Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt: Ein gesamtgesellschaftliches Problem

DIW aktuell ; 110 : Sonderausgaben zur Bundestagswahl 2025, 6 S.

Anna Bindler

2025

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5. März 2025 – Weltweit stirbt laut offiziellen Statistiken alle zehn Minuten eine Frau oder ein Mädchen aufgrund von Gewalt innerhalb der eigenen Familie. In Deutschland erfährt laut den vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) veröffentlichten Zahlen ungefähr jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Die individuellen und gesellschaftlichen Kosten dieser Gewalttaten sind hoch und sollten von Politik und Gesellschaft ernst genommen werden. Dabei müssen – auch aus ökonomischer Sicht – neben der Strafverfolgung insbesondere Prävention und Opferschutz eine größere Rolle spielen.

Vor gut sieben Jahren, am 1. Februar 2018, trat in Deutschland die sogenannte Istanbul-Konvention in Kraft. Sie ist ein Übereinkommen des Europarats zur „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Die Istanbul-Konvention verpflichtet die beteiligten Staaten zu umfassenden Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen gegen Gewalt und schließt neben Strafverfolgung insbesondere Opferschutz und Prävention von Gewalt ein. Seit dem 1. Februar 2023 gilt die Istanbul-Konvention in Deutschland ohne Vorbehalte, sie ist völkerrechtlich bindend.infoSiehe zum Beispiel UN Women Deutschland, Die Istanbul-Konvention (online verfügbar, abgerufen am 3. März 2025. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders vermerkt). Demnach ist Deutschland verpflichtet, Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen, insbesondere häuslicher Gewalt, konsequent umzusetzen.

Gewalt gegen Frauen steigt

Neben den internationalen Zahlen zur Gewalt an Frauen und MädcheninfoStatistisches Bundesamt (2024): Tödliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen (online verfügbar). gibt es nun auch Daten spezifisch für Deutschland.infoBundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (2024): Formen der Gewalt erkennen, Hintergrundinformation vom 19. November 2024 (online verfügbar). Das Bundeslagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023“, welches das Bundeskriminalamt im November 2024 erstmals veröffentlicht hat, liefert aktuelle Zahlen.infoBundeskriminalamt (2024): Bundeslagebilder - Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023, vom 19. November 2024 (online verfügbar). 2023 wurden in Deutschland pro Tag fast 500 Frauen sowie circa 200 Männer (vor allem Jungen) Opfer häuslicher Gewalt. Dabei ist der Trend steigend: Im Vergleich zu 2019 ist die Zahl der polizeilich registrierten Fälle häuslicher Gewalt bei weiblichen Opfern bis 2023 um 17 Prozent gestiegen (Abbildung). Der größte Anteil lag 2023 dabei mit 74 Prozent bei Fällen von Partnerschaftsgewalt (verglichen zu 26 Prozent innerfamiliäre Gewalt).
infoBundeskriminalamt (2024): a.a.O.

© DIW Berlin

Die genannten Zahlen spiegeln jedoch nur das Hellfeld wider. In einer Studie mit niederländischen Daten zeigt sich eindeutig: Das Dunkelfeld bei gegen Frauen gerichteter Gewalt ist groß. Bei Fällen von Körperverletzungen gaben circa die Hälfte der befragten Frauen in der Dutch Victimisation Survey an, dass sie den Täter kannten. In solchen Fällen meldeten nur knapp über die Hälfte der betroffenen Frauen (56 Prozent) die Tat bei der Polizei.infoAnna Bindler und Nadine Ketel (2022): Scaring or scarring? Labor market effects of criminal victimization, Journal of Labor Economics, 40(4): 939–970 (online verfügbar). Daten, die Aufschluss über das Dunkelfeld in Deutschland geben können, werden derzeit vom Bundeskriminalamt in Dunkelfeldstudien über Umfragen erhoben.

