Direkt zum Inhalt

Mütter in Ost und West: Angleichung bei Erwerbstätigenquoten und Einstellungen, nicht bei Vollzeiterwerbstätigkeit

DIW Wochenbericht 38 / 2020, S. 699-706

Denise Barth, Jonas Jessen, C. Katharina Spieß, Katharina Wrohlich

get_appDownload (PDF  471 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  4.22 MB)

  • Bericht untersucht Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter elf Jahren seit der Wiedervereinigung in Ost und West
  • Angleichung der Erwerbstätigenquoten von Müttern in beiden Landesteilen
  • Teilzeitquoten von Frauen steigen in Ost und West
  • Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern im Ostdeutschland immer noch deutlich höher
  • Vor allem im Osten stimmen Frauen jüngerer Kohorten Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern seltener zu als Frauen älterer Kohorten

„Ob der weitere Ausbau der Tagesbetreuung für Kita-Kinder und Grundschulkinder zu anderen Entwicklungen bei der Teil- und Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern führt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.“ C. Katharina Spieß

Bei der Organisation von Familien- und Erwerbsarbeit gab es vor der Wiedervereinigung große Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Seit der Wiedervereinigung haben sich die Erwerbstätigenquoten von Müttern mit betreuungsbedürftigen Kindern allerdings angeglichen. Dies ging einher mit einer steigenden Zustimmung zur Erwerbstätigkeit von Müttern, insbesondere in Westdeutschland. Nach wie vor gibt es allerdings Unterschiede bei der Arbeitszeit. Mütter in Ostdeutschland arbeiten deutlich häufiger in Vollzeit als Mütter in Westdeutschland. Bei Frauen jüngerer Kohorten ist die Zustimmung zur Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern jedoch vor allem im Osten geringer als bei Frauen älterer Kohorten. Es bleibt abzuwarten, ob der weitere Ausbau der Tagesbetreuung in Kitas und Grundschulen hier zu einer Veränderung in den Einstellungen und damit auch in der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern führt.

Bei der Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit sind die beiden Teile Deutschlands viele Jahre sehr unterschiedliche Wege gegangen. Aufgrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Leitbilder zur Erwerbstätigkeit von Frauen, insbesondere Müttern, war in der DDR mehrheitlich das Modell der „universellen Erwerbstätigkeit“ vorzufinden: Aufgrund einer flächendeckenden staatlichen Kindertagesbetreuung waren in der Regel sowohl Mütter als auch Väter in Vollzeit erwerbstätig. Dieses Erwerbsmodell wurde von der Regierung aktiv propagiert. Sich einer geregelten Arbeit zu entziehen galt laut Strafgesetzbuch der DDR als „asoziales Verhalten“ und konnte sogar mit einer Haftstrafe belegt werden.info§ 249, Strafgesetzbuch der DDR. Siehe auch: Miriam Beblo und Luise Görges (2018): On the nature of nurture. The malleability of gender differences in work preferences. Journal of Economic Behavior & Organization 151, 19–41. In der Bundesrepublik wurde in dieser Zeit zumeist das Modell des „Familienernährers“ gelebt, in dem der Vater einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging und die Mutter sich um die Kinderbetreuung kümmerte. Erst mit der Zeit etablierte sich in Westdeutschland das „Zuverdienstmodell“, bei dem Mütter zunehmend einer Teilzeitbeschäftigung nachgingen.infoZu den unterschiedlichen gesellschaftlichen Leitbildern in BRD und DDR und den Unterschieden in der Erwerbsbeteiligung siehe beispielsweise Rachel A. Rosenfeld, Heike Trappe und Janet C. Gornick (2004): Gender and Work in Germany: Before and After Reunification. Annual Review of Sociology 30, 103–124. Für eine zusammenfassende Darstellung vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Deutscher Bundestag Drucksache 18/12840 (online verfügbar, abgerufen am 30.08.2020. Dies gilt auch für alle anderen Online–Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass sich die Kindertagesbetreuung in Westdeutschland bis Mitte der 2000er Jahre mehrheitlich auf den Bereich der Kinder ab drei Jahren beschränkte. Zudem boten die staatlich finanzierten Einrichtungen lange Zeit nur eine Halbtagsbetreuung am Vormittag an, was eine Vollzeiterwerbstätigkeit beider Elternteile erschwerte.infoVgl. C. Katharina Spieß und Felix Büchel (2002): Müttererwerbstätigkeit und Kindertageseinrichtungen – neue Ergebnisse zu einem bekannten Zusammenhang. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung Nr. 71, 96–114.

