DIW Wochenbericht 41 / 2024, S. 635-643
Caroline Stiel, Tomaso Duso, Konstantin A. Kholodilin
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„Die Mehrheit der Haushalte ist mit ihrer Wohnsituation zufrieden, doch es gibt Unterschiede zwischen Mieter*innen und Eigentümer*innen sowie nach Einkommen, Region und Haushaltstyp. In Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten empfindet fast die Hälfte aller Familien aus den unteren Einkommensschichten ihre Mietwohnung als zu klein.“ Caroline Stiel
Besonders in Großstädten wird die Wohnsituation in Deutschland oft als problematisch wahrgenommen, etwa durch hohe Mieten bei Neuvermietungen und einem Mangel an verfügbarem Wohnraum. Gestützt auf Langzeitdaten des SOEP untersucht der Bericht, welche Rolle die Wohnsituation für die Lebenszufriedenheit in Deutschland spielt und wie zufrieden unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit ihrer Wohnsituation sind. Grundsätzlich spielen die Wohnverhältnisse im Vergleich zur Gesundheit oder dem Einkommen eine nachgeordnete Rolle für die Lebenszufriedenheit. Es zeigt sich, dass aus Sicht der Haushalte beengte Wohnverhältnisse eher ein Problem darstellen als die subjektiv wahrgenommene Wohnkostenbelastung. Insbesondere Familien in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten und aus den unteren Einkommensschichten empfinden ihre Mietwohnung als zu klein. Fast jeder zweite Haushalt berichtet nach dem Umzug von gestiegenen Wohnkosten. Mehr verfügbarer Wohnraum würde es insbesondere Familien erleichtern, ihre Wohnverhältnisse den Bedürfnissen anzupassen.
Die Wohnsituation der Bevölkerung in Deutschland, insbesondere in Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt, ist ein vieldiskutiertes Thema in der Öffentlichkeit. Vor allem in Großstädten wird die Wohnsituation vermehrt als problembelastet wahrgenommen. In den Medien wird häufig von Hausgemeinschaften berichtet, die nach einem Eigentümerwechsel von hohen Mietsteigerungen betroffen sind, von Geringverdienenden, die erfolglos eine Wohnung suchen, und von einer zunehmenden sozialen Entmischung der Innenstädte. Auch der demografische Wandel wirkt sich auf den Wohnungsmarkt aus. Er führt dazu, dass große Wohnungen und Häuser zunehmend von älteren Paaren und Alleinstehenden bewohnt werden, während junge Familien Schwierigkeiten haben, passenden Wohnraum zu finden.Statistisches Bundesamt (2023): Haushalte der Altersgruppe 65+ haben pro Kopf den meisten Wohnraum zur Verfügung. Pressemitteilung Nr. N 035 vom 14. Juni 2023 (online verfügbar, abgerufen am 31. August 2023. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Unklar bleibt jedoch, wie viele Haushalte sich durch ihre Wohnsituation tatsächlich belastet fühlen und inwiefern sich das in den Medien und in der Öffentlichkeit diskutierte Bild mit Zahlen belegen lässt.
Der vorliegende Bericht geht der Frage nach, welche Rolle die Wohnsituation für die Lebenszufriedenheit spielt und wie zufrieden unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit ihrer Wohnsituation sind. Er untersucht, wie viele Haushalte die Wohnkostenbelastung als (zu) hoch oder ihre Wohnung als zu klein empfinden und wie sich die persönliche Einschätzung je nach Region und Einkommen unterscheidet.Der Bericht basiert auf Felix Aubele et al. (2023): Wohnkosten, Lebenszufriedenheit, Sicherheitsempfinden und Narrative: Eine Betrachtung der langfristigen Verteilungswirkungen von Wohnungsmarktzyklen. DIW Politikberatung kompakt 199 (online verfügbar). Abschlussbericht des gleichnamigen Projektes, gefördert durch das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Zusätzlich wird untersucht, wie sich die Bewertung der Wohnsituation nach einem Umzug verändert hat. Der Bericht wertet Langzeitdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus, das seit 1984 jährlich über 15 000 Haushalte zu ihren Lebensumständen befragt.Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239 (2), 345–360 (online verfügbar). Das SOEP beinhaltet einen umfangreichen Fragenkatalog zur Wohnsituation der Haushalte und stellt daher eine gute Möglichkeit dar, das persönliche Empfinden der Bevölkerung bezüglich ihrer Wohnsituation zu untersuchen. Neben Unterschieden nach Einkommensgruppen und Haushaltstypen werden dabei auch getrennte Analysen für Gemeinden mit und ohne Mietpreiskontrolle durchgeführt, um herauszufinden, ob Haushalte ihre Wohnsituation in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten besonders negativ beurteilen.
