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Geringere Chancen auf ein gesundes Leben für LGBTQI*-Menschen

DIW Wochenbericht 6 / 2021, S. 79-88

David Kasprowski, Mirjam Fischer, Xiao Chen, Lisa de Vries, Martin Kroh, Simon Kühne, David Richter, Zaza Zindel

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  • LGBTQI*-Menschen in Deutschland sind fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen als die restliche Bevölkerung
  • Anteil von LGBTQI*-Menschen mit Herzkrankheiten, Asthma und chronischen Rückenschmerzen ist weitaus höher als in der restlichen Bevölkerung
  • 40 Prozent der Trans*-Menschen leiden unter Angststörungen
  • LGBTQI*-Menschen fühlen sich doppelt so oft einsam wie die restliche Bevölkerung
  • Angebote von Beratung oder Freizeitaktivitäten für LGBTQI*-Communities sollten gefördert und Homo- und Transphobie gesetzlich stärker bekämpft werden

„Der Weg zu gleichen Chancen auf ein gesundes Leben ist für LGBTQI*-Menschen steinig. Gesellschaftliche und institutionelle Diskriminierung gehen Hand in Hand mit einer deutlich höheren psychischen und körperlichen Belastung.“ Mirjam Fischer

Die psychische und auch die körperliche Gesundheit von LGBTQI*-Menschen sind deutlich stärker beeinträchtigt als die der restlichen Bevölkerung. Befragungsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der Universität Bielefeld zeigen, dass LGBTQI*-Menschen drei- bis viermal so häufig von psychischen Erkrankungen betroffen sind. Auch potentiell stressbedingte körperliche Krankheiten wie Herzkrankheiten, Migräne, Asthma und chronische Rückenschmerzen kommen weitaus häufiger vor als in anderen Bevölkerungsgruppen. Wichtig für das gesundheitliche Wohlbefinden ist auch das soziale Umfeld. LGBTQI*-Menschen und darunter besonders Trans*-Menschen fühlen sich oft einsam. Hinsichtlich der in der Corona-Pandemie derzeit zunehmenden Einsamkeit vieler Menschen ist dies ein Grund zur Sorge. Die Befunde deuten auf eine massive Chancenungleichheit für ein gesundes Leben hin, der durch eine Ausweitung von queeren Beratungs- und Freizeitangeboten und der ausdrücklichen Benennung von LGBTQI*-Hasskriminalität im Strafgesetzbuch begegnet werden sollte.

Politisch steht die Gleichstellung von LGBTQI*-Menschen nicht nur auf europäischer Ebene seit Jahren auf der Agenda, sondern ist auch in Deutschland erklärtes Ziel.infoBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): LSBTI-Maßnahmen (Stand 21. Juli 2020, online verfügbar, abgerufen am 13. Januar 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, soweit nicht anders vermerkt); EU Kommission (2020): Union of Equlity: Strategy 2020–2025 (online verfügbar). Im Zuge einer Reihe gesetzlicher Veränderungen, wie der Einführung der Ehe für alle oder der Anerkennung des dritten Geschlechts, rückte die Situation von LGBTQI*-Menschen (lesbian, gay, bisexual, trans, queer und inter) in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit (zu begrifflichen Abgrenzungen siehe Kasten 1).

Das Akronym LGBTQI* (englisch für lesbian, gay, bisexual, trans, queer und inter) wird verwendet, um verschiedene sexuelle und geschlechtliche Selbstbeschreibungen zusammenzufassen. Das Sternchen weist darauf hin, dass diese Bezeichnung auch weitere sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten einschließt, die nicht explizit im Akronym enthalten sind.

Sexuelle Orientierung wird in den Befragungen des SOEP und der LGBielefeld nach heterosexueller, homosexueller, bisexueller oder einer anderen Orientierung unterschieden. Letzteres ermöglicht eine offene Antwortoption, wodurch Orientierungen wie beispielsweise pan-, poly-, demi-, asexuell und queer erfasst werden. In den Analysen für diesen Bericht wird die Gesamtheit der nichtheterosexuellen Orientierungen mit der heterosexuellen Orientierung verglichen.

