DIW Wochenbericht 27 / 2022, S. 371-379
Wolf-Peter Schill, Alexander Roth, Adeline Guéret
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„Unser Ampel-Monitor Energiewende verdeutlicht: Das aktuelle Tempo ist viel zu niedrig, um die 2030-Ziele zu erreichen. Will die Regierung nicht weiter hinter ihren Zielpfad zurückfallen, muss sie zeitnah konkrete und weitreichende Schritte umsetzen.“ Wolf-Peter Schill
Die Ampelkoalition steht vor der Herausforderung, ihre energiepolitischen Ziele zu erreichen. Will sie dabei nicht scheitern, muss sie das Tempo der Energiewende deutlich steigern. Anlässlich der aktuellen energiepolitischen Debatte wurde am DIW Berlin der sogenannte Ampel-Monitor Energiewende entwickelt. Basierend auf offenen Daten vergleicht der Ampel-Monitor anhand von derzeit 15 Indikatoren die Regierungsziele bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus mit den bisherigen Entwicklungen und Fortschritten. Bei fast allen Indikatoren klafft eine große Lücke zwischen den aktuellen Trends und den Regierungszielen. Dies gilt ganz besonders in den Bereichen der erneuerbaren Wärme, der Elektromobilität und des grünen Wasserstoffs. Darüber hinaus blieb das Ausbautempo bei der Windkraft an Land und auf See zuletzt sehr deutlich hinter dem zurück, was zum Erreichen der 2030-Ziele notwendig ist. Um die Ziele der Ampelkoalition zu erreichen, müssen zeitnah konkrete und weitreichende politische Maßnahmen umgesetzt werden. Deren Erfolge können künftig mithilfe des Ampel-Monitors Energiewende kontinuierlich verfolgt werden.
Die Bundesregierung hat sich eine Reihe konkreter Ziele gesetzt, um die Energiewende voranzutreiben und die deutschen Klimaschutzverpflichtungen einzuhalten. Viele davon beziehen sich auf das Jahr 2030, in manchen Bereichen sind sie auch längerfristig bis zum Jahr 2045 formuliert. Einige der quantitativen Ziele wurden bereits im KoalitionsvertragSPD, Grüne, FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (online verfügbar). der Ampel-Koalition genannt. Seitdem folgten im Rahmen verschiedener Ministeriumspublikationen und Gesetzesentwürfe neue Vorgaben, teils wurden die im Koalitionsvertrag genannten Ziele dabei auch konkretisiert oder verschärft (Kasten).
In ihrem KoalitionsvertragSPD, Grüne, FDP (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (online verfügbar). vom 24. November 2021 haben sich die Ampel-Parteien diverse quantitative Ziele im Energiebereich für das Jahr 2030 gesetzt, unter anderem zum Anteil erneuerbarer Energien im Strom- und Wärmebereich, zur installierten Leistung von Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen auf See (aber nicht an Land), zur Bereitstellung von Flächen für die Windenergie an Land sowie zum Bestand von Elektro-Pkw und zur Elektrolysekapazität. Ergänzend wurden in der sogenannten Eröffnungsbilanz KlimaschutzBMWK (2022): Eröffnungsbilanz Klimaschutz. 13.01.2022 (online verfügbar). quantitative Ziele zur Windenergie an Land und zu Wärmepumpen genannt.
Am 6. April 2022 wurde das sogenannte OsterpaketBMWK (2022): Überblickspapier Osterpaket (online verfügbar). Das Paket trägt den formalen Titel „Planungsbeschleunigungspaket I“. vorgestellt, das eine Reihe von GesetzesvorhabenRelevant sind hier insbesondere Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG). Darüber hinaus umfasst das Osterpaket diverse weitere Gesetze und Verordnungen im Energierecht. umfasst. Ein wichtiger Bestandteil des Osterpakets ist die geplante Novellierung des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG),Deutscher Bundestag (2022): Drucksache 20/1630. Entwurf eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor. 02.05.2022 (online verfügbar). das konkrete und gegenüber den zuvor genannten Dokumenten verschärfte Ziele für die installierte Leistung von Photovoltaikanlagen und Windkraftanlagen an Land enthält. Dazu gehören zweijährige konkrete Zwischenziele bis zum Jahr 2030 sowie längerfristige Ziele darüber hinaus.
