DIW Wochenbericht 35 / 2024, S. 540-545
Jonas Hannane, Ozge Demirci, Xinrong Zhu
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„ChatGPT sowie Bilderstellungs-KI-Tools haben den Freelance-Arbeitsmarkt in bestimmten Bereichen schnell aufgewirbelt: Weniger Aufträge, komplexere Tätigkeiten, aber auch höhere Auftragsbudgets waren die Folge. Generative KI steht erst am Anfang, die Arbeitswelt wird sich fortlaufend verändern. Fort- und Weiterbildung muss den sich abzeichnenden Strukturwandel abfedern.“ Jonas Hannane
Die einfache Bedienung und die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten generativer Künstlicher Intelligenz (KI) bergen das Potenzial, verschiedene Aufgaben zu automatisieren und somit die Arbeitswelt grundlegend zu verändern. Vor allem freiberufliche Tätigkeiten im Digitalbereich, die durch kurzfristige und flexible Arbeitsaufträge gekennzeichnet sind, sehen sich bereits einer wachsenden Konkurrenz durch generative KI-Technologien (wie beispielsweise ChatGPT) ausgesetzt. Eine Analyse der Nachfrage nach Freelance-Arbeit auf Online-Plattformen deutet auf einen signifikanten Rückgang in der Anzahl von Aufträgen für Tätigkeiten hin, die leicht automatisiert werden können. Dies betrifft unter anderem die Bereiche Schreibarbeit, Software-, App- und Web-Entwicklung sowie Grafikdesign. Verbleibende Aufträge sind zudem komplexer und haben auch ein höheres Budget. Gezielte Weiterbildungs- und Umschulungsprogramme zum Umgang und Arbeiten mit generativer KI sind notwendig, um Beschäftigte auf den Einsatz generativer KI vorzubereiten und negative Auswirkungen auf die Nachfrage nach Freelance-Arbeit abzufedern.
Generative Künstliche Intelligenz (KI) ist eine neuartige Technologie, die digitale Inhalte erzeugt. Diese reichen von Texten, Computerprogrammen und Bildern bis hin zu neuerdings auch Musik oder Videos. Herkömmliche KI-Systeme waren noch darauf ausgerichtet, Daten zu analysieren und Muster zu erkennen, um spezifische Aufgaben zu erledigen (beispielsweise Spam-Erkennung in E-Mails). Generative KI kann hingegen basierend auf Mustern und Informationen, die sie aus vorhandenen Daten gelernt hat, neue, bisher nichtexistierende Inhalte erzeugen. So wurde beispielsweise die Einleitung von diesem Wochenbericht mithilfe von generativer KI verfasst.
Das prominenteste Beispiel generativer KI ist ein großes Sprachmodell (Large Language Model, LLM), ChatGPT, das das Unternehmen OpenAI entwickelt hat.Vgl. Informationen auf der Webseite von ChatGPT (online verfügbar, abgerufen am 6. August 2024. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). ChatGPT wurde am 30. November 2022 kostenfrei für die Öffentlichkeit freigegeben (Abbildung 1). Innerhalb von zwei Monaten wurde es von über 100 Millionen Personen weltweit genutzt.Vgl. Reuters (online verfügbar). Mittlerweile existiert eine Vielzahl von LLMs, deren Entwicklung sowohl von großen US-amerikanischen Tech-KonzernenVgl. Hannes Ullrich (2024): Generative KI: Zwischen Produktivitätsbooster und Marktmachtverstärker. DIW Wochenbericht Nr. 18, 276 (online verfügbar). als auch von kleineren, teilweise auch gemeinnützigen, Unternehmen und Organisationen vorangetrieben wird.Dies sind beispielsweise die Open-Source LLMs GPT-Neo oder GPT-J von der gemeinnützigen Stiftung EleutherAI oder das LLM Claude von der Benefit Corporation Anthropic. Neben LLMs haben ebenfalls Bilderstellungs-KI-Tools (z.B. Midjourney,Vgl. Informationen auf der Webseite von Midjourney (online verfügbar). Stable DiffusionVgl. Informationen auf der Webseite von Stable Diffusion (online verfügbar). oder DALL-E 2Vgl. Informationen auf der Webseite von Dalle-E 2 (online verfügbar).) im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit erhalten und große Verbreitung erlebt. Bis August 2023 dürften mit diesen Tools schätzungsweise bereits 15 Milliarden Bilder auf der Grundlage von Textbeschreibungen erzeugt worden sein.Vgl. Everypixel Journal (online verfügbar).