Wie sich die Erwerbstätigkeit von Eltern seit der Wiedervereinigung in beiden Teilen DeutschlandsinfoIn den vorliegenden Analysen wird Berlin jeweils Ostdeutschland zugeordnet. Daten von West-Berlin werden somit erst ab 1990 verwendet. entwickelt hat, ist der Gegenstand des ersten Teils dieses Berichts. Im zweiten Teil wird den Einstellungen zur Erwerbstätigkeit nachgegangen. Der Fokus liegt jeweils auf der Erwerbstätigkeit von Müttern, da hier nach wie vor die größten Unterschiede zu beobachten sind. Dabei geht es primär um die Gruppe der Eltern mit Kindern unter elf Jahren, also Kinder im sogenannten Krippen-, Kindergarten- oder Grundschulalter.infoObwohl einige Bundesländer wie Berlin und Brandenburg eine sechsjährige Grundschule haben, beziehen sich die Analysen auf Eltern mit Kindern unter elf Jahren, da dies mehrheitlich die Kinder sind, die noch nicht die Sekundarstufe I besuchen. Die Analysen zur Erwerbstätigkeit beruhen auf den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), eines für Gesamtdeutschland repräsentativen Haushalts- und Personenpanels. Die Untersuchung der Einstellungen beruht auf den Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS, siehe Kasten).

SOEP

Die Analysen zur Erwerbstätigkeit basieren auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine seit 1984 laufende, repräsentative Wiederholungsbefragung privater Haushalte in Deutschland.infoJan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239(2), 345–360. Derzeit werden bundesweit jedes Jahr mehr als 30 000 Personen in etwa 17 000 Haushalten zu unterschiedlichen Themen befragt. Die vorliegenden Analysen verwenden Daten der Jahre 1985 bis 2018, wobei 2018 die aktuellste SOEP-Welle ist, welche der Wissenschaft zur Analyse vorliegt. Bereits 1990 – noch vor der Wiedervereinigung – wurde Ostdeutschland in die Befragung integriert. Die Differenzierung zwischen Ost- und Westdeutschland in der Analyse bezieht sich jeweils auf den aktuellen Wohnort des Haushalts.

Als Erwerbstätige werden alle Befragten bezeichnet, die einer Vollzeit- oder Teilzeitbeschäftigung oder einer geringfügigen beziehungsweise unregelmäßigen Beschäftigung nachgehen oder sich in der Ausbildung befinden. Die Quote der Vollzeiterwerbstätigkeit beschränkt sich auf Befragte, die angeben, einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachzugehen, und die Quote der Teilzeiterwerbstätigen auf diejenigen, die angeben, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen. Letztere Gruppe schließt geringfügig Beschäftigte und Auszubildende aus. Die berichteten Quoten beziehen sich auf Fünfjahresmittelwerte mit der Ausnahme des letzten Messzeitpunktes, welcher die Jahre 2015 bis 2018 umfasst. Dies ermöglicht für alle Gruppenunterschiede eine ausreichende Fallzahl zur Berechnung der Anteile.

ALLBUS

Die Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ist eine Querschnittserhebung, die der Untersuchung von Einstellungen und Verhaltensweisen der deutschen Bevölkerung dient. Der ALLBUS wird seit 1980 alle zwei Jahre vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim (GESIS) in Zusammenarbeit mit der Studien-Koordinationsgruppe ALLBUS (KG ALLBUS) als wissenschaftliches Beratungsgremium durchgeführt.infoMartina Wasmer et al. (2017): Konzeption und Durchführung der „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS) 2014. GESIS Papers 2017/20 (online verfügbar).

