DIW Wochenbericht 19 / 2024, S. 279-286
Sophie M. Behr, Merve Kücük, Maximilian Longmuir, Karsten Neuhoff
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„Bei energetischen Sanierungen sollten zuerst die ineffizientesten Gebäude saniert werden. Neben ökonomischen Vorteilen hat dies auch verteilungspolitisch positive Effekte.“ Karsten Neuhoff
Die energetische Sanierung von Gebäuden verläuft in Deutschland weiterhin schleppend. Dabei hat eine Sanierungsstrategie, bei der sehr ineffiziente Gebäude zuerst saniert werden, energie- und sozialpolitische sowie wirtschaftliche und klimapolitische Vorteile. Auf Grundlage von Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zeigt sich, dass vor allem einkommensschwache Haushalte gegen soziale Härten abgesichert werden. Diese Haushalte leben oft in sehr ineffizienten Gebäuden. 28 Prozent der Mieter*innen und 13 Prozent der Eigentümer*innen sind betroffen. Die Unsicherheit beim Kosten-Nutzen-Verhältnis von Sanierungen und andere Prioritäten von Hauseigentümer*innen führen jedoch dazu, dass nicht ausreichend viele Gebäude saniert werden. Damit werden die Einsparpotentiale insbesondere bei sehr ineffizienten Gebäuden nicht erschlossen. Dies ist jedoch notwendig, um Heizkostenrisiken und Abhängigkeiten von Energieimporten zu reduzieren sowie die Klimaziele zu erreichen. Eine bessere Ausrichtung von Finanzierungs- und Förderinstrumenten auf die Eigentümer*innenstruktur, die Weiterentwicklung von Gebäudestandards und des Mietrechts könnten helfen.
Hohe Energiekosten und die Kostenrisiken durch Energiepreisschocks können mit energetischen Sanierungen effektiv reduziert werden.Karsten Neuhoff et al. (2022): Hohe Gaspreisanstiege: Entlastungen notwendig. DIW Wochenbericht Nr. 36, 455–463 (online verfügbar), abgerufen am 15. April 2024. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht.. Einkommensschwache Haushalte würden davon besonders profitieren, wenn sie derzeit in sehr ineffizienten GebäudenIm Entwurf des Europäischen Parlaments gelten die 43 Prozent der Gebäude mit dem höchsten Heizenergieverbrauch als ineffizient. European Parliament (2024): Energy performance of buildings (recast) (online verfügbar). In diesem Bericht werden die Gebäude als sehr ineffizient bezeichnet. leben und bis zu 30 Prozent ihres Einkommens für Heizkosten ausgeben (Abbildung 1). Eine Strategie, bei der Förderprogramme, Gebäudestandards und andere Maßnahmen darauf ausgelegt werden, dass sehr ineffiziente Gebäude zuerst saniert werden (Worst First), würde insbesondere diesen Haushalten helfen. Energiekostenzuschüsse, wie das in der Gaspreiskrise erweiterte Wohngeld-Plus oder das im Kontext von CO2-Preisen diskutierte Klimageld, adressieren Kostenanstiege in sehr ineffizienten Gebäuden nur partiell, da die pauschalen Zahlungen die höheren Kostenbelastungen bei diesen Gebäuden nicht abdecken.
Ein direkt an die Heizkosten oder CO2-Kosten gekoppelter Energiekostenzuschuss kann die Belastung zwar abfedern, führt allerdings zu hohen fiskalischen Kosten, da die Anreize für Investitionen in Effizienzsteigerungen reduziert werden. Diesem Dilemma kann mit einer beschleunigten Sanierung der sehr ineffizienten Gebäude begegnet werden, am besten vor einer weiteren Energiepreiskrise und auch als Antwort auf die Klimakrise und hohe Energieimportabhängigkeiten.
