10. Februar 2025 – Union, FDP und AfD versprechen umfangreiche Steuerentlastungen, die das Staatsdefizit um bis zu vier Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hochtreiben und vor allem Besser- und Hochverdienende entlasten. SPD und Grüne wollen Steuerentlastungen auf die unteren und mittleren Einkommen konzentrieren und die Steuern bei Hochverdienenden und Vermögenden erhöhen. Wachstumseffekte reduzieren die Mindereinnahmen nur zum geringeren Teil. Daher sollten Steuerentlastungen vor allem auf Erwerbseinkommen und Unternehmen konzentriert werden. Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen sollten nicht tabu sein, aber nicht übertrieben werden. Der steuerpolitische Elefant im Raum ist die Mehrwertsteuer.
Die Steuerpolitik spielt eine prominente Rolle im Bundestagswahlkampf. Seit den umfassenderen Reformen der 1990er und 2000er Jahre ist beim Steuersystem nur wenig verändert worden. Beklagt werden allenthalben die hohen Belastungen der Arbeitseinkommen durch Einkommensteuer und Sozialbeiträge. Hier ist Deutschland nach Belgien Vize-Weltmeister laut Fallstudien der OECD für durchschnittliche Arbeitnehmer-Haushalte.OECD (2024): Taxing Wages 2024 (online verfügbar). Die Sozialbeiträge steigen derzeit bei Krankheit und Pflege, in den kommenden Jahren werden die Rentenbeträge kräftig steigen. Auch die Unternehmensteuersätze sind inzwischen wieder recht hoch im internationalen Steuersenkungswettbewerb. Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuerbelastungen liegen dagegen im unteren Mittelfeld in Europa. Und bei Vermögenseinkommen und Vermögen gilt Deutschland als Niedrigsteuerland. Hier bieten sich Potenziale für Veränderungen in den Strukturen der Steuerlastverteilung. Für größere Steuerentlastungen gibt es nur wenig Spielraum angesichts der großen finanzpolitischen Herausforderungen – selbst wenn die Schuldenbremse künftig für Investitionen oder Verteidigung gelockert wird.
Diese Studie gibt einen Überblick zu den Aufkommens- und Verteilungswirkungen der steuerpolitischen Vorschläge, die die Parteien für die nächste Legislaturperiode machen.Vgl. Wahlprogramm von CDU/CSU: Politikwechsel für Deutschland (online verfügbar); Das Wahlprogramm der Freien Demokraten zur Bundestagswahl 2025: Alles lässt sich ändern (online verfügbar); Programm der Alternative für Deutschland: Zeit für Deutschland (online verfügbar); Regierungsprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2025: Mehr für Dich. Besser für Deutschland (online verfügbar); Regierungsprogramm der Grünen für die Bundestagswahl: Zusammen wachsen (online verfügbar). Die Wirkungen werden für das Jahr 2025 geschätzt und sind kompatibel mit der letzten Steuerschätzung und den makroökonomischen Prognosen für 2025 (Tabelle).Details zu den Reformszenarien stehen online zur Verfügung unter www.diw.de/steuern2025.xlsx. Andere Wirtschaftsforschungsinstitute haben ähnliche Analysen vorgelegt, vgl. Tobias Hentze und Martin Beznoska (2024): Wahlprogramme: Was die Entlastungen der Parteien bedeuten. IW-Nachricht vom 17. Dezember 2024 (online verfügbar); sowie Holger Stichnoth und Michael Hebsaker (2025): Reformvorschläge der Parteien zur Bundestagswahl 2025: Finanzielle Auswirkungen (online verfügbar). Vgl. auch Alexander Hagelüken und Claus Hulverscheidt (2025): Was die Wahlversprechen der Parteien jedem Bürger finanziell bringen. Süddeutsche Zeitung vom 18./19. Januar, 21. Zu möglichen Wachstumseffekten der Einkommensteuerreformen vgl. Leonard Mühlenweg und Florian Schuster-Johnson (2025): Reform der Einkommensteuer. Vorschläge aus den Wahlprogrammen, ihre Kosten und Wachstumseffekte. Dezernat Zukunft 21.01.2025 (online verfügbar).
