Direkt zum Inhalt

Diese Attacken gefährden drei Dimensionen der Unabhängigkeit der EZB

Blog Marcel Fratzscher vom 29. April 2019

Fast überall in der westlichen Welt – und fast nirgendwo stärker als in Deutschland – werden die Zentralbanken attackiert und ihre Unabhängigkeit gefährdet. Zentralbanken müssen Rechenschaft ablegen und Kritik einstecken können. Aber in Europa ist nicht die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), sondern der mangelnde Reformwille der Politik das Kernproblem heute.

US-Präsident Donald Trump droht Jerome Powell, dem Vorsitzenden der US-Notenbank, ihn seines Amtes zu entheben, wenn er nicht durch niedrigere Zinsen die Wirtschaft befeuert, um Trumps Wahlchancen 2020 zu verbessern. Die Befürworter des Brexits kritisieren die britische Notenbank, weil diese das Offensichtliche über die Kosten eines Brexits nicht verschweigen will.

Und in Deutschland wird die EZB seit Jahren für eine Geldpolitik attackiert, die Europa und Deutschland vor einer tieferen Krise bewahrt hat. So, wie im Sommer 2012, als die Staats- und Regierungschefs mit ihren Reformvorschlägen gescheitert waren und es die Ankündigung von EZB-Präsident Mario Draghi „to do whatever it takes“ erforderte, um die Panik der Finanzmärkte zu beenden und das Zerbrechen des Euro zu verhindern.


Zentralbank muss eine Meinung haben

Der Dank dafür in Deutschland war das bittere Klagen einiger, die EZB unterstütze südeuropäische Regierungen zu sehr und würde diese von den notwendigen Reformen abhalten. Ähnlich harsche Kritik hagelt es seit 2015 gegen die niedrigen Leitzinsen und das Anleihenkaufprogramm der EZB. Die wohl skurrilste Kritik ist die Behauptung, das Target-Zahlungssystem würde Kosten für Deutschland verursachen, obwohl es lediglich sicherstellt, was jedes Zahlungssystem tun muss: dass Kredite bei den Unternehmen und Menschen ankommen.

Diese Attacken gefährden drei Dimensionen der Unabhängigkeit der EZB. Die Forderung, die EZB solle eine Geldpolitik verfolgen, um Regierungen zu zwingen, „das Richtige“ zu tun — also bestimmte Reformen und eine restriktivere Finanzpolitik zu verfolgen –, würde die EZB in eine politische Rolle drängen und somit ihre politische Unabhängigkeit gefährden. Eine Zentralbank muss eine Meinung zu Qualität und Auswirkungen der Wirtschaftspolitik für die Geldpolitik haben, aber sie darf nie versuchen, mit ihrer Geldpolitik den Kurs der Wirtschaftspolitik beeinflussen zu wollen; das wäre ein Mandatsbruch.

Empört reagieren einige deutsche Kritiker darauf, dass die Bundesbank im EZB-Zentralbankrat bei manch wichtiger Entscheidung überstimmt wurde. Dabei vergessen sie, dass die Bundesbank sehr wohl die Geldpolitik der EZB durch überzeugende Argumente entscheidend beeinflusst und gestaltet hat. Die Forderung, man solle nun die Regeln ändern, würde die institutionelle Unabhängigkeit der EZB beschneiden.

In einem Punkt haben die deutschen EZB-Kritiker recht: Die EZB hat in den vergangenen zehn Jahren viel mehr an Maßnahmen ergreifen müssen, als es wünschenswert und in normalen Zeiten notwendig gewesen wäre, weil die nationalen Regierungen wichtige Reformen nicht umgesetzt haben.


EZB braucht gleiches Vertrauen wie die Bundesbank

Sie ziehen daraus jedoch den falschen Schluss: Nicht die EZB muss ihr Verhalten ändern – dies würde ihre operationelle Unabhängigkeit gefährden –, sondern die Politik muss es. Eine Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion, klügere Regeln für die Finanzpolitik und Strukturreformen hätten zu einer schnelleren Erholung der Euro-Zone beigetragen und der EZB einen früheren Ausstieg aus ihrer expansiven Geldpolitik erlaubt.

Viele schauen zurecht mit hoher Anerkennung auf die Bundesbank, die über fünf Jahrzehnte eine der erfolgreichsten Zentralbanken weltweit war. Die EZB hat alle Voraussetzungen, genauso erfolgreich zu werden. Sie hat eine ähnliche Struktur und eine vergleichbare Strategie. Und sie hat in den ersten 20 Jahren einen genauso stabilen Euro garantiert, wie die D-Mark es war.

Aber die Bundesbank konnte nur deshalb so erfolgreich sein, weil die deutsche Politik sich hinter sie gestellt hat, ihre Unabhängigkeit nicht hinterfragt und ihre geldpolitischen Entscheidungen respektiert hat. Die deutsche Politik wäre weise, sich an diese Lehre zu erinnern und der EZB die gleiche Unterstützung zu zollen. Und die EZB muss sich weiter öffnen und ihre Entscheidungen besser erklären.

Eine Zentralbank ist immer ein essenzieller Partner für Regierungen. Damit eine Zentralbank Stabilität gewährleisten kann, muss die Politik deren Unabhängigkeit respektieren und ihre eigenen Hausaufgaben machen. Deshalb sollte sich die Politik in Europa auf die Vollendung der Währungsunion und notwendige wirtschaftspolitische Reformen konzentrieren, anstatt zu versuchen, diese Verantwortung weiterzuleiten.

Der Gastbeitrag ist am 29. April in Die Welt erschienen.

keyboard_arrow_up