Die Lebenszufriedenheit wird durch Befragung der Haushalte erfasst und auf einer Skala zwischen 0 (ganz und gar unzufrieden) und 10 (ganz und gar zufrieden) gemessen.Laura Buchinger et al. (2024): Zufriedenheit mit Einkommen, Arbeit und Gesundheit unterscheidet sich nach Haushaltseinkommen, Alter und Elternschaft. DIW Wochenbericht Nr. 34, 523–531 (online verfügbar). Die Lebenszufriedenheit in Deutschland liegt im Vergleich zu anderen OECD-Ländern im oberen Mittelfeld.John F. Helliwell et al. (2019): World Happiness Report 2019. New York: Sustainable Development Solutions Network (online verfügbar). Sie ist seit dem Jahr 2004 kontinuierlich gestiegen und lag im Jahr 2021 bei durchschnittlich 7,4 Punkten. Um die Bedeutung verschiedener Lebensbereiche für die allgemeine Lebenszufriedenheit zu ermitteln, wird ein statistisches Modell geschätzt (Tabelle). Danach sind die wichtigsten Faktoren für die Lebenszufriedenheit die Gesundheit, das Familienleben und das Haushaltseinkommen, während die Zufriedenheit mit der Wohnung nur einen geringen Einfluss auf die allgemeine Lebenszufriedenheit ausübt. In der wissenschaftlichen Literatur wird in diesem Zusammenhang über Gewöhnungseffekte diskutiert, wonach Menschen sich an ihre Wohnsituation gewöhnen und eine Änderung der Wohnsituation sich zwar kurzfristig auf die allgemeine Lebenszufriedenheit auswirkt, langfristig jedoch die Wohnsituation für die Lebenszufriedenheit an Bedeutung verliert.Bruce Headey (2014): Set-Point Theory. In: Michalos, A.C. (Hrsg.) Encyclopedia of Quality of Life and Well-Being Research. Springer, Dordrecht (online verfügbar); Tobias Wolbring (2016): Home Sweet Home! Does Moving Have (Lasting) Effects on Housing Satisfaction? Journal of Happiness Studies 18, 1359–1375 (online verfügbar).
Komponente | Beitrag zur Lebenszufriedenheit 2011 bis 2021 (Regressionskoeffizient) | Veränderung ggü. 2011 (Punkte) | Anteil an Veränderung der Lebenszufriedenheit zwischen 2011 und 2021 (in Prozent) |
---|---|---|---|
(1) | (2) | (3) | (4) |
Gesundheit | 0,243 | 0,424 | 20,7 |
Familienleben | 0,207 | 0,160 | 6,6 |
Haushaltseinkommen | 0,161 | 0,842 | 27,2 |
Freizeit | 0,069 | -0,094 | -1,3 |
Wohnung | 0,054 | 0,322 | 3,5 |
Haushaltstätigkeiten | 0,040 | 0,200 | 1,6 |
Insgesamt | 0,496 | 58,3 |
Anmerkungen: Gewichtete generalisierte lineare Regression. Die befragten Gruppen werden entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung gewichtet. Das Signifikanzniveau aller Koeffizienten (Spalte 2) liegt auf dem Ein-Prozent-Niveau an. Spalte (3) zeigt die durchschnittliche Veränderung jeder Komponente über alle Haushalte zwischen 2011 und 2021. Der Beitrag in Spalte (4) wird als Produkt des entsprechenden Koeffizienten in Spalte (2) und der entsprechenden Veränderung in Spalte (3) geteilt durch die Veränderung der gesamten Lebenszufriedenheit in Spalte (3) berechnet und mit 100 multipliziert, um prozentuale Werte auszudrücken.