Die Aufkommens- und Verteilungswirkungen wurden mit diversen (Mikro-)Simulationsmodellen oder auf Grundlage der Literatur berechnet.Zu konzeptionellen und empirischen Grundlagen der Steuerlast- und Einkommensverteilung in Deutschland vgl. Stefan Bach, Martin Beznoska und Viktor Steiner (2016): Wer trägt die Steuerlast in Deutschland? Steuerbelastung nur schwach progressiv. DIW Wochenbericht 51-52 (online verfügbar), Stefan Bach, Charlotte Bartels und Theresa Neef (2024): The Distribution of National Income in Germany, 1992-2019. DIW Berlin Discussion Papers 2102 (online verfügbar). Dabei werden auch Zweitrundeneffekte der Steuerreformen geschätzt – also Wirkungen von Anpassungsreaktionen bei Arbeitszeit, Konsum, Ersparnissen, Investitionen oder Steuergestaltungen. Diese sind allerdings recht unsicher und sollen nur eine grobe Orientierung bieten.
Tabelle
Steuerreformvorschläge in den Wahlprogrammen der Parteien zur Bundestagswahl 2025
Langfristige Aufkommens- und Verteilungswirkungen, geschätzt für 2025
Parteien |
Erstrunden-Effekte1) |
Potenzielle Zweitrundeneffekte2) |
|
|||||
Insgesamt |
nach Perzentilen Bruttoeinkommen3) |
|
||||||
untere 50 Prozent |
50–90 Prozent |
90–99 Prozent |
Top-1-Prozent |
|
||||
|
||||||||
Veränderung Steuereinnahmen in Milliarden Euro im Jahr |
||||||||
CDU/CSU |
- 110,6 |
- 12,7 |
- 41,0 |
- 28,0 |
- 28,8 |
31,3 |
||
FDP |
- 188,3 |
- 21,4 |
- 77,2 |
- 48,4 |
- 41,3 |
49,0 |
||
AfD |
- 181,2 |
- 44,7 |
- 68,8 |
- 33,7 |
- 34,0 |
32,1 |
||
SPD |
- 11,4 |
- 11,5 |
- 17,8 |
- 0,9 |
18,7 |
3,1 |
||
Bündnis 90/Die Grünen |
- 39,4 |
- 21,4 |
- 16,0 |
1,2 |
- 3,3 |
20,4 |
||
Veränderung Steuereinnahmen in Prozent insgesamt |
||||||||
CDU/CSU |
100,0 |
11,5 |
37,1 |
25,3 |
26,1 |
- 28,3 |
||
FDP |
100,0 |
11,4 |
41,0 |
25,7 |
22,0 |
- 26,0 |
||
AfD |
100,0 |
24,7 |
38,0 |
18,6 |
18,7 |
- 17,7 |
||
SPD |
100,0 |
100,8 |
155,8 |
7,7 |
- 164,3 |
- 27,1 |
||
Bündnis 90/Die Grünen |
100,0 |
54,1 |
40,6 |
- 3,0 |
8,3 |
- 51,7 |
||
Veränderung Steuereinnahmen in Prozent Bruttoinlandsprodukt (BIP) |
||||||||
CDU/CSU |
- 2,5 |
- 0,3 |
- 0,9 |
- 0,6 |
- 0,7 |
0,7 |
||
FDP |
- 4,3 |
- 0,5 |
- 1,8 |
- 1,1 |
- 0,9 |
1,1 |
||
AfD |
- 4,1 |
- 1,0 |
- 1,6 |
- 0,8 |
- 0,8 |
0,7 |
||
SPD |
- 0,3 |
- 0,3 |
- 0,4 |
- 0,0 |
0,4 |
0,1 |
||
Bündnis 90/Die Grünen |
- 0,9 |
- 0,5 |
- 0,4 |
0,0 |
- 0,1 |
0,5 |
||
Veränderung Steuereinnahmen in Euro je Einwohner |
||||||||
CDU/CSU |
- 1 321 |
- 305 |
- 1 225 |
- 3 713 |
- 34 456 |
374 |
||
FDP |
- 2 250 |
- 512 |
- 2 305 |
- 6 424 |
- 49 395 |
585 |
||
AfD |
- 2 165 |
- 1 069 |
- 2 054 |
- 4 476 |
- 40 572 |
383 |
||
SPD |
- 136 |
- 274 |
- 531 |
- 117 |
22 381 |
37 |
||
Bündnis 90/Die Grünen |
- 471 |
- 510 |
- 478 |
160 |
- 3 915 |
244 |
||
Veränderung Steuereinnahmen in Prozent Bruttoeinkommen3) |