Der Fragebogen umfasst in jeder Welle demographische Merkmale wie Familienstand, Haushaltszusammensetzung, Bildung und Beruf sowie grundlegende gesellschaftlich relevante Merkmale wie beispielsweise das politische Interesse und das Wahlverhalten. Darüber hinaus gibt es kleinere Frageblöcke zu bestimmten Themengebieten, die im Abstand von vier bis sechs Jahren wiederholt werden. Dies ermöglicht die Bildung von langen Zeitreihen für sozialwissenschaftlich relevante Variablen und damit die Dauerbeobachtung des sozialen Wandels.

Die Grundgesamtheit der ALLBUS-Umfrage bestand bis einschließlich 1990 aus allen wahlberechtigten Personen der Bundesrepublik und West-Berlins, die in Privathaushalten leben. Aufgrund der deutschen Wiedervereinigung wurde eine zusätzliche Umfrage außerhalb des gewohnten Turnus durchgeführt. Seit 1991 besteht die Grundgesamtheit aus der erwachsenen Wohnbevölkerung in Ost- und Westdeutschland. Bis 1990 betrug die Stichprobengröße 3000 Befragte aus der Grundgesamtheit der wahlberechtigten Bevölkerung in Privathaushalten der ehemaligen Bundesrepublik inkl. West-Berlins. In der ALLBUS-Baseline-Studie 1991 wurden gleich viele Interviews in Ost- und Westdeutschland durchgeführt. Die ostdeutschen Bundesländer sind in der ALLBUS-Stichprobe überrepräsentiert. Seit 1992 entfallen 2400 Interviews auf Westdeutschland und 1100 Interviews auf Ostdeutschland.

In der vorliegenden Untersuchung werden die Einstellungen bezüglich der Konsequenzen der Erwerbsbeteiligung von Müttern analysiert. Diese werden seit 1992 alle vier Jahre in Form folgender Fragen erhoben:

Über die Aufgaben der Frau in der Familie und bei der Kindererziehung gibt es verschiedene Meinungen. Bitte sagen Sie mir nun zu jeder der folgenden Aussagen, ob Sie ihr

  • Voll und ganz zustimmen,
  • Eher zustimmen
  • Eher nicht zustimmen oder
  • Überhaupt nicht zustimmen.

„Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist.“

„Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist.“

„Es ist für ein Kind sogar gut, wenn seine Mutter berufstätig ist und sich nicht nur auf den Haushalt konzentriert.“

Die Antworten bezüglich der Zustimmung zu diesen Aussagen wurden in „Zustimmung“ („stimme voll und ganz zu“ und „stimme eher zu“) und „Nicht- Zustimmung“ („stimme eher nicht zu“ und „stimme überhaupt nicht zu“) zusammengefasst. Es wurde ein additiver Index über diese drei Antworten gebildet, wobei die zweite Frage mit umgekehrtem Vorzeichen kodiert wurde. Auf Basis dieser Definition wurden die Befragten in jene mit „traditionellem“ und jene mit „egalitärem“ Rollenverständnis eingeteilt.infoVgl. auch Michael Blohm und Jessica Walter (2018): Traditionelle und egalitäre Einstellungen zur Rolle der Frau im Zeitverlauf. Datenreport 2018 der Bundeszentrale für politische Bildung (online verfügbar).

Angleichung der Erwerbstätigenquoten von Müttern in Ost und West

Direkt nach der Wiedervereinigung gab es bei den Müttern betreuungsbedürftiger Kinder große Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, nicht jedoch bei den Vätern (Abbildung 1).infoFür die Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Müttern auf der Basis des Mikrozensus vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2012): Ausgeübte Erwerbstätigkeit von Müttern. Erwerbstätigkeit, Erwerbsumfang und Erwerbsvolumen 2010 (online verfügbar). Es zeigen sich bei einer entsprechenden Gruppenbildung vergleichbare Erwerbstätigenquoten wie bei den Berechnungen in diesem Bericht auf der Basis des SOEP. Die durchschnittlichen Erwerbstätigenquoten der Jahre 1990–1994 unterschieden sich für Väter zwischen Ost- und Westdeutschland um lediglich vier Prozentpunkte, mit einem etwas höheren Wert im Westen. Dagegen betrug der Unterschied bei Müttern 22 Prozentpunkte, mit einer Erwerbstätigenquote von lediglich 48 Prozent im Westen und einer deutlich höheren von 70 Prozent im Osten.

