DIW Wochenbericht 14 / 2025, S. 209-215
Jascha Dräger, Thorsten Schneider
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„Bereits zu Schulbeginn besteht in Deutschland ein stärkerer Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Mathe- und Sprachkompetenzen als in vielen anderen Ländern. Frühkindliche Bildungsangebote können helfen, diese Ungleichheiten zu verringern.“ Jascha Dräger
Die PISA-Studien zeigen, dass Schulleistungen von Jugendlichen stark von ihrer sozialen Herkunft abhängen – und zwar in Deutschland stärker als in vielen anderen Ländern. Diese Studie untersucht, wie sehr Mathematik- und Sprachkompetenzen bereits am Schulanfang mit der sozialen Herkunft zusammenhängen. Dabei wird die Situation in Deutschland mit der in Frankreich, im Vereinigten Königreich, den Niederlanden (Rotterdam), den USA und Japan verglichen. In Deutschland sind die sprachlichen Kompetenzen zu Schulbeginn stärker mit der sozialen Herkunft verknüpft als in allen Vergleichsländern. Auch die Mathematikkompetenzen korrelieren in Deutschland stärker mit der sozialen Herkunft als in den meisten anderen Ländern. In Frankreich und Japan spielt die soziale Herkunft die kleinste Rolle. Um die soziale Ungleichheit bei den Kompetenzen zu verringern, sollten hochwertige frühkindliche Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen weiter ausgebaut werden.
Schulische Leistungen und Kompetenzen hängen in Deutschland stark von der sozialen Herkunft ab, mehr als in vielen anderen Ländern. Die PISA-Erhebung (Programme for International Student Assessment) von 2018 zeigt beispielsweise für 15-Jährige, dass in Deutschland 17,2 Prozent der Unterschiede in den Lesekompetenzen auf die soziale Herkunft zurückgeführt werden können. Damit ist der Einfluss der sozialen Herkunft fast 1,5-mal so groß wie im Durchschnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).OECD (2019): PISA 2018 results (Volume II): Where all Students can succeed. OECD Publishing. Tabelle II.B1.2.3 (online verfügbar). Ähnliche Muster zeigen sich in der PISA-Erhebung aus dem Jahr 2022.OECD (2023): PISA 2022 Results. The State of Learning and Equity in Education. Volume I. OECD Publishing (online verfügbar). Diese Abhängigkeit ist besonders problematisch, da sich Kompetenzen und Schulleistungen stark auf weitere Bildungsverläufe und späteres Einkommen auswirken.
Mit Blick auf die PISA-Ergebnisse wird schon seit mehr als 20 Jahren intensiv diskutiert, wie Bildungsungleichheit verringert werden kann. Dabei wurden insbesondere Veränderungen im Schulsystem in den Blick genommen, zum Beispiel der Ausbau von Ganztagsschulen, wie lange Schüler*innen gemeinsam beschult und auf welche Schulformen sie danach aufgeteilt werden sollten. Zudem werden seit August 2024 im Rahmen des „Startchancen-Programms“ Maßnahmen in Schulen finanziert, um den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. Diese Maßnahmen zielen darauf ab, Ungleichheiten in der Schulzeit zu verringern. Einige Studien zeigen jedoch, dass viele Unterschiede in den Kompetenzen bereits bestehen, bevor die Kinder eingeschult werden.Jan Skopek und Gampierro Passaretta (2021): Socioeconomic inequality in children’s achievement from infancy to adolescence: The case of Germany. Social Forces, 100(1), 86–112 (online verfügbar, abgerufen am 27. März. Dies gilt für alle Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt).