Die Geschlechtsidentität wird in den Befragungen von SOEP und LGBielefeld (siehe Kasten 2) gemäß einer international gebräuchlichen Zweischrittmethode erfasst.infoGreta R. Bauer et al. (2017): Transgender-inclusive measures of sex/gender for population surveys: Mixed methods evaluation and recommendations. PLoS ONE, 12(5) (online verfügbar). Zur differenzierten Erfassung zwischen inter*- und endo*-Menschen siehe: Dominic Frohn et al. (2020): »Inter* im Office?!« Die Arbeitssituation von inter* Personen in Deutschland unter differenzieller Perspektive zu (endo*) LSBT*Q+ Personen. IDA – Institut für Diversity- & Antidiskriminierungsforschung. Zunächst geben Studienteilnehmende an, welches Geschlecht ihnen bei ihrer Geburt in ihre Geburtsurkunde eingetragen wurde (Mann oder Frau).infoDie Befragten sind vor der Einführung des dritten Geschlechts in Deutschland geboren. Es gab für sie somit ausschließlich die Optionen weiblich oder männlich. Danach berichten die Befragten, mit welchem Geschlecht sie sich selbst beschreiben. Hierbei wird neben „Mann“ und „Frau“ auch die Option transgeschlechtlich und eine offene Antwortoption angeboten.

Menschen, bei denen die Selbstzuschreibung mit dem bei Geburt zugeteilten Geschlecht zusammenfällt, werden mit dem Präfix „cis“ (lat. „diesseits“) gekennzeichnet. Menschen, bei denen dies nicht der Fall ist, werden unter dem Oberbegriff trans* (lat. „jenseits“) beschrieben. Dies beinhaltet Menschen, die eine Mann-zu-Frau- oder Frau-zu-Mann-Transition gemacht haben und Menschen, die sich nur teilweise oder gar nicht zu binären Geschlechtsidentitäten zugehörig fühlen, wie agender, genderqueere, demigender, genderfluide oder nicht-binäre Menschen.infoAntidiskriminierungsstelle des Bundes, ADS (online verfügbar)

In der SOEP-Kernbefragung, aus der die Vergleichsgruppe stammt, wird das Geschlecht noch binär abgefragt, was eine Unterscheidung zwischen Trans*- und cis-Menschen bei den Befragten nicht zulässt. Trotzdem beziehen sich die Vergleiche auf die Gruppe der cis-heterosexuellen Menschen, da die Anzahl der darin enthaltenen Trans*-Menschen vermutlich gering und somit statistisch unproblematisch ist.infoInternationalen Schätzungen zufolge machen Trans*-Menschen etwa 0,6 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, weshalb die Wahrscheinlichkeit für eine statistische Verzerrung klein ist. Vgl. Flores et al. (2016): How many adults identify as transgender in the United States? Williams Institute (online verfügbar, abgerufen am 14. Januar 2021).

Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass LGBTQI*-Menschen in zahlreichen Lebensbereichen, zum Beispiel im Arbeitsleben, diskriminierende Erfahrungen machen.infoLisa de Vries et al. (2020): LGBTQI*-Menschen am Arbeitsmarkt: Hoch gebildet und oftmals diskriminiert. DIW Wochenbericht Nr. 36, 123–133 (online verfügbar); Dominic Frohn (2014): Die Arbeitssituation von LSBT*-Beschäftigten: Reanalyse einer Online-Befragung unter differenzieller Perspektive. Zeitschrift für Sexualforschung 27, 328–351; Nick Drydakis (2019): Sexual orientation and labor market outcomes. IZA World of Labor; Ali M. Ahmed et al. (2013): Are gay men and lesbians discriminated against in the hiring process?. Southern Economic Journal 79(3), 565–585. Internationale Forschungsergebnisse belegen zudem, dass diese Erfahrungen und die, durch die Antizipation von Ablehnung und Anfeindung hervorgerufene ständige Wachsamkeit, sich negativ auf die Gesundheit auswirken.infoVgl. zum sogenannten Minderheitenstress Ilan H. Meyer (2003): Prejudice, Social Stress, and Mental Health in Lesbian, Gay, and Bisexual Populations: Conceptual Issues and Research Evidence. Psychological Bulletin, 129(5), 674–697; Bodo Lippl et al. (2012): Homophobe Anfeindungen aus Sicht von Schwulen, Bisexuellen und Trans* Personen (GBT). Strategien und Maßnahmen zu Schutz, Aufklärung und Prävention, Berlin, New York, São Paulo: MANEO. Damit haben LGBTQI*- Menschen ein erhöhtes Risiko, an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Suizidalität zu leiden.infoNathaniel Lewis (2009): Mental health in sexual minorities: Recent indicators, trends, and their relationships to place in North America and Europe. Health and Place, 15(4), 1029–1045; Michael P. Marshal et al. (2011): Suicidality and Depression Disparities between Sexual Minority and Heterosexual Youth: A Meta-Analytic Review. Journal of Adolescent Health, 49(2), 115–123; Ulrike Boehmer et al. (2019): Caregiving status and health of heterosexual, sexual minority, and transgender adults: Results from select US regions in the Behavioral Risk Factor Surveillance System 2015 and 2016. The Gerontologist, 59(4), 760–769.