Nach der Wiedervereinigung nahm die Erwerbstätigkeit in Ostdeutschland aufgrund der damaligen gesamtwirtschaftlichen Situation grundsätzlich ab.infoVgl. Peter Krause (2019): 30 Jahre seit dem Mauerfall: Fortschritte und Defizite bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland. DIW Wochenbericht Nr. 45, 827–838 (online verfügbar). Die Erwerbstätigenquote von Vätern ging zwischenzeitlich deutlich stärker als im Westen zurück, hat aber in den letzten Jahren fast wieder das Niveau Westdeutschlands erreicht. Die Erwerbstätigkeit von Müttern sank in Ostdeutschland ebenfalls deutlich: In den Jahren 1990–1994, also direkt nach der Wiedervereinigung, lag die Erwerbstätigenquote von Müttern noch 22 Prozentpunkte höher als in Westdeutschland, im Zeitraum 2000–2004 betrugen die Unterschiede nur noch sechs Prozentpunkte. In Westdeutschland nahm die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter elf Jahren über den gesamten Zeitraum dagegen zu. Seit dem Zeitraum 2005–2009 hat sich die Müttererwerbstätigkeit zwischen Ost- und Westdeutschland beinahe angeglichen, der Unterschied betrug zuletzt nur noch gut vier Prozentpunkte.infoIn Ostdeutschland liegt die Erwerbstätigenquote von Müttern, wenn auch geringfügig, über der in Westdeutschland; bei Vätern ist es umgekehrt. Somit sind Geschlechterunterschiede in der Erwerbsbeteiligung in Ostdeutschland deutlich geringer ausgeprägt.

Darüber hinaus zeigen ergänzende Analysen für Eltern, deren jüngstes Kind unter drei Jahren oder unter sechs Jahren ist, über den gesamten Beobachtungszeitraum eine ähnliche Angleichung zwischen Ost und West; lediglich bei den Müttern mit Kindern unter drei Jahren ist die Erwerbstätigkeit im Zeitraum 2015–2018 im Osten um acht Prozentpunkte höher als im Westen.

Nach wie vor große Unterschiede bei der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern

Eine Betrachtung des Erwerbsvolumens zeigt, dass sich hinter der Angleichung der Erwerbstätigkeit große Unterschiede in der wöchentlichen Arbeitszeit und deren Entwicklung verbergen.infoFür eine entsprechende Analyse bis zum Jahr 2002 vgl. auch Michaela Kreyenfeld und Esther Geisler (2006): Müttererwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland. Zeitschrift für Familienforschung Nr. 3, 333–360. Der Verlauf der Voll- und Teilzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter elf Jahren und anderen Frauen (d.h. Frauen mit älteren Kindern oder Frauen ohne Kinder) unterscheidet sich stark: In den Jahren nach der Wiedervereinigung waren die Unterschiede in der Vollzeiterwerbstätigkeit in Ostdeutschland zwischen Frauen mit und ohne betreuungsbedürftige Kinder relativ gering (Abbildung 2, links). In beiden Gruppen arbeiteten deutlich mehr Frauen in Vollzeit als in Westdeutschland. Im Osten waren Frauen mit einem betreuungsbedürftigen Kind sogar häufiger vollzeiterwerbstätig als Frauen ohne betreuungsbedürftige Kinder im Westen. Im Zeitraum 1990–1994 waren in Westdeutschland etwa 14 Prozent der Mütter, deren jüngstes Kind unter elf Jahren war, vollzeiterwerbstätig, während es fast drei Mal so viele bei der anderen Gruppe von Frauen waren (41 Prozent).