||||||||
CDU/CSU |
- 2,9 |
- 1,5 |
- 2,5 |
- 3,3 |
- 6,9 |
0,8 |
||
FDP |
- 4,9 |
- 2,5 |
- 4,6 |
- 5,7 |
- 9,8 |
1,3 |
||
AfD |
- 4,8 |
- 5,1 |
- 4,1 |
- 4,0 |
- 8,1 |
0,8 |
||
SPD |
- 0,3 |
- 1,3 |
- 1,1 |
- 0,1 |
4,5 |
0,1 |
||
Bündnis 90/Die Grünen |
- 1,0 |
- 2,5 |
- 1,0 |
0,1 |
- 0,8 |
0,5 |
1) Ohne Anpassungsreaktionen der Steuerpflichtigen. 2) Nach Anpassungsreaktionen bei Arbeitszeit, Konsum, Ersparnissen, Investitionen, Steuergestaltungen. 3) Primäreinkommen (Arbeits-, Unternehmen- und Vermögenseinkommen) und Transfereinkommen (monetäre Sozialleistungen wie Renten, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Grundsicherung, Wohngeld) der privaten Haushalte.
Quelle: Simulationsanalysen des DIW Berlin auf Basis der Wahlprogramme der jeweiligen Parteien.
Union, FDP und AfD versprechen umfangreiche Steuerentlastungen (Abbildung 1). Diese reichen von 111 Milliarden Euro im Jahr bei der Union bis 188 Milliarden Euro bei der FDP – das sind 2,5 bis 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Entsprechend steigt das Finanzierungsdefizit des Staatshaushalts – das derzeit für 2025 und 2026 auf etwa zwei Prozent des BIP geschätzt wird.Geraldine Dany-Knedlik et al. (2024): DIW-Konjunkturprognose: Deutsche Wirtschaft dümpelt vor sich hin – Handelskonflikte bedrohen Weltwirtschaft. DIW Wochenbericht Nr. 50 (online verfügbar). Die Entlastungen entstehen durch Senkungen des Einkommensteuertarifs, Abschaffung des Solidaritätszuschlags, Senkungen des Unternehmensteuersatzes um mindestens fünf Prozentpunkte sowie Erleichterungen bei Abschreibungsbedingungen und Verlustverrechnung. Hinzu kommen Entlastungen bei Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer, die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Gastronomiedienstleistungen sowie Entlastungen bei der Stromsteuer und bei den Stromnetzentgelten.
Die AfD will die Energiesteuern auf die europäischen Mindeststeuersätze senken sowie CO2-Bepreisung, Rundfunkbeitrag, Grunderwerbsteuer auf Wohneigentum und die Erbschaftsteuer abschaffen. Die Grundsteuer soll durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer ersetzt werden.
© DIW Berlin
Durch die Entlastungen bei der Einkommensteuer, den vermögensbezogenen Steuern und vor allem den Unternehmensteuern kommen die Entlastungen vor allem bei den Besser- und Hochverdienenden an. So gehen bei der Union gut die Hälfte und bei der FDP knapp die Hälfte der Steuerentlastungen an die einkommensreichsten zehn Prozent der Bevölkerung, etwa ein Viertel an das reichste Prozent (Tabelle).Das mittlere Bruttoeinkommen dürfte 2025 bei 41.000 Euro im Jahr liegen. Zu den einkommensreichsten zehn Prozent gehört 2025, wer als Single mehr als 85.000 Euro brutto verdient, zum reichsten Prozent, wer ein Bruttoeinkommen von 182.000 Euro hat.