Für die Analyse wurde mithilfe der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) die Heizkostenverteilung innerhalb der Einkommensdezile für das Jahr 2024 abgeschätzt und mit zwei Szenarien einer beschleunigten Sanierung der sehr ineffizienten Gebäude verglichen (Abbildung 1). In der 2024 verabschiedeten Europäischen Gebäudeeffizienzrichtline wird gefordert, energetische Sanierungen bei den ineffizientesten 43 Prozent der Gebäude zu priorisieren.European Parliament (2024), a.a.O. In Szenario 1 wird angenommen, dass 70 Prozent von diesen Gebäuden saniert werden. Dies entspricht 30 Prozent aller Gebäude (Kasten). In Szenario 2 werden alle sehr ineffizienten Gebäude, also 43 Prozent aller Gebäude, saniert (Kasten).
Es wird angenommen, dass bei zwei Drittel der sanierten Gebäude eine umfassende Sanierung erfolgt, analog zu den Annahmen in den Langfristszenarien des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK).Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Hintergrundpapier zur Gebäudestrategie Klimaneutralität 2045 (online verfügbar). Ein Einfamilienhaus erreicht damit einen Heizenergieverbrauch von 55 Kilowattstunden pro Quadratmeter (kWh/qm); ein Mehrfamilienhaus von 40 kWh/qm. Bei einer Teilsanierung wird für alle Gebäude angenommen, dass der Energieverbrauch auf 100 kWh/qm reduziert wird. Die Sanierung von 70 Prozent sehr ineffizienter Gebäude in Szenario 1 wird durch eine zufällige Auswahl abgebildet. Im Referenzjahr 2017 lagen die durchschnittlichen Wärmepreise bei 0,06 Euro/kWh.Puja Singhal und Jan Stede (2019): Wärmemonitor 2018: Steigender Heizenergiebedarf, Sanierungsrate sollte höher sein. DIW Wochenbericht Nr. 36, 619–628 (online verfügbar). Seitdem sind die Preise um 40 Prozent gestiegen.Statistisches Bundesamt (2024): Statistischer Bericht – Daten zur Energiepreisentwicklung – Januar 2024 (online verfügbar). Im selben Zeitraum stiegen die Einkommen um 17 Prozent.Statistisches Bundesamt (2024): Reallohnindex (online verfügbar).
Der Vergleich der Szenarien zeigt, dass mit einer Priorisierung der sehr ineffizienten Gebäude die Energiekostenbelastungen relativ zum Einkommen von Haushalten in allen Einkommenssegmenten stark reduziert wird.
Besonders große Vorteile haben die Haushalte, die aktuell sehr hohe Energiekostenanteile tragen. In Szenario 1 fallen die Kostenanteile für Haushalte im zweituntersten Einkommenssegment bei besonders hohen Belastungen (95. Perzentil) von 19,8 Prozent auf 15,5 Prozent. Bei einer Sanierung aller sehr ineffizienten Gebäude in Szenario 2 fällt der Energiekostenanteil sogar auf 11,6 Prozent.
Die Analyse zeigt auch, dass Mieter*innen deutlich stärker von schlecht isolierten Gebäuden betroffen sind. Sie haben in allen Einkommenssegmenten im Durchschnitt höhere Heizkosten pro Quadratmeter als Eigentümer*innen (Abbildung 2). Dass Mietwohnungen durchschnittlich in einem schlechteren energetischen Zustand sind als Eigentumswohnungen, wird unter dem Stichwort Mieter*innen-Vermieter*innen-Dilemma in der Literatur intensiv diskutiert und auf eine Vielzahl von Faktoren zurückgeführt.Jakob Ahlrich und Sebastian Rockstuhl (2022). Estimating fair rent increases after building retrofits: A max-min fairness approach. Energy Policy, 164, 112923. Martin Gornig und Katrin Klarhöfer (2023): Investitionen in die energetische Gebäudesanierung auf Talfahrt. DIW Wochenbericht Nr. 33, 441–448. Zum Beispiel profitieren Vermieter*innen anders als selbstnutzende Eigentümer*innen über die Modernisierungsumlage nur indirekt von Heizkosteneinsparungen.