Zudem wurde am 15. Juni 2022 das sogenannte SommerpaketBundesregierung (2022): Planungen und Genehmigungen beschleunigen, Transformation voranbringen. Pressemitteilung 212, 15. Juni 2022 (online verfügbar). Das Paket trägt den formalen Titel „Planungsbeschleunigungspaket II“. angekündigt, das sich dezidiert dem Ausbau der Windenergie an Land widmet. Es beinhaltet unter anderem einen Gesetzesentwurf zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land, in dem Flächenziele gegenüber dem Koalitionsvertrag deutlich konkretisiert werden.BMWK (2022): Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land (online verfügbar).
Auf der europäischen Ebene gibt es diverse ältere Ziele zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Hinzu kommen neue Vorschläge im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets sowie des infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine entwickelten „REPowerEU“-Pakets. Allerdings gehen aus diesen Gesetzesinitiativen oft keine verbindlichen Teilziele für einzelne Länder hervor oder die Zielsetzungen erscheinen eher weniger ambitioniert als die der Ampelkoalition. Daher haben europäische Zielsetzungen derzeit keinen unmittelbaren Einfluss auf die im Ampel-Monitor erfassten Indikatoren.
In der gegenwärtigen energiepolitischen Debatte besteht ein großer Bedarf, die Regierungsziele im Energiebereich mit Blick auf die bisherigen Entwicklungen einzuordnen und die Fortschritte regelmäßig zu verfolgen. Dazu wurde am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) der Ampel-Monitor Energiewende entwickelt.Die Entwicklung des Ampel-Monitors Energiewende begann bereits Ende des Jahres 2021 unter dem Namen „KoaVTracker“, da die ersten Energieziele der Ampelkoalition zunächst im Koalitionsvertrag (KoaV) formuliert waren. Seitdem hat sich die Bundesregierung zunehmend weitere und über den Koalitionsvertrag hinausgehende Ziele gesetzt, so dass eine Umbenennung nötig wurde. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Daten und Analysen, die ab sofort auf der Homepage des DIW Berlin in verschiedenen Formaten bereitgestellt werden.Vgl. Ampel-Monitor auf der Homepage (online verfügbar). Dazu gehört auch dieser Wochenbericht, in dem die wichtigsten Indikatoren des Ampel-Monitors vorgestellt und die Regierungsziele im Kontext der aktuellen Entwicklungen diskutiert werden.Der Ampel-Monitor wurde im vom BMBF geförderten Forschungsprojekt Ariadne entwickelt, FKZ 03SFK5N0.
Der Ampel-Monitor Energiewende stützt sich auf derzeit 15 Indikatoren für erneuerbare Stromerzeugung, erneuerbare Wärme, Elektromobilität, Wasserstoff und Energieverbrauch (Tabelle). Dabei werden die jeweiligen Regierungsziele mithilfe interaktiver Grafiken visualisiert und regelmäßig mit dem tatsächlich erreichten Stand verglichen. Für die Indikatoren sind teils monatlich, teils auch nur jährlich aktualisierte öffentliche Daten verfügbar. Eine Auswahl von Abbildungen wird auf der Homepage des DIW Berlin bereitgestellt.Vgl. Ampel-Monitor auf der DIW-Homepage (online verfügbar). Alle Indikatoren mit den zugrunde liegenden Daten stehen auf der Datenplattform „Open Energy Tracker“ quelloffen zur Verfügung, die regelmäßig aktualisiert und erweitert wird.Die Daten stehen GitLab-basiert im Open Energy Tracker bereit und sind unter einer offenen Lizenz frei nutzbar (online verfügbar).
