Blog Marcel Fratzscher vom 21. Dezember 2023
Marcel Fratzscher hält es für falsch, starr an der Schuldenbremse festzuhalten. Dass Sparen gut und Schulden schlecht sind, sei ein grundlegendes deutsches Missverständnis. Aufklärung ist gefragt.
Zwei von drei Deutschen finden die Schuldenbremse gut und wollen an ihr festhalten – so eine neue Umfrage im Auftrag des „Spiegels“. Es gibt wohl kaum eine Gesellschaft, in der es so tief in der Psyche verankert ist, dass Sparen gut ist und Schulden schlecht sind.
Die Obsession beim Sparen könnte Deutschland jedoch die Zukunft kosten, denn kluge Schulden heute sind der Wohlstand von morgen. Wir müssen mit grundlegenden Missverständnissen zu Sparen und Schulden in Deutschland aufräumen.
Von klein auf wird Kindern in Deutschland beigebracht, Sparen sei uneingeschränkt gut. Das politisch inkorrekte Bild der schwäbischen Hausfrau wird auch von Finanzministern gerne zitiert: Man müsse erst Geld erwirtschaften und sparen, bevor es ausgegeben werden könne. Daher trifft die Kritik von Opposition und Medien an der Bundesregierung für ihre Ausgabenpolitik auf so starke Resonanz und könnte Deutschland in eine tiefe politische Krise stürzen.
Dieser Gastbeitrag erschien am 20. Dezember 2023 im Handelsblatt.
Der öffentliche Diskurs in Deutschland ist von drei grundlegenden Widersprüchen geprägt. Zum einen gibt es kein Land in der Welt, das jedes Jahr mehr Ersparnisse anhäuft.
Was in den Statistiken als Leistungsbilanz beschrieben wird, zeigt, dass Deutschland seit 2005 meist mehr als 200 Milliarden Euro jährlich an Nettoersparnissen aufgebaut und ins Ausland verliehen hat.
So hat Deutschland mittlerweile 2500 Milliarden Euro mehr an Ersparnissen im Ausland – Direktinvestitionen, Kredite oder Finanzanlagen – als das Ausland in Deutschland. Das Problem: Deutsche Sparer und Investoren haben diese häufig nicht sehr klug angelegt und immer wieder viel Geld im Ausland verloren. Es wäre in vielen Fällen sehr viel klüger, Gelder in Deutschland zu investieren.
Die öffentlichen Vermögenswerte wie Straßen, Brücken, Schulen, öffentliche Einrichtungen, Beteiligungen und andere Finanzvermögen sind geschrumpft.
Und genau hier liegt das Problem bei der deutschen Obsession hinsichtlich der Schuldenbremse. Die Schuldenbremse ist blind, wenn es darum geht, wofür der Staat sein Geld ausgibt. Sie behandelt Investitionen genauso wie öffentlichen Konsum oder staatliche Subventionen.
Der Widerspruch im öffentlichen Diskurs liegt darin, dass Unternehmen und Bürger sich über zu hohe Schulden und eine schlechte Infrastruktur beklagen, aber gleichzeitig auch weniger Steuern und Abgaben zahlen wollen.
Natürlich möchten wir alle einen möglichst effizienten Staat, aber wir müssen uns entscheiden, worauf wir unsere Prioritäten legen wollen – mehr Ausgaben mit geringeren Schulden und weniger Steuern, das ist logisch unvereinbar.
Dies führt zum dritten Widerspruch im Diskurs um die Schuldenbremse. Kein Tag vergeht ohne Kritik von Politikern, wir könnten uns keine Schulden leisten, weil dies zulasten künftiger Generationen ginge.
Aber was wollen junge Menschen und künftige Generationen für ihre Zukunft? Der deutsche Staat zahlt heute lediglich 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) an Zinsen für seine Schulden.
Was wir von Umfragen heute wissen, ist, dass es jungen Menschen wichtig ist, eine intakte Umwelt, gute Arbeitsplätze, Freiheit, ein gutes Bildungssystem, eine leistungsfähige Daseinsfürsorge, sozialen und geopolitischen Frieden zu haben. Und genau dafür sind staatliche Investitionen heute dringender denn je.
Gerade der deutsche Staat hat mit seinem Sparkurs in den vergangenen zwanzig Jahren der Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft geschadet und lebt nach wie vor von seiner Substanz. Dabei sind manche (nicht alle!) Schulden heute die Voraussetzung für einen schnelleren Abbau von Schulden in der Zukunft: Für jede 100 Euro, die der Staat heute in Bildung investiert, erhält er langfristig 200 bis 300 Euro durch höhere Steuereinnahmen zurück.
Wir brauchen dringend ein Umdenken in der Diskussion um die Schuldenbremse und Investitionen. Kluge Schulden heute – ausgegeben für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Innovation – sind gute Schulden, weil sie die Grundlage des Wohlstands von morgen sind.
Daher müssen Politik und Gesellschaft nun schnell eine pragmatische Lösung für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse finden.
Regierung wie Opposition sollten sich verpflichten, Deutschland zukunftsfähig zu machen und die Schulden für die notwendigen Investitionen aufzubringen. Die Schuldenbremse darf nicht länger als Alibi für das Scheitern kluger Zukunftspolitik missbraucht werden.
Themen: Geldpolitik