Neben der sozialen Komponente einer Worst-First-Sanierungsstrategie, gibt es weitere Vorteile. Zum einen müsste weniger Gas importiert werden. Würde beispielsweise die derzeitige Sanierungsrate von knapp einem Prozent in den nächsten drei Jahren schrittweise auf vier Prozent erhöht und würden dabei die sehr ineffizienten Gebäude priorisiert, könnten in diesem Zeitraum rund 14,4 Prozent des Gasbedarfs im Gebäudesektor eingespart werden.Sophie Behr, Merve Kücük und Karsten Neuhoff (2023): Energetische Modernisierung von Gebäuden sollte durch Mindeststandards und verbindliche Sanierungsziele beschleunigt werden. DIW aktuell Nr. 87 (online verfügbar).
Zum anderen kann mit einer Priorisierung die größte Einsparung von Heizkosten erreicht werden. Mit der Effizienzverbesserung bei 30 (beziehungsweise im zweiten Szenario 43) Prozent der Gebäude können durchschnittlich 34 (56) Prozent der Heizkosten eingespart werden.Kalkuliert mit der Verringerung der Kosten im Median je Quadratmeter: Szenario 1: (11,04–16,8)/16,8*100 = –34,3, Szenario 2: (7,41–16,8)/16,8*100 = –55.9. Grundsätzlich bieten die Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz die größten wirtschaftlichen Chancen für die Gebäudesanierung – sowohl auf individueller als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Auch wegen der begrenzten Kapazitäten für Bau- und Gebäudesanierungen und der angestrebten Steigerung der jährlichen Sanierungsraten ist es wichtig, sehr ineffizienten Gebäuden eine hohe Priorität einzuräumen.
Schließlich muss auch die Wärmeversorgung klimaneutral werden, um Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland zu erreichen. Dies erfordert eine weitgehende Umstellung auf Wärmepumpen und klimaneutrale Fernwärme. Eine angemessene Energieeffizienz von Gebäuden erhöht dabei auch die Effizienz von Wärmepumpen und führt zu Energieeinsparungen, die über die Dämmung hinausgehen. Mit der Reduktion des maximal notwendigen Wärmebedarfs verringern sich zugleich die Investitionskosten für Wärmepumpen und die Kosten, die innerhalb des Stromsystems zur Deckung der Spitzenstromnachfrage in kalten Perioden anfallen.
Energetische Sanierungen werden oft als Investitionsrisiko angesehen. Haushalte mit hohen Einkommen oder Immobilienfonds mit einem größeren Anlageportfolio können prinzipiell rentable, wenn auch mit Risiken versehene, Investitionen leichter tätigen. Für andere können die Risiken überwiegen und dazu führen, dass Investitionen nicht durchgeführt werden.Dabei kumulieren sich der Effekte von technischen Risiken bei der Ausführung, Energiepreis- und Immobilienmarktrisiken sowie Finanzierungsrisiken. Claus Michelsen, Karsten Neuhoff und Anne Schopp (2015): Beteiligungskapital als Option für mehr Investitionen in die Gebäudeenergieeffizienz? DIW Wochenbericht Nr. 19, 463–470 (online verfügbar).
Wenn eine allgemeine Instandsetzung oder Modernisierung eines Gebäudes vorgenommen wird, tragen die Kosten für ein zusätzliches Wärmeverbundsystem für Wände oder energetisch bessere Fenster rund ein Drittel zu den Gesamtkosten einer Sanierungsmaßnahme bei. Pro Quadratmeter Wohnfläche ergeben sich zusätzliche Investitionen für die energetische Modernisierung von 180 bis 360 Euro pro Quadratmeter.Katja Schumacher, Christian Nissen und Sibylle Braungardt (2022): Energetische Sanierung schützt Verbraucher*innen vor hohen Energiepreisen – Vorschläge für eine soziale Ausrichtung der Förderung, Öko-Institut e.V. (online verfügbar). Einsparungen ergeben sich unter Annahme von unsaniertem Energieverbrauch zwischen 200 und 250 kWh/qm und Verbrauch nach Sanierung von 50-100 kWh/qm. Die insgesamt anfallenden Investitionskosten von 600 bis 780 Euro pro QuadratmeterSchumacher et al. (2022), a.a.O. lassen sich nicht allein durch die eingesparten Energiekosten rechtfertigen. Wenn Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen nicht notwendig sind, ist eine gezielte Teilsanierung kostengünstiger. Oft bietet sich dabei die Dämmung der obersten Geschossdecke und der Kellerdecke an, in vielen Gebäuden auch eine Einblasdämmung, bei der Dämmmaterial zum Beispiel in die Lücke zwischen Wand und Fassade geblasen wird. Insgesamt ergeben sich dabei in Einfamilienhäusern Gesamtkosten in der Größenordnung von rund 120 Euro pro Quadratmeter.Guidehouse (2023): Ausblick auf potenziell die MEPS erfüllende Maßnahmen für Einfamilienhäuser in Deutschland (online verfügbar).