Bereich | Indikator | Datenquelle |
---|---|---|
Erneuerbare Stromerzeugung | Installierte Leistung Photovoltaik | Monats- und Quartalsdaten der AGEE-Stat (online verfügbar) |
Installierte Leistung Windkraft an Land | Monats- und Quartalsdaten der AGEE-Stat (online verfügbar) | |
Anteil der für Windkraftanlagen ausgewiesenen Landesfläche | Bericht des Bund-Länder-Kooperationsausschusses (online verfügbar) | |
Installierte Leistung Windkraft auf See | Monats- und Quartalsdaten der AGEE-Stat (online verfügbar) | |
Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor | Energiedaten des BMWK (online verfügbar) | |
Erneuerbare Wärme | Bestand an Wärmepumpen | EurObserv'ER (online verfügbar) und BWP (online verfügbar) |
Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch für Wärme | Zeitreihen der AGEE-Stat (online verfügbar) | |
Elektromobilität | Bestand batterieelektrischer Pkw | Kraftfahrt-Bundesamt (online verfügbar) |
Anteil batterieelektrischer Pkw an den monatlichen Neuzulassungen | Kraftfahrt-Bundesamt (online verfügbar) | |
Öffentliche Ladepunkte | Bundesnetzagentur (online verfügbar) | |
Batterieelektrische Fahrzeuge pro öffentlichem Ladepunkt | Kraftfahrt-Bundesamt (online verfügbar) und Bundesnetzagentur (online verfügbar) | |
Elektrifizierter Anteil des Schienenverkehrs | Deutsche Bahn AG (online verfügbar) | |
Wasserstoff | Installierte Leistung Elektrolyse | Internationale Energieagentur, Hydrogen Projects Database (online verfügbar) |
Energieverbrauch | Netto-Erdgasimporte nach Deutschland | Internationale Energieagentur, Gas Trade Flows (online verfügbar) |
Fossiler Primärenergieverbrauch | Energiedaten des BMWK (online verfügbar) und AGEB (online verfügbar) |
Anmerkung: Die Tabelle zeigt den Stand im Juli 2022. Die Indikatoren können laufend angepasst und erweitert werden.
Zur Illustration wird meist ein linearer Verlauf zwischen dem Stand zum Beginn der aktuellen Legislaturperiode und dem jeweiligen Zieljahr dargestellt,Als Startdatum der Ampelkoalition wird hier Ende November 2021 angenommen. In Bezug auf die Zieljahre wird davon ausgegangen, dass die Ziele jeweils im Dezember eines Jahres erreicht werden müssen. da die genauen Pfade der Zielerreichung von der Regierung oft nicht konkret spezifiziert wurden. Für die meisten Indikatoren werden zudem Projektionen aktueller Trends dargestellt. Diese stützen sich in der Regel auf den Zeitraum der vergangenen zwölf Monate sowie auf den Zeitraum der Jahre 2017 bis 2021.Die Berechnung der Trends erfolgt mit der Methode der kleinsten Quadrate (ordinary least squares, OLS).
Um die Ziele der Bundesregierung und die erreichten Fortschritte besser einordnen zu können, werden sie auch mit Ergebnissen der Szenarienanalyse des vom Bundesforschungsministeriums (BMBF) geförderten Kopernikus-Projekts AriadneVgl. Homepage des Ariadne-Projekts (online verfügbar). verglichen. Dabei handelt es sich um Szenarien, die von mehreren Energiemodellierungsteams entworfen und berechnet wurden und unterschiedliche Wege zur Klimaneutralität Deutschlands im Jahr 2045 aufzeigen.Gunnar Luderer, Christoph Kost und Dominika Sörgel (Hrsg.) (2021): Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 – Szenarien und Pfade im Modellvergleich (Ariadne-Report). Potsdam Institute for Climate Impact Research (online verfügbar). In diesem Bericht werden keine einzelnen Modellergebnisse gezeigt, sondern es wird auf die Spannweite beziehungsweise Korridore aller Ergebnisse verwiesen.Im Open Energy Tracker sind auch weitere Informationen zu Ariadne-Szenarien hinterlegt, insbesondere die Ergebnisse des für den jeweiligen Indikator relevanten Leitmodells. Da bei den Ariadne-Szenarien die Daten grundsätzlich nur in Fünfjahresschritten verfügbar sind, wurden die Daten der Zwischenjahre linear interpoliert. Die Ergebnisse der Ariadne-Szenarien liegen bis 2045 vor und erlauben somit einen längerfristigen Blick auf plausible Entwicklungen bei den jeweiligen Indikatoren.
Der Ampel-Monitor Energiewende ist kein statisches Produkt, sondern eine Sammlung von Daten und Analysen, die sich im Zeitverlauf – gemeinsam mit den Regierungszielen – weiterentwickeln wird. Er erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit mit Blick auf energiepolitische Zielsetzungen. Die Indikatoren können je nach Bedarf künftig angepasst oder erweitert werden.
Bei der erneuerbaren Stromerzeugung hat sich die Ampelkoalition konkrete Leistungsziele für den Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie sowie ihren Anteil am Stromverbrauch gesetzt.