Die einfache Benutzung und die vielseitigen Anwendungsmöglichkeiten generativer KI bergen großes Potenzial, verschiedene Aufgaben zu automatisieren. Beispielsweise können LLMs Computer-Programme schreiben, debuggen oder verbessern und somit wiederkehrende oder einfache Programmieraufgaben automatisieren. Bild-Erstellung-KI-Tools können beispielsweise Logos oder Banner entwerfen und somit gestalterische Aufgaben, die bisher von Grafikdesignern übernommen werden, automatisieren. Daher drängt sich die Frage auf, inwieweit generative KI die Arbeitswelt prägt und prägen wird.
Vor allem digitale freiberufliche Tätigkeiten, die durch kurzfristige und flexible Arbeitsaufträge gekennzeichnet sind, sehen sich bereits dem wachsenden Einfluss der Automatisierung durch generative KI-Technologien ausgesetzt. Am Beispiel von Freelance-Arbeit auf Online-Arbeitsmärkten (Online Labor Markets, OLM) kann eine erste Einschätzung über die Auswirkungen der Einführung generativer KI auf die Nachfrage nach Arbeit abgegeben werden.Der vorliegende Bericht beruht auf Ozge Demirci, Jonas Hannane und Xinrong Zhu (2023): Who Is AI Replacing? The Impact of Generative AI on Online Freelancing Platforms (online verfügbar).
OLM-Plattformen wie Upwork,Vgl. Informationen auf der Webseite von Upwork (online verfügbar). Freelancer.comVgl. Informationen auf der Webseite von Freelancer (online verfügbar). oder FiverrVgl. Informationen auf der Webseite von Fiverr (online verfügbar). ermöglichen es Arbeitgeber*innen, Aufträge zu veröffentlichen, auf die sich Freelancer*innen bewerben können. Sie haben in den vergangenen Jahren dank ihrer globalen Reichweite und der schnellen Vermittlung steigende Beliebtheit erfahren.Vgl. Otto Kässi und Vili Lehdonvirta (2018): Online labour index: Measuring the online gig economy for policy and research. Technological Forecasting and Social Change, 137, 241–248 (online verfügbar). Die Aufträge auf OLM-Plattformen sind unterschiedlich umfangreich und komplex. Sie reichen von einfachen, kurzen Dateneingabeaufträgen bis hin zu komplexer Softwareentwicklung. Auch können Arbeitgeber*innen Aufträge ohne Weiteres kündigen oder verschiedene Freelancer*innen neu einstellen, was zu flexibleren Einstellungsentscheidungen im Vergleich zum regulären Arbeitsmarkt führt. Aufgrund der digitalen, aufgabenorientierten und flexiblen Arbeit auf OLM-Plattformen sind Online-Arbeitsmärkte ein geeignetes Setting, um frühzeitige Trends auf Arbeitsmärkten zu untersuchen.
Für die Untersuchung wurden Daten zu über einer Million Aufträgen, die zwischen Juli 2021 bis Juli 2023 auf einer führenden OLM-Plattform ausgeschrieben wurden, gesammelt und ausgewertet. Anhand von Angaben zu Qualifikations- und Softwareanforderungen in den Auftragsbeschreibungen werden die Aufträge anhand eines Netzwerk-Algorithmus verschiedenen Clustern zugeordnet (Kasten 1). In einem Cluster können beispielsweise Tätigkeiten der Daten- und Büroverwaltung, Schreibarbeit oder Ingenieurarbeit gruppiert werden. Die Cluster selbst werden wiederum in drei übergeordneten Kategorien von Tätigkeiten zusammengefasst: manuelle Tätigkeiten (Daten- und Büroverwaltung, Videodienste sowie Audiodienste), automatisierungsanfällige Tätigkeiten (Schreibarbeit, Software-, App- und Web-Entwicklung sowie Ingenieurarbeit) und Grafiktätigkeiten (Grafikdesign sowie 3D-Modellierung).