Die genannten Kosten geben zwar Auskunft über die Wirtschaftlichkeit von Sanierungen sowie deren Amortisationszeiten, können aber stark variieren. Darüber hinaus können reduzierte Energiepreise und höhere Zinsbelastungen die Amortisationszeit verlängern, was die Risiken von energetischen Sanierungen erhöht (Abbildung 3).
Eine Kombination aus Standards, Anreizen und Förderung unterstützt aktuell die energetische Gebäudesanierung (Abbildung 4). Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) fördert sowohl umfassende Sanierungsmaßnahmen für Wohngebäude (BEG WG) als auch Einzelmaßnahmen (BEG EM). Alternativ können einkommensteuerpflichtige Personen 20 Prozent der Kosten von Maßnahmen und 50 Prozent der Kosten einer Fachplanung und Baubegleitung auf ihre Steuerschuld anrechnen.
Beide Förderprogramme bewahren bei sehr ineffizienten Gebäuden den relativ hohen Anreiz, diese zu sanieren, da hier mit vergleichbaren Investitionskosten mehr Energiekosten eingespart werden können. Die Förderung eines Anteils der Investitionskosten mit zinsvergünstigten Darlehen oder Zuschüssen beeinflusst dies nicht. Allerdings zeigen die SOEP-Daten, dass der Anteil selbstnutzender Eigentümer*innen mit Vermögen und Einkommen unterhalb der Grenzen des Wohngeld-Plus, der in sehr ineffizienten Gebäuden lebt, um 40 Prozent höher ist als bei anderen Eigentümer*innen.Der Anteil sehr ineffizienter Wohnungen bei Eigentümer*innen unterhalb der Wohngeld-Plus-Grenze beträgt rund 42 Prozent und ist damit rund 40 Prozent höher als bei Eigentümer*innen oberhalb der Wohngeld-Plus-Grenze, wo der Anteil rund 30 Prozent beträgt. Für Eigentümer*innen mit geringerem Einkommen und Einkommensteuern ist die steuerliche Förderung nicht attraktiv. Sie können jedoch die alternativen Förderprogramme und KfW-Darlehen in Anspruch nehmen. Das deutet auf größere Herausforderungen in diesem Einkommenssegment hin, Sanierungen umzusetzen. Dies ist konsistent mit den relativ höheren Investitions- und Finanzierungsrisiken für diese Einkommensgruppe. Für die hiervon betroffenen Haushalte – 13 Prozent aller Haushalte mit selbstgenutztem Wohneigentum beziehungsweise sechs Prozent aller Haushalte (Abbildung 5) – sind dementsprechend eine höhere FörderquoteSo bietet zum Beispiel MaPrimeRenovation, das französische Förderprogramm für energetische Gebäudesanierungen, höhere Förderquoten für Haushalte mit geringem Einkommen (online verfügbar). oder ergänzende Finanzierungsinstrumente (zum Beispiel nachrangige Darlehen) notwendig.Im Falle einer Insolvenz oder Liquidation werden nachrangige Kredite erst bedient, nachdem die Forderungen priorisierter Gläubiger vollständig erfüllt sind. Dies trägt dazu bei, Risiken zu mindern und Finanzierungskosten für zusätzliche Kredite zu senken. Michelsen, Neuhoff und Schopp (2015), a.a.O. Für umfassende Sanierungen von ineffizienten Gebäuden gibt es bei der Förderung über KfW-Kredite seit dem 1. Januar 2023 einen zusätzlichen Tilgungszuschuss von zehn Prozent.