Bei der AfD ist der Anteil bei den Hochverdienenden etwas niedriger, durch die Entlastungen bei der Energie- und der Grundsteuer kommt mehr in der Mitte und unten an. Bei der FDP wird das reichste Prozent um durchschnittlich fast 50 000 Euro je Einwohner im Jahr entlastet, bei der AfD um 41 000 Euro und bei der Union um 34 000 Euro (Tabelle). Von den Entlastungen der AfD bei Energiesteuern, CO2-Bepreisung und Rundfunkbeitrag profitieren die geringen und mittleren Einkommen stärker. Das gilt auch für die Umlage der Grundsteuer auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die von unten nach oben verteilt. Insgesamt kommt bei der unteren Hälfte der Bevölkerung nur ein kleiner Teil der Entlastungen an – bei Union und FDP nur gut elf Prozent, bei der AfD ein Viertel.
Auch bei den relativen Entlastungen kommen die Besser- und Hochverdienenden im obersten Einkommensdezil und im obersten Prozent der Einkommensverteilung am besten weg (Abbildung 2). Das einkommensreichste Prozent wird bei der FDP um knapp zehn Prozent des Bruttoeinkommens entlastet, bei der AfD um acht Prozent und bei der Union um sieben Prozent. Die Einkommensverteilung nach Steuern wird also ungleicher, vor allem bei der FDP. Bei der AfD wird auch die untere Hälfte der Bevölkerung relativ stark entlastet, die Besserverdienenden profitieren weniger, dafür aber die Top-1-Prozent stärker.
Zu berücksichtigen sind die Zweitrundeneffekte, die vor allem bei den Unternehmensteuer-Entlastungen recht hoch sein dürften (Tabelle). Das gilt auch bei den Einkommensteuer-Senkungen im oberen Einkommensbereich, die vor allem Unternehmens- und Vermögenseinkommen betreffen. Allerdings können die damit verbundenen Wachstumseffekte nur schätzungsweise gut ein Viertel der Steuermindereinnahmen bei Union und FDP refinanzieren, bei der AfD sind es 18 Prozent.Ferdinand Fichtner, Simon Junker und Claus Michelsen (2025): Vorschläge zur Bundestagswahl: Wie die Parteien die Investitionstätigkeit ankurbeln wollen und welche Wirkungen damit erzielt werden können. Wirtschaftsdienst 2/2025 (im Erscheinen)Ferdinand Fichtner, Simon Junker und Claus Michelsen (2025): Vorschläge zur Bundestagswahl: Wie die Parteien die Investitionstätigkeit ankurbeln wollen und welche Wirkungen damit erzielt werden können. Wirtschaftsdienst 2/2025 (im Erscheinen).
© DIW Berlin
SPD und Grüne sind deutlich zurückhaltender bei den steuerlichen Entlastungen mit elf und 39 Milliarden Euro im Jahr (Abbildung 1), das entspricht 0,3 und 0,9 Prozent des BIP. Entlastungen für untere und mittlere Einkommen bei der Einkommensteuer, der Stromsteuer, Stromnetzentgelten oder der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel (SPD) und ein Klimageld (Grüne) sollen finanziert werden durch höhere Einkommensteuerbelastungen für Hochverdienende (SPD), die Abschaffung der Abgeltungsteuer, eine Superreichen-Vermögensteuer und den Abbau von Vergünstigungen bei Immobilienbesteuerung und der Erbschaftsteuer. Das Elterngeld soll verlängert werden. Die Grünen wollen das Ehegattensplitting für neue Ehen einschränken und die SPD eine Finanztransaktionsteuer einführen. Ferner wollen die Grünen die Minijobs abschaffen und das Dienstwagenprivileg einschränken. Bereits kontrovers diskutiert wurden die Pläne zur Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung, bei der die gesamte Bevölkerung in eine Bürgerversicherung einbezogen, die Beitragsbemessungsgrenze angehoben und die Vermögenseinkommen beitragspflichtig werden sollen. Die Unternehmen sollen nicht durch eine Steuersenkung entlastet werden, sondern durch eine allgemeine Investitionsprämie von zehn Prozent auf Ausrüstungsinvestitionen, die bei der SPD nicht für Fahrzeuge gelten soll.
