DIW Wochenbericht 11 / 2023, S. 136
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Das Bundesarbeitsgericht hat Mitte Februar ein Grundsatzurteil gefällt und klargestellt: Es verstößt gegen das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, wenn ein Arbeitgeber eine Mitarbeiterin schlechter bezahlt als einen männlichen Kollegen und dies mit dessen besserem Verhandlungsgeschick begründet. Ab jetzt müssen Arbeitgeber Frauen das gleiche Gehalt zahlen wie deren Kollegen – jedenfalls dann, wenn es mit Blick auf Qualifikationen, Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten keine Unterschiede zwischen ihnen gibt.
Ist das nun das Ende der Selbstverantwortung, wie manche prompt beklagen? Das wäre der Fall, wenn das Ergebnis von Gehaltsverhandlungen bisher tatsächlich rein vom individuellen Verhandlungsgeschick der Beteiligten abhängig gewesen wäre. So ist es aber nicht. Studien haben ergeben, dass das Verhalten von Männern und Frauen, gerade in Verhandlungssituationen, nicht nur von individuellen Eigenschaften und Vorlieben bestimmt wird, sondern wesentlich von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt. Und diese Rahmenbedingungen benachteiligen Frauen aufgrund geschlechterstereotyper Zuschreibungen, die tief in der Gesellschaft – bei Männern wie bei Frauen – verankert sind.
Empirische Studien belegen, dass Frauen unter anderem deshalb schlechtere Verhandlungsergebnisse für sich selbst erzielen, weil sie mit niedrigeren Lohnforderungen in Gehaltsverhandlungen gehen. Grundsätzlich verhandeln Frauen aber nicht schlechter als Männer. Im Gegenteil: Frauen, die – beispielsweise als Anwältinnen, Lehrerinnen oder Mütter für andere verhandeln, sind dabei oft sehr erfolgreich. Die Forschung hat gezeigt, dass es für Frauen wie für Männer eine sozial akzeptierte, ja sogar erwünschte Verhaltensweise ist, für andere in Verhandlungen etwas zu erreichen.
Wenn es aber um das Verhandeln des eigenen Gehaltes geht, werden Frauen und Männer unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Frauen werden sozial dafür bestraft, wenn sie für sich selbst viel rausholen wollen. Zahlreiche verhaltensökonomische Experimente haben gezeigt, dass das Umfeld gerade Frauen, die auf ihr Recht auf gleiche Bezahlung pochen und hart verhandeln, als unsympathisch wahrnimmt. Während Männer sich gegenseitig – und gerne auch sich selbst – dafür auf die Schulter klopfen, ein möglichst hohes Gehalt verhandelt zu haben, wird Frauen dies nicht zugestanden. Hart für sich selbst zu verhandeln ist lediglich bei Männern eine sozial akzeptierte Verhaltensweise.
Dies hängt damit zusammen, dass – auch das zeigen empirischen Studien – Männern allein aufgrund ihres Geschlechts ein höheres Gehalt zugestanden wird als Frauen. Auch Frauen sehen das im Durchschnitt so. Frauen wie Männer sind der Meinung, dass sich Frauen mit weniger zufrieden geben sollen. Das führt dazu, dass Frauen mit niedrigeren Lohnvorstellungen in Gehaltsverhandlungen gehen. Und es führt auch dazu, dass Arbeitgeber Frauen in Gehaltsverhandlungen niedrigere Gehälter zugestehen.
Somit hat das Verhandlungsergebnis keineswegs nur etwas mit Selbstverantwortung oder individuellem Geschick zu tun. Vielmehr sind es tief verwurzelte gesellschaftliche Normen und Vorstellungen, die Frauen für bestimmte Verhaltensweisen bestrafen und Männer für dieselben Verhaltensweisen belohnen.
Das Resultat ist messbar: Der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap, bei dem Faktoren wie Berufswahl, Teilzeittätigkeit, Branche, hierarchische Position, Betriebszugehörigkeit und vieles mehr herausgerechnet sind, liegt in Deutschland bei sechs bis sieben Prozent. Das heißt: Frauen erhalten für die gleiche Arbeit im Durchschnitt noch immer einen geringeren Stundenlohn. Gerade mit Blick auf den Equal Pay Day, der in diesem Jahr auf den 7. März fiel und der auf die nach wie vor ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern aufmerksam macht, ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes also eine gute Nachricht.
Dieser Kommentar ist zuerst am 7. März 2023 bei ZEIT Online erschienen.
Themen: Verteilung, Gender, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-11-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271745