Die in der Studie verwendeten Auftrags-Level-Daten wurden über die Programmierschnittstelle (Application Programming Interface, API) einer führenden OLM-Plattform gesammelt. Die Daten beinhalten unter anderem Informationen darüber, wann ein Auftrag veröffentlicht wurde, aus welchem Land die Arbeitgeber*innen kommen, über die Höhe des Budgets des Auftrags, wie viele Freelancer*innen sich für den Auftrag beworben haben sowie Beschreibungen zum Arbeitsauftrag und Angaben zu Qualifikations- oder Softwareanforderungen (beispielsweise „Video-Bearbeitung“ oder „Adobe Premiere Pro“).
Um die Aufträge in Cluster von vergleichbaren Tätigkeiten zusammenzufassen, wird ein Netzwerk-Algorithmus (die Louvain-Methode) angewandt.Vgl. Vincent D. Blondel et al. (2008): Fast unfolding of communities in large networks. Journal of Statistical Mechanics: Theory and Experiment, 2008(10), P10008 (online verfügbar). Hierdurch werden Cluster von Qualifikations- und Softwareanforderungen erkannt, die häufig zusammen in Aufträgen genannt werden. Jeder Auftrag wird anschließend dem Cluster mit der größten Überschneidung an Qualifikations- und Softwareanforderungen zugeordnet.
Für die Analyse des kausalen Effekts der Einführung von ChatGPT ist eine Kontrollgruppe nötig, die Aufträge umfasst, die unberührt von LLM sind. Hierfür wird der AI Occupational Exposure Index (AIOE) verwendet.Vgl. Edward W. Felten, Manav Raj und Robert Seamans (2021): Occupational, industry, and geographic exposure to artificial intelligence: A novel dataset and its potential uses. Strategic Management Journal 42(12), 2195–2217 (online verfügbar); Edward W. Felten, Manav Raj und Robert Seamans (2023): Occupational heterogeneity in exposure to generative ai, SSRN (online verfügbar). Dieser Index misst, wie sehr Berufsfelder von Fortschritten von LLM betroffen sind.Für die Berechnung des AIOE wird zunächst bewertet, wie gut LLMs 52 unterschiedliche menschliche Fähigkeiten (zum Beispiel Sprachverständnis, mündliche Ausdrucksfähigkeit, induktives Schlussfolgern) beherrschen. Die Ergebnisse werden anschließend mit der „Occupational Information Network (O*NET)-Datenbank“ verknüpft, die angibt, wie sehr jede dieser 52 Fähigkeiten für jeweils über 800 verschiedene Berufsfeldern benötigt wird. Der AIOE generiert somit ein Maß, das angibt, wie gut LLM berufsgruppenübergreifend Tätigkeiten übernehmen können. Ein niedriger Wert des Indexes weist auf geringe Auswirkungen von LLM auf ein Berufsfeld hin und umgekehrt.Der AIOE-Index ist ein standardisiertes Maß mit einem Mittelwert gleich Null und einer Standardabweichung gleich Eins, über alle Berufsfelder. Die Studie verknüpft die gebildeten Cluster mit dem AIOE-Index, indem jedes Cluster dem ähnlichsten Berufsfeld aus der AIOE-Datenbank zugeordnet wird.Zum Beispiel wird das Cluster Videodienste dem Berufsfeld „Film- und Videoeditor*innen“ oder Schreibarbeit dem Berufsfeld „Schriftsteller*innen und Autor*innen“ zugeordnet. Anhand des AIOE werden die Cluster anschließend in manuelle Tätigkeiten (als Kontrollgruppe) sowie automatisierungsanfällige Tätigkeiten (als Treatmentgruppe) unterteilt (Abbildung). Für die Analyse des Effekts von Bild-Erstellung-KI-Tools verwendet die Studie dieselbe Kontrollgruppe (manuelle Tätigkeiten) und ordnet Grafiktätigkeiten (Grafikdesign und 3D-Modellierung) der Treatmentgruppe zu. Um die Robustheit der Ergebnisse zu überprüfen, verwendet die Studie in einer zusätzlichen Analyse weitere Kontrollgruppen, zum Beispiel Tätigkeiten, die eine physische Anwesenheit erfordern.