Für die Photovoltaik (PV) hat die Koalition im Rahmen der aktuell geplanten EEG-Novelle (Kasten) ein Ausbauziel von 215 Gigawatt (GW) im Jahr 2030 vorgelegt. Zum Start der Ampelkoalition Anfang Dezember 2021 betrug die in Deutschland installierte Leistung mit gut 58 GW nur ein gutes Viertel davon. Um das Ziel zu erreichen, müssen bis Ende 2030 somit im Durchschnitt 1,44 GW pro Monat zugebaut werden, wobei von 2022 bis 2026 ein ansteigender Ausbaupfad vorgesehen ist (Abbildung 1). Dieser Zubau muss netto erfolgen, also unter Berücksichtigung der Anlagen, die in Zukunft vom Netz gehen werden. Der Trend des PV-Ausbaus in den vergangenen zwölf Monaten war mit 0,45 GW pro Monat deutlich geringer. Mit dieser Ausbaugeschwindigkeit würden bis Ende 2030 lediglich knapp 108 GW Leistung erreicht. Für das Ziel von 215 GW muss mehr als dreimal so schnell ausgebaut werden wie im Trend der vergangenen zwölf Monate – und sogar beinahe fünfmal so schnell wie im Trend der Jahre 2017 bis 2021. Allerdings sieht der in der EEG-Novelle vorgeschlagene Ausbaupfad für das Jahr 2022 nur knapp 0,6 GW pro Monat vor,Vgl. Deutscher Bundestag (2022), a.a.O., S. 136 (online verfügbar). was aufgrund höherer Zubauten in den Monaten Februar und März bisher tatsächlich auch erreicht wird. Nach 2030 soll die PV-Leistung weiter erheblich auf 400 GW im Jahr 2040 wachsen. Diese Regierungsziele liegen am oberen Ende des Korridors, den die Szenarien des Ariadne-Projekts aufspannen, und im Jahr 2040 sogar darüber – sie sind also tendenziell ambitionierter.
Für die Windkraft an Land ist in der geplanten EEG-Novelle ein Ziel von 115 GW installierter Leistung im Jahr 2030 genannt. Ende November 2021 lag sie mit knapp 56 GW nur knapp halb so hoch. Zum Erreichen des Ziels müssen bis Ende des Jahres 2030 im Durchschnitt 0,54 GW pro Monat netto zugebaut werden. Im Trend der vergangenen zwölf Monate waren es nur 0,13 GW pro Monat, das Ausbautempo muss also vervierfacht werden. Der in der EEG-Novelle vorgeschlagene Ausbaupfad für das Jahr 2022 sieht allerdings nur einen Zubau von rund 0,2 GW pro Monat vor;Vgl. Deutscher Bundestag (2022), a.a.O., S. 135 (online verfügbar). Bei der Windkraft an Land hat das BMWK in der grafischen Darstellung auf S. 135 des Dokuments offenbar einen Brutto- und keinen Netto-Ausbaupfad dargestellt. Die Werte wurden so skaliert, dass sich in den in Paragraph 2 definierten Stützjahren jeweils genau die spezifizierte (Netto-)Leistung ergibt. jedoch wird aktuell nicht einmal dieses Ziel erreicht. Nach dem Jahr 2030 strebt die Regierung eine weitere deutliche Steigerung der Kapazität auf 157 GW im Jahr 2035 und 160 GW im Jahr 2040 an. Die Ziele der Koalition für den Ausbau der Windkraft an Land liegen ungefähr in der Mitte des Ariadne-Szenarienkorridors, sind also ähnlich ambitioniert. Dieser Korridor ist breiter als der bei der Photovoltaik, die Modelle weichen hier also deutlicher voneinander ab.
Eine wesentliche Voraussetzung für den Ausbau der Windenergie an Land ist die Verfügbarkeit entsprechender Flächen. Dem Koalitionsvertrag zufolge sollen zwei Prozent der Landesflächen dafür ausgewiesen werden, wobei kein Zieljahr genannt wurde. Im aktuellen Entwurf des sogenannten Wind-an-Land-Gesetzes wird konkretisiert, dass dieses Zwei-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2032 erreicht werden soll, bis Ende 2026 sollen es 1,4 Prozent der Bundesfläche sein. Zudem wird spezifiziert, wie sich die Ziele auf einzelne Bundesländer verteilen.BMWK (2022): Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land (online verfügbar). Bundesweit waren Ende des Jahres 2020 nur 0,7 Prozent der Fläche rechtswirksam für Windenergie an Land ausgewiesen.BMWK (2021): Bund-Länder-Kooperationsausschuss (online verfügbar). Die 0,7 Prozent beziehen sich auf den unteren Korridor ohne Doppelzählungen, d.h. Flächenfestlegungen entweder ausschließlich auf Ebene der Raumordnung oder auf Bauleitplanebene. Somit muss dieser Anteil fast verdreifacht werden.Eine Visualisierung der Flächenziele findet sich im Open Energy Tracker (online verfügbar).