Das (vermutlich) große Dunkelfeld heißt aber, dass Veränderungen im Zeitverlauf sowohl auf eine tatsächliche Veränderung der Fälle häuslicher Gewalt als auch auf eine Veränderung des Meldeverhaltens hindeuten können. Ein Lagebild, das weniger von Verschiebungen zwischen Hell- und Dunkelfeld geprägt ist, liefert die Entwicklung der Femizide (Tötungsdelikte an Frauen aufgrund des Geschlechts). Im Jahr 2023 gab es in Deutschland insgesamt 938 weibliche Opfer von „versuchten“ (578) und „vollendeten“ (360) Tötungsdelikten. Dabei liegt der Anteil der partnerschaftlichen Gewalt bei 36 Prozent, der Anteil an innerfamiliärer Gewalt (also Gewalt jenseits der Partnerschaft) bei 20 Prozent. Bei den insgesamt 360 vollendeten Tötungsdelikten an Frauen und Mädchen sind dagegen sogar mehr als zwei Drittel dem Bereich der häuslichen Gewalt zuzuordnen. Das bedeutet, dass im Jahr 2023 an etwa zwei von drei Tagen in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen durch häusliche Gewalt zu Tode kam.infoBundeskriminalamt (2024): a.a.O.

Häusliche Gewalt verursacht hohe gesellschaftliche Kosten

Gewaltkriminalität insgesamt ist (auch jenseits von Femiziden) mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbunden.infoAnna Bindler (2025): Kriminalprävention lohnt sich auch aus ökonomischer Sicht, DIW Wochenbericht Nr. 1+2 / 2025 (online verfügbar). Dabei wird zwischen drei Arten von Kosten unterschieden: direkten Kosten (zum Beispiel Rechtshilfekosten, Krankenhauskosten), indirekten Kosten (zum Beispiel langfristige Gesundheitskosten, Arbeitsplatzverluste oder eine geringere Produktivität) und immateriellen Kosten (zum Beispiel Trauma, Leid). Diese Faktoren tragen sowohl zu sofortigen als auch zu langfristigen Folgen für Opfer von Gewaltkriminalität bei. Die Folgen häuslicher Gewalt für die betroffenen Frauen sind dabei besonders stark ausgeprägt. Die Untersuchung der ökonomischen Folgen von Gewalt anhand niederländischer Daten zeigt beispielsweise Verluste bei den Arbeitseinkommen von bis zu 17,9 Prozent (durch Arbeitsplatzverluste, aber auch Jobwechsel oder Veränderungen in der Arbeitszeit) für weibliche Opfer von häuslicher Gewalt – aber auch einen Anstieg im Bedarf an Sozialleistungen von über 40 Prozent.infoAnna Bindler und Nadine Ketel (2022): a.a.O. Diese Berechnungen beziehen sich nur auf das Hellfeld, insgesamt dürften die Kosten – insbesondere im Bereich häuslicher Gewalt – also noch bedeutend höher ausfallen.

Studien anderer Forscher*innen, die unter anderem Daten aus den nordischen Ländern auswerten, bestätigen diese Ergebnisse. Häusliche Gewalt führt zu signifikanten Rückgängen bei den Einkommen und der Beschäftigung der Opfer, also zu weniger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe. Für Deutschland stehen die entsprechenden Forschungsdaten bisher nicht zur Verfügung. Für die Verfügbarkeit und notwendige Zusammenführung entsprechender Datensätze braucht es ein modernes Forschungsdatengesetz, das dies für wissenschaftliche Zwecke ermöglicht.infoDie Ergebnisse internationaler Studien gehen über Schätzungen der Kosten von häuslicher Gewalt hinaus und dokumentieren u.a. die ökonomische Gewalt, die physischer Gewalt in Fällen von Partnerschaftsgewalt oft vorausgeht, sowie die negativen wirtschaftlichen Folgen von Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz für Unternehmen. Vgl. Abi Adams-Prassl et al. (2024): The Dynamics of Abusive Relationships. Quarterly Journal of Economics, 139(4): 2135-2180 und Abi Adams-Prassl et al. (2024): Violence against Women at Work. Quarterly Journal of Economics, 139(2): 937–991.

Es braucht ein Zusammenspiel von Strafverfolgung, Prävention und Opferschutz

Die Maßnahmen, um Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern und zu bekämpfen, bestehen aus einem Dreiklang von Strafverfolgung von Tätern einerseits und insbesondere Prävention und Opferschutz andererseits.