In dieser Studie werden daher die Ungleichheiten in den Sprach- und Mathematikkompetenzen von Schulanfänger*innen betrachtet. Dabei wird der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Sprach- und Mathematikkompetenzen in Deutschland, Frankreich, im Vereinigten Königreich, den Niederlanden (am Beispiel der Stadt Rotterdam), den USA und Japan verglichen.Eine ausführliche Version der Studie wurde hier veröffentlicht: Jascha Dräger, Elizabeth Washbrook, Thorsten Schneider, Hideo Akabayashi, Renske Keizer, Anne Solaz, Jane Waldfogel, Sanneke de la Rie, Yuriko Kameyama, Sarah Kwon, Kayo Nozaki, Valentine Perinetti Casoni, Shinpei Sano, Alexandra Sheridan und Chizuru Shikishima (2024): Cross-national differences in socioeconomic achievement inequality in early primary school: The role of parental education and income in six countries. AERA Open (online verfügbar). Da die Kinder vor dem Testzeitpunkt nur kurze Zeit unterrichtet wurden, erlaubt dies Rückschlüsse darauf, welche institutionellen Bedingungen neben dem Schulsystem Ungleichheiten in den Kompetenzen befördern oder verringern. Der Ländervergleich eröffnet neue Perspektiven, warum Kompetenzen in einigen Ländern weniger stark mit der sozialen Herkunft zusammenhängen.
Internationale Vergleichsstudien zu schulischen Kompetenzen gibt es bisher nur für Schüler*innen in der vierten und achten Klasse (Progress in International Reading Literacy Study und Trends in International Mathematics and Science Study) und für 15-Jährige (PISA). Im Gegensatz dazu liegen keine länderübergreifenden Erhebungen von Kompetenzen im vorschulischen Bereich oder zu Schulbeginn vor. Deshalb greift die Studie auf länderspezifische Erhebungen zurück und strebt eine harmonisierte Auswertung von Kompetenz- und Befragungsdaten aus den unterschiedlichen Ländern an (Kasten).
Die Studie verwendet sechs unterschiedliche Datenquellen, die sowohl Testergebnisse zu den Kompetenzen von Kindern zu Schulbeginn als auch Informationen zu den Eltern enthalten. Für Deutschland werden die Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS), Startkohorte Kindergarten (SC2) verwendet,NEPS Network (2024): National Educational Panel Study, Scientific Use File of Starting Cohort Kindergarten. Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (online verfügbar); Hans-Peter Blossfeld und Hans-Günter Roßbach (2019): Education as a lifelong process: The German National Educational Panel Study (NEPS) (2. Auflage). Springer VS. für Frankreich die Daten des DEPP-PanelsDirection de l’évaluation, de la prospective et de la performance (online verfügbar). (La Direction de l’évaluation, de la prospective et de la performance), für das Vereinigte Königreich die Daten der Millennium Cohort Study (MCS),University of London, Institute of Education, Centre for Longitudinal Studies (2023): Millennium cohort study: Age 7, Sweep 4, 2008. [data collection]. 9th Edition. UK Data Service. SN: 6411. (online verfügbar). für die USA die ELCS-K: 2011 Studie (Early Childhood Longitudinal Study, Kindergarten Class of 2010–11)Karen Tourangeau et al. (2015): Early Childhood Longitudinal Study, Kindergarten Class of 2010–11 (ECLS-K:2011), User’s manual for the ECLS-K:2011 kindergarten data file and electronic codebook, public version (NCES 2015-074). U.S. Department of Education. National Center for Education Statistics (online verfügbar). und für die Niederlande die Daten der Generation R Studie, die in Rotterdam erhoben wurden.Vincent Jaddoe et al. (2006): The Generation R Study: Design and cohort profile. European Journal of Epidemiology, 21, 475–484 (online verfügbar). Die befragten Kinder wurden zwischen 2000 und 2006 geboren. Die Kompetenzen wurden in der Vorschule beziehungsweise der ersten oder zweiten Klasse mithilfe standardisierter Tests erfasst. Die betrachteten Kinder waren zum Testzeitpunkt im Durchschnitt sechs bis sieben Jahre alt (Tabelle). Für Japan werden die Daten des JCPS (Japan Child Panel Study) verwendet. Im Gegensatz zu den anderen Datensätzen basiert diese Erhebung auf einer allgemeinen Haushaltsstichprobe und nicht auf einer Stichprobe von Kindern. Dementsprechend ist die Anzahl der getesteten Kinder kleiner und es werden mehr Geburtsjahrgänge einbezogen als in den anderen Ländern. Ergebnisse für Japan sollten daher mit Vorsicht interpretiert werden.
