • Anteil schnell wachsender Unternehmen ist in EU-Regionen mit geringer Regulierungsdichte auf Produkt- und Arbeitsmärkten allgemein höher
  • Berechnungen zeigen, dass sich in Regionen mit sehr guter Verwaltung schnell wachsende Unternehmen auch bei hoher Regulierungsdichte positiv entwickeln
  • Ineffiziente Verwaltungen hingegen verschärfen negative Auswirkungen einer hohen Regulierungsdichte
  • Für gemeinsamen Markt der EU ist es daher wichtig, dass im Bedarfsfall die Qualität der Verwaltung erhöht und dafür vorhandene Instrumente der EU besser genutzt werden

„Unsere Analysen zeigen, dass die Verwaltungsqualität für die Wachstumspotenziale einer Region entscheidender ist als die Regulierungsdichte. Wenn schnell wachsende Unternehmen in der gesamten EU bessere Wettbewerbsbedingungen haben sollen, muss in Regionen mit schlechter Verwaltungsqualität der Ausbau qualitativ hochwertigerer Verwaltungen gefördert werden.“ Alexander S. Kritikos

Schnell wachsende Unternehmen schaffen in großem Umfang neue Arbeitsplätze und sind ein wichtiger regionaler Treiber von Wirtschafts- und Produktivitätswachstum. Dieser Bericht untersucht erstmalig, wie die Regulierungsdichte eines Landes und die Qualität der regionalen Verwaltungen, die diese Regulierungen umsetzen, die Entwicklung schnell wachsender Unternehmen in europäischen Regionen beeinflussen. Basierend auf Daten von Eurostat, OECD, World Economic Forum und der Universität Göteborg zeigt sich, dass die Auswirkungen von Arbeits- und Produktmarktregulierungen auf Unternehmen von der Effizienz der regionalen Verwaltungen abhängen: In Regionen mit guter Verwaltung wirkt sich eine hohe Regulierungsdichte nicht mehr negativ auf schnell wachsende Unternehmen aus, eine ineffiziente Verwaltung hingegen verschärft eher die negativen Auswirkungen einer hohen Regulierungsdichte. Daraus lassen sich zielgerichtete Politikmaßnahmen auf EU-Ebene sowie auf nationaler und regionaler Ebene ableiten: Es bedarf struktureller Veränderungen, die die Qualität regionaler Verwaltungen systematisch verbessern, um gute Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen.

Seit Jahren und auch aktuell wird in Deutschland über die hohe Bürokratiebelastung von Unternehmen diskutiert und vor dem Regulierungsbankrott gewarnt.infoSiehe etwa Wolfgang Schön (2023): Deutschland steht vor dem Regulierungsbankrott. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Juni (online verfügbar, abgerufen am 26. September 2023. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). Auch auf europäischer Ebene wird beklagt, dass es zwischen den 27 EU-Mitgliedstaaten nach wie vor substanzielle Unterschiede in der Ausgestaltung der Arbeits- und Produktmarktregulierungen gebe. Nach Meinung von Unternehmensverbänden fragmentieren diese die Märkte und behindern die Entwicklung des europäischen Binnenmarktes. Zudem führten sie dazu, dass nicht nur Regionen mit schlechten Rahmenbedingungen innerhalb der EU dauerhafte Wettbewerbsnachteile verkraften müssten, sondern auch die EU insgesamt dadurch im Wettbewerb mit anderen Regionen wie den USA oder China benachteiligt würde.infoVgl. EuroCommerce (2022): Businesses Call for Fresh Political Engagement to Renew Economic Integration in the Single Market. Gemeinsames Statement mit BusinessEurope, DIGITALEUROPE, ERT, Eurochambres vom 27. Juni (online verfügbar).