In der Verteilung ergeben sich in der unteren Einkommenshälfte ähnliche Entlastungen wie bei Union und FDP. Die Besserverdienenden in den oberen Einkommensdezilen werden weniger entlastet und die Hochverdienenden im obersten Prozent der Einkommensverteilung vor allem bei der SPD deutlich belastet (Abbildung 2). Bei der SPD schlagen hier vor allem die Einkommensteuer-Erhöhungen und die Superreichen-Vermögensteuer zu Buche, so dass das einkommensreichste Prozent der Bevölkerung per Saldo mit 19 Milliarden Euro belastet wird, das sind durchschnittlich 22 000 Euro je Person oder knapp fünf Prozent des Einkommens. Bei den Grünen wirkt sich dagegen die höhere Investitionsprämie einschließlich Fahrzeuge aus, ferner werden die Einkommensteuer-Spitzensätze nicht angehoben und die Superreichen-Vermögensteuer soll auf Milliardär*innen beschränkt werden. Zugleich werden bei der Bürgerversicherung vor allem Besserverdienende belastet, während die Hochverdienenden nur relativ wenig davon betroffen sind. Dies führt dazu, dass die „armen Reichen“ (90 bis 99 Prozent der Einkommensverteilung) geringfügig belastet werden, während die Top-1-Prozent vor allem durch die Investitionsprämie entlastet werden, per Saldo um knapp ein Prozent des Bruttoeinkommens (Abbildung 2). Insgesamt wird vor allem bei der SPD die Einkommensverteilung gleicher, die explizit die unteren 95 Prozent der Einkommensverteilung zu Lasten der Hochverdienenden entlasten will. Das gilt auch für die Grünen, vorbehaltlich des obersten Perzentils.
Die Zweitrundeneffekte fallen bei den Grünen mit gut 50 Prozent recht günstig aus, während sie bei der SPD nur gut ein Viertel ausmachen. Dies liegt daran, dass die größeren Entlastungen bei der Investitionsprämie oder der Einkommensteuer relativ hohe wirtschaftliche Effekte haben, während die Belastungen zumindest bei der Immobilienbesteuerung keine großen wirtschaftlichen Nachteile auslösen. Das gilt tendenziell auch für den Abbau von Steuervergünstigungen bei der Erbschaftsteuer oder sogar für Superreichen-Vermögensteuern, soweit man dabei auf die Liquiditäts- und Finanzierungsbedingungen der Unternehmen Rücksicht nimmt. Allerdings gibt es hierbei größere Risiken mit Blick auf die aktuellen konjunkturellen und strukturellen Probleme in vielen Branchen. Superreichensteuern oder auch Erbschaftsteuern auf große Vermögen sollten möglichst auch international koordiniert werden, um Standortverlagerungen und internationale Gestaltungen zu vermeiden.
Steuerentlastungen in Größenordnungen von mehr als vier Prozent des BIP, wie sie FDP oder AfD versprechen, sind utopisch angesichts der finanzpolitischen Herausforderungen, vor denen Deutschland in den nächsten Jahren steht. Infrastruktur, Bildung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel, Migration, Energiewende, Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und Verteidigung – all das sind Probleme, für die in den kommenden Jahren mehr Geld ausgegeben werden muss. Schon weniger Steuereinnahmen von mehr als zwei Prozent des BIP wie bei der Union erscheinen überambitioniert. Mit Entlastungen von bis zu einem Prozent des BIP wie bei SPD und Grünen dürfte das Ende der Fahnenstange erreicht sein.
Dass die Schuldenbremse in der nächsten Legislatur für öffentliche Investitionen oder Verteidigung gelockert wird, ist ziemlich sicher. Aber selbst dann summieren sich die verbleibenden Ausgabenbedarfe auf mehrere Prozentpunkte des BIP. Zusätzliche Entlastungen bei Steuern und Abgaben erfordern umfassende Einsparungen in den öffentlichen Haushalten. Tatsächlich sollten die bestehenden Ausgabenprogramme nicht tabu sein, etwa Subventionen, aber auch Sozialleistungen. Wünschenswert wären hierzu umfassende Evaluationen und Effizienzverbesserungen in der öffentlichen Verwaltung. Aber jenseits von Einsparungen in Größenordnungen von 50 Milliarden Euro im Jahr lässt sich das nur langfristig erreichen. Um die öffentliche Verwaltung effizienter zu machen, muss man in Strukturreformen investieren. Das kostet erst einmal Geld, um dann langfristig zu sparen. Darüber liest man wenig in den Wahlprogrammen der Parteien oder wenn, dann nur Allgemeinplätze.