Seitdem ist die Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern unter elf Jahren in Ostdeutschland stark gesunken. Trotzdem gibt es immer noch sehr große Unterschiede zwischen Ost und West. Auch knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung unterschieden sich die Quoten mit zwölf Prozent im Westen und 29 Prozent im Osten zuletzt immer noch stark. Zudem war der Unterschied zwischen den beiden Gruppen von Frauen mit und ohne betreuungsbedürftige Kinder mit zuletzt 26 Prozentpunkten im Westen immer noch sehr viel größer als mit 13 Prozentpunkten im Osten, wo die Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern also nach wie vor eher derjenigen von Frauen ohne betreuungsbedürftige Kinder entspricht. Die Quote der vollzeiterwerbstätigen Frauen ohne betreuungsbedürftige Kinder hat sich seit der Wiedervereinigung in Ost und West kaum verändert, wobei sie in Ostdeutschland immer etwas über dem Niveau von Westdeutschland lag.

Eine ergänzende Analyse der Vollzeiterwerbstätigenquoten nur für Mütter, deren jüngstes Kind unter drei Jahren ist, zeigt allerdings, dass sich diesbezüglich Mütter im Osten der vergleichbaren Gruppe im Westen angeglichen haben. Sie weisen mit 14 Prozent im Zeitraum 2015–2018 eine relativ niedrige Quote auf. Dies ist auch im Kontext der sich verändernden Elternzeitregelungen zu betrachten.infoSeit 1992 galt für beide Teile Deutschlands eine Elternzeit von bis zu drei Jahren. Vor der Wiedervereinigung konnten Frauen in Ostdeutschland ein bezahltes „Babyjahr“ nehmen. Vgl. Katharina Heisig und Larissa Zierow (2020): Elternzeitverlängerung in der DDR: Langfristig höhere Lebenszufriedenheit der Kinder. ifo Dresden berichtet Nr. 2, 7–9.

Besonders starker Anstieg der Teilzeitquote von Müttern im Osten

Eine Betrachtung der Entwicklung der Teilzeiterwerbstätigkeit im gleichen Zeitraum zeigt ein anderes Bild: Hier ist für alle Frauen seit der Wiedervereinigung ein Anstieg zu verzeichnen (Abbildung 2, rechts). Zudem lagen die Teilzeitquoten der Frauen im Westen immer über denen der entsprechenden Gruppe im Osten. Die höchste Teilzeitquote wiesen über den gesamten Zeitraum seit der Wiedervereinigung Mütter mit betreuungsbedürftigen Kindern in Westdeutschland auf (40 Prozent im Zeitraum 2015–2018), gefolgt von Müttern in Ostdeutschland, deren Teilzeitquote über die Jahre am stärksten gestiegen ist (auf 32 Prozent im Zeitraum 2015–2018). Deutlich weniger in Teilzeit arbeiten Frauen ohne Kinder unter elf Jahren. Hier gab es in den Jahren 2015–2018 mit 24 Prozent im Westen und 22 Prozent im Osten keine ausgeprägten Unterschiede mehr, da die entsprechende Gruppe in Ostdeutschland einen relativ starken Anstieg zu verzeichnen hat. Dies gilt auch, wenn nur Frauen mit noch jüngeren Kindern betrachtet werden.

Einstellungen zur Erwerbsbeteiligung von Müttern sind in Westdeutschland egalitärer geworden