Für Eigentümer*innen können sich Herausforderungen für die Finanzierung von energetischen Gebäudesanierungsmaßnahmen durch knappes Eigenkapital und einen daraus resultierenden beschränkten Zugang zu zusätzlichem Fremdkapital ergeben. Damit dennoch längerfristig rentable energetische Investitionsmaßnahmen umgesetzt werden können, sollte erwogen werden, nachrangige und niedrig verzinste Kredite der KfW zu vergeben oder zum Beispiel Wohnungsbaugenossenschaften staatlich abgesichertes Beteiligungskapital für solche Investitionen bereit zu stellen.Klaus Mindrup (2024): Roundtable Wärmewende (online verfügbar).
Bei Vermieter*innen sind die Anreize für die Umsetzungen energetischer Gebäudesanierungen beschränkt, da Energie- und CO2-Kosten und die damit verbundenen Risiken von Mieter*innen und nicht den Eigentümer*innen getragen werden. Gerade in Regionen mit knappem Wohnraum und bindenden Mietpreisbremsen führen ineffiziente Gebäude nicht zu Mietminderungen für Eigentümer*innen. Um dennoch Anreize für die Sanierung zu schaffen, werden seit 2023 die CO2-Kosten aus dem nationalen Emissionshandel zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen aufgeteilt. Je höher die CO2-Emissionen pro Quadratmeter, desto größer ist der Anteil der von Vermieter*innen zu tragenden CO2-Kosten. In Gebäuden mit einem CO2-Ausstoß von mehr als 52 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter im Jahr beträgt der Anteil 95 Prozent.Kohlendioxidkostenaufteilungsgesetz vom 5. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2154) (online verfügbar). Es ist allerdings zu befürchten, dass in Wohnungen, bei denen die Mietspreisbremse nicht bindend ist, die Kosten dann mittelfristig auch an Mieter*innen weitergegeben werden.Um die Belastung von Haushalten durch den CO2-Preis zu begrenzen, wurde im Europäischen Emissionshandel II ein Preislimit von 45 Euro pro Tonne CO2 vereinbart (Präambel), allerdings nur eingeschränkt umgesetzt. Das beschränkt die Anreizwirkung.
Im Jahr 1977 wurden mit der Wärmeschutzverordnungerste Wärmeschutzanforderungen im Neubau definiert.Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1977, Teil I. Verordnung über einen energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden (Wärmeschutzverordnung – WärmeschutzV). Vom 11. August 1977 (online verfügbar). Inzwischen macht das Gebäudeenergiegesetz (GEG) Wärmeschutzvorgaben auch für den Bestand, wenn zum Beispiel mehr als zehn Prozent einer Außenwand renoviert werden.GEG § 48. Außerdem müssen bei Eigentümer*innenwechsel bestimmte Heizkessel ausgetauscht werden und die oberste Geschossdecke zu unbeheizten Dachräumen gedämmt werden.GEG § 47, GEG § 72.
Um die Einsparpotentiale bei den ineffizienten Gebäuden im Bestand zu erschließen, können Mindestenergiestandards verabschiedet werden. EU-weit gelten solche Standards ab 2032 für Nichtwohngebäude.European Parliament (2024): Energy efficiency of buildings: MEPs adopt plans to decarbonise the sector. Press Releases-ITRE. Online verfügbar. In einigen Ländern außerhalb der EU, wie England und Wales, gelten Mindeststandards bereits jetzt auch für Wohngebäude.Steven Nadel und Adam Hinge (2023): Mandatory Building Performance Standards: A Key Policy for Achieving Climtae Goals, ACEEE Report (online verfügbar), Öko-Institut e.V. (online verfügbar). Mindestenergiestandards haben den Vorteil, dass, wie in Szenario 2 unterstellt, alle sehr ineffizienten Gebäude saniert werden und keine Haushalte weiterhin hohen Energiekostenrisiken ausgesetzt sind (Szenario 1).