Effektiver Schutz bedeutet in erster Linie Prävention von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Politik sollte – im Einklang mit den Zielen der Istanbul-Konvention – Forschung in diesem Bereich fördern, um evidenzbasiert handeln zu können. Dazu gehört ein vertieftes Verständnis der aktuellen Risikofaktoren für Gewalt gegen Frauen und insbesondere häusliche Gewalt in Deutschland sowie der potenziellen Ungleichverteilung dieses Risikos nach sozialen und ökonomischen Faktoren.

Bei Maßnahmen der Strafverfolgung sollte der Opferschutz mitgedacht werden. Dies ist besonders wichtig, um bei Opfern häuslicher Gewalt Vertrauen zu schaffen. Die Forschung im internationalen Kontext liefert hier Belege für verschiedene Maßnahmen. Unter anderem zeigen mehrere Studien, dass auf häusliche Gewalt spezialisierte Gerichte die Bereitschaft von Opfern häuslicher Gewalt erhöhen, diese zu melden und mit der Polizei zu kooperieren. Dadurch kann sich die Wahrscheinlichkeit von wiederholter Gewalt verringern.infoJorge Garcías-Hombrados et al. (2024): Specialised courts and the reporting of intimate partner violence: Evidence from Spain. Journal of Public Economics, 239: 105243 und Aria Golestani et al. (forthcoming): Specialization in Criminal Courts. The Journal of Human Resources.

Gerade im Bereich der häuslichen Gewalt, in dem die Opfer oft wiederholt Gewalt erfahren und die Sorge vor Reaktionen und Vergeltung seitens der Täter eine Barriere für die Kooperation mit Polizei und Institutionen darstellt, sind wirksame Maßnahmen des Opferschutzes dringend notwendig. Unabhängige Beratungsstellen und -angebote können diese Barriere abbauen und Opfern häuslicher Gewalt Anlaufstellen bieten.infoMartin Foureaux-Koppensteiner et al. (2024): The Impact of Improving Access to Support Services for Victims of Domestic Violence on Demand for Services and Victim Outcomes. American Economic Journal: Economic Policy, 16(1): 292-324. Auch bei Schutzordnungen und Näherungsverboten gibt es erste Resultate, die positive Effekte im Sinne der Bekämpfung von häuslicher Gewalt erwarten lassen.

Deutsche Gesetzgebung ist noch nicht weit genug

Die Bundesregierung hat noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar zwei Gesetzesänderungen initiiert. Zum einen hat das Kabinett Anfang Januar eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes auf den Weg gebracht.infoBundesministerium der Justiz (2025): Elektronische Aufenthaltsüberwachung und verpflichtende soziale Trainingskurse zum Schutz vor häuslicher Gewalt: Bundesregierung beschließt Formulierungshilfe, Pressemitteilung vom 8. Januar 2025 (online verfügbar). Dabei geht es vor allem um zwei Kernelemente: Erstens soll Tätern in Risikofällen eine elektronische Fußfessel angelegt werden können, die die Durchsetzung von Gewaltschutzanordnungen unterstützt und damit Opfern häuslicher Gewalt effektiveren Schutz bieten kann. Solche Maßnahmen existieren bereits in anderen europäischen Ländern (insbesondere Spanien) und können effektiven Opferschutz bieten, erfordern aber eine gute Kooperation von Polizei und Opfern häuslicher Gewalt. Zweitens sieht der Entwurf eine Verpflichtung zur Teilnahme von Tätern an sozialen Trainingskursen vor. Bei beiden Vorschlägen wird es wichtig sein, dass sie nicht als isolierte Instrumente beschlossen werden, sondern von umfassenderen Maßnahmen des Opferschutzes, aber auch der Prävention und Repression flankiert werden. Dazu gehört neben der konsequenteren Anwendung und Durchsetzung existierender Mittel (von Platzverweisen über Gefährderansprachen hin zu Ingewahrsamnahme) auch die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes.