Für die Windkraft auf See strebt die Koalition eine Leistung von mindestens 30 GW im Jahr 2030 an.Bundesregierung (2022): Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Windenergie-auf- See-Gesetzes und anderer Vorschriften (online verfügbar). Zum Ampel-Start Anfang Dezember 2021 lag die in deutschen Gewässern installierte Leistung mit 7,8 GW nur bei einem guten Viertel davon. Um das Ausbauziel zu erreichen, müssen bis 2030 im Durchschnitt 0,20 GW pro Monat netto zugebaut werden. In den vergangenen zwölf Monaten gingen gar keine neuen Windkraftanlagen auf See ans Netz. Im Trend der Jahre 2017 bis 2021 waren es circa 0,07 GW pro Monat – diese Geschwindigkeit muss für das 2030-Ziel fast verdreifacht werden. Auch danach soll die installierte Leistung weiter stark wachsen, auf mindestens 40 GW im Jahr 2035 und mindestens 70 GW im Jahr 2045. Diese Ziele liegen im oberen Bereich des Ariadne-Szenarienkorridors, der sogar noch breiter als der bei der Windkraft an Land ist. Bis zum Jahr 2030 liegen die Ziele der Bundesregierung über den Ariadne-Szenarien.
Die Regierungskoalition strebt an, den Anteil erneuerbarer Energien am BruttostromverbrauchDer Bruttostromverbrauch ist der gesamte inländische Stromverbrauch inklusive Wandlungsverlusten. Er entspricht der Summe der inländischen (Brutto-)Stromerzeugung plus Stromimporten minus Stromexporten. bis zum Jahr 2030 auf 80 Prozent zu steigern. Fünf Jahre später soll die Stromversorgung laut „Osterpaket“ dann „nahezu vollständig“ auf erneuerbaren Energien beruhen.Bundesregierung (2022): Entwurf eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor (online verfügbar). Was genau „nahezu vollständig“ in Prozent bedeutet, ist unklar; unter Berücksichtigung der Stromerzeugung aus nicht-biogenen Abfällen sowie von Gicht- und Konvertergas dürfte ein Anteil erneuerbarer Energien von rund 95 Prozent plausibel sein. Im Jahr 2020 betrug der Anteil 45,1 Prozent, im Jahr 2021 waren es nur noch 41,9 Prozent, wobei diese Angaben noch nicht endgültig sind (Abbildung 2).BMWK (2022): Energiedaten (online verfügbar). Dieser Rückgang dürfte weitgehend durch zwei Faktoren erklärbar sein: Erstens ging im Jahr 2020 pandemiebedingt der Stromverbrauch insgesamt zurück, so dass der Anteil erneuerbarer Energien trotz nur geringen Ausbaus stieg. Im Jahr 2021 stieg der Stromverbrauch dann wieder an. Zweitens war das Windjahr 2021 relativ schlecht. Zur Erreichung des 2030-Ziels muss der Anteil ab 2021 im Durchschnitt um über vier Prozentpunkte pro Jahr wachsen – im Zeitraum 2017 bis 2021 betrug das Trend-Wachstum nur rund zwei Prozentpunkte pro Jahr.Im Open Energy Tracker sind ergänzend auch Anteile erneuerbarer Energien an der Nettostromerzeugung hinterlegt (online verfügbar). Diese liegen aufgrund einer permanenten Aktualisierung durch Fraunhofer ISE im Gegensatz zu den durch das BMWK berichteten Anteilen am Bruttostromverbrauch praktisch ohne Zeitverzug vor (online verfügbar). Die Ziele der Koalition für den Anteil der erneuerbaren Energien liegen im von den Ariadne-Szenarien aufgespannten Korridor.