Im Hinblick auf die Frage, wie sich eine hohe Regulierungsdichte auf die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern und Regionen auswirkt, gibt es eine gängige, wissenschaftlich etablierte Position: Die Wirtschaftsleistung eines Landes oder einer Region ist umso schlechter, je stärker die Produktmärkte reguliert und je unflexibler die Arbeitsmärkte sind.infoVgl. etwa Simeon Djankov et al. (2002): The regulation of entry. The Quarterly Journal of Economics, 117(1), 1–37. Der Grund dafür erscheint einleuchtend: Mehr Regulierungsvorschriften erhöhen die Produktionskosten von Unternehmen, wenn mit dem Mehr an Vorschriften die Berichtspflichten oder die Umsetzung der Vorschriften in den Unternehmen aufwendiger werden. Dieser Zusammenhang erklärt zu einem gewissen Teil, warum in manchen Regionen der EU mehr Wohlstand herrscht als in anderen Regionen. Es fällt allerdings auf, dass es eine Reihe von Regionen gibt, etwa in mehreren nordischen Ländern, in denen sich dieser Zusammenhang nicht finden lässt. In Finnland zum Beispiel sind die Produktmärkte stark reguliert, gleichzeitig ist die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und seiner Regionen im EU-Vergleich überdurchschnittlich hoch. Dieser widersprüchlichen Entwicklung wurde bislang jedoch keine Aufmerksamkeit geschenkt.

Möglicherweise lassen sich solche Abweichungen durch regional unterschiedliche Qualitäten der Verwaltungen erklären, die entsprechende Regulierungen anwenden und umsetzen. Daher untersucht der vorliegende Bericht, wie sich diese Qualitätsunterschiede auf den Zusammenhang zwischen Regulierungen und der Entwicklung von Unternehmen in einer Region auswirken.infoFür weitere Information vgl. Sara Amoroso, Benedikt Herrmann und Alexander S. Kritikos (2023): The Role of Regulation and Regional Government Quality for High Growth Firms: The Good, the Bad, and the Ugly. DIW Discussion Paper No. 2053 (online verfügbar). Dabei wird vor allem auf schnell wachsende Unternehmen fokussiert und zunächst untersucht, wie deren Entwicklung in den Regionen der EU verläuft und wie viel sie zum Wachstumspotenzial einer Region beitragen. Im Anschluss wird geschätzt, welchen Einfluss verschiedene Formen der Regulierung, insbesondere Arbeitsmarkt- und Produktmarktregulierungen, auf die Entwicklung schnell wachsender Unternehmen haben, bevor die Auswirkungen des Handelns staatlicher Behörden in den Blick genommen werden. Die vorliegende Studie basiert auf verschiedenen, öffentlich zugänglichen europäischen Daten (Kasten 1).

Daten zur Unternehmensdynamik (Eintritt, Austritt und Anteil der schnell wachsenden Unternehmen) auf regionaler und einstelliger aggregierter Sektorebene sind der Unternehmensdemografie der strukturellen Unternehmensstatistik (SUS) von Eurostat entnommen. Die SUS-Daten werden mit dem regionalen europäischen Index für Verwaltungsqualität auf NUTS-2-EbeneinfoDie Daten zur regionalen Unternehmensdemografie sind frei zugänglich über die Website der Europäischen Kommission. abgeglichen, der vom Quality-of-Government-Institute der Universität Göteborg entwickelt wurde. Dieser Index basiert auf den Einschätzungen von Bürger*innen und Unternehmen zur Qualität verschiedener Dienstleistungen, die durch den öffentlichen Sektor erbracht werden, sowie auf Erfahrungen mit Korruption im öffentlichen Sektor.

Zur Messung der Produktmarktregulierung wird der für die OECD entwickelte Indikator für regulatorische Auswirkungen (RegImpact) verwendet.infoBalazs Egert und Isabelle Wanner (2016): Regulations in services sectors and their impact on downstream industries: The OECD 2013 RegImpact indicator. OECD Economic Department Working Papers Nr. 1303. Der Indikator misst die indirekten Auswirkungen von regulatorischen Hindernissen für den Unternehmenszugang, die Geschäftstätigkeit und den Wettbewerb. Um das Ausmaß der Regulierung auf dem Arbeitsmarkt zu messen, kommt der Länderindikator Einstellungs- und Entlassungspraktiken aus dem Global-Competitiveness-Index des Weltwirtschaftsforums zur Anwendung. Neben der Qualität der Verwaltung und der Produkt- und Arbeitsmarktregulierung werden Variablen berücksichtigt, die das Entstehen und das Wachstum von schnell wachsenden Unternehmen beeinflussen, zum Beispiel der Zugang zu Kapital, die Fluktuationsrate von Unternehmen, die Absorptionskapazität (gemessen als regionaler Anteil an Ingenieur*innen und Wissenschaftler*innen), der Anteil an Beschäftigten im High-Tech-Sektor und das BIP-Wachstum pro Kopf. Die endgültige Stichprobe ist ein unausgewogenes Panel von 150 Regionen aus 15 Ländern und zehn Makrosektoren über elf Jahre (2008 bis 2018).

