27. Mai 2014, Hermann Buslei und Katharina Wrohlich I hbuslei@diw.de kwrohlich@diw.de I Abteilung Staat am DIW Berlin
Verheiratete Paare werden in Deutschland nach dem Ehegattensplitting besteuert. Dieses System, das verheiratete Paare mit hohen Einkommen und hohen Einkommensunterschieden zwischen beiden Partnern im Vergleich zu unverheirateten Paaren mit gleichen Einkommen steuerlich begünstigt, steht immer wieder in der Kritik. In diesem Round-Up stellen wir zunächst kurz die Wirkungsweise des Ehegattensplittings dar und erläutern weitere relevante Regelungen zur Behandlung von Ehepaaren im Steuer- und Sozialrecht. Eine kurze Darstellung der steuerlichen Behandlung von Paaren in anderen Ländern zeigt die Bandbreite der alternativen Besteuerungsformen. Wir fassen zudem die am häufigsten vorgebrachten Kritikpunkte und Reformvorschläge zusammen. Des Weiteren geben wir einen Überblick über ausgewählte ökonomische Aspekte der wissenschaftlichen Diskussion zum Ehegattensplitting, z.B. den Aspekt der Versicherungsfunktion des Ehegattensplittings, und Analysen aus Sicht der Optimalsteuertheorie.
In Deutschland werden Ehegatten nach dem Splittingverfahren besteuert. Das bedeutet, dass bei gemeinsamer Veranlagung zur Einkommensteuer das gesamte zu versteuernde Einkommen (zvE) der beiden Ehepartner halbiert, die darauf entfallende Einkommensteuer berechnet und diese Steuerschuld anschließend verdoppelt wird. Durch diese Regelung wird garantiert, dass die Steuerschuld eines Ehepaares von der Verteilung der Einkommen innerhalb des Haushaltes unabhängig ist („gleiche Steuerschuld für Ehepaare mit gleichem Einkommen"). Durch den progressiven Steuertarif entsteht dadurch allerdings eine Differenz in der Steuerschuld gegenüber unverheirateten Paaren mit gleichem Haushaltseinkommen, die meist als „Splittingvorteil" bezeichnet wird. Der Grund dafür liegt zum einen darin, dass durch das Splittingsystem für jedes Ehepaar zwei Grundfreibeträge berücksichtigt werden (auch wenn einer der Ehepartner keine steuerpflichtigen Einkünfte erzielt). Zum anderen wird durch die fiktive hälftige Aufteilung des zu versteuernden Einkommens die Progression der Einkommensteuer gemildert.
Eine ausführliche Darstellung der Aufkommens- und Verteilungswirkungen findet sich z.B. in Bach et al., 2003, oder Bach et al., 2011. Der Splittingvorteil ist umso größer, je höher das Haushaltseinkommen ist und je größer die Differenz zwischen den individuellen Einkommen der Ehepartner ist. Der maximale Splittingvorteil beträgt unter dem Steuertarif 2014 15 686 Euro, er wird für Alleinverdiener-Paare bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von über 750 000 Euro erreicht. Für Alleinverdiener-Paare mit einen zvE zwischen 100 000 und 250 000 Euro pro Jahr beträgt er 8200 Euro pro Jahr. Der Splittingvorteil nimmt rasch ab, wenn der andere Ehepartner zunehmend zum Haushaltseinkommen beiträgt und verschwindet, wenn beide Ehepartner das gleiche Einkommen erzielen (vgl. dazu die Abbildungen in Bach et al., 2011).
Neben der Tarifvorschrift in §32 Abs. 5 EStG finden sich im Einkommensteuerrecht weitere vom Familienstand abhängige Regelungen. Im Rahmen der Sonderausgaben können Unterhaltsleistungen an geschiedene oder getrennt lebende, (in Deutschland) unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Ehepartner, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt, bis einem Betrag von 13.805 Euro pro Jahr abgezogen werden (§10 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Darüber hinaus hängt die Höhe der abziehbaren Vorsorgeaufwendungen (§10 Abs. 1 Nr. 2, 3, 3a EStG) vom Familienstand ab. Im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen können auch Unterhaltsleistungen von nichtehelichen Partnern in einer Bedarfsgemeinschaft steuerlich geltend gemacht werden, wenn durch diese Leistungen ein Bezug von Sozialleistungen vermieden wird (§33a Abs. 1 Satz 3 EStG, vgl. a. Spangenberg, 2005, S. 11). Für Alleinerziehende wird ein Entlastungsbetrag gewährt (§24b EStG).