Um den Effekt der Einführung von ChatGPT auf die Nachfrage nach Online-Freelance-Arbeit zu messen, wird die Anzahl der Aufträge aus jedem Cluster für jedes Land pro Woche aggregiert. Dadurch wird ein sogenannter Panel-Datensatz hergestellt, der eine Analyse von Veränderungen und Trends innerhalb der gleichen Einheiten über die Zeit ermöglicht. Mittels eines Differenz-von-Differenzen-Ansatzes (Kasten 2) schätzt die Studie anschließend, wie sich die Anzahl der Aufträge mit automatisierungsanfälligen Tätigkeiten im Vergleich zu solchen mit manuellen Tätigkeiten über die Zeit entwickelt hat. Als Interventionsdatum wird der 30. November 2022, das Veröffentlichungsdatum von ChatGPT, definiert.
Der Differenz-von-Differenzen-Ansatz ist eine ökonometrische Methode zur Evaluierung von kausalen Effekten eines Ereignisses. Mithilfe dieser Methode können Veränderungen über die Zeit zwischen einer Gruppe, die dem Ereignis ausgesetzt ist (Treatmengruppe), und einer Gruppe, die nicht dem Ereignis ausgesetzt ist, verglichen werden (Kontrollgruppe).
Als Ereignis wird hier die Einführung der generativen KI-Tools definiert. Dabei wird die Anzahl an Aufträgen als Maß für die Nachfrage nach Freelance-Arbeit herangezogen. Automatisierungsanfällige Tätigkeiten und Grafiktätigkeiten werden zwei separaten Treatmentgruppen zugeordnet, während manuelle Tätigkeiten der Kontrollgruppe zugeordnet werden. Der Differenz-von-Differenzen-Ansatz berechnet die Differenz von Veränderungen in der Anzahl der Aufträge zwischen den Treatmentgruppen und der Kontrollgruppe. Dabei wird die Differenz der Veränderungen in den Treatmentgruppen (vorher versus nachher) von der Differenz der Veränderungen in der Kontrollgruppe subtrahiert. Diese Differenz-von-Differenzen-Bildung isoliert den Effekt generativer KI auf die Nachfrage nach Freelance-Arbeit, indem sie allgemeine zeitliche Trends herausfiltert, die beide Gruppen gleichermaßen betreffen.
Die Ergebnisse weisen auf einen starken, statistisch signifikanten Rückgang in Höhe von 20,9 Prozent bei der Anzahl der Aufträge für automatisierungsanfällige Tätigkeiten im Vergleich zu solchen mit manuellen Tätigkeiten in den acht Monaten nach der Veröffentlichung von ChatGPT hin (Abbildung 2). Schreibtätigkeiten (beispielsweise Korrekturlesen, Ghostwriting oder Lektorat) sind dabei mit einem Rückgang von 30,4 Prozent am stärksten betroffen, gefolgt von Software-, App- und Web-Entwicklung, die um 20,6 Prozent sinken, und Ingenieurarbeit , deren Nachfrage um 10,4 Prozent zurückgeht. Die geschätzten Rückgänge sind beträchtlich. Sie übertreffen zum einen mit saisonalen Nachfrageschwankungen auf der OLM-Plattform verbundene Rückgänge. Sie sind aber auch größer als durch Automatisierung hervorgerufene Arbeitsplatzverluste im verarbeitenden Gewerbe.Beispielsweise geht ein Anstieg des Robotereinsatzes in der französischen verarbeitenden Industrie um 20 Prozentpunkte mit einem 3,2-prozentigen Rückgang der Beschäftigung in der jeweiligen Branche einher. Vgl. Daron Acemoglu, Claire Lelarge und Pascual Restrepo (2020): Competing with Robots: Firm-Level Evidence from France. AEA Papers and Proceedings 110, 383–388 (online verfügbar). Vieles deutet zudem darauf hin, dass sich der Nachfragerückgang für automatisierungsanfällige Tätigkeiten nach der Veröffentlichung von ChatGPT im Laufe der Zeit verstärkt hat. Dies kann sowohl durch ein im Zeitverlauf zunehmendes Interesse an der Benutzung von LLM als auch durch die Veröffentlichung zusätzlicher und besserer LLM erklärt werden.
