Medienbeitrag vom 16. September 2022
Dieser Gastbeitrag von Alexander Kritikos und Alexander Kriwoluzky erschien am 16.09.2022 in der WELT.
Wenn die Energiepreise steigen, hat das einen positiven Nebeneffekt: Die Menschen haben einen Anreiz, Energie zu sparen. Unsere Gastautoren, zwei Ökonomen, fragen: Warum macht sich der Staat das nicht zunutze und beschränkt seine Hilfen auf die, die sie existenziell brauchen?
Nach den unzureichenden Entlastungspaketen 1 und 2 der Bundesregierung, waren die Erwartungen an das dritte "wuchtige" Entlastungspaket eher niedrig. Denn die beiden ersten Pakete entpuppten sich mehr als ein Potpourri kleinerer Wählergeschenke denn als zielführende Politikmaßnahmen. Insofern überrascht manch sinnvoller Vorschlag des neuen Paketes.
Dennoch wird dieses Paket weder die Not der von den massiven Energiepreissteigerungen am stärksten betroffenen Haushalte zielgerichtet lindern, noch setzt es die benötigten Signale, um durch den Winter zu kommen. Und Investitionen in erneuerbare Energien, die dem Land mittelfristig helfen würden, werden weiter unterlassen.
Zweifellos stellen die Energiepreissteigerungen viele Haushalte und übrigens auch viele Unternehmen vor ungekannte Herausforderungen. Dennoch ein Gedankenexperiment: Was würde passieren, wenn der Staat nun nicht in die Preisbildung für Energie eingriffe? Preise haben eine Lenkungsfunktion, auch und gerade, wenn es zu abrupten Verknappungen kommt, wie derzeit bei verschiedenen Energieträgern.
Würde die Bundesregierung die Energiepreise den Marktkräften überlassen, also auch den Gasversorgern die Weitergabe der Kosten gestatten, ginge von den dann extrem steigenden Marktpreisen ein erheblicher Anreiz zum Energiesparen aus. Ersten Schätzungen des DIW zufolge gäbe es zum Beispiel für Gas ein Einsparpotential von bis zu 25 Prozent. Das entspricht ziemlich genau der Menge an einzusparendem Gas, um über den Winter zu kommen.
Natürlich hätte das auch andere Konsequenzen: Haushalte, für die Energieeinsparungen nicht möglich sind und die die zusätzlichen Mehrausgaben nicht über ihr Einkommen abfedern können, müssten diese über die Auflösung ihrer Ersparnisse finanzieren.
Das ist gerade für die Geringverdienenden und die untere Mittelschicht, also Haushalte, deren Einkünfte unterhalb des Medians liegen, häufig nicht möglich, da sie eben nicht nur geringe Verdienste, sondern auch kaum Vermögen zur Verfügung haben.
Für einkommensschwache Haushalte kann dies die Zahlungsunfähigkeit und die Abkoppelung von der Energiezufuhr bedeuten, wenn sie entsprechende Nachzahlungen ihrer Energieversorger nicht leisten können. Eine Vielzahl von Privatinsolvenzen stünde ins Haus.
Solche sozialen Verwerfungen sind in einer sozialen Marktwirtschaft nicht gewollt und rechtfertigen die gezielte Unterstützung dieser Haushalte durch den Staat. Die Gewährung von Pauschalzahlungen an die entsprechenden Zielgruppen, also an alle Haushalte, deren Pro-Kopf-Einkommen unterhalb des Medians liegen, ermöglicht eine solche zielgenaue Unterstützung. Die Haushalte wären dann weiterhin in der Lage, ihre Wohnungen zu heizen.
Der Anreiz zum Energiesparen, und das ist der zweite wichtige Vorteil neben der Zielgenauigkeit des Instruments, bliebe gleichzeitig erhalten. Genau hier setzt ein Teil des dritten Pakets an. Zahlungen an Studierende, die Erhöhung des Bürgergeldes, die Erhöhung des Wohngeldes und der Kinderzulage versetzen in Not geratene Haushalte in die Lage, die zusätzlich entstehenden Heizkosten zu tragen, ohne dass die Anreize zum Energiesparen verloren gehen. Nur die pauschalen Hilfen für die Rentner:innen sind recht ungenau.