Den Haushaltstitel „Öffentliche Verschwendung“, aus dem man für Steuererleichterungen oder Budgetsanierung höhere zweistellige Milliardenbeträge mobilisieren könnte, findet man nicht in den Haushaltsplänen. Wenn nicht bei Kommunen und Investitionen gespart werden soll, wie häufig in der Vergangenheit geschehen, lassen sich solche Größenordnungen nur durch pauschale Kürzungen bei Sozialleistungen und Subventionen erreichen. Dies belastet vor allem die ärmere Bevölkerung und die arbeitende Mitte, aber auch Besserverdienende.
Höhere Wachstumseffekte über die hier geschätzten „Selbstfinanzierungseffekte“ hinaus sind unwahrscheinlich.Vgl. auch Fichtner, Junker und Michelsen (2025), a.a.O. Daher werden auch schrittweise Entlastungen die Defizite treiben. Aus diesem Grund sollte man Steuerentlastungen vor allem auf sensitive Bereiche konzentrieren, bei denen das Wachstum gestärkt oder die Steuergerechtigkeit verbessert wird – etwa die hohen Belastungen der Erwerbseinkommen durch Sozialbeiträge, Einkommensteuer und den Abbau von Sozialleistungen bei steigendem Verdienst. Ferner geht es um Entlastungen der Unternehmen, zu denen weitgehender Konsens besteht. Die Frage dabei ist allenfalls, ob das durch allgemeine Steuersenkungen oder breite Investitionssenkungen erreicht werden soll. Hierzu sollten sich Kompromisse finden lassen.
Zur Finanzierung der Entlastungen kommt man an Steuererhöhungen nicht vorbei. Diese sollten möglichst auf „leistungslose“ Einkommen, Vermögen oder Vermögensübertragungen konzentriert werden. Dies betrifft die Vorschläge zum Abbau von Steuervergünstigungen bei der Immobilienbesteuerung, wie sie die SPD und Grüne machen.Stefan Bach und Sebastian Eichfelder (2021): Reform der Immobilienbesteuerung: Bodenwerte belasten und Privilegien streichen. DIW Wochenbericht Nr. 27 (online verfügbar). Auch die Grundsteuer könnte gestärkt werden, die in Deutschland ein relativ geringes Gewicht im internationalen Vergleich hat. Der Abbau von Erbschaftsteuerprivilegien oder Superreichen-Vermögensteuern können dazu beitragen, die Steuergerechtigkeit zu stärken und die beträchtliche Top-Vermögenskumulation zu begrenzen. Je nach Design müssen sie keine großen Effizienz- und Wachstumsnachteile haben. Angesichts der aktuellen Standortprobleme sollte man dabei aber vorsichtig sein und nur schrittweise vorgehen, möglichst auch international koordiniert.
Der steuerpolitische Elefant im Raum ist die Mehrwertsteuer. Dazu bekennt sich derzeit keine Partei. Wie die guten Erfahrungen mit der „Merkelsteuer“ 2007 zeigen, kann eine Mehrwertsteuererhöhung mit breit verteilten moderaten Belastungen ein hohes Aufkommen erzielen. Eine Erhöhung des Regelsatzes um einen Prozentpunkt dürfte derzeit ein Aufkommen von 16 Milliarden Euro im Jahr erzielen. Eine Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes außer für Lebensmittel würde weitere 13 Milliarden Euro im Jahr mobilisieren. Die Schattenseite sind ungünstige Verteilungswirkungen, da untere und mittlere Einkommen davon relativ stark getroffen werden.Stefan Bach und Niklas Issak (2017): Senkung der Mehrwertsteuer entlastet untere und mittlere Einkommen am stärksten. DIW Wochenbericht Nr. 31 (online verfügbar). Entlastungen bei den Sozialbeiträgen würden kleine und mittlere Erwerbseinkommen per Saldo entlasten. Sozialleistungen wie das Bürgergeld oder das Wohngeld könnte man aufstocken. Dann würden vor allem besserversorgte Ruheständler belastet – eine Rentenkürzung durch die Hintertür, die sich die Parteien bei den dringlichen Rentenreformen nicht trauen.
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