Schnell wachsende Unternehmen in europäischen Regionen sehr ungleich verteilt

Schnell wachsende Unternehmen (SWU) sind Unternehmen mit anfänglich mindestens zehn Beschäftigten, die in drei aufeinanderfolgenden Jahren ein Beschäftigungswachstum von jeweils mindestens 20 Prozent erzielen. In Europa sind diese Unternehmen allein für die Hälfte des Beschäftigungswachstums verantwortlich, obwohl sie nur einen geringen Anteil an allen Unternehmen haben.infoFlorian Flachenecker et al. (2020): High Growth Enterprises: demographics, finance & policy measures. Publications Office of the European Union, Luxemburg. Auch Studien für die USA belegen, dass die SWU in den 1990er und 2000er Jahren erheblich zum dortigen Produktivitäts- und Beschäftigungswachstum beigetragen haben.infoSiehe etwa John Haltiwanger, Ron S. Jarmin und Javier Miranda (2013): Who Creates Jobs? Small versus Large versus Young. The Review of Economics and Statistics, 95(2), 347–361. Ebenso zeigen spätere Studien, dass der anschließende Rückgang der Quote wachstumsstarker Unternehmen einer der Hauptfaktoren für die Verlangsamung der Produktivitäts- und Beschäftigungsentwicklung in den USA seit 2010 war.infoVgl. Ryan A. Decker et al. (2016): Declining business dynamism: What we know and the way forward. American Economic Review, 106(5), 203–207. Dies alles verdeutlicht, dass die wenigen schnell wachsenden Unternehmen tatsächlich für eine Volkswirtschaft höchst relevant sind und einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten. Der Anteil der schnell wachsenden Unternehmen an allen Unternehmen gilt damit auch als ein guter Indikator für den Zustand und die Dynamik einer Wirtschaft. Daher schenkt ihnen die Wirtschaftspolitik in ganz Europa zu Recht immer mehr Aufmerksamkeit.

So bedeutend schnell wachsende Unternehmen für die Entwicklungen auch sind, so ungleich ist dieser Unternehmenstypus innerhalb der EU verteilt. Ihre Anteile an allen Unternehmen liegen zwischen unter 0,2 Prozent (Rumänien und Zypern) und einem Prozent (Luxemburg, Irland).infoVgl. die Daten auf der Website von Eurostat (online verfügbar). Diese Anteile unterscheiden sich aber vor allem auch innerhalb der Länder, wenn die Regionen in den Ländern nach dem so genannten NUTS-2-SchlüsselinfoNUTS ist eine EU-Klassifikation von Regionen. NUTS-2-Regionen haben meist zwischen 800000 und drei Millionen Einwohner*innen. In Deutschland etwa entsprechen diese Regionseinheiten im Regelfall der Ebene der Regierungsbezirke. aufgegliedert werden (Abbildung 1). In mehreren Ländern schwanken die SWU-Anteile je nach Region zwischen 0,2 und 0,7 Prozent. Ausnahmen sind dabei etwa die Niederlande. Dort finden sich in der Hälfte der Regionen mehr als ein Prozent schnell wachsender Unternehmen unter allen Unternehmen.

Regulierungsdichte kann Anteil schnell wachsender Unternehmen negativ beeinflussen

In den vergangenen 20 Jahren haben sich Ausmaß und Umfang von Regulierung erheblich verändert. Seit der Jahrhundertwende hat sich in der EU (aber auch in den OECD-Ländern) der anfänglich häufiger angestrebte ausschließliche Abbau von Regulierung hin zu einer Mischung aus Deregulierung, Neuregulierung und Verbesserung der Wirksamkeit der Regulierung weiterentwickelt.infoOECD (2020): Reviewing the Stock of Regulation. OECD Best Practice Principles for Regulatory Policy, Paris. Trotz der Versuche, die Qualität der Regulierung zu verbessern und die Komplexität der Regulierung zu verringern, sind die Unternehmen in ihren verschiedenen Entwicklungsphasen (Gründung, Wachstum, Unternehmensreife, Erneuerung oder Niedergang) in vielen Ländern nach wie vor einem regulatorischen Umfeld ausgesetzt, das die unternehmerischen Aktivitäten erheblich belastet.infoVgl. Informationen auf der Website der World Bank zum regulatorischen Umfeld (online verfügbar). Derzeit lautet in diesem Zusammenhang die vorherrschende Position, dass ein strenger Regulierungsrahmen und eine höhere Regulierungsdichte Unternehmenswachstum und -entwicklung behindern. Um hohe Zugangsschranken und Arbeitsmarktregulierungen zu überwinden, sind weder Start-ups noch schnell wachsende Unternehmen finanziell und organisatorisch gerüstet.