Bei der erneuerbaren Wärme strebt die Ampelkoalition sowohl einen deutlichen Ausbau von Wärmepumpen als auch eine massive Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien an der Wärmeerzeugung an.
Wärmepumpen spielen in vielen Zukunftsszenarien insbesondere für den Raumwärmebereich eine große Rolle, weil sie mit Hilfe von elektrischem Strom Umweltwärme nutzbar machen und somit sehr energieeffizient sind.Vgl. Alexander Roth et al. (2022): Wärmepumpen statt Erdgasheizungen: Umstieg durch Ausbau der Solarenergie unterstützen. DIW Wochenbericht Nr. 22, 311–320 (online verfügbar). Die Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag kein konkretes Ziel für den Ausbau von Wärmepumpen gesetzt. In der Eröffnungsbilanz Klimaschutz wird jedoch ein Korridor von „4,1 bis 6 Millionen Wärmepumpen“ im Jahr 2030 genannt.Diese Zahl dürfte sich auf die Bereitstellung von Raumwärme in Einzelgebäuden beziehen, d.h. ohne Großwärmepumpen in Wärmenetzen und ohne Hochtemperaturwärmepumpen. Beim „Wärmepumpengipfel“ am 29.06.2022 wurde ein Ausbaupfad anvisiert, der ungefähr in der Mitte dieses Korridors liegt, vgl. BMWK und BMWSB (2022): Breites Bündnis will mindestens 500000 neue Wärmepumpen pro Jahr. Pressemitteilung (online verfügbar). Die Mitte dieses Korridors, also rund fünf Millionen Wärmepumpen, lässt sich indikativ als Ampel-Ziel darstellen. Ende des Jahres 2021 waren rund 1,4 Millionen Wärmepumpen in Deutschland installiert. Bis 2030 müssen somit jährlich rund 0,4 Millionen Geräte hinzukommen, gegenüber nur gut 0,1 Millionen pro Jahr im Trend der Jahre 2017 bis 2021 (Abbildung 3). Das Regierungsziel liegt im Korridor, den die Ariadne-Szenarien im Jahr 2030 aufspannen. Danach wächst der Wärmepumpen-Bestand in den Ariadne-Szenarien weiter stark, auf knapp 13 bis gut 16 Millionen Stück im Jahr 2030.
Der Koalitionsvertrag sieht „einen sehr hohen Anteil“ erneuerbarer Energien bei der Wärme vor. Er enthält jedoch kein explizites Ziel für den Anteil, sondern lediglich die Formulierung, dass bis zum Jahr 2030 die Hälfte der Wärme „klimaneutral“ erzeugt werden muss. Da andere Optionen wie importierter klimaneutraler Wasserstoff oder CO2-Abscheidung im Wärmebereich bis 2030 jedoch unrealistisch erscheinen, kann dieses Ziel de facto als Ziel für erneuerbare Energien aufgefasst werden. Im Jahr 2021 betrug ihr Anteil am Endenergieverbrauch für Wärme und Kälte in Deutschland 16,5 Prozent.BMWK und AGEE-Stat (2022): Zeitreihen zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland. Stand: Februar 2022 (online verfügbar). Bis 2030 muss dieser Anteil demnach jährlich um fast vier Prozentpunkte zulegen (Abbildung 2). Seit dem Jahr 2012 ist er insgesamt um nicht einmal drei Prozentpunkte gestiegen, beziehungsweise im Trend der Jahre 2017 bis 2021 um rund 0,5 Prozentpunkte pro Jahr. Insofern erscheint das Ambitionsniveau der Ampelkoalition im Wärmebereich ganz besonders hoch. Eine konkrete Maßnahme zum Erreichen des 2030-Ziels ist die geplante Einführung einer Vorgabe, nach der neue Heizungen bereits ab dem Jahr 2024 mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Wärme betrieben werden müssen.Vgl. Formulierungshilfe zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Änderung des Gebäudeenergiegesetzes. Bearbeitungsstand 29.04.2022 (online verfügbar).
Die Ampelkoalition strebt sowohl einen massiven Ausbau der Elektroautoflotte als auch der dazugehörigen Ladeinfrastruktur an.Auch im Schienenverkehr plant die Ampelkoalition eine deutliche Steigerung der Elektrifizierung des Schienennetzes. Vgl. Ergänzende Darstellung im Open Energy Tracker (online verfügbar).