Im Sozialrecht werden einzelne Leistungen gewährt, die direkt von der Tatsache abhängen, dass eine Person verheiratet ist bzw. war. Dazu zählen vor allem die kostenlose Mitversicherung eines Ehepartners (mit allenfalls geringen eigenen Einkünften) in der Krankenversicherung und die Gewährung einer Witwen(r)rente in der gesetzlichen Rentenversicherung Auf der anderen Seite sieht das Sozialrecht in Bereichen, in denen eine Bedürftigkeitsprüfung vorgenommen wird, den Einsatz von Einkommen und Vermögen der Partner im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft des Hilfebedürftigen vor. Eine Bedarfsgemeinschaft kann unabhängig vom Familienstand bestehen (vgl. §7 Abs. 3, 3a, §9 SGB II, §20 SGB XII). Für den Staat dürfte die Feststellung der Unterhaltspflicht von Partnern bei Ehepaaren vergleichsweise einfach sein. Allerdings kann die Unterhaltspflicht auch für bestimmte Gruppen der unverheirateten Paare, wie etwa Unverheiratete mit Kindern, vermutlich leicht festgestellt werden. Die wichtigsten Bereiche des Sozialrechts, in denen Unterhaltsverpflichtungen in Bedarfsgemeinschaften vorgesehen sind, sind das Arbeitslosengeld II und die Sozialhilfe. Das Ehegattensplitting im Steuerrecht kann als komplementär zu den Unterhaltsverpflichtungen im Sozialrecht angesehen werden. Dies ist aber auch dem Grunde nach nur dann überzeugend, wenn tatsächlich Ehepaare regelmäßig und nicht verheiratete Paare regelmäßig nicht zum Unterhalt herangezogen werden.
Die Besteuerung von Ehepartnern folgt nicht in allen Ländern dem Prinzip der gemeinsamen Besteuerung mit Ehegattensplitting. Wie eine Übersicht über die Einheit der Einkommensbesteuerung bei Ehepaaren der OECD (2005) zeigt, werden in den meisten OECD-Ländern Ehepartner individuell besteuert (z.B. in Österreich, Schweden, Finnland, Dänemark, Italien, Ungarn, Japan, Niederlande). In manchen Ländern gibt es Ausnahmen für Ehepaare, bei denen nur ein Partner Einkommen erzielt. Österreich z.B. gewährt verheirateten Personen mit Kindern, deren Partner ein zu versteuerndes Einkommen von unter 6000 Euro hat, einen sogenannten Alleinverdiener-Absetzbetrag. Dieser beträgt für ein Ehepaar mit einem Kind rund 500 Euro im Jahr und ist somit im Vergleich zum Splittingvorteil, der sich wie oben beschrieben aus der deutschen Regelung ergibt, vernachlässigbar gering.
Im Vereinigten Königreich wurde die gemeinsame Besteuerung von Ehepartnern 2001 zugunsten einer Individualbesteuerung abgeschafft. Für Ehepaare, in denen ein Partner vor 1935 geboren wurde, gab es eine Übergangsregelung (vgl. dazu z.B. Bach et al. 2013). Ab dem Jahr 2015 gibt es allerdings eine Neuregelung, die zum Teil wieder eine Abkehr von der reinen Individualbesteuerung darstellt. Ab April 2015 soll ein Teil des Grundfreibetrags, den ein Ehepartner aufgrund zu niedrigen Einkommens nicht „verbraucht“ auf den anderen Ehepartner übertragbar sein, allerdings nur bis zu einer gewissen Einkommensgrenze. (Vgl. zu den Details dieser Neuregelung einen Kommentar von R. Joyce, Institute for Fiscal Studies (IFS).