Frankreich | Deutschland | USA | Niederlande (Rotterdam) | Vereinigtes Königreich | Japan | |
---|---|---|---|---|---|---|
Daten | DEPP panel | NEPS SC2 | ELCS-K: 2011 | Generation R | MCS | JCPS |
Geburtsjahrgänge | 2005 | 2005 und 2006 | 2005 | 2002 bis 2006 | 2000 bis 2002 | 2002 bis 2012 |
Alter bei Kompetenzmessung | 6,0 | 7,1 | 7,1 | 6,2 | 7,2 | 8,0 |
Klassenstufe | Vorschule | 1. Klasse | 1. Klasse | Vorschule | 2. Klasse | 1. und 2. Klasse |
Fallzahl | 13297 | 5365 | 10250 | 5599 | 13355 | 820 |
Quellen: Berechnung auf Basis von NEPS SC2, ELCS-K, Gen-R, MCS, DEPP und JCPS-Daten.
Die Datensätze sind repräsentativ für die unterschiedlichen Länder beziehungsweise für Rotterdam in den Niederlanden. Im Vergleich zum Rest der Niederlande ist Rotterdam ethnisch diverser zusammengesetzt. Außerdem muss beachtet werden, dass sich die Datensätze bezüglich der einbezogenen Geburtsjahrgänge, der Kompetenztests, des Alters beim Kompetenztest und der Messung der sozialen Herkunft leicht unterscheiden (Tabelle).
Um den Zusammenhang zur sozialen Herkunft angemessen analysieren zu können, müssen mehrere Maße der sozialen Herkunft einbezogen werden, da ihr Einfluss ansonsten unterschätzt wird.Erzsébet Bukodi und John H. Goldthorpe (2013): Decomposing ’social origins’: The effect of parents’ social class, status, and education on the educational attainment of their children. European Sociological Review 29(5), 1024–1039 (online verfügbar). Hierfür wurden einerseits das Bildungsniveau der Eltern, andererseits das Haushaltseinkommen im aktuellen Befragungsjahr berücksichtigt.
Bei der elterlichen Bildung wird zwischen hoher Bildung (mindestens Bachelorabschluss), mittlerer Bildung und niedriger Bildung unterschieden (Deutschland: mittlere Reife ohne Berufsausbildung, Hauptschul- oder kein Schulabschluss; Niederlande: ohne berufliche Ausbildung oder Hochschulzugangsberechtigung; Frankreich, Vereinigtes Königreich, Japan, USA: keine Qualifikation außer dem regulären Sekundarschulabschluss).
Für Deutschland, das Vereinigte Königreich, Japan und die Niederlande wurde das Haushaltsnettoeinkommen verwendet. Für Frankreich und die USA wurde nur das Haushaltsbruttoeinkommen erfasst. Um das Haushaltseinkommen über die Länder vergleichbar zu machen, werden die Einkommensangaben nach der Größe des Haushalts gewichtet. Die Haushalte werden in jedem Land in fünf gleich stark besetzte Einkommensklassen unterteilt.