Lesebeispiel: Hätte sich die Zufriedenheit aller Haushalte mit ihrer Gesundheit zwischen 2011 und 2021 um einen Punkt erhöht, vorausgesetzt, dass alle anderen Komponenten der Zufriedenheit unverändert geblieben wären, wäre die durchschnittliche Lebenszufriedenheit aller Haushalte auf einer Skala von 0 (ganz und gar unzufrieden) bis 10 (ganz und gar zufrieden) im selben Zeitraum um 0,243 Punkte gestiegen.
Quelle: SOEP v38.1, eigene Berechnungen.
Über die Zeit betrachtet, ist seit dem Jahr 2011 die Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen am stärksten gestiegen, gefolgt von der Zufriedenheit mit der Gesundheit.Die Zufriedenheit mit der Gesundheit ist vor allem zwischen 2020 und 2021 angestiegen (vgl. Buchinger et al. (2024), a. a. O., Abbildung 1) und könnte auf eine veränderte Bedeutung der Gesundheit für das eigene Wohlbefinden in Folge der Covid-19-Pandemie zurückzuführen sein. Die Zufriedenheit mit der Wohnung hat zwar ebenfalls zugenommen. Da sie aber nur eine untergeordnete Rolle für die allgemeine Lebenszufriedenheit spielt, wirken sich diese Änderungen kaum auf die allgemeine Lebenszufriedenheit aus: Die Wohnsituation hat mit nur vier Prozent zu Veränderungen der Lebenszufriedenheit beigetragen. Das Haushaltseinkommen hingegen stellt einen wichtigen Faktor für die allgemeine Lebenszufriedenheit dar: Rund 27 Prozent der gestiegenen Lebenszufriedenheit seit 2011 sind auf eine höhere Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen zurückzuführen. Danach folgt die Zufriedenheit mit der Gesundheit (21 Prozent) und dem Familienleben (rund sieben Prozent). Insgesamt erklären die betrachteten Komponenten etwa 58 Prozent der Veränderungen der Lebenszufriedenheit zwischen dem Jahr 2011 und 2021.
Die Lebenszufriedenheit in Deutschland unterscheidet sich je nachdem, ob die Haushalte zur Miete oder im Eigentum wohnen. Sie ist systematisch höher bei Wohneigentümer*innen, was teilweise an ihren höheren Pro-Kopf-Einkommen im Vergleich zu Miethaushalten liegt. Die Lebenszufriedenheit unterscheidet sich jedoch auch zwischen Wohnungseigentümer*innen und Mieter*innen, die zur selben Einkommensgruppe gehören (Abbildung 1). Besonders groß ist der Unterschied für die unteren Einkommensgruppen.
Darüber hinaus sind Eigentümer*innen nicht nur mit ihrem Leben insgesamt zufriedener, sondern weisen im Vergleich zu Mieter*innen auch eine höhere Zufriedenheit mit ihrer Wohnung auf (Abbildung 2).
Zwar ist die Zufriedenheit mit der Wohnung bei Mieter*innen zwischen 2011 und 2021 angestiegen, während sie bei Eigentümer*innen etwa gleichgeblieben ist, jedoch besteht der Unterschied auch im Jahr 2021 weiter fort. Auch andere wissenschaftliche Studien weisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen Wohneigentum und (Lebens-)Zufriedenheit hin.Peter H. Rossi und Eleanor Weber (1996): The Social Benefits of Homeownership: Empirical Evidence from National Surveys. Housing Policy Debate 7, 1–35; Inder J. Ruprah (2010): Does Owning your Home Make You Happier? Impact Evidence from Latin America. Inter-American Development Bank. Office of Evaluation and Oversight (OVE) Working Paper 210, 409; Timo Zumbro (2014): The Relationship between Homeownership and Life Satisfaction in Germany. Housing Studies 29, 319–338; Daniel J. Herbers und Clara H. Mulder (2017): Housing and Subjective Well-Being of Older Adults in Europe. Journal of Housing and the Built Environment 32, 533–558. Als Gründe werden unter anderem die Wohnqualität, wirtschaftliche Vorteile wie Vermögensaufbau, sozialer Status beziehungsweise Prestige oder das Gefühl größerer Freiheit genannt.
