Ein moralisches Versagen, das der Wirtschaft schaden wird

Blog Marcel Fratzscher vom 17. Februar 2021

Dieser Gastbeitrag erschien am 17. Februar 2021 in der der WELT.

Die laxen Regelungen im neuen Lieferkettengesetz sind nur ein scheinbarer Sieg für die Unternehmensverbände. Langfristig wird das Gesetz die deutsche Wirtschaft teuer zu stehen kommen. Denn es greift die Reputation von Waren „made in Germany“ an.

Nur ein Lippenbekenntnis

Die große Koalition hat ihren Streit über das Lieferkettengesetz mit einem faulen Kompromiss beigelegt. Das Gesetz ist ein zahnloser Tiger und verlangt wenig mehr als ein Lippenbekenntnis der deutschen Unternehmen zu angemessenen Standards in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards.

Dies ist nicht nur ein moralisches Versagen, sondern könnte langfristig der deutschen Wirtschaft und ihrem wichtigsten Markenkern, der Reputation ihrer Produkte made in Germany, schaden. Der Kompromiss dürfte somit der deutschen Wirtschaft langfristig einen Bärendienst erweisen.

Wirtschaft rechtfertigt nicht die Verletzung von Menschenrechten

Bereits vor einigen Jahren haben Politik und Wirtschaft einen Kompromiss zu Lieferketten beschlossen, der eine freiwillige Selbstverpflichtung aller deutschen Unternehmen zur Wahrung von Menschenrechten und Umweltschutz bei ihren Aktivitäten beinhaltete – allerdings ohne das gewünschte Ergebnis: Eine Befragung ergab, dass nur eines von fünf Unternehmen diese freiwillige Selbstverpflichtung erfüllt. Zudem gab es entscheidende methodische Mängel, und Unternehmensverbände wurden nicht ausreichend in den Prozess einbezogen.

Anstatt das Scheitern einzugestehen, haben Unternehmensverbände weiterhin versucht, ein effektives Lieferkettengesetz zu verhindern. Dabei sind einige ihrer Argumente gerechtfertigt, andere dagegen falsch. Falsch ist das Argument, ein verpflichtendes Lieferkettengesetz wäre zu teuer für Unternehmen, sodass sie an Wettbewerbsfähigkeit in globalen Märkten verlieren würden. Aus ethischer Perspektive ist dieses Argument nicht vertretbar, denn es impliziert, dass die Verletzung von Menschenrechten und Umweltstandards dann zu rechtfertigen ist, wenn sie wirtschaftliche Interessen schützen.

„Made in Germany“ steht auch für Nachhaltigkeit

Dies ist aber auch aus ökonomischer Perspektive nicht zu verteidigen. Es gibt kaum ein Land, dessen Unternehmen so wettbewerbsfähig und erfolgreich sind. Trotz des Aufstiegs Chinas und asiatischer Niedriglohnländer haben die meisten deutschen Unternehmen ihren Marktanteil in den Weltmärkten in den vergangenen zwei Jahrzehnten behaupten oder gar ausbauen können. Dabei beruht diese Wettbewerbsfähigkeit nicht auf billigen Produkten und niedrigen Kosten, sondern auf der Reputation made in Germany, die für hohe Qualität, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit steht.

Genau diese Reputation schützt ein gut durchdachtes Lieferkettengesetz denn es signalisiert an Konsumenten und Konsumentinnen und an Partnerunternehmen die hohen Standards und Qualität der Produkte. Gerade auch deshalb gibt es eine ganze Reihe deutscher Unternehmen – wie BMW und Ritter Sport –, die sich bewusst für ein hartes Lieferkettengesetz ausgesprochen hatten. Ein Lieferkettengesetz ist wie ein Zertifikat, das deutsche Unternehmen von anderen Wettbewerbern unterscheidet und ein wichtiger Vorteil im globalen Wettbewerb sein kann.

Kleinen Unternehmen könnte geholfen werden

Das Argument der Unternehmensverbände, ein Lieferkettengesetz würde deutsche Unternehmen zwingen, sich aus bestimmten Ländern zurückzuziehen, ist perfide. Es kann weder ein valides ethisches noch ein zulässiges wirtschaftliches Argument sein, ein Land und seine Bevölkerung seien besser dran, wenn deutsche Unternehmen dort Menschenrechtsverletzungen tolerieren oder durch ihre Aktivität sogar erst ermöglichen.

Die Unternehmensverbände haben jedoch auch zwei valide Argumente. Für kleine Unternehmen ist eine Überprüfung der eigenen Lieferketten in der Tat kaum zu leisten. Selbst wenn der Wille dafür da ist, so können viele dies logistisch nicht schaffen. Aber hierbei kann die Politik helfen, beispielsweise indem sie in den betroffenen Ländern über die Auslandshandelskammern (AHK) oder andere öffentliche Institutionen Zertifizierungsprozesse anbietet, die diese Arbeit für kleine Unternehmen übernehmen.

Kein Anreiz für Veränderung

Zudem haben die Kritiker recht, dass ein Lieferkettengesetz nicht nur auf deutscher, sondern auf europäischer Ebene umgesetzt werden sollte. Dies muss in der Tat das Ziel der Bundesregierung sein. Gleichzeitig kann eine fehlende europäische oder globale Dimension aber nie eine Rechtfertigung für ein Fehlverhalten oder ein Tolerieren von Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen sein.

Die Entscheidung, dass deutsche Unternehmen keiner zivilrechtlichen Haftung unterliegen, wenn in ihren Lieferketten Menschenrechtsverletzungen oder anderer Missbrauch stattfinden, bedeutet, dass das neue Gesetz ein zahnloser Tiger sein wird. Auch Androhungen eines temporären Ausschlusses von öffentlichen Ausschreibungen dürften für viele kein ausreichender Anreiz sein, ihre Lieferketten gründlicher zu überprüfen oder zu verändern.

Kompromiss statt hoher Qualität und hoher Standards

Der Kompromiss zum Lieferkettengesetz ist eine verpasste Chance. Wieder einmal zeigt sich das, was viele Kritiker Deutschland schon seit Jahrzehnten vorwerfen: ein Merkantilismus, bei dem die deutsche Außenwirtschaftspolitik primär den engen und kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen dient und bei der sich Deutschland der internationalen Verantwortung verweigert und gewillt ist, seine Werte preiszugeben.

Die Tragik ist, dass ein entschlosseneres Lieferkettengesetz nicht nur wichtige Werte geschützt, sondern auch langfristige wirtschaftlichen Interessen Deutschlands gedient hätte. Denn die größten Stärken der deutschen Wirtschaft sind nicht billige Produkte, sondern hohe Qualität und hohe Standards. Diese zu behaupten verlangt ein hohes Maß an Vertrauen in deutsche Unternehmen und die deutsche Politik. Dieses Vertrauen wird durch den faulen Kompromiss aufs Spiel gesetzt.

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