DIW Wochenbericht 3 / 2024, S. 23-25
Virginia Sondergeld, Katharina Wrohlich, Anja Kirsch
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„Für mehr Frauen in Führungspositionen kommt es letztlich darauf an, dass alle an einem Strang ziehen: Von Investor*innen bis zur breiteren Öffentlichkeit sollte sich niemand mit einem Mindestmaß an Geschlechtervielfalt zufriedengeben, sondern eine tatsächlich gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen einfordern.“ Katharina Wrohlich
Es geht weiter aufwärts mit dem Frauenanteil in Vorständen und Aufsichtsräten der Privatwirtschaft in Deutschland: In der Gruppe der 200 umsatzstärksten Unternehmen (Top-200) außerhalb des Finanzsektors lag ihr Anteil im Spätherbst 2023 bei rund 18 Prozent und hat sich somit seit dem Jahr 2018 verdoppelt. In den 40 größten börsennotierten Unternehmen (DAX-40) lag der Anteil der Vorständinnen mit 23 Prozent sogar darüber. Banken und Versicherungen konnten gegenüber den anderen Unternehmen Boden gutmachen – hier lag der Frauenanteil in den Vorständen zuletzt bei knapp 17 beziehungsweise gut 18 Prozent. An den Vorstandsspitzen kamen Frauen hingegen vielerorts sogar seltener zum Zuge als noch vor einigen Jahren: In der Top-200-Gruppe beispielsweise gab es im vierten Quartal 2023 neun Frauen als Vorstandsvorsitzende, fünf weniger als zwei Jahre zuvor. Es war der zweite Rückgang in Folge.
Doch was bedeuten all diese Zahlen? Fakt ist: Von wenigen Ausnahmen abgesehen steigt die Zahl der Frauen in den Spitzengremien großer Unternehmen seit geraumer Zeit Jahr für Jahr – mal mehr, mal weniger stark. Unter dem Strich bleiben Frauen bisher aber unterrepräsentiert. Auch in den Aufsichtsräten, wo der Frauenanteil durchgehend höher liegt als in den Vorständen, übersteigt er in keiner der untersuchten Unternehmensgruppen die 40-Prozent-Marke.
Die Politik hat mit entsprechenden gesetzlichen Vorgaben für die Aufsichtsräte und auch die Vorstände bereits versucht, der Entwicklung mehr Schwung zu verleihen. Sowohl die Geschlechterquote für Aufsichtsräte, die derzeit für etwa 100 Unternehmen gilt, als auch die Mindestbeteiligung für Vorstände, an die sich gut 60 Unternehmen halten müssen, wirkt – das zeigen die Analysen deutlich. Mit Blick auf die Vorstandsebene zeigt sich aber auch: Viele Unternehmen tun offenbar nicht mehr, als sie müssen. Zwar erfüllen die, die der Mindestbeteiligung unterliegen, nach und nach im Zuge von Neubesetzungen die gesetzliche Vorgabe. In der Top-200-Gruppe, in der die Mehrheit der Unternehmen nicht an das Mindestbeteiligungsgebot gebunden ist, hat aber immer noch fast jedes zweite Unternehmen keine einzige Frau im Vorstand. Und wenn es eine Vorständin gibt, ist sie in der Regel allein auf weiter Flur.
Die Gefahr dabei ist, dass sich schleichend die Zielgröße von einer Frau im Vorstand als neue soziale Norm etabliert. Das wäre zwar schon ein deutlicher Fortschritt gegenüber der Zielgröße von null Frauen im Vorstand, die sich viele Unternehmen noch vor nicht allzu langer Zeit gesetzt haben. Die Mindestbeteiligung wörtlich zu nehmen und Frauen tatsächlich nur im Mindestmaß an Vorstandsposten zu beteiligen, kann aber keinesfalls der Weisheit letzter Schluss sein. Dass Frauen in Führungspositionen einiges in Gang setzen können, was die Gleichstellung der Geschlechter fördert, zeigt der diesjährige Zusatzbericht des DIW Managerinnen-Barometers: Auf Basis von Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lässt sich belegen, dass mit mehr Frauen auf der ersten und zweiten Führungsebene eines Betriebs der Gender Pay Gap, also der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern, unter den Beschäftigten in diesem Betrieb sinkt. Besonders groß ist der Effekt, wenn mehr Frauen auf die zweite Führungsebene kommen. Der Gender Pay Gap, der in Deutschland zuletzt immer noch 18 Prozent betrug, fällt dann im Vergleich zu einem Szenario ohne Frauen auf dieser Führungsebene um mehrere Prozentpunkte kleiner aus. Auf der obersten Führungsebene braucht es hingegen offenbar eine kritische Masse von mindestens einem Drittel Frauen, bis sich vergleichbare Effekte auf den Gender Pay Gap einstellen. Wenn man bedenkt, dass nach wie vor fast drei Viertel aller Beschäftigten in Deutschland in Betrieben ohne Frauen auf der obersten Führungsebene arbeiten, lässt sich erahnen, wie viel Potenzial brach liegt und wie weit der Weg noch ist.
Damit es schneller voran geht, sind in erster Linie die Unternehmen gefordert. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Aufsichtsrat zu: Er kann vom Vorstand verlangen, durch Personalentwicklungsmaßnahmen sicherzustellen, dass es auf dem unternehmensinternen Arbeitsmarkt mittelfristig genügend potenzielle Vorständinnen gibt. Von an Vorstandsbesetzungen beteiligten externen Personalberatungsunternehmen, die eine wichtige Rolle als Gatekeeper spielen, kann der Aufsichtsrat verlangen, dass sie gezielt Frauen suchen. Letztlich kommt es aber darauf an, dass alle an einem Strang ziehen: Von Investor*innen bis zur breiteren Öffentlichkeit sollte sich niemand mit einem Mindestmaß an Geschlechtervielfalt zufriedengeben, sondern eine tatsächlich gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen einfordern.
Themen: Unternehmen, Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: D22;J16;J59;J78;K38;L21;L32;M12;M14;M51
Keywords: corporate boards, board composition, boards of directors, board diversity, Europe, women directors, executive directors, gender equality, gender quota, Germany, management, private companies, public companies, supervisory boards, executive boards, CEOs, women, finance industry, financial sector, private and public banks, insurance companies, accountability, corporate governance, CSR, diversity, female directors, leadership positions, managers, non-financial disclosure, non-financial report
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-3-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/282321