Im Folgenden wird nun untersucht, wie die Regulierung der Arbeits- und Produktmärkte mit den Anteilen der schnell wachsenden Unternehmen in den europäischen Ländern zusammenhängt. Dazu wird die Produktmarktregulierung mit dem OECD-Regulierungs-IndikatorinfoEgert und Wanner (2016), a.a.O. (2007-2018) gemessen, während als Maß für die Regulierung der Arbeitsmärkte der Länderindikator Einstellungs- und Entlassungspraktiken aus dem Global-Competitiveness-Index 2007–2017 des Weltwirtschaftsforums verwendet wird.infoVgl. Global Competitiveness Index Historical Dataset 2007–2017 of the World Economic Forum (Version 20180712).

Einige Länder der EU wie Dänemark, die Niederlande und Österreich verfügen demnach über sehr flexible Produkt- und Arbeitsmärkte (Abbildung 2). Hoch regulierte Produktmärkte, aber relativ flexible Arbeitsmärkte finden sich zum Beispiel in Finnland. Andere Länder wie Frankreich hingegen haben einen restriktiven regulatorischen Rahmen sowohl für Arbeits- als auch für Produktmärkte.

Im Weiteren wird daher der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Formen der Regulierung, also der Regulierung von Produkt- und von Arbeitsmärkten, und schnell wachsenden Unternehmen für die Jahre 2008 bis 2018 über alle Regionen empirisch geschätzt, zu denen die notwendigen regionalen Daten zur Verfügung stehen (Kasten 2). Eine höhere Produktmarktregulierung hat demnach einen negativen Effekt auf den Anteil der SWU (Tabelle). Steigt der Wert für die Höhe der Produktmarktregulierung um zehn Prozentpunkte, lässt dies den Anteil schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen um 0,07 Prozentpunkte zurückgehen. Dieser Wert entspricht angesichts des geringen Anteils von rund einem halben Prozent von SWUs an allen Unternehmen (durchschnittlich über alle Jahre, Sektoren und Regionen) einem relativen Rückgang der SWU von 13 Prozent. Wird die Arbeitsmarktflexibilität um zehn Prozentpunkte erhöht, so erhöht dies den Anteil der SWU um 0,01 Prozentpunkte, was einem relativen Anstieg von zwei Prozent entspricht.

Tabelle: Effekte von Regulierung auf den Anteil schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen

Veränderung in Prozentpunkten

Gesamt Hohe Verwaltungsqualität Mittlere Verwaltungsqualität Niedrige Verwaltungsqualität
Verwaltungsqualität 0,003***
Produktmarktregulierung −0,007*** −0,015 −0,111* −0,050***
Arbeitsmarktflexibilisierung 0,001** 0,003 0,006*** 0,001
Kontrollvariablen ja ja ja ja
N (Anzahl der Unternehmen) 5578 1396 2779 1480

Anmerkung: Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf- und Zehn-Prozent-Niveau an. Für weitere Informationen etwa zu den Kontrollvariablen siehe Amoroso, Herrmann und Kritikos (2023), a.a.O.

Lesebeispiel: Werden die Produktmärkte um einen Prozentpunkt stärker reguliert, sinkt in Regionen mit mittlerer Verwaltungsqualität der Anteil schnell wachsender Unternehmen um 0,11 Prozentpunkte. Bei einem durchschnittlichen Anteil der SWU von 0,53 Prozent an allen Unternehmen, entspricht dies einem Rückgang von 21 Prozent. In Regionen mit guter Verwaltungsqualität sind hingegen keine signifikanten Effekte zu messen.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von OECD-, WEF- und Eurostat-Daten sowie des QoG-Index.