In den USA unterscheiden sich der Steuertarif sowie Abzugsbeträge nach dem Veranlagungsstatus (vgl. IRS 2013, S. 5, 20 ff., OECD 2013, S. 541 ff.). Dabei sind für die hier behandelte Fragestellung vor allem die Formen „Single“ (mit Kindern „Haushaltsvorstand“) sowie „Ehepaar gemeinsam veranlagt“ relevant. Die ebenfalls von Ehepaaren wählbare Form „Ehepaar getrennt veranlagt“ ist nur für einen kleinen Teil der Steuerpflichtigen vorteilhaft (vgl. IRS 2013, S. 22, Wicker 2014). Wählen die Ehepartner die gemeinsame Veranlagung, wird allerdings ihr Einkommen nicht wie in Deutschland durch 2 geteilt, sondern es gilt für sie ein anderer Einkommensteuertarif. Gegenüber unverheirateten Paaren können sich Ehepaare je nach den individuellen Verhältnissen besser oder auch schlechter stellen. Ein Vorteil ergibt sich meist, wenn sich das Einkommen der Partner deutlich unterscheidet. Dieser Vorteil steigt mit dem Einkommen an und erreichte (rein tarifbedingt) im Jahr 2013 in der Spitze etwa 10.100 US-Dollar. In diesem Sinne ist das System mit dem deutschen Ehegattensplitting verwandt. Auf der anderen Seite kann die Steuerbelastung vor allem bei Ehepaaren mit etwa gleich hohen (Erwerbs-) Einkommen über jener von unverheirateten Paaren mit gleichen Einkommen liegen. Ursache hierfür sind Unterschiede im Tarif, aber auch bei den Abzugsbeträgen von der Steuerbemessungsgrundlage sowie von der Steuerschuld für Singles und Ehepaare (marriage penalty, vgl. Lin und Tong 2012).
Am ähnlichsten der deutschen Regelung ist das System der Ehegattenbesteuerung in Frankreich: Ehepaare ohne Kinder werden genau wie in Deutschland gemäß dem Ehegattensplitting besteuert. Unterschiede gibt es nur in der steuerlichen Berücksichtigung von Kindern, die in Frankreich – anders als in Deutschland nicht durch Kinderfreibeträge – sondern durch zusätzliche Splittingfaktoren berücksichtigt werden (vgl. dazu z.B. Wrohlich et al., 2005 oder Ochmann und Wrohlich, 2013).
Die Einkommensteuer für natürliche Personen kann grundsätzlich an einzelnen Personen oder an Personengemeinschaften, wie Haushalten oder Ehepaaren anknüpfen. Für die Wahl einer bestimmten Besteuerungseinheit werden regelmäßig bestimmte Gründe bzw. die Erfüllung bestimmter Forderungen angeführt. Hierzu zählt die Forderung, dass sich die Aufteilung des Einkommens eines Ehepaares nicht auf die Höhe seiner Steuerlast auswirken solle (Globaleinkommensprinzip). Nach einer anderen Forderung sollen verheirate und unverheiratete Paare mit gleichen Einkommen auch die gleiche Steuerlast aufweisen. Das Steuersystem wirkt sich dann nicht auf die Heiratsentscheidung aus (Heiratsneutralität). Ein wesentliches Ergebnis der Literatur zur Gestaltung der Einkommensteuer besagt, dass bei einem direkt progressiven Tarif, wie er in Deutschland in der Einkommensteuer gegeben ist, keine Regelung existieren kann, die sowohl Heiratsneutralität als auch die Erfüllung des Globaleinkommensprinzips bewirkt (Fraser 1986).
Gehen wir davon aus, dass in Deutschland die direkte Progression des Tarifs erhalten bleiben soll, besteht die Wahl zwischen der Erfüllung der Heiratsneutralität und der Erfüllung des Globaleinkommensprinzips. Heiratsneutralität wird von allen Personen gefordert, die es für fair halten, dass ein verheiratetes und ein unverheiratetes Paar bei gleichem Einkommen auch die gleiche Steuerlast tragen. Das Globaleinkommensprinzip wird von Personen unterstützt, die es als fair erachten, dass (mögliche) Nachteile der Ehe bei bedürftigkeitsgeprüften Sozialleistungen im Einkommensteuerrecht (partiell) ausgeglichen werden.
Wenig weiterführend erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, ob es sich bei dem Ehegattensplitting um eine steuerliche Förderung handelt oder nicht (Homburg 2000, Scherf 1999). Aussagekräftig scheint allein der Vergleich der Lebenszykluseinkommen von (dauerhaft) verheirateten und unverheirateten Paaren. Betrachtet man allein das Steuersystem, ergeben sich (bei gleichen Bruttoeinkommen) höhere Nettoeinkommen für die Ehepaare. Die Frage bei der Gestaltung des Steuersystems ist dann, ob dieser Nachteil für unverheiratete Paare zugunsten der Gewährung des Globaleinkommensprinzips hingenommen werden soll.