Die Unterschiede in den Erwerbstätigenquoten und im Ausmaß der wöchentlichen Arbeitszeit von Müttern in Ost- und Westdeutschland können vielfältige Ursachen haben. So spielen institutionelle Unterschiede wie zum Beispiel das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen eine Rolle sowie Änderungen in der Familiengründung.infoZum Zusammenhang von Erwerbstätigkeit und Kindertagesbetreuung vgl. auch Kai-Uwe Müller und Katharina Wrohlich (2020): Does subsidized care for toddlers increase maternal labour supply? Evidence from a large-scale expansion of early child care. Labour Economics 62, 101776; sowie Kai-Uwe Müller, C. Katharina Spieß und Katharina Wrohlich (2014): Kindertagesbetreuung: Wie wird ihre Nutzung beeinflusst und was kann sie für die Entwicklung von Kindern bewirken. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung Nr. 83, 49–68. Zur Entwicklung der Familiengründungen vgl. auch Dirk Konietzka und Michaela Kreyenfeld (2004): Angleichung oder Verfestigung von Differenzen? Geburtenentwicklung und Familienformen in Ost-und Westdeutschland. Berliner Debatte Initial Nr. 15, 26–41. Zudem sind die Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern historisch unterschiedlich gewesen und sind es bis heute, wenn auch in geringerem Umfang als vor 30 Jahren.infoVgl. Quentin Lippmann, Alexandre Georgieff und Claudia Senik (2020): Undoing gender with institutions: Lessons from the German division and reunification. The Economic Journal 130 (629), 1445–1470.

Eine Auswertung der Daten des ALLBUS (Kasten) zeigt, dass zu Beginn der 1990er Jahre sowohl Frauen als auch Männer in Ostdeutschland deutlich egalitärereinfoAls Personen mit egalitären/traditionellen Einstellungen werden in diesem Bericht jene Personen deklariert, die einer Erwerbstätigkeit von Müttern positiv/negativ gegenüberstehen. Hiermit folgen wir der üblichen Definition in der Literatur, z.B. Blohm und Walter (2018), a.a.O. Einstellungen bezüglich der Erwerbstätigkeit von Müttern hatten als in Westdeutschland (Abbildung 3). 69 Prozent der Frauen und 64 Prozent der Männer in Ostdeutschland gaben 1992 egalitäre Einstellungen zur Erwerbsbeteiligung von Müttern an – dies sind deutlich höhere Werte als bei Frauen (49 Prozent) und Männern (38 Prozent) in Westdeutschland. Seither sind die Einstellungen in beiden Landesteilen egalitärer geworden, und die Unterschiede zwischen Befragten in Ost- und Westdeutschland sind deutlich kleiner geworden.

Frauen jüngerer Kohorten haben traditionellere Einstellungen zur Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern

Neben diesen eher allgemeinen Fragen nach den Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern gab es im ALLBUS zuletzt auch explizite Fragen nach der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern. Die Befragten sollten ihre Zustimmung bzw. Ablehnung abgeben zu der Aussage „Eine Vollzeit erwerbstätige Mutter kann zu ihrem Kleinkind normalerweise ein genauso inniges Verhältnis haben wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist“. Die im Jahr 2016 erhobenen Antworten werden für drei unterschiedliche Alterskohorten verglichen, und zwar der Kohorte der vor 1950 Geborenen, der zwischen 1950 und 1975 Geborenen und der nach 1975 Geborenen. Gegenübergestellt wird dies den Antworten zur allgemeineren Aussage „Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist“.

Zunächst zeigt dieser Vergleich Unterschiede in der Zustimmung zur Erwerbstätigkeit von Müttern allgemein (Abbildung 4, links) und der Zustimmung zur Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern (Abbildung 4, rechts). Die Zustimmung zur Erwerbstätigkeit von Müttern allgemein ist in allen vier untersuchten Gruppen (Frauen und Männer in Ost- und Westdeutschland) und in allen drei Kohorten relativ hoch. Sie liegt für alle Gruppen nahe an 90 Prozent oder darüber, nur bei Männern in Westdeutschland liegt sie je nach Kohorte etwas niedriger zwischen 80 und 84 Prozent.