Für die ökonometrischen Analysen werden so genannte „Generalized Method of Moments Regressionen“ (GMM) verwendet. GMM-Regressionen sind eine Methode, die zur Schätzung der Parameter eines Modells verwendet wird, wenn die Annahmen der gewöhnlichen Kleinstquadrat-Regression (OLS) nicht zutreffen, wenn es um komplexe Datenstrukturen geht oder wenn mögliche Endogenitätsprobleme auftreten. GMM liefern konsistente und effiziente Schätzungen der Parameter und ermöglichen eine flexible Modellspezifikation. Bei der GMM-Regression wird eine Reihe von Momentbedingungen festgelegt, die die Stichprobenmomente (empirische Mittelwerte bestimmter Funktionen der Daten) mit den Modellparametern in Beziehung setzen. Diese Momentbedingungen stellen die Einschränkungen dar, die dem Modell und den Daten auferlegt werden, um sicherzustellen, dass die geschätzten Parameter die zugrunde liegenden Beziehungen genau erfassen.infoFür weitere Details siehe Amoroso, Herrmann und Kritikos (2023), a.a.O. Die wichtigsten Schritte bei der GMM-Regression sind:

  1. Spezifikation der Momentbedingungen: Sie definieren eine Reihe von Momentbedingungen auf der Grundlage der ökonomischen Theorie oder auf der Grundlage von Hypothesen. Diese Momentbedingungen umfassen typischerweise Momente der abhängigen Variable, der erklärenden Variablen und möglicherweise der Instrumentenvariablen.
  2. Optimale Gewichtungsmatrix: GMM-Schätzungen beruhen auf einer Gewichtungsmatrix, die den Beitrag jeder Momentbedingung vom gesamten Schätzungsprozess abgrenzt. Die Wahl der Gewichtungsmatrix kann die Effizienz der Schätzungen erheblich beeinflussen. Die optimale Gewichtungsmatrix ist ein Schlüsselaspekt von GMM und hängt von Annahmen über die Verteilung der Fehlerterme ab.
  3. Schätzung: Mit dem GMM-Schätzer wird versucht, die Parameterwerte zu finden, die den Abstand zwischen den Stichprobenmomenten und den theoretischen Momenten minimieren, die durch das Modell impliziert werden. Dies wird erreicht, indem die Parameterschätzungen iterativ angepasst werden, bis die Momentbedingungen erfüllt sind.

Die Qualität regionaler Verwaltungen …

Wie bereits der EU-Ausschuss der RegioneninfoVgl. Veröffentlichungen des EU committee of regions (2010): A new treaty: a new role for regions and local authorities (online verfügbar); EU committee of regions (2019): Working together to bring the EU closer to its citizens (online verfügbar). feststellte, dürfen die Auswirkungen von Regulierungen auf unternehmerische Aktivitäten nicht isoliert von staatlichen Institutionen betrachtet werden. Denn die meisten EU-weiten und nationalen Rechtsvorschriften werden von den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften umgesetzt. Durch die Anwendungen der Rechtsvorschriften verfügen diese Administrationen auch über wertvolle Erfahrungen aus den Kontakten mit lokalen Unternehmen, Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft. Insofern spielt neben dem Grad der Regulierung auch die Qualität der zumeist kommunalen Verwaltung in den Regionen eine wichtige Rolle.infoZu den Ersten, die die Rolle der institutionellen Qualität bei der Erklärung von Unterschieden in den Wachstumsraten der einzelnen Länder hervorheben, gehören Daron Acemoglu et al. (2001): The colonial origins of comparative development: An empirical investigation. American Economic Review, 91(5), 1369–1401. Analysen zeigen, dass eine wirksame Umsetzung der Regulierung erforderlich ist, damit die Wirtschaft wachsen kann.infoSiehe unter anderem Hossein Jalilian, Colin Kirkpatrick und David Parker (2007): The impact of regulation on economic growth in developing countries: A cross-country analysis. World Development, 35(1), 87–103. Dennoch wurde bisher nicht untersucht, wie sich Unterschiede in der Verwaltungsqualität auf den Zusammenhang zwischen Regulierungen und schnell wachsenden Unternehmen auswirken. Zu erwarten ist insbesondere, dass sich eine geringe Regulierungsdichte in den Händen einer schlechten Verwaltung insgesamt negativ auf schnell wachsende Unternehmen auswirken könnte. Umgekehrt kann auch erwartet werden, dass eine hohe Regulierungsdichte in den Händen einer guten Verwaltung schnell wachsende Unternehmen nicht unbedingt behindert.