Aber diese Maßnahmen zielen (jenseits der Rentnerhaushalte) nur auf die untersten Einkommen und vernachlässigen die untere Mittelschicht. Dies überlässt die Bundesregierung bei den abhängig Beschäftigten den Arbeitgebern. Diese können bis zu einer Höhe von 3000 Euro steuerfreie Einmalzahlungen als eine Inflationsprämie an ihre Beschäftigten leisten. Sie müssen es aber nicht. Es bleibt offen, inwieweit hiervon die Haushalte der unteren Mittelschicht profitieren werden. Selbständige der unteren Mittelschicht gehen derzeit leer aus.
Stattdessen hat die Bundesregierung parallel dazu verschiedene Preisdeckel angekündigt. Eine Kommission soll über einen Gaspreisdeckel nachdenken, ebenso sollen die Strompreise für den Grundbedarf gedeckelt werden und das Ganze auch noch durch die Abschöpfung von "Zufallsgewinnen" finanziert werden. Wie das genau funktionieren soll, weiß noch keiner.
Was klar ist: Durch solche Preisdeckel wird die marktorientierte Preissetzung ausgesetzt, die aktuelle Knappheiten widerspiegelt. Dieser Vorschlag hat nur einen Vorteil gegenüber Pauschalzahlungen. Geringverdienende Haushalte, die noch dazu in schlecht isolierten Wohnungen leben und für die eine unterstützende Pauschalzahlung daher zu gering ausfällt, würden durch einen Preisdeckel besser unterstützt werden. Das gilt aber auch nur, sofern sie den Energieträger nutzen, dessen Preis gedeckelt wird.
Preisdeckel sind gegenüber einer Pauschalzahlung an bestimmte Zielgruppen mit einer Vielzahl von Nachteilen verbunden. Erstens senkt ein Preisdeckel die Kosten für alle Haushalte. Würde der Preisdeckel bei einer relativ hohen Menge angesetzt werden, resultiert aus dieser Subvention ähnlich dem Tankrabatt eine Umverteilung von unten nach oben. Zweitens ginge über einen solchen Preisdeckel der Anreiz zum Energiesparen verloren.
Die häufig angeführte Alternative, die Haushalte durch Appelle zum Energiesparen aufzufordern, dürfte dagegen viel schwächer ausfallen. In jedem Fall würde weniger Energie eingespart werden als unter der Freigabe von Energiepreisen.
Drittens führt ein auf bestimmte Energieträger beschränkter Preisdeckel zu weiteren Verzerrungen, da dadurch die Preise für Energieträger ohne Preisdeckel relativ teurer würden. Geringverdienende Haushalte, die auf andere Energieträger angewiesen sind, müssten weiterhin anderweitige finanzielle Unterstützung erhalten.
Während das dritte Entlastungspaket einige wichtige Entlastungen enthält, ist es letztlich doch nur ein Herumdoktern an Symptomen. 65 Milliarden Euro werden auch nur der Anfang sein, um durch den Winter zu kommen. Diese stattliche Summe enthält keine Mittel für Investitionen in die Zukunft des Landes. Der schnelle Ausbau erneuerbarer Energien wird von der Regierung weiter ignoriert. Dabei sind es gerade diese Energieträger, die Deutschland unabhängig von anderen Lieferanten machten.
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Aber es ist noch nicht zu spät, von der Deckelei der Preise abzulassen und gezielte Hilfen über Pauschalen an diejenigen auszureichen, die staatliche Unterstützung wirklich benötigen, um über den Winter zu kommen.
Angeblich sind solche gezielten Zahlungen derzeit der öffentlichen Hand nicht möglich. Insofern wäre es eine sinnvolle staatliche Investition, nämlich die Infrastruktur rasch zu entwickeln, um solche Auszahlungen als „negative Einkommenssteuer“ über die Steuerbehörden zu realisieren.