DIW Wochenbericht 43 / 2025, S. 692
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Viele setzen große Hoffnungen in die geplante Reform des Bürgergelds und die Umbenennung in Grundsicherung. Doch die meisten Hoffnungen dürften enttäuscht werden, etwa was die Effekte auf die Beschäftigung oder die Kosten betrifft. Die große Chance, die Grundsicherung klug und im Sinne aller neu aufzustellen, hat die Bundesregierung verpasst.
Die Namensänderung vom Bürgergeld zur Grundsicherung soll offenbar einen Systemwechsel signalisieren. Dieser besteht aus drei zentralen Elementen, die den Kern der Reform ausmachen: Erstens sollen schärfere Sanktionen mehr Menschen in Arbeit bringen. Jobcenter können künftig nicht nur die mehrfache Ablehnung von Jobangeboten, sondern auch das Versäumen von Terminen mit Leistungskürzungen sanktionieren. Diese Sanktionen können drastisch sein. Zweitens sollen die Verringerung des Schonvermögens – also der Ersparnisse, die Betroffene behalten dürfen – und ein schnellerer Umzug aus zu teuren Wohnungen zu finanziellen Einsparungen führen. Drittens soll die Vermittlung in einen Job im Mittelpunkt stehen; die Priorität liegt damit auf der Beschäftigung, nicht auf der Qualifizierung.
Doch wie effektiv werden diese Reformen tatsächlich sein? In Bezug auf Beschäftigung dürfte sich die neue Grundsicherung eher als kontraproduktiv erweisen. Zwar können Sanktionen beziehungsweise deren Androhung Betroffene kurzfristig dazu bewegen, besser zu kooperieren und schneller eine Arbeit aufzunehmen. In der Realität ist diese Beschäftigung jedoch häufig nur temporär. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Gruppe, die Jobangebote mehrfach ablehnt oder Termine systematisch versäumt, nur eine kleine Minderheit darstellt. Die Gefahr ist groß, dass in der öffentlichen Debatte alle Betroffenen stigmatisiert werden – einschließlich der Mehrheit, die sich nach Kräften um Arbeit bemüht. Das erschwert die Arbeitsaufnahme, statt sie zu erleichtern. Kurzfristig könnten Sanktionen und Vermittlungsvorrang mehr Menschen in Arbeit bringen, langfristig ist jedoch eher das Gegenteil zu erwarten, wie zahlreiche Studien zeigen.
Auch die Kosten lassen sich wohl nur wenig senken – im schlimmsten Fall könnten sogar zusätzliche Ausgaben entstehen. Die Reduzierung des Schonvermögens und der schnellere Umzug aus teuren Wohnungen werden voraussichtlich kaum nennenswerte Einsparungen bringen. Die Bundesregierung wird daher die versprochenen Milliarden nicht einsparen können. Ganz im Gegenteil: Die Jobcenter müssten finanziell besser ausgestattet werden, um mehr Ressourcen für die Zusammenarbeit mit den Betroffenen und eine erfolgreiche Vermittlung zu haben. Und auch mit Blick auf Gerechtigkeit dürfte sich die geplante Reform als Pyrrhussieg erweisen. Denn schafft es wirklich mehr Gerechtigkeit, wenn arbeitende Menschen keinen Vorteil haben, während Arbeitslose stärkeren Sanktionen unterliegen und schneller aus ihren Wohnungen verdrängt werden können? Hinzu kommt: Das Bundesverfassungsgericht könnte der Bundesregierung Grenzen bei den Sanktionsmöglichkeiten setzen und Teile der Reform zurückweisen. Dies würde die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und der Jobcenter beschädigen und der Grundsicherung nicht helfen.
Die Reform der Grundsicherung ist eine verpasste Chance, weil sie nicht die Maßnahmen enthält, die deutlich mehr Menschen in Arbeit bringen würden. Dafür müsste die Bundesregierung den Jobcentern deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um Qualifizierung und Vermittlung zu stärken. Außerdem müssten viele Hürden im sozialen Sicherungssystem abgebaut werden, damit sich Arbeit wieder mehr lohnt.
Ein hoffnungsvolles Fazit: Die Ausgestaltung und Umsetzung der neuen Grundsicherung bietet die Möglichkeit, Risiken und negative Aspekte zu minimieren. In den Plänen der Bundesregierung sind Sanktionen und andere Maßnahmen nicht verpflichtend, die Jobcenter erhalten somit mehr Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung. Sie zu stärken, wird daher entscheidend sein.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 17. Oktober 2025 im Rahmen von „Fratzschers Verteilungsfragen“ online bei der ZEIT erschienen.
Themen: Verteilung, Arbeit und Beschäftigung