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Städte werden als Industriestandort wieder attraktiv

Pressemitteilung vom 21. November 2018

Großstädte erleben deutlich mehr industrielle Betriebsgründungen als andere Regionen Deutschlands –  Nähe zu Forschungseinrichtungen und zur Kundschaft gewinnt in Zeiten des digitalen Wandels an Bedeutung – Beispiel Berlin zeigt: Für eine Renaissance der Städte als Industriestandort braucht es aber noch viel mehr, unter anderem gezielte Unterstützung in Sachen Digitalisierung 

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Industrie aus den Städten zurückgezogen zugunsten von Standorten in weniger dicht bevölkerten Gebieten, unter anderem weil die Unternehmen Platz brauchten für Massenfertigung und große Lagerhallen. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass Metropolen wieder attraktiver für das verarbeitende Gewerbe werden. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebene Studie von Martin Gornig, Forschungsdirektor Industriepolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Axel Werwatz von der Technischen Universität Berlin.

Die Studienautoren haben Daten zu Betriebsgründungen der Jahre 2012 bis 2016 analysiert und herausgefunden, dass in deutschen Großstädten und Metropolen in diesem Zeitraum gemessen am Anteil der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe rund 40 Prozent mehr Industriebetriebe gegründet wurden als in den übrigen Regionen Deutschlands. Berlin und München sind besonders attraktiv für industrielle Gründerinnen und Gründer. Aber auch Leipzig, Dresden und Städte an Rhein und Ruhr zeigen eine überdurchschnittliche Gründungsintensität.

© DIW Berlin

Differenziert man nach Technologieintensität – also zwischen Lowtech-, Mediumtech- und Hightech-Industrien -, so zeigt sich, dass Betriebe mit niedriger Technologieintensität, zum Beispiel einfache Konsumgüter wie Bekleidung oder Ernährung, in allen untersuchten Metropolen im genannten Zeitraum den höchsten Anteil an den Industriegründungen hatten. „Das könnte daran liegen, dass wir bei bestimmten Produkten die Zeit der Massenproduktion hinter uns lassen zugunsten von kleinserieller Fertigung. Und bei dieser ist es von Vorteil, sich in räumlicher Nähe der Kundschaft, am besten der zahlungskräftigen Kundschaft, anzusiedeln - also in der Stadt,“ so Martin Gornig. Aber auch für Hightech-Industrien ist die Stadt attraktiv, so die Studienautoren. Hier spielt vermutlich die Nähe zu Forschungseinrichtungen eine maßgebliche Rolle.    

Industrieunternehmen in städtischen Regionen haben höhere Produktivität

Eine zweite, gleichzeitig veröffentlichte Studie von Heike Belitz und Alexander Schiersch vom DIW Berlin zeigt nämlich, dass in Agglomerationen angesiedelte Industrieunternehmen eine höhere Produktivität aufweisen als jene in peripheren oder ländlichen Regionen. Hierfür wurden umfangreiche Daten zu Industrieunternehmen analysiert und der Einfluss der räumlichen Komponente auf ihre Produktivität isoliert – der Einfluss anderer Faktoren wie etwa die eigenen Investitionen in Forschung und Entwicklung wurde dabei berücksichtigt.

Der Produktivitätsvorteil für die Unternehmen in der Stadt ist bei Unternehmen mit starker Forschung und Entwicklung besonders ausgeprägt. „FuE-starke Unternehmen in städtischen und zentralen Räumen profitieren am deutlichsten von den Vorteilen der Agglomerationsräume, zum Beispiel vom Wissenstransfer“, so Studienautorin Heike Belitz. „Und dieser geschieht am erfolgreichsten dort, wo auch private und öffentliche Forschung stark ist“. Dies ist am größten Forschungsstandort Deutschlands, in München, der Fall. Stuttgart verfügt zwar über eine umfangreiche Unternehmensforschung, aber über relativ wenig öffentliche Forschung. In Berlin ist es umgekehrt. Die Bedeutung der Großstädte als Industriestandort hängt sehr stark davon ab, wie intensiv das von Hochschulen und Forschungseinrichtungen produzierte Wissen von den Unternehmen genutzt wird. „Hier erscheint es sinnvoll, bei der Förderung des Wissens- und Technologietransfers stärker auf Marketing und Anreizelemente für Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsinstitute zu setzen,“ so Heike Belitz weiter.    