Für die Zufriedenheit mit der Wohnung spielen verschiedene Aspekte eine Rolle, wie die Höhe der Wohnkosten, die Größe der Wohnung, die Ausstattung der Wohnung oder das Wohnumfeld.
Letztmalig wurden die Haushalte im Jahr 2020 im Rahmen des SOEP detailliert zu ihrer Wohnsituation befragt und gebeten, ihre Wohnung in Bezug auf die Wohnkostenbelastung und die Angemessenheit der Wohnungsgröße zu beurteilen.Die Befragung fand hauptsächlich zwischen Februar und April 2020 statt, Ende März 2020 hatten bereits zwei Drittel der Kernhaushalte die Befragung abgeschlossen (Martin Rathje und Axel Glemser (2021): SOEP-Core – 2020: Report of Survey Methodology and Fieldwork. SOEP Survey Papers. Series B. 1050, 31). Es ist anzunehmen, dass die längerfristigen Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie (zum Beispiel verpflichtendes Home Office, reduzierte Freizeitangebote) zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar waren und deswegen das Antwortverhalten kaum beeinflusst haben. Eine Ausnahme bilden Alleinerziehende, die mehrheitlich zwischen Juli und Oktober 2020 befragt wurden. Hier kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Umfrageergebnisse durch die Lebensumstände während der Pandemie beeinflusst wurden. Konkret wurden die Haushalte gebeten, die subjektive Belastung durch Wohnkosten auf einer Skala von 0 (überhaupt kein Problem) bis 10 (hohe finanzielle Belastung) zu bewerten. Dabei handelt es sich um eine subjektive Einschätzung, die von der tatsächlichen Mietbelastung, etwa gemessen durch das Verhältnis zwischen Bruttokaltmiete und Haushaltsnettoeinkommen, abweichen kann.Zur Auswertung der tatsächlichen Mietbelastung vgl. Konstantin A. Kholodilin und Pio Baake (2024): Mietbelastung in Deutschland: In den letzten Jahren nicht gestiegen, aber ungleich verteilt. DIW Wochenbericht Nr. 41, 628–633.
Die folgenden Ergebnisse konzentrieren sich auf Miethaushalte. Um die Situation auf dem Wohnungsmarkt in die Analyse einzubeziehen, wurden Gemeinden dahingehend unterteilt, ob auf ihrem Gebiet eine Mietpreiskontrolle angewandt wird oder nicht (Kasten). Hintergrund ist, dass in Gemeinden, in denen eine Mietpreiskontrolle eingeführt wurde, ein angespannter Wohnungsmarkt herrscht, während dies in Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle seltener der Fall ist.Zu beachten ist, dass die Entscheidung, in einzelnen Gemeinden eine Mietpreiskontrolle einzuführen, auf Landesebene getroffen und durch politische Mehrheitsverhältnisse beeinflusst wird. Auch in Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle kann der Wohnungsmarkt aus ökonomischer Sicht angespannt sein. Laut BauGB gilt der Wohnungsmarkt als angespannt, wenn die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt, die durchschnittliche Mietbelastung der Haushalte den bundesweiten Durchschnitt deutlich übersteigt, die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird, oder geringer Leerstand bei großer Nachfrage besteht (BauGB § 201a). In beiden Gemeindetypen wurde die Belastung durch Wohnkosten im Jahr 2020 eher niedrig bewertet. Auf einer Skala zwischen 0 und 10 lag sie durchschnittlich bei 3,4 (Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle) und 3,6 (Gemeinden mit Mietpreiskontrolle).
In Bezug auf die Raumtypen wird zwischen Gemeinden mit und Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle unterschieden. Für die Unterteilung wurden öffentlich zugängliche Informationen über die Anwendung von Mietpreiskontrollen seit 2013 (Absenkung der Kappungsgrenze, Mietpreisbremse) mit den Gemeindeangaben aus der Haushaltsbefragung verknüpft, um zu bestimmen, ob ein Haushalt in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt wohnt.