Nach der gleichen Methode wird die Nachfrage nach Freelance-Arbeit für Grafiktätigkeiten nach der Einführung der KI-Technologien DALL-E 2, Midjourney, und Stable Diffusion untersucht, die für die Bilderstellung genutzt werden können. Diese wurden zwischen Juli und September 2022 veröffentlicht. Um den kausalen Effekt auf die Nachfrage nach Freelance-Arbeit zu messen, wird wieder eine Differenz-von-Differenzen-Schätzung mit derselben Kontrollgruppe für manuelle Tätigkeiten vorgenommen. Als Interventionsdatum wird der 20. Juli 2022 definiert, der früheste Veröffentlichungszeitpunkt der untersuchten Bild-Erstellungs-KI-Tools.
Auch bei der Nachfrage nach Freelance-Arbeit in den Grafikclustern zeigt sich ein starker, statistisch signifikanter Rückgang (Abbildung 3). Insgesamt nehmen die Aufträge um 17 Prozent ab, wobei Grafikdesign Aufträge mit 18,5 Prozent stärker betroffen sind als 3D-Modellierung mit 15,5 Prozent.
Die Entwicklung der KI hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Nachfrage nach Freelance-Arbeit. Auch bei der Komplexität der Aufträge (gemessen an der Anzahl an Qualifikations- und Softwareanforderungen eines Auftrags), der Anzahl an Bewerbungen von Freelancer*innen für einen Auftrag sowie beim Budget der Aufträge kommt es zu Auswirkungen. So nimmt die Zahl der Bewerbungen von Freelancer*innen für automatisierungsanfällige Tätigkeiten nach der Veröffentlichung von ChatGPT zu (um 8,6 Prozent); gleichzeitig erhöht sich das Budget für diese Arbeiten (um durchschnittlich 5,7 Prozent). Dies kann, zumindest teilweise, durch die statistisch signifikante Erhöhung der Komplexität der Aufträge (um 2,2 Prozent) erklärt werden. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass im Laufe der Zeit nach der Veröffentlichung von ChatGPT immer mehr Aufträge die Verwendung dieser Technologie als Anforderung aufführen.
Die Ergebnisse der Studie deuten auf einen signifikanten Rückgang bei der Anzahl an Aufträgen sowie auf eine erhöhte Komplexität hinsichtlich der Anforderungen für automatisierungsanfällige Tätigkeiten auf OLM-Plattformen in den Monaten nach der Veröffentlichung generativer KI-Technologien hin. Freelancer*innen, die auf automatisierungsanfällige Tätigkeiten spezialisiert sind, werden durch die Einführung generativer KI-Tools einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. In Anbetracht des bereits intensiven Wettbewerbs um Aufträge auf OLM-PlattformenVgl. Niels Beerepoot und Bart Lambregts (2015): Competition in online job marketplaces: towards a global labour market for outsourcing services? Global Networks, Issue 2, 236–255 (online verfügbar). führt die sinkende Nachfrage für gewisse Tätigkeiten insgesamt zu einem kurzfristigen Rückgang der Verdienstmöglichkeiten von Freelancer*innen.