Letzteres wurde in den Wochen vor der Bundestagwahl vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat verabschiedet. Ziel ist es, geschlechtsspezifische Gewalt und häusliche Gewalt zu bekämpfen und Opferschutz zu gewährleisten.infoBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2025): Historischer Schritt im Kampf gegen Gewalt an Frauen, Meldung vom 14. Februar 2025 (online verfügbar). Zentrales Element des Gesetzes ist ein individueller Rechtsanspruch auf kostenfreien Schutz und Beratung für betroffene Frauen und ihre Kinder. Dieser Anspruch soll unter anderem unabhängig vom Wohnort sein und damit länderübergreifend gelten. Das neue Gesetz sieht eine Umsetzung unter finanzieller Beteiligung des Bundes ab 2027 vor, der Rechtsanspruch tritt 2032 in Kraft. Diese Maßnahmen bedeuten eine Stärkung des Opferschutzes im Bereich häuslicher Gewalt und eine Ausweitung des Schutz- und Beratungsangebots für Betroffene. Die hohe Zahl der Fälle häuslicher Gewalt und die wissenschaftliche Evidenz zu ihren sozialen Kosten zeigen: Dies ist ein wichtiger Schritt. Aufgabe der neuen Bundesregierung wird es sein, das Gewalthilfegesetz (dem die Parteien der voraussichtlich neuen Bundesregierung mehrheitlich zugestimmt haben)infoErgebnisse der namentlichen Abstimmung im deutschen Bundestag vom 31. Januar 2025 zum Thema: Hilfen bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt (online verfügbar). trotz aller organisatorischer und haushälterischer Herausforderungen konsequent umzusetzen und eine nachhaltige Finanzierung in Zusammenarbeit mit den Ländern zu sichern. Zudem wird es eine wichtige Aufgabe sein, die beschlossenen Maßnahmen des Opferschutzes mit einem Fokus auf Prävention zu kombinieren, um die individuellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Kosten, die durch Gewalt entstehen, von vorneherein zu vermeiden.

Fazit: Prävention häuslicher Gewalt stärken

Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Zum einen geht es um grobe Verletzungen des Grundrechts auf Unversehrtheit der betroffenen Menschen. Zweitens geht es um die Umsetzung der Istanbul-Konvention und die damit einhergehenden Verpflichtungen Deutschlands im Hinblick auf Strafverfolgung, Prävention und Opferschutz. Und drittens geht es um die gesellschaftlichen Kosten von Gewalt und insbesondere von häuslicher Gewalt. Neben dem persönlichen Leid der Opfer entstehen für betroffene Menschen zusätzliche wirtschaftliche Folgen, die sich auf gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe auswirken und letztlich Implikationen für soziale Ungleichheiten haben können.

Das beschlossene Gewalthilfegesetz und die geplante Änderung des Gewaltschutzgesetzes zu Maßnahmen zur Gewaltprävention und -bekämpfung sowie zur Stärkung des Opferschutzes sollten von der zukünftigen Bundesregierung beherzt angegangen und umgesetzt werden. Es sollten zudem die Voraussetzungen geschaffen werden, dass bereits zur Verfügung stehende Mittel der Gewaltbekämpfung (von Platzverweisen über Gefährderansprachen hin zu Ingewahrsamnahme) konsequenter angewendet werden. Denn nur, wenn solche Instrumente in der Praxis genutzt werden, wird die Erhöhung eines Strafrahmens (wie bei den Vorschlägen zur Messerkriminalität) die gewünschten Effekte erzielen können. Bei allen beschlossenen und geplanten Maßnahmen wird es wichtig sein, dass Vertrauen in die entsprechenden Institutionen geschaffen wird, damit die Maßnahmen greifen und die gesetzten Ziele erreicht werden können. Dies kann beispielsweise durch begleitende Evaluationen unterstützt werden, die die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit und Schwachstellen prüfen. Eine wichtige Aufgabe für die neue Bundesregierung wird es schließlich sein, die beschlossenen (und zu begrüßenden) Maßnahmen zum Opferschutz durch verstärkte Präventionsmaßnahmen zu stärken, um die gesellschaftlichen Kosten von Gewalt zu senken und persönliches Leid zu vermeiden – denn am Ende bleibt es dabei: Prävention von Gewalt ist der beste Opferschutz.

Anna Bindler

Abteilungsleiterin in der Abteilung Kriminalität, Arbeit und Ungleichheit

Themen: Gender

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