Zu beachten ist, dass Mietpreiskontrollen, also eine Absenkung der Kappungsgrenze der gesetzlich möglichen maximalen Mieterhöhung innerhalb von drei Jahren von 20 auf 15 Prozent erst seit 2013 und die Anwendung der Mietpreisbremse erst seit 2015 möglich ist.Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (2015): Die Mietpreisbremse. Fragen und Antworten zu den neuen Regelungen. (online verfügbar). Um einen möglichst langen Zeitraum seit der Wiedervereinigung betrachten zu können, wurden alle Gemeinden, die seit 2013 einer verstärkten Mietpreiskontrolle unterlagen, pauschal (das heißt über den gesamten Zeitraum) der Gruppe der Gemeinden mit Mietpreiskontrolle zugeordnet und alle Gemeinden, in denen seit 2013 keine verstärkte Mietpreiskontrolle angewandt wurde, den Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle zugeordnet. Dies hat den Vorteil, dass auch Zeiträume vor 2013 betrachtet werden können und sich Dynamiken in Gemeinden, die aus heutiger Sicht als Gegenden mit angespanntem Wohnungsmarkt gelten, besser nachvollziehen lassen.
Einschränkend ist zu erwähnen, dass die Entscheidung, bestimmte Gemeinden als Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt auszuweisen, auf Landesebene getroffen wird und nicht zuletzt von den dortigen politischen Mehrheitsverhältnissen beeinflusst wird.
Untere Einkommensschichten sehen sich durch die Wohnkosten zwar am stärksten belastet, mit Höchstwerten von 5,6 (Paare mit Kindern) und 5,1 (Alleinerziehende), aber auch hier wird die Belastung eher als durchschnittlich wahrgenommen (Abbildung 3).
In Bezug auf die Zufriedenheit mit der Wohnungsgröße gab im Jahr 2020 jeder vierte Haushalt in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt an, seine Wohnung sei zu klein, während es in Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle nur 16 Prozent waren. Besonders betroffen von beengten Wohnverhältnissen sind Paare mit Kindern und Alleinerziehende (Abbildung 4). In Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt beurteilt fast die Hälfte aller Familien, die über ein geringes Einkommen verfügen, ihre Wohnung als zu klein. Bei kinderlosen Paaren und Einpersonenhaushalten, die über ein ähnliches Einkommen verfügen, ist dies nur bei etwa einem Viertel der Fall. Selbst in der zweithöchsten Einkommensschicht empfindet noch mehr als jede dritte Familie ihre Wohnung als zu klein.
In den Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle lässt sich ebenfalls ein Unterschied zwischen Familien und kinderlosen Haushalten beobachten. Insgesamt werden die Wohnverhältnisse positiver beurteilt, aber auch dort empfindet rund ein Drittel der Familien aus den unteren und der mittleren Einkommensschicht ihre Wohnverhältnisse als zu beengt.
Eine große Wohnung wird deutlich seltener als Problem gesehen und die Reihenfolge dreht sich um: Haushalte in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt beurteilen ihre Wohnung seltener als zu groß (zehn Prozent) als Haushalte in Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle (14 Prozent).Vgl. Aubele et al. (2023), a. a. O., 50. Es sind vor allem Gutverdienende und Einpersonenhaushalte, die ihre Wohnung als zu groß empfinden. Offen bleibt, warum insbesondere erstere ihre Wohnsituation nicht entsprechend anpassen. Mögliche Gründe könnten ein Mangel an verfügbarem Wohnraum, erheblich höhere Mietkosten nach einem Umzug oder der Wunsch sein, das vertraute Wohnumfeld nicht zu verlassen.
In der öffentlichen Debatte wird oft betont, dass ein angespannter Wohnungsmarkt insbesondere für Haushalte problematisch sei, die auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind.Berliner Mieterverein (2022): Wohnmarktreport 2022 von BerlinHyp und CBRE. Mieterverein warnt vor unzumutbaren Wohnkostensteigerungen. Pressemitteilung Nr. 20/22 (online verfügbar). Häufig sei kaum freier Wohnraum verfügbar und die Preise für Neuvermietungen lägen deutlich über den Bestandsmieten. Es wird argumentiert, dass sich die Wohnsituation vieler Mieter*innen durch einen Umzug verschlechtern könnte – sei es in Bezug auf die Wohnungsgröße, die Mietkosten, die Ausstattung oder das Wohnumfeld.