Die mittel- bis langfristigen Auswirkungen generativer KI, insbesondere auch auf dem regulären Arbeitsmarkt, sind jedoch noch schwer abzuschätzen. Eine Reihe aktueller Experimentalstudien weist auf deutliche Produktivitätszuwächse durch die Benutzung generativer KI auf individueller Ebene hin, beispielsweise im Kontext von Programmierarbeiten,Vg. Sida Peng et al. (2023): The Impact of AI on Developer Productivity: Evidence from Github Copilot. arXiv preprint arXiv:2302.06590 (online verfügbar). Schreibarbeiten,Vgl. Shakked Noy und Whitney Zhang (2023): Experimental Evidence on the Productivity Effects of Generative Artificial Intelligence. Science, 381(6654), 187–192 (online verfügbar). UnternehmensberatungVgl. Fabrizio DellAcqua et al. (2023): Navigating the jagged technological frontier: Field experimental evidence of the effects of AI on knowledge worker productivity and quality. Harvard Business School Technology & Operations Mgt. Unit Working Paper 24–013 (online verfügbar). oder Kundenservice.Vgl. Erik Brynjolfsson, Danielle Li und Lindsey R. Raymond (2023): Generative AI at Work. NBER Working Paper 31161 (online verfügbar). Die Produktivitätsgewinne zeigen sich dabei nicht nur in durchgängig schnelleren Bearbeitungszeiten, sondern teilweise auch in qualitativ besseren Arbeitsergebnissen bei Verwendung generativer KI-Tools. Insbesondere weniger erfahrene Beschäftigte scheinen dabei am meisten von der Nutzung dieser Technologien zu profitieren. Generative KI kann daher möglicherweise sogar dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten zwischen Beschäftigten zu verringern.Vgl. David Autor (2024): Applying AI to Rebuild Middle Class Jobs. NBER Working Paper 32140 (online verfügbar).
Diese möglichen Produktivitätszuwächse können sich in einem stärkeren Wirtschaftswachstum niederschlagen und dadurch auch zur Entstehung von neuen Arbeitsplätzen beitragen. In einer Umfrage vom Mai 2023 schätzt die Mehrheit der befragten Ökonom*innen, dass die Verfügbarkeit generativer KI zu einer Erhöhung des Wirtschaftswachstums im kommenden Jahrzehnt um vier bis sechs Prozent führen wird.Vgl. Ethan Ilzetzki und Suryaansh Jain (2023): The impact of artificial intelligence on growth and employment. VOX EU Column (online verfügbar). Dennoch dürfte es zu größeren Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt und zumindest temporärer Arbeitslosigkeit für einzelne Beschäftigte kommen, worauf sich politische und wirtschaftliche Akteur*innen einstellen müssen.
Beschäftigte und Unternehmen müssen in Fort- und Weiterbildung sowie technologische Innovationen investieren, um in einer KI-geprägten Wirtschaft wettbewerbsfähig zu bleiben und von steigender Produktivität zu profitieren. Dies erfordert großflächige Weiterbildungs- und Umschulungsinitiativen. Politische Entscheidungsträger*innen sollten hierfür entsprechende Bildungs- und Weiterbildungsprogramme an Schulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen auflegen.
Zusätzlich muss darauf geachtet werden, einen gleichberechtigten Zugang zu Bildungsangeboten zu gewährleisten. Eine kürzlich erfolgte Umfrage in Dänemark hat einen großen Gender- und Alters-Gap bei der Verwendung von ChatGPT am Arbeitsplatz festgestellt, wonach weibliche und ältere Beschäftigte seltener generative KI für die gleiche Arbeit nutzen.Vgl. Anders Humlum und Emilie Vestergaard (2024): The Adoption of ChatGPT. IZA Discussion Paper No. 16992 (online verfügbar). Gezielte Trainings- und Lernangebot können daher notwendig sein, um alle Arbeitnehmer*innen zu befähigen, die Vorteile von KI-Technologien auszuschöpfen. Dies ist entscheidend, um Chancengleichheit und wirtschaftlichen Fortschritt in einer zunehmend KI-geprägten Arbeitswelt zu gewährleisten.
Themen: Digitalisierung, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: O33;E24;J21;J24
Keywords: Generative AI, large language models, ChatGPT, digital freelancing platforms
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-35-1