Auch deutsche Studien zeigen, dass LGBTQI*-Menschen häufig mit Alltagsdiskriminierungen konfrontiert sind und Gewalt erfahren.infoLippl et al. (2012), a.a.O.; Tamás Jules Fütty et al. (2020): Geschlechterdiversität in Beschäftigung und Beruf. Bedarfe und Umsetzungsmöglichkeiten von Antidiskriminierung für Arbeitgeber_innen. Herausgegeben von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes; Albrecht Lüter, Sarah Riese und Almut Sülzle (2020): Berliner Monitoring Trans- und Homophobe Gewalt. Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH (online verfügbar). Zudem gibt es Hinweise darauf, dass körperliche Erkrankungen als Folge von chronischem Stress unter LGBTQI*-Menschen vermehrt auftreten.infoGunter Heylens et al. (2014): Psychiatric characteristics in transsexual individuals: multi-centre study in four European countries. The British Journal of Psychiatry, 204, 151–156; Frank A. Sattler, Ulrich Wagner und Hanna Christiansen (2016): Effects of minority stress, group-level coping, and social support on mental health of German gay men. PLoS One, 11(3), e0150562; Frank A. Sattler et al. (2017): Mental health differences between German gay and bisexual men and population-based controls. BMC psychiatry 17(1), 1–7; Pöge et al (2020): Die gesundheitliche Lage von lesbischen, schwulen, bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Journal of Health Monitoring 2020 5(S1), 1–30. Ein Vergleich mit der Gruppe der cis-heterosexuellen Menschen (cis: Personen, bei denen das bei Geburt zugewiesene Geschlecht mit der Selbstzuschreibung übereinstimmt) soll im Folgenden Hinweise darauf geben, inwiefern eine strukturelle Benachteiligung vorliegt, sowohl im Hinblick auf gesundheitliche Nachteile als auch bezüglich möglicher Resilienzfaktoren (beispielsweise den vorhandenen sozialen Netzwerken).

Bisher lagen kaum Daten vor, die es erlaubten, sowohl Unterschiede hinsichtlich des Gesundheitszustandes als auch der Resilienzfaktoren im Vergleich zur Bevölkerung insgesamt zu betrachten.infoVgl. Pöge et al (2020): a.a.O. Es gab Hinweise für geringere emotionale Nähe zu den Eltern und für geringeren Kontakt zu Vätern unter Menschen, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung sind oder sein wollen, verglichen mit Menschen in verschieden geschlechtlichen Beziehungen. Karsten Hank und Veronika Salzburger (2015): Gay and Lesbian Adults’ Relationship With Parents in Germany. Journal of Marriage and Family, 77(4), 866-876. Zur Stärkung der Dateninfrastruktur hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahr 2019 eine Erweiterung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)infoJan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel Study (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 239(2), 345–360. um eine Zufallsstichprobe von Haushalten, in denen LGBTQI*-Menschen leben, gefördert.infoProjekt „Ergänzung der Dateninfrastruktur des SOEP um eine Stichprobe von Lesben, Schwulen und Bisexuellen (SOEP-LGB)“ und Projekt „Geschlechter- und sexuelle Diversität im Fokus: Teilhabe und Vielfalt der Lebensformen (SOEP-GeSMin)“ (Förderkennzeichen 01UW1803A, 01UW1803B, 01UW2002A und 01UW2002B). DFG Netzwerk Sexual Orientation and Gender Identity in Germany (SOGI-GER) – Bundling Interdisciplinary Expertise (FI 2490/1–1). Zusätzlich werden in diesem Wochenbericht die Daten einer Online-Befragung von LGBTQI*-Menschen der Universität Bielefeld (LGBielefeld)infoLGBielefeld-Befragung angegliedert an der AG Methoden der empirischen Sozialforschung der Universität Bielefeld; siehe auch Simon Kühne und Zaza Zindel (2020): Using Facebook & Instagram to Recruit Web Survey Participants: A Step-by-Step Guide and Application. Survey Methods: Insights from the Field (online verfügbar). verwendet (Kasten 2). Die Ergebnisse zeigen: Neben einem deutlich erhöhten Vorkommen von körperlichen und psychischen Erkrankungen fühlen sich LGBTQI*-Menschen im Durchschnitt auch wesentlich einsamer als die cis-heterosexuelle Bevölkerung in Deutschland.infoVergleiche zwischen LGBTQI*-Menschen und der cis-heterosexuellen Bevölkerung werden auf Basis einer Altersanpassung berichtet, um die Vergleichbarkeit der Gruppen zu wahren (siehe auch Kasten 2).