Das Ehegattensplitting wird aus mehreren Gründen und von verschiedenen Seiten seit geraumer Zeit kritisiert. Als ein Kritikpunkt werden häufig die Verteilungswirkungen des Ehegattensplittings genannt. Wie bereits erwähnt, hängt der Splittingvorteil von zwei Dimensionen ab, zum einen von der Aufteilung des zu versteuernden Einkommens zwischen den Ehepartnern und von der Höhe des Gesamteinkommens. Färber et al. (2008) kritisieren, dass der Splittingvorteil nicht per se Familien mit Kindern zugute kommt sondern Ehepaaren unabhängig davon, ob sie Kinder haben oder nicht. Zudem wird kritisiert, dass Ehepaare mit höherem Einkommen und Alleinverdiener-Ehepaare stärker vom Splitting profitieren als Familien mit niedrigem Einkommen oder Ehepaare mit zwei Verdienern. Befürworter des Ehegattensplittings argumentieren hingegen, dass der Splittingvorteil als logische Konsequenz eines progressiven Steuersystems in Verbindung mit der normativen Festlegung, dass das Steuersystem neutral bezüglich der Verteilung der Einkünfte zwischen den Ehepartnern sein soll (vgl. z.B. Homburg 2000).
Neben der Kritik an den Verteilungswirkungen des Ehegattensplittings wird auch immer wieder Kritik an den Anreizwirkungen bezüglich der Erwerbsbeteiligung von Ehefrauen geäußert. Wie zahlreiche empirische Studien zeigen (vgl. hierzu z.B. Steiner und Wrohlich 2004, Dearing et al. 2007, Bach et al. 2011, Bonin et al. 2013a, Müller et al. 2013), gehen vom Ehegattensplitting negative Arbeitsanreize für Zweitverdiener aus. Dies liegt daran, dass durch die gemeinsame Veranlagung der Grenzsteuersatz der Person mit dem niedrigeren Einkommen (meist die Ehefrau) höher liegt als dies unter getrennter Veranlagung der Fall wäre. Empirische Studien beziffern den negativen Effekt des Ehegattensplittings (im Vergleich zu einem Szenario, in dem Ehepartner strikt individuell besteuert würden) bei der Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen auf rund 2 Prozentpunkte. Bei dieser Zahl ist allerdings nicht berücksichtigt, dass bei einer massiven Ausdehnung des Arbeitsangebots die Löhne sinken könnten bzw. nicht alle Personen eine freie Stelle finden würden. Die tatsächlichen Beschäftigungseffekte eines hypothetischen Wechsels vom Ehegattensplitting hin zur Individualbesteuerung können daher unter den reinen Arbeitsangebotseffekten liegen (vgl. dazu Eichhorst et al. 2012).
Die negativen Arbeitsanreizwirkungen des Ehegattensplittings wurden unter anderem von politischen Parteien (z.B. den Grünen), der OECD (vgl. dazu OECD country report Germany 2014), der EU-Kommission (vgl. hier) und zuletzt von einigen Gutachtern der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen (vgl. Bonin et al. 2013b) kritisiert.
Als ökonomisches Argument für das Ehegattensplitting wurde von Corneo (2013) auf eine mögliche Versicherungsfunktion des Splitting hingewiesen. Eine Versicherungsfunktion kann in einem Modell gegeben sein, wenn individuelle nicht versicherbare Einkommensunsicherheit abgebildet wird und das Splitting zu einer „gleichmäßigeren" Nettoeinkommensverteilung über die möglichen Zustände für das Bruttoeinkommen eines Paares führt. Die Kernaussage in Corneo (2013) lautet unter der Annahme eines exogenen Arbeitsangebots: Für Ehepaare ist unabhängig von der Höhe ihres Einkommenspotentials der erwartete Nutzen bei einer Splitting-Besteuerung höher als bei einer Individualbesteuerung. Hierfür ist zunächst von Bedeutung, dass bei einer Einkommensteuer ohne Splitting der progressive „Grundtarif" bei einem vorgegebenen Ausgabevolumen (Budgetneutralität) niedriger ausfällt als bei einem Tarif mit Splitting.