Eine Möglichkeit, um diese Qualität zu messen, bietet der so genannte Quality-of-Government-Index, der für die Jahre 2010, 2013 und 2017 erhoben wurde.infoDer Index wurde vom Quality-of-Government-Institute der Universität Göteborg entwickelt, siehe erstmalig Nicholas Charron, Lewis Dijkstra und Victor Lapuente (2014): Regional governance matters: Quality of government within European union member states. Regional Studies, 48(1), 68–90. Er misst die institutionelle Qualität von Verwaltungen auf regionaler Ebene (NUTS-2-Regionalebene) in der Europäischen Union. Dieser Index erfasst die Qualität verschiedener Dienstleistungen, die durch den öffentlichen Sektor erbracht werden, sowie die in Umfragen erhobenen Erfahrungen der Menschen und Unternehmen vor Ort etwa mit Korruption im öffentlichen Sektor.

Es zeigen sich beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Regionen: Eine überdurchschnittlich hohe Qualität der öffentlichen Verwaltung findet sich etwa in den nordischen Ländern (Abbildung 3). Auffallend ist auch, dass es erhebliche Veränderungen über die Zeit gab. Insbesondere zwischen 2010 und 2017 verschlechterten sich die Leistungen regionaler Verwaltungen, vor allem in den alten EU-Mitgliedstaaten, etwa in Spanien und Frankreich. Bemerkenswerte Ausnahmen sind jüngere EU-Mitgliedstaaten wie Tschechien und Polen.

… und ihre Auswirkungen auf schnell wachsende Unternehmen

Auch zwischen der Qualität regionaler Verwaltungen und dem Anteil schnell wachsender Unternehmen ist in der empirischen Schätzung ein Zusammenhang festzustellen (Tabelle). Demnach steigt der Anteil schnell wachsender Unternehmen signifikant um 5,7 Prozent, wenn die Bewertung der Qualität regionaler Verwaltungen um zehn Prozentpunkte ansteigt.infoDer in der Tabelle ausgewiesene Wert von 0,003 Prozentpunkten bei einem Anstieg der Verwaltungsqualität um einen Prozentpunkt entspricht angesichts eines Anteils schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen von 0,53 Prozent diesem relativen Anstieg von 5,7 Prozent, wenn die Verwaltungsqualität um zehn Prozentpunkte ansteigt.

Um nun zu analysieren, wie die Auswirkungen unterschiedlicher Regulierungen mit der Qualität der regionalen Verwaltung variieren, werden nach Regionen getrennte Regressionen mit unterschiedlichen Qualitätsniveaus der regionalen Verwaltung durchgeführt. Dazu werden die Regionen in drei unterschiedliche Kategorien eingeteilt: Regionen mit hoher regionaler Verwaltungsqualität (die oberen 25 Prozent), Regionen mit Verwaltungen mittlerer Qualität (die mittleren 50 Prozent), Regionen mit Verwaltungen niedriger Qualität (die untersten 25 Prozent).

Demnach wird der Anteil schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen in Regionen mit hoher Verwaltungsqualität weder durch hohe (oder niedrige) Ausprägungen bei der Produktmarktregulierung, noch durch weniger (oder mehr) Flexibilität auf den Arbeitsmärkten beeinflusst (Tabelle). Mit anderen Worten: Bei hoher Verwaltungsqualität spielt es keine Rolle, ob die Regulierungsdichte hoch oder niedrig ist. In Regionen mit mittlerer Verwaltungsqualität (die die mittleren 50 Prozent der Stichprobe ausmachen) weisen die Regressionskoeffizienten für die Produkt- und für die Arbeitsmarktregulierung die in der Literatur üblichen Vorzeichen auf. Weniger Produktmarktregulierung ist also besser als mehr und mehr Arbeitsflexibilität besser als weniger. Hier spielt die Regulierungsdichte somit eine signifikante Rolle für die Anteile schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen.

Nochmals anders ist es in Regionen mit einer niedrigen Verwaltungsqualität. Werden Regulierungen schlecht umgesetzt, so ist zwar wieder eine niedrigere Regulierungsdichte bei der Produktmarktregulierung mit einem höheren Anteil an schnell wachsenden Unternehmen verbunden. Im Unterschied dazu vermag eine Erhöhung der Arbeitsmarktflexibilität bei einer schlechten Umsetzung dieser Regulierungen den Anteil schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen aber nicht zu steigern.