Mit der Modernisierungsumlage können Vermieter*innen seit 2001 die Modernisierungskosten von Gebäuden auf die Mieter*innen umlegen. Die Qualität von Mietwohnungen hat sich damit vielerorts verbessert, jedoch haben die Mietsteigerungen die Energieeinsparungen weit überstiegen.Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu): Klimaschutz in Mietwohnungen: Modernisierungskosten fair verteilen. Kurzstudie zur Weiterentwicklung und Aktualisierung der „Drittelmodells“. Berlin, 16. April 2024 (online verfügbar). Seit 2019 können pro Jahr statt elf nur noch acht Prozent der energetischen Modernisierungsinvestitionen bis zu maximal drei Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren auf die Mieten umgelegt werden.BGB § 559.
Von allen Mietenden leben 28 Prozent der Haushalte in sehr ineffizienten Gebäuden und haben ein Einkommen und Vermögen unterhalb der Grenzen des Wohngeld-Plus (Abbildung 5).Die 28 Prozent ergeben sich daraus, dass 15 Prozent der Haushalte in sehr ineffizienten Mietwohnungen leben und unterhalb der Wohngeld-Plus-Grenze liegen (Abbildung 5). Mieter*innen machen rund 54 Prozent der Haushalte aus. Deswegen hat die von der Bundesregierung berufene Expert*innenkommission Gas und Wärme im Jahr 2022 empfohlen, dass „die staatlichen Unterstützungen so ausgelegt werden, dass Vermieter*innen eine annähernd warmmietenneutrale Sanierung umsetzen können“ und die Modernisierungsumlage entsprechend angepasst wird.ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme (2022): Sicher durch den Winter. Abschlussbericht 2022 (online verfügbar).
Eine Reform der Modernisierungsumlage mit dem Ziel, dass nach einer energetischen Modernisierung die Mietkostenanstiege die Heizkosteneinsparungen nicht übersteigen darf, hätte drei Vorteile: Erstens würden die Anreize für eine Worst-First-Strategie steigen, weil es profitabler ist, vermietete Gebäude mit höheren Energieeinsparungspotenzialen zu sanieren. Zweitens würde die Motivation von Vermieter*innen steigen, bestehende Förderprogramme zu nutzen, da sie die Miete nicht wie bisher um den nicht geförderten Anteil der Investitionskosten erhöhen können.8 Drittens könnten Förderungen an Qualitätsnachweise geknüpft werden, sodass ein bestimmtes Energieniveau nach einer Sanierung tatsächlich erreicht wird.
Eine Worst-First-Strategie ist ein erfolgversprechender Politikansatz. Sie ist ein sozialer Ansatz, der besonders betroffene einkommensschwache Haushalte und Mieter*innen vor hohen Heizkosten schützen kann sowie klima- und energiepolitische Vorteile mit sich bringt. Eine Beschränkung der Modernisierungsumlage auf eingesparte Heizkosten steigert nicht nur die Akzeptanz bei Mieter*innen, sondern unterstützt auch die Priorisierung der Sanierungen auf die ineffizienten Gebäude.
Zwar bergen Sanierungen bestimmte Risiken für Eigentümer*innen, rentieren sich jedoch häufig und könnten durch höhere Gebäudestandards sowie eine gezielte Förderung einkommensschwacher Eigentümer*innen angeschoben werden. Gebäudestandards könnten dazu beitragen, dass alle sehr ineffizienten Gebäude saniert und Bewohner*innen vor Heizkostenrisiken geschützt werden. Die Erwartung, dass auch Deutschland Standards einführen könnte, schafft zudem Anreize für Eigentümer*innen, schon jetzt bei Sanierungsmaßnahmen entsprechende Effizienzanforderungen zu berücksichtigen. Standards könnten auch in bestehende Förderprogramme aufgenommen werden, zum Beispiel bei der Förderung von Wärmepumpen.
Für Politik, Eigentümer*innen und Industrie ist die fehlende Planbarkeit eine Herausforderung, weswegen sogar während der Energiekrise der Umfang der Sanierungen gesunken ist.Gornig und Klarhöfer (2023), a.a.O. Da eine Worst-First-Strategie neben sozialpolitischen auch wirtschaftliche Vorteile hat, könnte sie dazu beitragen, die gesellschaftliche und politische Unterstützung für die Gebäudesanierung zu erhöhen.
JEL-Classification: D12;D31;L90;Q41
Keywords: retrofitting, heat energy, worst-first approach, minimum energy performance standards
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-19-1