Dies ergibt sich direkt aus der Definition des Splittings. Für das Ehepaar ergeben sich drei Konstellationen: beide verdienen entsprechend ihrem Potential, einer verdient entsprechend seinem Potential und der andere verdient nichts sowie, beide verdienen nichts. Eine positive Steuer ergibt sich nur für die beiden ersten Konstellationen. Verdienen beide entsprechend ihrem Potential, dann ist das Nettoeinkommen des Paares bei Splittingbesteuerung niedriger als bei Individualbesteuerung. Dies folgt direkt aus dem höheren „Grundtarif" bei Splittingbesteuerung. Umgekehrt ist das Nettoeinkommen des Paares im Fall des Verdienstausfalls eines Partners bei Splitting höher als Individualbesteuerung. Damit führt das Splitting zu einer gleichmäßigeren Verteilung der Nettoeinkommen über die Zustände der Welt. Unter der angenommenen Nutzenfunktion ist das Nutzenniveau des Ehepaares bei Splitting höher.
Fehr et al. (2013) untersuchen die makroökonomischen Wirkungen und die Verteilungswirkungen des Ehegattensplitting für bestimmte Haushaltstypen in einem dynamischen Gleichgewichtsmodell mit überlappenden Generationen und einem endogenen Arbeitsangebot. Wichtige Merkmale des Modells im hier betrachteten Zusammenhang sind die Annahme einer gemeinsamen Zielfunktion des Paares, die Berücksichtigung von Haushaltsproduktion und von Unsicherheit über die Höhe des Erwerbseinkommens. Es wird Unsicherheit über die Lohnsatzhöhe berücksichtigt, anscheinend jedoch nicht Einkommensunsicherheit, die durch das Risiko der Arbeitslosigkeit oder gesundheitlicher Einschränkungen bedingt ist. Eine Arbeitslosenversicherung wird ebenfalls vernachlässigt.
Die Einführung einer Individualbesteuerung führt zu einem deutlich höheren Arbeitsangebot aber auch zu einer geringeren Ersparnis und einem kleineren Kapitalstock. Ursache für Letzteres ist die Umverteilung von reicheren Alleinverdienern zu ärmeren Haushalten durch das Aufheben des Splittings. Der Effizienzgewinn beträgt 0,4% der Gesamtressourcen und beruht zu einem erheblichen Teil auf der Aufhebung der Verzerrung des Arbeitsangebots durch das Splitting.
Die oben beschriebene Versicherungsfunktion des Splittings ist nach den Modellergebnissen nur dann von Bedeutung, wenn (abweichend von der als realistisch erachteten Hauptmodellierung) ein exogenes Arbeitsangebot angenommen wird und es (wie in der Modellierung von Corneo, 2013) bei der aufkommensneutralen Gegenfinanzierung nicht zu einer Umverteilung von Haushalten mit hohen Einkommen (insbesondere Paaren) zu solchen mit niedrigen Einkommen (insbesondere Singles) kommt (vgl. Fehr et al., 2013, S. 24, Fußnote 13). Kommt es dagegen wie im Basismodell von Fehr et al. (2013) zu der angesprochenen Umverteilung, dann ist mit der Aufhebung des Splitting eine zweite, diesmal positive, Versicherungswirkung verbunden, da von der Umverteilung profitierende (einkommensschwache) Singles schlechter gegen Einkommenschwankungen gesichert sind als die verlierenden (einkommensstarken) Ehepaare. Die entsprechenden Effizienzgewinne treten neben jene aus der Verminderung der Verzerrung des Arbeitsangebots.
Weitere Forschung zu den Arten der relevanten Unsicherheit und zu deren Umfang sowie den Möglichkeiten des Ausgleichs von Unsicherheit im Lohnsatz durch Mehrarbeit unter Einbezug aller verfügbaren Versicherungen (Lohnfortzahlung, Krankengeld, Arbeitslosenversicherung, Erwerbsunfähigkeitsrenten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung, private Versicherungen) könnte die Beurteilung des Splittings noch verbesssern. Dabei sollte auch bedacht werden, dass das Ehegattensplitting selbst dazu beitragen kann, die Wahrscheinlichkeit für Hilfsbedürftigkeit zu erhöhen, in dem es die Arbeitsanreize reduziert und damit das Bruttohaushaltseinkommen im Durchschnitt geringer ausfällt als bei Individualbesteuerung.