Fazit: Mehr Gewicht auf Aufbau effizienter Verwaltungen

Die Regulierungsdichte europäischer Länder wird häufig dafür verantwortlich gemacht, das Wirtschaftswachstum zu hemmen. Bisher wurde jedoch nicht untersucht, welche Rolle die Qualität regionaler oder lokaler Verwaltungen spielt, die diese Regulierungen umsetzen, und wie sich Unterschiede in dieser Qualität auf den Zusammenhang zwischen Regulierungen und unternehmerischen Entwicklungen auswirken. Dieser Bericht zeigt, dass weniger Regulierung und mehr Arbeitsmarktflexibilität nicht immer besser für das Unternehmenswachstum sind. Tatsächlich hängen die Auswirkungen der Regulierungsdichte entscheidend von der Qualität der regionalen Verwaltung ab. Konkret zeigt sich, dass sich eine zunehmende Regulierungsdichte nur dann negativ auf die Anteile schnell wachsender Unternehmen an allen Unternehmen auswirkt, wenn die entsprechenden Vorschriften von Verwaltungen mittlerer oder schlechter Qualität umgesetzt werden. In Regionen mit Verwaltungen guter Qualität hat dagegen die Regulierungsdichte keinerlei Auswirkungen auf die anteilige Entwicklung schnell wachsender Unternehmen.

Die Analysen lassen die Interpretation zu, dass in Regionen mit einer hohen Verwaltungsqualität die Vorschriften für den Arbeits- und Produktmarkt schnell, effizient und unparteiisch umgesetzt werden und den Unternehmen Marktstabilität und Rechtssicherheit bieten. In diesen Regionen schafft die regionale Verwaltung ein Umfeld, in dem ein hohes Maß an Regulierung für die Bildung von schnell wachsenden Unternehmen – im Unterschied zu bisherigen Annahmen – nicht schädlich ist. Beispielsweise reduzieren weniger flexible Einstellungs- und Entlassungsvorschriften als zentrale Elemente der Arbeitsmarktregulierung dann nicht den Anteil an schnell wachsenden Unternehmen. Eine höhere Regulierung der Arbeitsmärkte ist somit nicht hinderlich. Schnell wachsende Unternehmen und Unternehmen im Allgemeinen werden wohl dann für qualifizierte Arbeitskräfte attraktiv, wenn sie einen sicheren Arbeitsplatz anbieten können und bereit sind, in die Verbesserung der Fähigkeiten dieser Beschäftigten zu investieren. Auch die Regulierung des Produktmarktes behindert die Entwicklung schnell wachsender Unternehmen nicht, wenn sie in den Händen einer qualitativ hochwertigen regionalen Verwaltung liegt.

Die Qualität der jeweiligen Verwaltungen vor Ort, die bestimmt, wie effizient die Vorschriften umgesetzt werden, ist also das entscheidende Bindeglied dafür, wie Unternehmen die entsprechenden Arbeits- oder Produktmarktvorschriften wahrnehmen. In diesem Sinne haben die Verwaltungen in den Regionen ein strategisches Instrument in der Hand, mit dem sie das Geschäftsklima direkt beeinflussen und gestalten können, das sich unmittelbar auf unternehmerische Entwicklungen auswirkt.

Wenn schnell wachsende Unternehmen in der gesamten Europäischen Union gleich gute Wettbewerbsbedingungen haben sollen, werden in allen Regionen Europas qualitativ hochwertigere Verwaltungen benötigt. Somit sind erhebliche systematische Anstrengungen notwendig, um die Verwaltungsqualität in der gesamten Europäischen Union zu verbessern und damit den wirtschaftlichen Zusammenhalt in der Union zu stärken.

Aus der Sicht der empirischen Forschung gibt es im Moment noch keine „goldene“ Formel, wie sich gute Verwaltungen auf regionaler Ebene entwickeln lassen. Aber das Beispiel der nordischen Länder lässt vermuten, dass in Ländern, in denen die Kommunen einen substanziellen Anteil aus dem lokalen Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommen erhalten, dies auf lokaler Ebene als starker Anreiz wirkt, sich um ein gutes lokales Wirtschaftsklima zu kümmern. Entsprechend dürfte sich dieser Anreiz auf ihre Verwaltungen auswirken, effiziente Prozesse bei der Umsetzung von Regulierungen zu entwickeln. Statt nur über Bürokratieabbau zu sprechen, sollten effizientere Verwaltungen aufgebaut werden.

Sara Amoroso

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Entrepreneurship



JEL-Classification: L50;L25;H11;O43;R11;R50
Keywords: Labor Market Regulation, Product Market Regulation, Administrative Quality, High Growth Firms, European Regions
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-42-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/279507

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