Um diese Aspekte näher zu untersuchen, können ebenfalls die Umfragedaten aus dem Sozio-oekonomischen Panel herangezogen werden. Hierfür wurden innerhalb des SOEP alle Haushalte befragt, die seit der letzten Befragungswelle (in der Regel ein Jahr) umgezogen sind.
Im Jahr 2020 berichtete jeder zweite Haushalt in Gemeinden mit Mietpreiskontrolle und etwa 40 Prozent der Haushalte in Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle, dass die Wohnkostenbelastung nach dem Umzug gestiegen sei (Abbildung 5).Die subjektive Mietkostenbelastung bezieht sich auf die Gesamtkosten und nicht auf die Kosten pro Quadratmeter. Die Kosten könnten also auch gestiegen sein, weil die Haushalte bei unverändertem Quadratmeterpreis in eine größere Wohnung umgezogen sind. Der Anteil der Haushalte, für den die Wohnkosten nach einem Umzug gestiegen ist, hat in den 1990er Jahren zunächst abgenommen und steigt seit den Jahren 2010/2011 insbesondere in den Gemeinden mit Mietpreiskontrolle. Dies deckt sich mit anderen Befunden aus der wissenschaftlichen Literatur zu Wohnungsmarktzyklen, wonach sich die Wohnsituation in den 1990er Jahren entspannt hat und seit den Jahren 2010/2011 vor allem in den Großstädten zuspitzt, was sich in steigenden Preisen und zunehmend knappem Wohnraum äußert.Konstantin A. Kholodilin und Claus Michelsen (2020): Wohnungsmarkt in Deutschland: Trotz Krise steigende Immobilienpreise, Gefahr einer flächendeckenden Preisblase aber gering. DIW Wochenbericht Nr. 37, 642–652 (online verfügbar); Kholodilin und Baake (2024), a. a. O. Im Gegenzug berichtete etwa ein Viertel der Haushalte im Jahr 2020, dass die Mietkostenbelastung nach dem Umzug gesunken sei.Aubele et al. (2023), a. a. O.
Im Jahr 2020 ist die Wohnkostenbelastung nach einem Umzug am stärksten bei Paaren mit Kindern gestiegen (Abbildung 6). Dies ist jedoch auch die Bevölkerungsgruppe, die am seltensten berichtet, dass sich die Größe ihrer Wohnung nach einem Umzug verschlechtert hat (Abbildung 7). Überraschenderweise ist vor allem die Wohnkostenbelastung Alleinerziehender gesunken (nicht dargestellt), was zum Teil auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass sie in kleinere Wohnungen umgezogen sind.
Etwa 60 Prozent der Haushalte sind im Jahr 2020 in eine größere Wohnung umgezogen. Hier zeigen sich kaum Unterschiede zwischen den Gemeindetypen. Nur etwa ein Viertel der Haushalte gab im Jahr 2020 an, sich in Bezug auf die Größe ihrer Wohnung nach dem Umzug verschlechtert zu haben.Vgl. Aubele et al. (2023), a. a. O., 55.
Unterscheidet man die Haushalte wieder nach Typen, zeigt sich, dass es vor allem Einpersonenhaushalte und Alleinerziehende waren, die im Jahr 2020 Abstriche bei der Wohnungsgröße hinnehmen mussten (Abbildung 7), während sich Paare mit Kindern bezüglich der Wohnungsgröße häufig verbessern konnten.
Je niedriger das Einkommen, desto häufiger gaben Haushalte an, dass sich die Wohnungsgröße nach dem Umzug verschlechtert habe (nicht dargestellt). Während in der niedrigsten Einkommensgruppe 35 Prozent der Haushalte im Jahr 2020 in eine kleinere Wohnung umgezogen sind, waren es in der höchsten Einkommensgruppe nur 16 Prozent.Vgl. Aubele et al. (2023), a. a. O., 139.
Weitere Auswertungen zeigen, dass sich die Haushalte nach dem Umzug selten in Bezug auf die Ausstattung der Wohnung oder die Wohngegend verschlechtert haben, jedoch Haushalte in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt häufiger über eine höhere Umweltbelastung am neuen Wohnort klagen (zum Beispiel durch eine vielbefahrene Straße).Vgl. Aubele et al. (2023), a. a. O., 59ff. Dies betrifft vor allem Geringverdienende.