Boskin und Sheshinski (1983) zeigen anhand eines stilisierten Modells, das auch Umverteilungsziele des Staates berücksichtigt, dass separate Besteuerung verheirateter Frauen und Männer aus Effizienzgründen der gemeinsamen Besteuerung vorzuziehen ist, da Frauen höhere Arbeitsangebotselastizitäten haben als Männer. Dieses Ergebnis wurde von Apps und Rees (2011) auch für ein komplexeres Modell mit Haushaltsproduktion gezeigt. Alesina et al. (2011) erweitern das Modell um Verhandlungsmodelle im Haushalt sowie Investitionen in Humankapital und kommen zum gleichen Ergebnis. Kleven et al. (2009) zeigen, dass unter bestimmten Annahmen „negative jointness" optimal ist, d.h. der Steuersatz des Zweitverdieners sollte mit zunehmendem Einkommen des Erstverdieners sinken (das Gegenteil ist im deutschen System der Fall, da hier der Grenzsteuersatz für den Zweitverdiener mit zunehmendem Einkommen des Erstverdieners steigt). In all diesen Studien wird davon ausgegangen, dass die Partner entweder eine gemeinsame Nutzenfunktion maximieren oder sich in Verhandlungsmodellen auf effiziente Allokationen einigen. Für den Fall, dass sich Partner nicht kooperativ verhalten, d.h. nicht auf effiziente Allokationen einigen können, zeigen Meier und Rainer (2012), dass unter bestimmten Annahmen die gemeinsame Besteuerung im Gegensatz zur individuellen Besteuerung effizienter ist.
Alternative Vorschläge zur Besteuerung von Ehepartnern wurden vor allem von jenen vorgebracht, die das Ehegattensplitting aufgrund der Verteilungs- und Anreizwirkungen kritisieren (siehe oben). So haben z.B. Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 einen Vorschlag zur Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag unterbreitet. Dieser sieht vor, dass verheiratete Personen grundsätzlich individuell besteuert werden, allerdings soll bei Ehepaaren, bei denen das zu versteuernde Einkommen eines der Partner unterhalb des Grundfreibetrags liegt, dieser auf den anderen Ehepartner übertragbar sein (siehe die Ausführungen der Grünen Bundestagsfraktion hier).
Auch die SPD hat im letzten Bundestagswahlkampf eine Reform des Ehegattensplittings vorgeschlagen, die allerdings nicht so weit ging wie der Vorschlag der Grünen. Das SPD-Modell sah vor, dass alle neu verheirateten Ehepaare nach dem Realsplitting besteuert werden, das auch geschiedenen Eheleuten (bei tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen) zusteht. (vgl. Wahlprogramm der SPD 2013 hier). In diesem Modell kann der Ehepartner mit dem höheren Einkommen dem anderen Partner einen Betrag von maximal 13 805 Euro pro Jahr übertragen. Das bedeutet, dass Einkommensunterschiede von bis zu 27 610 Euro ausgeglichen werden können. De facto kommt dies einer Deckelung des Splittingvorteils gleich. Wie empirische Studien zeigen (vgl. dazu z.B. Bach et al. 2011, Bonin et al. 2013a, Müller et al. 2013), hätte eine solche Reform allerdings nur sehr geringe Auswirkungen auf das Arbeitsangebot verheirateter Frauen, selbst wenn sie für alle bereits bestehenden Ehen eingeführt würde.
Die Einkommensteuer für natürliche Personen muss zwangsläufig an Einzelpersonen oder bestimmten Personengruppen ansetzen. Bestimmte Anforderungen an die Steuerfunktion wie die Heiratsneutralität, Globaleinkommensprinzip und ein direkt progressiver Tarif lassen sich nicht gleichzeitig verwirklichen. In Deutschland wurde mit dem Ehegattensplitting bei einem progressiven Tarif die Abwägung zugunsten des Globaleinkommensprinzips und eines progressiven Tarifs und zulasten der Heiratsneutralität vorgenommen. Neben der Ungleichbehandlung verheirateter und unverheirateter Paare sind damit nach empirischen Untersuchungen erhebliche Verzerrungen des Arbeitsangebots verbunden, insbesondere arbeiten Frauen weniger als dies bei einer Individualbesteuerung der Fall wäre. Positiv kann für das Splitting angeführt werden, dass dieses bei Unsicherheit über die Bruttoeinkommen wie eine Versicherung wirkt. Die quantitative Bedeutung dieser Versicherungsfunktion ist vermutlich eng begrenzt. Zum einen ist ein großer Teil der Einkommensrisiken über gesetzliche oder private Versicherungen abgedeckt. Zum anderen können bestimmte Einkommensrisiken, wie Veränderungen des Lohnsatzes durch eine Anpassung des Arbeitsangebots zumindest teilweise aufgefangen werden.
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Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111800