Datenlage in Deutschland und verwendete Daten

Insgesamt ist die Datenlage zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in Deutschland weiterhin verbesserungsbedürftig.infoPöge et al. (2020), a.a.O. ennoch zeigen die Anstrengungen in den letzten Jahren Wirkung: Nach ersten Datenerhebungen zur Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-Menschen in DeutschlandinfoDominik Frohn (2007): Out im Office?! Sexuelle Identität, (Anti-) Diskriminierung und Diversity am Arbeitsplatz. In: Schwules Netzwerk (Hrsg.), gefördert vom Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen. konnten mit der amtlichen Statistik des Mikrozensus zunächst nur gleichgeschlechtliche Paare erforscht werden.infoAndrea Lengerer und Jeanette Bohr (2019): Is there an Increase in Same-Sex Couples in Germany? Theoretical Considerations and Empirical Findings, 48(2), 136–157. Es folgten weitere Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten verschiedener Gruppen innerhalb der LGBTQI*-Communities.infoDe Vries et al. (2020), a.a.O., Fütty et al. (2020), a.a.O., Dominic Frohn et al. (2020), a.a.O.; Dominic Frohn et al. (2019): Spezifika der Arbeitssituation von inter* Beschäftigten in Deutschland auf Grundlage von qualitativen Interviews mit inter* Experten_innen. IDA.

Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der LGBielefeld bauen auf diesen Ansätzen auf. Das SOEP ist eine Wiederholungsbefragung von Privathaushalten in Deutschland, bei der alle erwachsenen Haushaltsmitglieder seit 1984 im Rahmen jährlicher Interviews zu ihrem Leben befragt werden. Aufgrund der vergleichsweisen großen Fallzahl des SOEP mit über 30000 Befragten in etwa 20000 Haushalten pro Jahr sind auch sexuelle Minderheiten in substanzieller Fallzahl vertreten. Im Jahr 2016 wurden die Befragten des SOEP einmalig zu ihrer sexuellen Orientierung befragt. Zum weiteren Ausbau der Dateninfrastruktur wurde das SOEP im Jahr 2019 durch eine zufallsbasierte Zusatzstichprobe „SOEP-LGB“ ergänzt, die das SOEP um etwa 450 Haushalte mit mindestens einem nicht heterosexuellen/Nicht-cis-Haushaltsmitglied erweitert hat (Tabelle 1). Interviews im SOEP erfolgen meist über computergestützte, persönliche Befragungen durch professionelle Interviewer*innen zu verschiedenen Lebensbereichen wie Arbeit, Familie und Gesundheit.

Tabelle 1: Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität der LGBTQI*-Menschen in den verwendeten Stichproben

SOEP LGBielefeld Gesamt
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent
Sexuelle Orientierung
Heterosexuell1 4 0,4 0 0,0 4 0,1
Homosexuell 440 47,0 2297 64,3 2737 60,7
Bisexuell 477 51,0 961 26,9 1438 31,9
Pansexuell 9 1,0 210 5,9 219 4,9
Asexuell 3 0,3 27 0,8 30 0,7
Andere sexuelle Orientierung 3 0,3 80 2,2 83 1,8
Gesamt 936 100 3575 100 4511 100
Geschlecht
cis-Mann 428 45,7 1302 36,4 1730 38,4
cis-Frau 473 50,5 1977 55,3 2450 54,3
Trans 21 2,2 177 5,0 198 4,4
Anderes Geschlecht 14 1,5 119 3,3 133 2,9
Gesamt 936 100 3575 100 4511 100

1 Da auch Personen mit dem Geschlecht trans*, nicht-binär, gender-queer, gender-fluide, agender, demigender und inter zur Gruppe der LGBTQI* gezählt werden, wenn sie heterosexuell sind, findet sich unter den betrachteten LGBTQI*-Menschen auch ein geringer Anteil an heterosexuellen Personen.

Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (Soep.v36.beta), LGBielefeld; eigene Berechnungen.

Analog zum im Jahr 2020 erschienenen DIW Wochenbericht zur Arbeitsmarktsituation von LGBTQI*-MenscheninfoDe Vries et al. (2020), a.a.O. werden zusätzlich zu den Daten des SOEP die Daten des LGBielefeld-Projekts verwendet, um Vergleiche zwischen sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten mit ausreichenden Fallzahlen zu ermöglichen.

Die Datengrundlage für diesen Bericht umfasst 28168 Personen ab 18 Jahren aus dem Jahr 2019, darunter 23657 mit heterosexuellen und 4511 mit LGBTQI*-Selbstbeschreibungen. Aufgrund der teilweise geringen Fallzahlen sollten Vergleiche innerhalb der LGBTQI*- Gruppe dennoch mit Vorbehalt interpretiert werden.

Gewichtung der Daten

Alle Ergebnisse dieses Berichts beruhen auf Analysen unter der Berücksichtigung von Gewichtungsfaktoren. Im Falle der SOEP-Daten gleichen die Gewichtungsfaktoren unterschiedliche Ziehungswahrscheinlichkeiten der Stichprobe (sogenannte „Designgewichte“) und unterschiedliche Teilnahmewahrscheinlichkeiten der Befragten (sogenannte „Nonresponsegewichte“) aus. Die gewichteten Daten erlauben verallgemeinerbare Aussagen zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland.infoLisa De Vries, Mirjam Fischer, Martin Kroh, Simon Kühne und David Richter. (2021). Design, Nonresponse, and Weighting in the 2019 Sample Q of the Socio-Economic Panel. SOEP Survey Papers 940: SOEP Survey Papers Series C – Data Documentation. Die Daten der nicht-zufallsbasierten LGBielefeld-Stichprobe wurden auf Basis eines Randanpassungsverfahrens (auch „Raking“ oder „Iterative Proportional Fitting“) so gewichtet, dass sie hinsichtlich der Merkmale Alter, Bundesland, Schulbildung, berufliche Bildung, Partnerschaftsstatus und Elternschaft den gewichteten Verteilungen der SOEP-Daten entsprechen, um Verzerrungen zu minimieren.infoKühne und Zindel (2020), a.a.O.

Alterskorrektur

Gesundheit und soziale Netzwerke sind teilweise stark altersabhängig. So sind mit zunehmendem Alter bestimmte (chronische) Erkrankungen und weniger soziale Kontakte wahrscheinlicher.infoLea Ellwardt und Karsten Hank (2019): Soziale Netzwerke im Alter, Alternsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 339. In den Befragungsdaten ist die cis-heterosexuelle Vergleichsgruppe im Schnitt zehn Jahre älter als die der LGBTQI*-Menschen (Tabelle 2).

Tabelle 2: Alter nach sexueller Orientierung und Geschlecht

Anteile in Prozent

Alter in Kategorien LGBTQI* insgesamt
cis-heterosexuell LGBTQI* Gesamt
18 bis 29 Jahre 15,0 26,9 15,9
30 bis 39 Jahre 15,8 22,5 15,8
40 bis 49 Jahre 15,3 16,2 14,9
50 bis 59 Jahre 20,1 22,0 19,7
60 bis 69 Jahre 15,7 7,1 15,1
70 Jahre und älter 18,1 5,3 18,6
Mittelwert (in Jahren) 51,0 41,3 50,6
Fallzahl 23657 4511 28168

Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (Soep.v36.beta); LGBielefeld; eigene Berechnungen, gewichtet.

Um trotz der unterschiedlichen Altersstruktur Vergleiche ziehen zu können, wurde das Alter der cis-heterosexuellen Menschen nach der Methode der „Propensity-Score Gewichtung“ an das Alter der LGBTQI*-Menschen angepasst. In den Abbildungen werden die altersangepassten Werte und Signfikanzniveaus berichtet.

Unterschiede bei psychischen und körperlichen Krankheiten sind enorm

Gemessen an der restlichen Bevölkerung leiden LGBTQI*- Menschen deutlich häufiger an psychischen und körperlichen Erkrankungen. Dabei sind Trans*-Menschen besonders oft betroffen.