Grundsätzlich scheint die Mehrheit der Mieter*innen mit der aktuellen Wohnsituation zufrieden zu sein. Die Wohnkostenbelastung wird eher als durchschnittlich wahrgenommen und die Mehrheit ist mit der Größe ihrer Wohnung zufrieden. Unterschiede ergeben sich jedoch, wenn man nach Haushaltstypen, Einkommen und der Situation auf dem Wohnungsmarkt differenziert. So empfand im Jahr 2020 fast die Hälfte aller Familien mit Kindern aus den unteren Einkommensschichten ihre Wohnung als zu klein. Darüber hinaus klagen Haushalte in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt eher über beengte Wohnverhältnisse als Haushalte in Gemeinden ohne Mietpreiskontrolle. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie in den Jahren 2020/2021 und den damit verbunden Einschränkungen in der Freizeitgestaltung stellten beengte Wohnverhältnisse insbesondere für Familien eine Herausforderung dar. Nach einem Umzug gelang es der Mehrheit der Haushalte, sich in Bezug auf die Wohnungsgröße zu verbessern, darunter insbesondere Paare mit Kindern. Einpersonenhaushalte und Alleinerziehende hingegen sind überproportional häufig in kleinere Wohnungen umgezogen. Am negativsten wurden Veränderungen in der Wohnkostenbelastung bewertet. Jeder zweite Haushalt in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt berichtet, dass die Wohnkostenbelastung nach dem Umzug gestiegen sei, wobei die Schere zwischen Gemeinden mit und ohne Mietpreiskontrolle seit den 2000er Jahren auseinandergeht.
Insgesamt stellt sich das Bild vom Wohnungsmarkt in der Breite zunächst weniger dramatisch dar, als es in den Medien und der Öffentlichkeit vom Wohnungsmarkt gezeichnet wird. Die Tatsache, dass beengte Wohnverhältnisse aus Sicht der Haushalte eher ein Problem darstellen als die aktuelle Wohnkostenbelastung, kann jedoch auch ein Hinweis auf ein knappes Angebot verfügbaren Wohnraums sein und eine Auseinanderentwicklung von Bestands- und Neumieten. Unter Umständen nehmen insbesondere Familien mit Kindern davon Abstand, ihre Wohnverhältnisse ihren Bedürfnissen anzupassen, da eine größere Wohnung nicht verfügbar oder für sie nicht erschwinglich ist. So geben die Daten keinen Aufschluss darüber, wie viele Leute überhaupt erfolgreich darin sind, eine neue Wohnung zu finden, und umziehen. In die Auswertung flossen nur jene Umzüge ein, die tatsächlich stattgefunden haben, das heißt, es wurden nur Haushalte berücksichtigt, die bei der Wohnungssuche erfolgreich waren und ein Angebot erhalten haben, das aus ihrer Sicht die Aufgabe der alten Wohnung rechtfertigt. Hierdurch ergibt sich eine methodische Verzerrung (selection bias), die nur mit weiterführenden statistischen Methoden behoben werden kann.
Eine größere Verfügbarkeit an bezahlbarem Wohnraum würde es den Haushalten erleichtern, ihre Wohnverhältnisse ihren Lebensumständen anzupassen, und könnte die Zufriedenheit mit der Wohnsituation erhöhen. Hierfür sind insbesondere in Gemeinden mit angespannten Wohnungsmärkten stärkere Bemühungen bei der Schaffung neuen Wohnraums notwendig und eine stärkere Fokussierung auf jene demografischen Gruppen, die den größten Bedarf haben: Familien und Alleinerziehende. Eine Maßnahme, um Haushalte aus den unteren Einkommensschichten zu unterstützen, wäre die Förderung von Neubau im niedrigen und mittleren Preissegment.
Themen: Wohlbefinden, Märkte, Immobilien und Wohnen, Familie
JEL-Classification: R21;R31;I31
Keywords: Housing markets, well-being, life satisfaction, rents
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-41-3