„Bei kleinserieller Produktion, wie sie sich zunehmend verbreitet, ist es von Vorteil, sich in räumlicher Nähe der Kundschaft, am besten der zahlungskräftigen Kundschaft, anzusiedeln - also in der Stadt.“ Martin Gornig

Politik kann Rückkehr der Industrie in die Städte unterstützen

„Von einer wahren Renaissance der Stadt als Industriestandort oder Industrie als neuem Wachstumsmotor für die Städte kann aber noch nicht die Rede sein“, erklärt Martin Gornig, „dafür müssen erstens aus neugegründeten Betrieben schnellwachsende Unternehmen werden, zweitens müssen die bestehenden Industrieunternehmen in den Städten die digitale Transformation erfolgreich meistern.“

Wie Unternehmen dafür gewappnet sind, haben Martin Gornig und Ralf Löckener von Sustain Consult am Beispiel Berlin untersucht. Dazu wurden eine Umfrage unter Betriebsräten industrieller Betriebe der Hauptstadt und vertiefende Interviews mit Unternehmens-, Verbands- und VerwaltungsvertreterInnen geführt. Die Ergebnisse zeigen, dass es in Berlin bei den Industriebetrieben einen großen Anpassungsbedarf gibt. Zwar spielt bei 74 Prozent der Befragten das Thema „Industrie 4.0“ im Unternehmen eine Rolle, aber 47 Prozent sagen, es mangele an externe Unterstützung, um die Herausforderungen zu meistern. „Insbesondere vielen kleinen und mittleren Industrieunternehmen gelingt es bisher zu wenig, sich das innovationsfördernde Umfeld Berlins zunutze zu machen,“ stellt Ralf Löckener fest.

Die Politik kann in vielfacher Weise die Rückkehr der Industrie in die Städte unterstützen und fördern, zum Beispiel mit einer verbesserten Bereitstellung von Risikokapital, der Intensivierung des Wissenstransfers oder der Verfügbarkeit von Fachkräften aus dem In- und Ausland. Um die innovative Weiterentwicklung von Produkten und Angeboten zu unterstützen, können in Städten wie Berlin die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, zum Beispiel im Energie- oder Logistikbereich, die lokalen Unternehmen einbinden.

Eine zentrale Aufgabe der Politik wird es zudem sein, bei knapper werdenden Flächen in den Innenstädten, die auch beliebte Wohnstandorte sind, Nutzungskonflikte zwischen Gewerbe und Wohnen aufzulösen.

„Es stellt sich aber auch die Frage, ob es aus regionalpolitischer Sicht überhaupt wünschenswert ist, dass Städte, die schon große Dienstleistungsstandorte sind, auch noch als Industriezentren zu fördern, denn ländliche Regionen könnten dadurch noch stärker abgehängt werden“, gibt Martin Gornig zu bedenken. „Anderseits könnte die Attraktivität von Berlin oder Städten an Rhein und Ruhr das Muster eines zunehmenden Gefälles zwischen einem wirtschaftlich starken Süddeutschland und einem schwächeren Norden brechen.“

Links

O-Ton von Martin Gornig
"Es wird zum Wettbewerbsvorteil, nah am Kunden zu produzieren –also in der Stadt" - Interview mit Martin Gornig
Martin Gornig

Forschungsdirektor für Industriepolitik in der Abteilung Unternehmen und Märkte

Heike Belitz

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Unternehmen und Märkte

Alexander Schiersch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte

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