Die Regierung hat sich im Koalitionsvertrag ein Ziel von „mindestens 15 Millionen vollelektrische(n) Pkw bis 2030“ gesetzt. Da nennenswerte Anteile von Pkw mit Wasserstoff-Brennstoffzellen mittlerweile unplausibel erscheinen,Wolf-Peter Schill und Martin Kittel (2021): Grüner Wasserstoff in der Energiewende: Fokussierter Einsatz unverzichtbar. Heise online, 17.9.2021 (online verfügbar). kann dieses Ziel weitgehend als Ziel für rein batterieelektrische Fahrzeuge angesehen werden (ohne Plug-In-Hybride). Zum Start der Ampelkoalition Anfang Dezember 2021 gab es rund 587000 rein batterieelektrische Pkw in Deutschland.Im Open Energy Tracker werden ergänzend auch die Anteile von Elektro-Pkw an den monatlichen Neuzulassungen dargestellt (online verfügbar). Um das Ziel zu erreichen, müssen bis zum Jahr 2030 im Durchschnitt rund 132000 Fahrzeuge pro Monat hinzukommen (Abbildung 4). Im Trend der vergangenen zwölf Monate waren es, auch aufgrund von Problemen in den Lieferketten und langen Lieferfristen für Elektrofahrzeuge, nur knapp 28000 Elektroautos pro Monat. Das Wachstum muss also beinahe fünfmal so stark sein. Der hier angenommene lineare Verlauf ist dabei rein illustrativ. In Wirklichkeit ist eher mit einem S-kurvenförmigen Verlauf zu rechnen.Ein solcher Verlauf ist in Bezug auf die Neuzulassungen auch in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz des BMWK dargestellt. Öffentliche Daten zu Bestandsszenarien, mit denen das 2030-Ziel erreicht wird, liegen aber nicht vor. Einen weiteren Beitrag zur Steigerung der batterieelektrischen Pkw-Flotte dürfte neben den derzeit gewährten KaufprämienVgl. Peter Haan, Adrián Santonja di Fonzo und Aleksandar Zaklan (2022): Kaufprämien für Elektro-Pkw verändern Zusammensetzung des deutschen Automarkts. DIW Wochenbericht 15/16, 231–238 (online verfügbar). ein Verbot der Neuzulassungen von Pkw mit Verbrennungsmotoren leisten, wie es wahrscheinlich bald auf der EU-Ebene für 2035 beschlossen wird.
Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag ein Ziel von „einer Million öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladepunkten bis 2030 mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur“ gesetzt. Ende November 2021 waren knapp 54000 Ladepunkte in Betrieb, davon circa 46000 Normalladepunkte und 8000 Schnellladepunkte (Abbildung 4). Bis 2030 müssen im Durchschnitt somit monatlich rund 8700 neue Ladepunkte in Betrieb gehen. Im Trend der vergangenen zwölf Monate waren es nur gut 1200 monatlich. Gegenüber diesem Trend muss der Ausbau der Ladeinfrastruktur um den Faktor sieben steigen.
Aus den Fahrzeugbestands- und Ladeinfrastrukturzielen für 2030 ergibt sich ein Verhältnis von 15 batterieelektrischen Pkw pro öffentlich zugänglichem Ladepunkt im Jahr 2030. Derzeit teilen sich knapp zwölf Elektro-Pkw einen öffentlichen Ladepunkt. Betrachtet man nur die Schnellladepunkte, liegt das Verhältnis derzeit bei knapp 80 Elektro-Pkw pro Schnelllader.Hierzu gibt es im Open Energy Tracker eine ergänzende Abbildung (online verfügbar).
Im Koalitionsvertrag wird „eine Elektrolysekapazität von rund 10 Gigawatt im Jahr 2030“ als Ziel genannt. Anfang Oktober 2021 waren in Deutschland Elektrolyseure mit einer elektrischen Leistung von gerade einmal 61 Megawatt (MW) in Betrieb (Abbildung 5). Konsistente neuere Daten sind im Moment nicht verfügbar. Demnach müssen bis Ende 2030 im Durchschnitt etwa 90 MW pro Monat zugebaut werden. Wie bereits im Fall der batterieelektrischen Fahrzeuge ist der dargestellte lineare Verlauf rein illustrativ. In Wirklichkeit ist eher von einem S-Kurven-förmigen Ausbaupfad auszugehen. Das Ziel für 2030 liegt im oberen Bereich des Korridors, den die Ariadne-Szenarien aufspannen. Konkrete Ziele für die Zeit nach 2030 hat sich die Bundesregierung noch nicht gesetzt. Der Ariadne-Szenarienkorridor wird bis zum Jahr 2045 wegen der bestehenden Unsicherheit zur langfristigen Rolle der inländischen Wasserstoff-Elektrolyse sehr breit.