Als Maß der Stärke des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und kindlichen Kompetenzen wird die erklärte Varianz (R2) in Regressionsmodellen betrachtet. R2 wird als Zusammenhangsmaß verwendet, da der gemeinsame Zusammenhang von elterlicher Bildung und Einkommen mit Kompetenzen beschrieben werden soll. Insbesondere wird das R2 aus vier Regressionsmodellen miteinander verglichen: M1 – ein Regressionsmodell, in dem Kompetenzen nur mithilfe des Alters und Geschlechts des Kindes vor hergesagt werden, M2 – ein Regressionsmodell, das zusätzlich die elterliche Bildung einbezieht, M3 – ein Regressionsmodel, das zusätzlich Einkommen berücksichtigt, und M4 – ein Regressionsmodel, das zusätzlich elterliche Bildung und Haushaltseinkommen betrachtet. Der Unterschied im R2 zwischen M1 und M2 zeigt die Stärke des Zusammenhangs von elterlicher Bildung und kindlichen Kompetenzen, der Unterschied zwischen M1 und M3 die Stärke des Zusammenhangs von Einkommen und Kompetenzen und der Unterschied zwischen M1 und M4 den gemeinsamen Zusammenhang zwischen elterlicher Bildung, Einkommen und Kompetenzen. Der Zusammenhang zwischen elterlicher Bildung und Kompetenzen sowie zwischen Einkommen und Kompetenzen summiert sich nicht zu dem gemeinsamen Zusammenhang zwischen elterlicher Bildung, Einkommen und Kompetenzen auf, da elterliche Bildung und Einkommen stark miteinander korrelieren.
In einem letzten Schritt werden in M1 und M4 zusätzliche demografische Merkmale (Zuwanderungshintergrund, zuhause gesprochene Sprache, Aufwachsen mit einem oder mehreren Elternteilen) einbezogen und wiederum Unterschiede im R2 betrachtet.
Um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und sprachlichen Kompetenzen zu untersuchen, wird analysiert, in welchem Ausmaß Unterschiede in den Kompetenzen mit der sozialen Herkunft einhergehen. Je größer der Anteil ist, der auf die soziale Herkunft zurückgeführt werden kann, desto größer ist die soziale Ungleichheit in den Kompetenzen. Die soziale Herkunft wird über die elterliche Bildung und das Haushaltseinkommen gemessen (Kasten).
In Deutschland erklärt die soziale Herkunft 19,5 Prozent der Unterschiede in sprachlichen Kompetenzen (Abbildung 1). Am wenigsten stark hängen die sprachlichen Kompetenzen in Japan und Frankreich von der sozialen Herkunft ab, wo sie nur 4,6 und 6,8 Prozent der Unterschiede erklärt. Die USA (12,4 Prozent), die Niederlande (Rotterdam, 11,5 Prozent) und das Vereinigte Königreich (10,1 Prozent) nehmen mittlere Positionen ein. Dort hängen die Kompetenzen zu Schulbeginn zwar stärker als in Japan und Frankreich von der sozialen Herkunft ab, aber dennoch deutlich weniger als in Deutschland. Relativ betrachtet ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und sprachlichen Kompetenzen in Deutschland also 1,6-mal größer als in den USA, dreimal größer als in Frankreich und viermal größer als in Japan. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und sprachlichen Kompetenzen ist dabei in Deutschland statistisch signifikant größer als in den anderen Ländern.
Auch die Mathematikkompetenzen hängen in Deutschland zu Schulbeginn stärker als in Frankreich, im Vereinigten Königreich und in Japan von der sozialen Herkunft ab (Abbildung 2). In den USA ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Mathematikkompetenzen jedoch ähnlich stark wie in Deutschland ausgeprägt: In beiden Ländern erklärt die soziale Herkunft etwa 14 Prozent der Unterschiede. Im Vereinigten Königreich sind es 8,7 Prozent, in Frankreich 7,4 Prozent und in Japan 7,1 Prozent. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Mathematikkompetenzen ist in Deutschland also fast doppelt so stark wie in diesen Ländern. Der Unterschied zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Japan ist statistisch signifikant.