Depressionen und Burnout deutlich häufiger bei LGBTQI*-Menschen

Bei 26 Prozent der befragten LGBTQI*-Menschen wurde schon einmal eine depressive Erkrankung diagnostiziert – im Vergleich zu knapp zehn Prozent bei den cis-heterosexuellen Menschen (Abbildung 1). Außerdem wurde doppelt so oft von Schlafstörungen und nahezu dreimal so oft von Ausgebranntsein (Burnout)infoBurnout wird in der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-11) als „Ausgebranntsein“ und „Zustand der totalen Erschöpfung“ bezeichnet (Diagnoseschlüssel: Z 73.0). Burnout ist keine eigenständige medizinische Diagnose, sondern wird verstanden als solche Faktoren, die den Gesundheitszustand einer Person negativ beeinflussen oder die Inanspruchnahme gesundheitlicher Dienste zur Folge haben. Burnout ist ausschließlich als Folge von Überforderung oder chronischem Stress im Arbeitsleben zu verstehen. Vgl. Weltgesundheitsorganisation (2019): Burn-out an “occupational phenomenon”: International Classification of Diseases (online verfügbar). berichtet. Insgesamt war ein fast doppelt so hoher Anteil von LGBTQI*-Menschen im Jahr 2019 länger als sechs Wochen krankgeschrieben als bei cis-heterosexuellen Menschen. Dies kann durch stressbedingte Belastungen begründet sein, die LGBTQI*-Menschen in ihrem Alltag erfahren.

Auch innerhalb der LGBTQI*-Gruppe zeigen sich deutliche Unterschiede: Bei 39 Prozent der befragten Trans*-Menschen wurde schon einmal eine Angststörung diagnostiziert; bei den cis-Menschen innerhalb der LGBTQI*-Gruppe waren es nur neun Prozent. Außerdem berichten elf Prozent der Trans*-Menschen, dass bei ihnen eine Essstörung festgestellt wurde. Damit ist die Häufigkeit dreimal so hoch wie bei cis-Menschen innerhalb der LGBTQI*-Gruppe.infoDa sich die Vergleiche innerhalb der LGBTQI*-Gruppe bei den Trans*-Personen fast ausschließlich um Befragte aus der LGBielefeld-Befragung handelt, sind die Vergleiche weniger belastbar. Dennoch entsprechen die Unterschiede vergleichbarer internationaler Forschung.

Körperliche Erkrankungen lassen auf chronische Stressbelastung schließen

Auch körperliche Erkrankungen treten bei LGBTQI*-Menschen häufiger auf als in der restlichen Bevölkerung. Zwar sind die Unterschiede bei Krebserkrankungen, Schlaganfällen, Bluthochdruck und Gelenkerkrankungen statistisch kaum unterscheidbar, bei Herzkrankheiten und Migräne treten sie mit nahezu zehn beziehungsweise zwölf Prozent im Schnitt jedoch fast doppelt so häufig auf wie in der restlichen Bevölkerung (Abbildung 2). Auch chronische Rückenschmerzen wurden mit 17 Prozent öfter berichtet; bei den cis-heterosexuellen Menschen gaben nur zwölf Prozent solche Beschwerden an. Diese gesundheitlichen Unterschiede werden im Allgemeinen als Folge von chronischem Stress gedeutet, den LGBTQI*-Menschen im täglichen Leben in Form von Diskriminierung und ständiger Wachsamkeit erfahren.infoFrancisco Perales und Abram Todd (2018): Structural stigma and the health and wellbeing of Australian LGB populations: Exploiting geographic variation in the results of the 2017 same-sex marriage plebiscite. Social Science & Medicine, 208, 190–199.

Einsamkeit und Lebenswirklichkeit wichtig für die seelische Gesundheit

Einsamkeit stellt eine bedeutsame Gefahr für die seelische Gesundheit dar. Sie entsteht, wenn die sozialen Beziehungen eines Menschen nicht dessen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechen. Dabei ist irrelevant, wie die Anzahl oder die Qualität der sozialen Beziehungen von außen bewertet wird.