Der Ampel-Monitor zeigt, dass bei allen betrachteten Indikatoren eine große Lücke zwischen dem aktuellen Stand und den Regierungszielen für das Jahr 2030 besteht. Betrachtet man den jetzigen Stand im Vergleich zu den Zielen im Jahr 2030, so ist die Lücke bei der Elektromobilität und grünem Wasserstoff am größten, gefolgt vom Ausbau der Windkraft auf See, der Photovoltaik und der Wärmepumpen (Abbildung 6).
Hinzu kommen die zuvor dargestellten Unterschiede in der aktuellen Ausbaudynamik. Vergleicht man den Ausbautrend der vergangenen zwölf Monate mit dem Tempo, das für das Erreichen der 2030-Ziele nötig ist, bleibt die Windkraft sowohl an Land als auch auf See deutlich hinter der Photovoltaik zurück (Infografik auf erster Seite). Dies weist auf einen besonders akuten Handlungsbedarf bei der Windkraft hin.
Durch die Bereitstellung aktueller, offener Energiedaten und den Vergleich mit den Zielen der Bundesregierung leistet der Ampel-Monitor Energiewende einen Beitrag zu einer informierten und faktenbasierten energiepolitischen Debatte. Er wird ab sofort regelmäßig aktualisiert. Einzelne Indikatoren könnten auch als Frühindikatoren für den Erfolg der Klimaschutzpolitik genutzt werden, da sie deutlich zeitnäher vorliegen als Emissionsdaten.Vgl. Daniela Fietze et al. (2021): Ein wirksames Klimaschutzgesetz braucht Frühindikatoren. DIW Wochenbericht 41, 679–687 (online verfügbar). Dazu gehören beispielsweise die monatlichen Ausbauerfolge bei den erneuerbaren Energien oder das Wachstum der Elektrofahrzeugflotte.
Da die meisten der betrachteten Regierungsziele im oder sogar über dem Korridor der Ariadne-Szenarien liegen, sollten diese Ziele nach dem heutigen Kenntnisstand grundsätzlich kompatibel mit Pfaden sein, die zum Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 führen. Inwiefern dies auch für weiterentwickelte Klimaneutralitätsszenarien gilt, die beispielsweise die Sektorenkopplung noch stärker detaillieren oder die aktuell durch den Angriff Russlands auf die Ukraine bedingten Umwälzungen auf den Energiemärkten abbilden, bleibt Gegenstand der Forschung und wird unter anderem im Rahmen des Ariadne-Projekts weiter untersucht.
Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre kann keines der hier betrachteten Ziele der Ampelkoalition als Selbstläufer gelten. Die Entwicklung muss in allen Bereichen deutlich an Dynamik gewinnen, damit die Ziele für 2030 erreicht werden. In ganz besonderem Maße gilt dies für den Anteil erneuerbarer Energien im Wärmebereich, für das Wachstum der Elektrofahrzeugflotte sowie der dazugehörigen Ladeinfrastruktur und für den Hochlauf der Elektrolysekapazität – hier ist die Kluft zwischen dem derzeitigen Stand und den Zielen besonders tief. Beim Ausbau der Windkraft – sowohl an Land auch auf See – ist das Ausbautempo zudem zuletzt erheblich hinter dem zurückgeblieben, was erforderlich wäre.
Dementsprechend sind sehr zeitnah konkrete und umfassende Maßnahmen nötig, um insbesondere die Ziele für das Jahr 2030 zu schaffen. Derzeit befinden sich diverse relevante Gesetzesvorhaben in der politischen Abstimmung. Die Maßnahmen sollten außerdem langfristig angelegt werden, denn auch nach 2030 ist ein starker Ausbau in allen Bereichen notwendig, damit das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden kann.
Themen: Klimapolitik, Energiewirtschaft
JEL-Classification: Q42;Q48
Keywords: energy policy; monitoring; open data; Germany
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-27-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/261412