Für die vorherigen Analysen wurden die elterliche Bildung und das Haushaltseinkommen gemeinsam als Maß für die soziale Herkunft betrachtet. Beide Dimensionen der sozialen Herkunft korrelieren miteinander; Eltern mit höherer formaler Bildung verfügen im Durchschnitt über ein höheres Einkommen. Auch bei separater Betrachtung von elterlichen Bildungsabschlüssen und dem Haushaltseinkommen ändert sich an der Reihenfolge der Länder kaum etwas: Der Zusammenhang zwischen sprachlichen Kompetenzen und sozialer Herkunft ist in Deutschland am stärksten und in Frankreich und Japan am schwächsten. Der Einfluss von elterlicher Bildung ist dabei stärker als der Einfluss des Einkommens. Das Haushaltseinkommen allein erklärt 12,5 Prozent, die elterliche Bildung allein 16,9 Prozent, beide zusammen 19,5 Prozent der Unterschiede in der sprachlichen Kompetenz in Deutschland (Tabelle 1). Auch in den anderen Ländern ist der Einfluss von elterlicher Bildung meist etwas stärker als der des Einkommens.
Elterliche Bildung und Einkommen | Nur Elterliche Bildung | Nur Einkommen | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
R2 in Prozent | Faktor | R2 in Prozent | Faktor | R2 in Prozent | Faktor | |
Sprachliche Kompetenzen | ||||||
Deutschland | 19,5 | – | 16,9 | – | 12,5 | – |
USA | 12,4 | 1,57 | 9,8 | 1,72 | 9,4 | 1,33 |
Niederlande (Rotterdam) | 11,5 | 1,70 | 8,7 | 1,94 | 9,4 | 1,33 |
Vereinigtes Königreich | 10,1 | 1,93 | 7,7 | 2,19 | 7,7 | 1,62 |
Frankreich | 6,8 | 2,87 | 5,8 | 2,91 | 4,6 | 2,72 |
Japan | 4,6 | 4,24 | 3,2 | 5,28 | 1,4 | 8,86 |
Mathematikkompetenzen | ||||||
Deutschland | 13,9 | – | 11,9 | – | 9,2 | – |
USA | 14,2 | 0,98 | 11,4 | 1,04 | 10,7 | 0,86 |
Vereinigtes Königreich | 8,7 | 1,60 | 6,6 | 1,80 | 6,7 | 1,37 |
Frankreich | 7,4 | 1,88 | 5,9 | 2,02 | 5,4 | 1,70 |
Japan | 7,1 | 1,96 | 5,6 | 2,13 | 0,9 | 10,22 |
Anmerkung: R2 ist der Anteil der Unterschiede, der durch elterliche Bildung oder Einkommen erklärt wird. Der „Faktor“ ist das Verhältnis des R2 in Deutschland im Vergleich zu dem anderen Land.
Lesebeispiel: 16,9 Prozent der Unterschiede in den sprachlichen Kompetenzen in Deutschland können durch die elterliche Bildung erklärt werden. 12,5 Prozent der Unterschiede können durch elterliches Einkommen erklärt werden. Elterliche Bildung und Einkommen zusammen erklären 19,5 Prozent der Unterschiede in den sprachlichen Kompetenzen. Durch die Korrelation zwischen elterlicher Bildung und Einkommen summieren sich die Werte in den Spalten „Nur elterliche Bildung” und „Nur Einkommen” nicht zu den Werten in der Spalte „Elterliche Bildung und Einkommen” auf.
Quellen: Berechnung auf Basis von NEPS SC2, ELCS-K, Gen-R, MCS, DEPP und JCPS-Daten.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Mathematikkompetenzen. Die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Mathematikkompetenzen ist in Deutschland und den USA stärker als in den anderen Ländern, unabhängig davon, ob elterliche Bildung oder Einkommen als Maß für die soziale Herkunft herangezogen werden. Jedoch beeinflusst die Wahl des Maßes der sozialen Herkunft den Vergleich zwischen Deutschland und den USA (Tabelle 1). Wenn elterliche Bildung betrachtet wird, fallen die Ungleichheiten in den Mathematikkompetenzen in Deutschland (11,9 Prozent erklärte Unterschiede) geringfügig stärker aus als in den USA (11,4 Prozent). Nimmt man das Einkommen als Maßstab, kehrt sich das Verhältnis um: In den USA (10,7 Prozent) sind die Unterschiede etwas größer als in Deutschland (9,2 Prozent).
Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass eine höhere elterliche Bildung wichtiger für kindliche Kompetenzen ist als höheres Einkommen.Das gleiche Ergebnis zeigt sich, wenn das durchschnittliche Einkommen über mehrere Jahre und nicht nur das aktuelle Einkommen betrachtet wird. Dies wiederum legt nahe, dass sich Unterschiede in kindlichen Kompetenzen nicht nur auf unterschiedliche materielle Ausstattung zurückführen lassen, sondern auch auf innerfamiliäre Anregung und Förderung.
Eine häufige Erklärung für die schlechteren Leistungen und hohe Ungleichheit ist die demografische Zusammensetzung der Schüler*innen. Um dies zu überprüfen, werden in einem weiteren Schritt die Modelle zu den Sprachkompetenzen um die Informationen ergänzt, ob Familien zugewandert sind, ob zuhause die Unterrichtsprache gesprochen wird und ob Kinder in einem Haushalt mit einem oder zwei Elternteilen aufwachsen.
Werden diese demografischen Merkmale einbezogen, fallen die Unterschiede zwischen den Ländern zwar kleiner aus, jedoch ist weiterhin der Zusammenhang zwischen sprachlichen Kompetenzen und sozialer Herkunft in Deutschland stärker als in den anderen Ländern. Die Ungleichheit ist in Deutschland 1,3-mal bis 3,2-mal größer als in den Vergleichsländern (Tabelle 2). Die stärkere soziale Ungleichheit in Deutschland kann also nur in begrenztem Maße auf die demografische Zusammensetzung der Schüler*innen zurückgeführt werden.
Land | R2 in Prozent | Faktor |
---|---|---|
Deutschland | 11,0 | – |
USA | 8,3 | 1,33 |
Vereinigtes Königreich | 7,9 | 1,39 |
Niederlande (Rotterdam) | 6,0 | 1,83 |
Frankreich | 5,8 | 1,90 |
Japan | 3,4 | 3,24 |
Anmerkung: R2 ist der Anteil der Varianz, der durch elterliche Bildung oder Einkommen erklärt wird. Der „Faktor“ ist das Verhältnis des R2 in Deutschland im Vergleich zu dem anderen Land.
Quellen: Berechnung auf Basis von NEPS SC2, ELCS-K, Gen-R, MCS, DEPP und JCPS-Daten.
Bereits zu Schulbeginn hängen die Kompetenzen von Schüler*innen stark von ihrer sozialen Herkunft ab. Bei Mathematikkompetenzen ist der Einfluss der sozialen Herkunft in Deutschland ähnlich stark wie in den USA, aber deutlich stärker als in Frankreich, im Vereinigten Königreich und in Japan. Bei den sprachlichen Kompetenzen ist der Zusammenhang mit der sozialen Herkunft stärker als in allen anderen Ländern, auch den USA.
Soziale Ungleichheit in Schulleistungen führt zu sozialer Ungleichheit bei Bildungsabschlüssen und Erwerbschancen. Dies widerspricht der Idee, wonach nur individuelle Anstrengungen und Leistungen für Bildungserfolg zählen sollten, nicht jedoch die familiären Rahmenbedingungen, in denen Kinder aufwachsen. Zudem ist dies volkswirtschaftlich ineffizient, da das Potenzial sozial benachteiligter Schüler*innen nicht ausgeschöpft wird.