Einsamkeit besonders hoch bei Trans*-Menschen

15 Prozent der befragten LGBTQI*-Menschen gaben an, dass ihnen die Gesellschaft anderer (sehr) oft fehle (Abbildung 3). Das sind doppelt so viele Menschen wie in der restlichen Bevölkerung. Bei Trans*-Menschen liegt der Anteil sogar bei 31 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung von sozialer Isolation. Elf Prozent der befragten LGBTQI*-Menschen, darunter 37 Prozent der Trans*-Menschen, fühlen sich (sehr) oft sozial isoliert; unter den cis-heterosexuellen Befragten sind es lediglich fünf Prozent. Diese Befunde beruhen auf Befragungsdaten, die vor der COVID-19-Pandemie erhoben wurden. Da erste Studien zu Auswirkungen der Pandemie auf steigende Einsamkeit in der Bevölkerung deuten,infoTheresa Entringer et al. (2020): Psychische Krise durch Covid-19? Sorgen sinken, Einsamkeit steigt, Lebenszufriedenheit bleibt stabil. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research Nr. 1087 (online verfügbar); Stefan Liebig et al. (2020): Ost-und Westdeutschland in der Corona-Krise: Nachwendegeneration im Osten erweist sich als resilient. DIW Wochenbericht Nr. 38, 721–729 (online verfügbar). lassen die Befunde eine besorgniserregende Situation seit dem vergangenen Jahr vermuten.

LGBTQI*-Menschen sind im Alltag regelmäßig durch depressive Symptomatik beeinträchtigt

Hinsichtlich des emotionalen Wohlbefindens zeichnen sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede im Vergleich zu cis-heterosexuellen Menschen ab. 66 Prozent aller Befragten gaben an, sich in den letzten vier Wochen (sehr) oft glücklich gefühlt zu haben, dabei gab es keine Unterschiede zwischen LGBTQI*- und cis-heterosexuellen Menschen. Jedoch haben sich LGBTQI*-Menschen im selben Zeitraum öfter ärgerlich, ängstlich oder traurig gefühlt. Im Vergleich zu den cis-Menschen innerhalb der LGBTQI*-Gruppe waren nahezu doppelt so viele Trans*-Menschen (sehr) oft ängstlich oder traurig. Verglichen mit der Gesamtbevölkerung gaben außerdem mehr LGBTQI*-Menschen an, sich über den Zeitraum von zwei Wochen an mehr als der Hälfte der Tage durch depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Nervosität und Interessenverlust im Alltag beeinträchtigt gefühlt zu haben.infoLaut Messinstrument „PHQ-4“ für Depressions- und Angstsymptomatik ohne zwingenden Krankheitswert: Bernd Löwe et al. (2010): A 4-item measure of depression and anxiety: Validation and standardization of the Patient Health Questionnaire-4 (PHQ–4) in the general population. Journal of Affective Disorders. 122(1–2), 86–95.

Soziale Netzwerke lassen auf Resilienzstrategien bei LGBTQI*-Menschen schließen

Starke soziale Netzwerke sind eine Form der Resilienz, denn ihre Zusammensetzung beeinflusst den Zugang zu emotionalen und materiellen Ressourcen. Besonders im Hinblick auf gesundheitliche Ungleichheit und Einsamkeit können fehlende soziale Beziehungen diese entweder hervorrufen oder (teilweise) ausgleichen. Sowohl die Beziehung zur HerkunftsfamilieinfoMit Herkunftsfamilie ist hier die Familie gemeint, in der die Befragten aufgewachsen sind. Die Herkunftsfamilie ist eine begriffliche Abgrenzung zum Konzept der gewählten Familie, wie vor allem LGBTQI*-Menschen teilweise enge Freundschaften bezeichnen. Kath J. Weston (1991): Families we choose. New York: Columbia University Press. als auch Freundschaften können wichtig sein, um den Folgen von Einsamkeit entgegenzuwirken und um persönlichen Rückschlägen oder Krisen zu begegnen.

LGBTQI*-Menschen haben häufiger eine ambivalente Beziehung zu ihrer Herkunftsfamilie

Oft steht die Beziehung zur Herkunftsfamilie unter Druck, wenn diese ablehnend auf die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität der eigenen Kinder reagiert. Während sich 43 Prozent der cis-heterosexuellen Befragten mit Familienangehörigen oder Verwandten mindestens einmal pro Woche gegenseitig besuchen, gilt dies nur für 29 Prozent der LGBTQI*-Menschen (Abbildung 4). Letztere wenden sich auch etwas seltener an ihre Herkunftsfamilie, um persönliche Gedanken oder Gefühle zu besprechen. Trotzdem würden sie sich in Krisensituationen genauso oft an ihre Herkunftsfamilie wenden (etwa im Falle einer langfristigen Pflegebedürftigkeit nach einem Unfall) wie die cis-heterosexuellen Befragten.