Befragt man die Personen speziell nach der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern, so ist die Zustimmung in fast allen Gruppen deutlich geringer. Eine hohe Zustimmung zu dieser Aussage lässt sich nur bei Frauen in Ostdeutschland beobachten, die von der ältesten zur jüngsten Kohorte jedoch abnimmt: bei vor 1950 Geborenen stimmen 94 Prozent zu, bei zwischen 1950 und 1975 Geborenen 89 Prozent und bei nach 1975 Geborenen nur noch 79 Prozent. Für Frauen in Westdeutschland zeigt sich ein ähnlicher Verlauf über die Kohorten wie in Ostdeutschland, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau: Unter den vor 1950 geborenen Frauen in Westdeutschland ist eine Zustimmung von 69 Prozent zu beobachten, in der Kohorte der zwischen 1950 und 1975 Geborenen liegt sie bei 63 Prozent und bei den nach 1975 Geborenen bei 58 Prozent. Bei Männern schwankt der Wert weniger stark zwischen den Altersgruppen. Die Zustimmung liegt bei Männern in Ostdeutschland zwischen 73 und 77 Prozent und bei Männern in Westdeutschland zwischen 52 und 55 Prozent.

Somit zeigt sich, dass die Einstellungen zur Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern in jüngeren Kohorten von Frauen traditioneller sind als in älteren.infoEin ähnliches Ergebnis finden auch Christian Ebner, Michael Kühhirt und Philipp Lersch (2020): Cohort Changes in the Level and Dispersion of Gender Ideology after German Reunification: Results from a Natural Experiment. European Sociological Review (im Erscheinen). Zudem zeigt der Vergleich zwischen den Alterskohorten, dass der Rückgang der Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern in Ostdeutschland sowie die Steigerung der Teilzeitquoten von Müttern in Ost- und Westdeutschland mit entsprechenden Veränderungen bei den Einstellungen zur Vollzeiterwerbstätigkeit korreliert sind.

Fazit: Einstellungen und tatsächliche Erwerbstätigkeit von Müttern weiterhin eng verbunden

Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Leitbilder zur Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen in der ehemaligen Bundesrepublik und in der DDR sowie die jeweiligen familienpolitischen Rahmenbedingungen führten zu großen Unterschieden in der tatsächlichen Erwerbsbeteiligung von Müttern und zu noch größeren Differenzen in den Einstellungen zu einer Erwerbstätigkeit von Müttern. Zu Beginn der 1990er Jahre waren im wiedervereinten Deutschland die Erwerbstätigenquoten von Müttern in Ostdeutschland deutlich höher als in Westdeutschland. Außerdem hatten Männer und Frauen in Ostdeutschland egalitärere Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern als in Westdeutschland. Beide Aspekte – die tatsächliche Erwerbstätigkeit von Müttern sowie die Einstellungen dazu – haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zwischen Ost- und Westdeutschland allerdings angenähert.

Dafür kann es vielfältige Gründe geben. Zum einen hat der seit dem Jahr 2005 insbesondere in Westdeutschland forcierte Ausbau der Kindertagesbetreuung sowie der Ausbau der Ganztagsschulen zur Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Müttern beigetragen. Zum anderen haben (westdeutsche) Institutionen wie Ehegattensplitting, Subventionierung der geringfügigen Beschäftigung im Rahmen der Minijobs, die beitragsfreie Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung für Ehepartner sowie die gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit die finanziellen Anreize einer Vollzeiterwerbstätigkeit für ostdeutsche Mütter verringert. Zudem können auch andere Faktoren, wie zum Beispiel die Migration ostdeutscher Frauen nach Westdeutschland, eine Rolle bei der Veränderung der Einstellung zur Erwerbstätigkeit gespielt haben.infoVgl. auch den folgenden Bericht in dieser Wochenberichtsausgabe. Diese Studie zeigt, dass Frauen in Westdeutschland ihre Arbeitszeit insbesondere dann erhöhen, wenn sie in einer Region lebten, in die kurz nach der Wiedervereinigung relativ viele Menschen aus der ehemaligen DDR zuzogen. Sophia Schmitz und Felix Weinhardt (2020): Zuzug aus der ehemaligen DDR hatte positive Effekte auf den Beschäftigungsumfang westdeutscher Frauen. DIW Wochenbericht Nr. 38, 707–711 (online verfügbar).

