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Sind Sie ein Feminist?

Blog Marcel Fratzscher vom 2. Mai 2023

Das Konzept der feministischen Außenpolitik mag wie eine Utopie klingen. Doch die Anstrengungen lohnen sich, um Hunger, Klimawandel, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen.

Selten in den vergangenen 70 Jahren gab es so viele Krisen und Konflikte wie heute. Und selten war die Unsicherheit über die Zukunft so groß. Nicht nur die Krisen und Konflikte per se, sondern deren scheinbare Aussichtslosigkeit ist so ernüchternd. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird Europa und die Welt wohl noch viele Jahre beschäftigen. Der Handelskonflikt zwischen den USA und China eskaliert. Deutschland verfehlt die Klimaschutzziele, fast alle Länder der Welt vernachlässigen die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Klimabedingte Katastrophen und geopolitische Konflikte werden zunehmen, ohne dass ein ernsthafter Versuch unternommen würde, diese zu verhindern oder abzumildern. Und selbst die Staaten in der EU sind kaum noch in der Lage, sich auch nur auf gemeinsame Ziele und Spielregeln zu einigen. Wie kann eine Zeitenwende aussehen, die die Krisen nicht mit mehr Geld und Beharrung zu lösen versucht, sondern einen Kurswechsel vollzieht, mit einer grundlegend neuen Strategie?

Dieser Text erschien am 28. April 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Die Politik scheint bei fast keiner der großen Krisen auf dem Weg einer nachhaltigen Lösung zu sein. Hinzu kommt, dass sich Gesellschaften verschließen und einen zunehmend nationalistischen Kurs verfolgen. Nicht nur die USA und China, sondern auch Deutschland und Europa höhlen die Rolle multilateraler Institutionen weiter aus – wie die anhaltende Demontage der Welthandelsorganisation WTO zeigt – und konzentrieren sich auf bilaterale Handelsabkommen und Clubbildung. Das Resultat ist eine Kakofonie widerstreitender Abkommen ohne stringente Strategie. Daraus folgt als logische Konsequenz eine Hilflosigkeit bei der Bewältigung und Verhinderung neuer Krisen.

Angesichts dieses Versagens verlieren Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die staatlichen Institutionen. Repräsentative Befragungen wie von der Kommunikationsagentur Edelman Trust zeigen, dass selten zuvor in den vergangenen 70 Jahren Menschen in den westlichen Demokratien so wenig Vertrauen in ein ethisches und zielführendes Handeln ihrer Regierungen hatten wie heute. Menschen wenden sich von der Politik ab, manche wählen populistische oder antidemokratische Parteien und werden skeptischer gegenüber jeglicher Veränderung, egal wie dringend sie auch sein mag. Liberale Demokratien sind auf dem Rückzug, autokratische Regime fühlen sich bestätigt.

Wie kann eine Neuausrichtung der Politik aussehen? Ein immer häufiger diskutierter Ansatz ist die Mobilisierung von "drei Rs": Ressourcen, Rechte und Repräsentanz aller Gruppen einer Gesellschaft. Die Idee ist: Wenn es gelingt, alle Gruppen zu mobilisieren und allen ein Mitspracherecht zu geben, dann können neue Perspektiven für bessere Lösungen und eine größere Akzeptanz für Veränderung entstehen.

Bei der Mobilisierung von Ressourcen geht es um die Frage, wie möglichst viele Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen sich beteiligen und wie die verletzlichsten Gruppen, also die am stärksten unter Krisen und Veränderungen leiden, besser geschützt werden können. Auch die Umsetzung von Lösungen hat nur dann eine Chance, wenn möglichst alle Gruppen der Gesellschaft sich beteiligen und von dem eingeschlagenen Weg überzeugt sind.

Globale Probleme werden nie allein gelöst

Das zweite R – die Stärkung der Rechte von benachteiligten Gruppen – beinhaltet die Idee, dass nachhaltige Lösungen von Krisen den Schutz dieser Gruppen in Gesetzen und staatlichen Institutionen besser verankern. Menschen können ihre Ressourcen nur dann mobilisieren, wenn sie die gleichen rechtlich gesicherten Chancen haben. Chancengleichheit im Bildungssystem, der Abbau von Diskriminierung im Arbeitsmarkt, Verbraucherschutz oder ein Anrecht auf gleichwertige Lebensbedingungen und eine intakte Umwelt können Konflikte verhindern oder zumindest deren Lösung verbessern. Stärkere Rechte reduzieren also auch die Kosten, wenn Krisen gar nicht erst entstehen.

Das dritte R steht für Repräsentanz, also für eine inklusivere Verteilung von Macht. In den meisten liberalen Demokratien der Welt trifft eine kleine privilegierte Gruppe von meist weißen, gut gebildeten, wohlhabenden Männern die Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Wettbewerb um Entscheidungskompetenzen und mehr Offenheit für die Vielfalt und unterschiedlichen Sichtweisen würden den Entscheidungsgremien mehr Perspektiven eröffnen, um Lösungen zu finden und erfolgreich umzusetzen.

Und ganz wichtig: Diese drei Rs dürfen nicht nur für die eigene Gesellschaft gelten, sondern müssen überall Geltung haben. Denn globale Probleme werden niemals von Einzelnen in nationalen Alleingängen gelöst werden. Im reichen Europa tragen wir eine Mitverantwortung für diese drei Rs auch in Afrika, Asien oder in Lateinamerika. Deshalb sind die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen so wichtig, denn sie schaffen eine gemeinsame Grundlage zur Lösung der globalen Probleme.

Sind Sie als Leserin oder Leser davon überzeugt, dass ein solcher Ansatz der Stärkung von Ressourcen, Rechten und Repräsentanz zielführend ist? Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie diese Frage mit Ja beantwortet haben, dann unterstützen Sie den Ansatz der feministischen Außenpolitik und Sie können sich – in gewisser Weise und wenn Sie dies denn möchten – als Feminist bezeichnen. Der feministischen Außenpolitik geht es genau um die Stärkung dieser drei Rs, wie Außenministerin Annalena Baerbock in den im März vorgestellten Leitlinien des Auswärtigen Amts ausführt. Dabei geht es der feministischen Außenpolitik eben nicht darum, ausschließlich die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken. Es geht darum, die üblichen Machtstrukturen zu hinterfragen und die Ressourcen, Rechte und die Repräsentanz aller marginalisierten Gruppen zu stärken.

Die feministische Außenpolitik mag heute nur mehr als eine sinnstiftende Utopie erscheinen. Aber jeder Schritt dorthin stärkt die Weltgemeinschaft darin, Hunger, Armut, Gewalt und Ungleichheit zu überwinden. Die feministische Außenpolitik bringt uns besseren Lösungen der Krisen unserer Zeit näher. Es ist höchste Zeit, dass wir weißen Männer unsere Scheuklappen ablegen, die Schwächen traditioneller Lösungsansätze eingestehen und uns für einen wirklichen Kurswechsel öffnen.

Themen: Europa , Gender

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