LGBTQI*-Menschen verlassen sich besonders stark auf Freundeskreis, Bekannte und Nachbar*innen

LGBTQI*-Menschen treffen sich mit 52 Prozent etwas häufiger wöchentlich oder täglich mit Freund*innen, Bekannten oder Nachbar*innen als die restliche Bevölkerung (46 Prozent). Große Unterschiede bestehen bei der Wahl von Vertrauenspersonen. Während sich nur knapp die Hälfte der cis-heterosexuellen Menschen mit persönlichen Gefühlen und Gedanken an Freund*innen, Bekannte und Nachbar*innen wenden, sind es 73 Prozent der befragten LGBTQI*-Menschen. Jede zweite LGBTQI*-Person würde sich im Falle einer langfristigen Pflegebedürftigkeit an diese Menschen wenden, während nur jede dritte cis-heterosexuelle Person diesen Schritt gehen würde. Dies lässt darauf schließen, dass LGBTQI*Menschen aktiv Unterstützungsnetzwerke aufbauen, um sozialer Isolation entgegenzuwirken.infoAlexis Dewaele et al. (2011): Families of choice? Exploring the supportive networks of lesbians, gay men, and bisexuals 1. Journal of Applied Social Psychology, 41(2), 312–331; Mirjam Fischer und Mathijs Kalmijn (2020): Do Adult Men and Women in Same-Sex Relationships Have Weaker Ties to Their Parents? Journal of Family Psychology (online verfügbar).

Fazit: Resilienz und Diversität stärker fördern, Homo- und Transphobie stärker verurteilen

Aus den Analysen des SOEP und der Abibildung 2: LGBielefeld-Befragung geht deutlich hervor, dass für gleiche Chancen auf ein gesundes Leben von LGBTQI*-Menschen noch viel zu tun ist. Die deutlichen Unterschiede bei psychischen und möglicherweise stressbedingten körperlichen Krankheiten lassen auf große Belastungen im alltäglichen Leben von LGBTQI*-Menschen schließen. Dies deutet darauf hin, dass – obwohl die gesetzlichen Veränderungen in den letzten Jahren positiv zu bewerten sind – sie das Erbe jahrelanger gesellschaftlicher und institutioneller Diskriminierung nicht ohne Weiteres aufheben konnten. Dies gilt besonders für Trans*-Menschen: Indem sie nach der heutigen Gesetzeslage eine psychiatrische Diagnose brauchen, um geschlechtsangleichende Maßnahmen ergreifen zu können, wird ihre Identität per se als krank bewertet, also noch immer pathologisiert. Es ist wichtig, dass sexueller und geschlechtlicher Vielfalt nicht länger eine Behandlungsbedürftigkeit anhaftet, damit LGBTQI*-Menschen in ihrer Menschenwürde und Autonomie gestärkt werden. Dazu sollte Homophobie und Transfeindlichkeit im Strafgesetzbuch deutlich als Hasskriminalität benannt und sanktioniert werden.infoSiehe hierzu auch die Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) vom 10. Oktober 2020 (online verfügbar, abgerufen am 18. Januar 2021). So kann LGBTQI*-Menschen Schutz geboten und Angst genommen werden.

Des Weiteren sollten Angebote innerhalb der LGBTQI*-Communities, wie Beratungsangebote, Angebote für Freizeitaktivitäten, queere Treffpunkte, kulturelle Programme und Sportvereine als sichere Orte (engl. „safe spaces“), stärker gefördert werden, auch in kleineren Gemeinden. Langfristig sollten zudem deutliche Anstrengungen zu einer queeren Antidiskriminierungspolitik vorangetrieben werden. Dazu gehört, dass Initiativen zur Förderung gesellschaftlicher Akzeptanz von LGBTQI*-Menschen, wie Trainings, Workshops und WissensportaleinfoSiehe hierzu das Projekt „InTraHealth“, Gabriele Dennert (2019): InTraHealth – Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung für inter- und transgeschlechtliche Menschen durch Abbau von Diskriminierung als versorgerseitiger Zugangsbarriere (online verfügbar, abgerufen am 18. Januar 2021) an Schulen sowie in Unternehmen, nicht nur angeboten, sondern verbindlich vorgeschrieben werden.



JEL-Classification: J7;J15;J16
Keywords: LGBTQI*, trans*, mental health, health disparities, social networks, family ties, friendship ties
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-6-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/231715

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