Blog Marcel Fratzscher vom 13. November 2023
Die Politik hat in der Migration einen gefährlichen Kurswechsel vollzogen: Er verändert nichts an der Zuwanderung, verschlechtert aber die Integrationschancen.
Die Entscheidungen des Flüchtlingsgipfels in dieser Woche könnten den Kurs der Migrationspolitik nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa verändern. Die Einigung hat sicherlich einige positive Aspekte, doch überwiegen die Kritikpunkte. Diese könnten Deutschland wirtschaftlich, sozial und politisch teuer zu stehen kommen.
Der Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern hat sich auf Maßnahmen konzentriert, die hauptsächlich darauf abzielen, die Zuwanderung zu reduzieren. Drei dieser Maßnahmen sind positiv zu bewerten: Die Beschleunigung der Asylverfahren ist im Sinne aller. Die Einrichtung einer Kommission für Migration als breites gesellschaftliches Bündnis könnte zu einer Versachlichung des Diskurses beitragen und den Fokus auf Lösungen richten, statt zu polemisieren. Den Schutzstatus in Drittstaaten zu prüfen, könnte viel Leid verhindern – sofern dies überhaupt umsetzbar ist.
Dieser Text erschien am 10. November 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Diesen positiven Maßnahmen stehen jedoch zahlreiche kritische Aspekte gegenüber. So werden die getroffenen Maßnahmen nicht dazu führen, die Zuwanderung zu begrenzen, wie es erklärtes Ziel war. Der Konsens wissenschaftlicher Studien ist, dass eine schlechtere Behandlung und die Kürzung von Leistungen die Anzahl der Geflüchteten kaum wird reduzieren können.
Die Entscheidungen ignorieren das wichtigste Ziel: die Verbesserung der Integration für die 3,3 Millionen Schutzsuchenden in Deutschland. Die Einrichtung einer Kommission für Migration lässt hoffen, dass dieses Manko noch korrigiert werden kann.
Hinzu kommt die völlig unzureichende finanzielle Hilfe für die Kommunen, die eine zentrale Rolle bei dieser Integration spielen. Die Pauschale von 7.500 Euro pro Asylbewerberin und -bewerber reicht bei Weitem nicht; die Kommunen sehen einen weiteren Finanzierungsbedarf von mindestens drei Milliarden Euro allein für die Kosten der Unterbringung. Eine unzureichende Finanzierung der Kommunen verschlechtert die Chancen für eine schnelle und gute Integration und stellt die Akzeptanz der Bevölkerung weiter auf die Probe.
Deutschland ist mit dieser Migrationspolitik ein schlechtes Vorbild in Europa und der Welt. Als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land Europas könnte diese Politik einen weiteren Unterbietungswettbewerb in Europa auslösen. Eine solche Politik ist ein moralisches Armutszeugnis für Deutschland.
Das Abkommen tritt die Würde der Schutzsuchenden mit Füßen. Schon im Vorfeld haben vor allem diejenigen, die noch härtere Maßnahmen fordern, suggeriert, Geflüchtete erhielten eine zu großzügige Unterstützung. Viele kämen nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunutzen.
Und zu guter Letzt hat sich mit diesen Entscheidungen des Flüchtlingsgipfels letztlich die AfD durchgesetzt. Durch den Beschluss, der nun auch von den Grünen und der SPD mitgetragen wird, verstärkt sich das von der AfD gesetzte Narrativ, nach dem Geflüchtete ein zentrales Problem für Deutschland seien und ihre schlechtere Behandlung das Problem lösen werde. Eine solche Migrationspolitik wird kein Problem lösen und die Gesellschaft lediglich weiter polarisieren. Die Gewinner dieser Migrationspolitik werden Populisten und antidemokratische Kräfte sein.
Die Politik hat mit ihren Entscheidungen zur Migrationspolitik einen gefährlichen Kurswechsel vollzogen, der nichts an der Zuwanderung ändern, aber die Integrationschancen der Schutzsuchenden in Deutschland verschlechtern wird. Es bleibt zu hoffen, dass nach diesem öffentlichen Schaulaufen und der Polarisierung der Migrationspolitik nun ernsthaft an den zweifelsohne großen Herausforderungen der Integration gearbeitet wird. Dies erfordert eine viel stärkere, auch finanzielle Unterstützung für die Kommunen, eine deutliche Beschleunigung der Verwaltungsprozesse und als Wichtigstes: die Wahrung der Menschenwürde von Geflüchteten, denn diese ist genauso unantastbar wie für jeden Menschen.
Themen: Migration