Um Ungleichheiten zu verringern, lohnt sich ein Blick nach Frankreich, wo die Ungleichheiten deutlich schwächer ausgeprägt sind.Auch in Japan sind die Ungleichheiten deutlich schwächer ausgeprägt als in Deutschland. Jedoch unterscheiden sich die zugrundeliegenden Daten für Japan auch deutlich von den für Deutschland analysierten Daten (Kasten). Ein großer Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich ist das Angebot an frühkindlicher Bildung und Betreuung. In Frankreich ist die frühkindliche Betreuung zwischen drei und sechs Jahren kostenlos und einfach verfügbar. Zudem haben Erzieher*innen für Kinder in dieser Altersgruppe ein Lehramtsstudium absolviert.Jeanne Fagnini (2014): Equal access to quality care: Lessons from France on providing high quality and affordable early childhood education and care. In: Ludovica Gambaro et al. (Hrsg.): Providing quality early education and care for disadvantaged children. Bristol, 77–99. European Commission / EACEA / Eurydice (2025): Key data on early childhood education and care in Europe – 2025. Eurydice report. Luxembourg: Publications Office of the European Union (online verfügbar).
Ein weiterer Faktor ist, dass nach einer aktuellen Studie in Deutschland mehr als 300000 Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren fehlen.Wido Geis-Thöne (2024): 306000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige fehlen. IW-Report 40 (online verfügbar). Insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Familien besuchen seltener eine Kita. Als Gründe dafür nennen Eltern zu hohe Gebühren, unpassende Betreuungszeiten und eine zu komplizierte Anmeldung.Jonas Jessen et al. (2020): Gründe für unterschiedliche Kita-Nutzung von Kindern unter drei Jahren sind vielfältig. DIW Wochenbericht Nr. 14, 268–275. (online verfügbar).
Um Ungleichheiten zu verringern, sollten Betreuungsangebote weiter ausgebaut und für Familien mit geringerem Einkommen in allen Bundesländern kostenlos bereitgestellt werden.Jonas Jessen, Sophia Schmitz und Sevrin Waights (2020): Understanding day care enrolment gaps. Journal of Public Economics, 190, 104252 (online verfügbar). Während dies in einigen Bundesländern und Städten bereits der Fall ist, sind die Gebühren auch für einkommensschwache Haushalte in anderen Städten erheblich.Wido Geis-Thöne (2024): Elternbeiträge für die Kitabetreuung im regionalen Vergleich. Eine Auswertung der landesrechtlichen Regelungen und der Gebührenordnungen der Großstädte mit über 100000 Einwohnern. IW-Report 13/2024 (online verfügbar). Viele Untersuchungen zeigen, dass frühkindliche Betreuung die soziale Ungleichheit verringert, insbesondere bei hochqualifizierten Erzieher*innen und wenig Kindern pro Erzieher*in.Gaia Ghirardi et al. (2023): Is early formal childcare an equalizer? How attending childcare and education centres affects children’s cognitive and socio-emotional skills in Germany. European Sociological Review, 39(5), 692–707 (online verfügbar); Rita Schmutz (2024): Is universal early childhood education and care an equalizer? A systematic review and meta analysis of evidence. Research in Social Stratification and Mobility, 89, 100859 (online verfügbar). Der Fokus sollte insbesondere auf Kindern unter drei Jahren liegen, wo Kita-Nutzung stark sozial selektiv ist und Gebühren meist höher sind.Geis-Thöne (2024), a.a.O. Eine Unterstützung beim Bewerbungsprozess für Kitas erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Anmeldung und verringert soziale Unterschiede in der Nutzung.Henning Hermes et al. (2024): Application Barriers and the Socioeconomic Gap in Child Care Enrollment. Journal of the European Economic Association (online verfügbar). Neben sozial selektiver Kita-Nutzung trägt auch die Qualität der Einrichtungen zu Ungleichheiten bei. Sozial benachteiligte Kinder besuchen häufig schlechter ausgestattete Einrichtungen.Juliane Stahl, Pia Schober und Katharina Spieß (2018): Parental socio-economic status and childcare quality: Early inequalities in educational opportunity? Early Childhood Research Quarterly, 44, 304–317 (online verfügbar).
Themen: Ungleichheit, Bildung
JEL-Classification: D63;I21;I24;J24
Keywords: achievement gap, cross-national research, educational inequality, social stratification
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-14-1