In Deutschland ist geplant, die Tagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren, die Ganztagsbetreuung für ältere Kita-Kinder sowie die ganztätige Betreuung für Schulkinder weiter auszubauen.infoVgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): Kita-Ausbau: Gesetze und Investitionsprogramme. Hintergrundmeldung 17.06.2020 (online verfügbar). Es bleibt abzuwarten, ob sich damit auch die Einstellungen zur Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern ändern. Bisherige Studien legen nahe, dass die Angebote der Kindertagesbetreuung einen Wandel der Einstellungen zumindest verstärken können.infoVgl. auch Gundula Zoch und Pia S. Schober (2018): Public Child-Care Expansion and Changing Gender Ideologies of Parents in Germany. Journal of Marriage and Family 80, 1020–1093. Sofern dies der Fall sein sollte und somit auch mehr Mütter einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen, würde dies dem mit dem demografischen Wandel verbundenen abnehmenden Erwerbspersonenpotential entgegenwirken. Eine höhere Vollzeiterwerbstätigkeit würde auch dem Gender Pay GapinfoVgl. Eintrag zum Gender Pay Gap im DIW-Glossar (online verfügbar). entgegenwirken, da die Einkommen und Stundenlöhne von Frauen zunehmen würden.infoTeilzeitbeschäftigung geht nicht nur mit geringeren monatlichen Verdiensten, sondern auch mit niedrigeren Stundenlöhnen einher, siehe Patricia Gallego Granados, Rebeacca Olthaus und Katharina Wrohlich (2019): Teilzeiterwerbstätigkeit: überwiegend weiblich und im Durchschnitt schlechter bezahlt. DIW Wochenbericht Nr. 46, 845–850 (online verfügbar). Damit verbunden wäre auch ein höheres Alterseinkommen von Frauen und damit eine Reduktion des Gender Pension Gaps.infoVgl. auch Anna Hammerschmid und Carla Rowold (2019): Gender Pension Gaps in Europa hängen eindeutiger mit Arbeitsmärkten als mit Rentensystemen zusammen. DIW Wochenbericht Nr. 25, 439–447 (online verfügbar).

Gleichzeitig sind mit einer Vollzeiterwerbstätigkeit von Müttern mit betreuungsbedürftigen Kindern auch Herausforderungen verbunden, welche zu einer Doppelbelastung von Müttern führen können, wie sie vielfach Frauen in der ehemaligen DDR stemmen mussten.infoBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2015): 25 Jahre Deutsche Einheit Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit in Ostdeutschland und Westdeutschland (online verfügbar). Darüber hinaus zeigen Studien, dass gerade vollzeiterwerbstätige Mütter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen und ihre Arbeitszeit daher eher reduzieren wollen.infoVerena Lauber et al. (2014): Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Paaren mit nicht schulpflichtigen Kindern – unter spezifischer Berücksichtigung der Erwerbskonstellation beider Partner. Ausgewählte Ergebnisse auf der Basis der FiD-Daten (Familien in Deutschland). DIW Berlin Politikberatung kompakt 88 (online verfügbar). Insofern könnte eine vollzeitnahe Beschäftigung beider Elternteile, wie sie beispielsweise im Rahmen der FamilienarbeitszeitinfoVgl. Eintrag zur Familienarbeitszeit im DIW-Glossar (online verfügbar). vorgeschlagen wird, ein Ansatz sein, um dem Ziel einer größeren Einkommensabsicherung von Frauen mit jungen Kindern und dem Wunsch nach mehr Zeit mit Kindern gerecht zu werden. Außerdem sind viele andere Erwerbskonstellationen von Paaren möglich, welche mit einer Erhöhung des Erwerbsvolumens von Müttern und einer Reduktion des Erwerbsvolumens von Vätern verbunden sind. Für alleinerziehende Eltern müssen darüber hinaus spezifische Ansätze gefunden werden.

Denise Barth

Studentische Hilfskraft in der Forschungsgruppe Gender Economics

Katharina Wrohlich

Leiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics



JEL-Classification: J21;J16;Z13
Keywords: female labor force participation, German reunification, family policy, gender roles
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-38-2

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/226737

keyboard_arrow_up