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Weg mit diesem Überbleibsel aus dem Patriarchat

Blog Marcel Fratzscher vom 14. Juli 2023

Die Abschaffung des Ehegattensplittings schafft mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand. Reformvorschläge liegen auf dem Tisch – die Politik muss sie nur umsetzen.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil schlägt vor, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Dies wäre nicht nur einer der größten Fortschritte seit Langem für die Gleichstellung und Armutsbekämpfung, sondern es wäre ein essenzielles Element, um das Fachkräfteproblem in Deutschland zu mindern. Die Abschaffung würde Frauen mehr Freiheit und mehr Chancengleichheit gewähren und zudem eklatante Ungerechtigkeiten im Steuersystem verringern.

Dieser Text erschien am 14. Juli 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Das Ehegattensplitting spaltet seit 40 Jahren Politik wie Gesellschaft. Ehepaare können ihr Einkommen steuerlich gemeinsam veranlagen und so – wegen des progressiven Einkommensteuertarifs – deutlich weniger Steuern zahlen, wenn ein Partner oder eben eine Partnerin sehr viel verdient und ein Partner beziehungsweise eine Partnerin nichts oder sehr wenig. Die Befürwortenden sehen darin eine finanzielle Unterstützung von Familien, die mehr Wahlmöglichkeiten für Eheleute in Bezug auf Beruf und Familie bietet.

Verheiratete Frauen mit wenig Einkommen zahlen überdurchschnittlich hohe Steuern

Eine ehrliche Analyse widerlegt diese These und zeigt vier große Vorteile einer Reform auf: Erstens würde sie die Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland voranbringen. Denn das Ehegattensplitting setzt für einen der Partner – in Ehen zwischen Mann und Frau meist für die Frau und häufig nach der Familiengründung – starke negative Anreize, überhaupt oder mehr Stunden zu arbeiten. Denn wenn beispielsweise der Ehemann sehr viel verdient, dann zahlt die Frau ab dem ersten verdienten Euro einen sehr viel höheren Steuersatz, als wenn sie unverheiratet wäre. Konkret bedeutet dies: Verheiratete Frauen mit einem Jahreseinkommen von weniger als 40.000 Euro zahlen durchschnittlich doppelt so viele Steuern wie Ehemänner mit gleichem Einkommen.

Zweitens würde eine Abschaffung des Ehegattensplittings die Armut in Deutschland reduzieren. Zwar kann man einwenden, dass ein gut verdienender Ehemann sehr viel weniger Steuern zahlt und dadurch das Paar unter dem Strich profitiert. Aber es schafft ein Ungleichgewicht in der Ehe. Und wichtiger noch: Spätestens nach einer Scheidung wird dies zu einem Bumerang für Frauen – und zwar für viele Frauen, da 40 Prozent der Ehen geschieden werden. Durch die Reformen bei der Unterhaltspflicht im Jahr 2008 müssen beide Partner nach einer Scheidung finanziell schnell wieder auf eigenen Füßen stehen. Dies führt in vielen Fällen dazu, dass Frauen danach ein deutlich geringeres Einkommen haben – und zwar dauerhaft. Frauen, und vor allem alleinerziehende Mütter und ihre Kinder, sind auch deshalb viel häufiger von Armut betroffen als andere Menschen – und das häufig das gesamte Leben lang. Denn die Rente von Frauen in Deutschland ist durchschnittlich 30 Prozent geringer ist als die von Männern. Somit ist das Ehegattensplitting für sehr viele Ursache von Armut.

Drittens würde auch die Wirtschaft von einer Abschaffung des Ehegattensplittings stark profitieren. Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist das größte ungehobene wirtschaftliche Potenzial für Deutschland. Es gibt außer den Niederlanden kein Land in der Welt, in denen ein höherer Anteil (fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen) in Teilzeit arbeiten. Frauen sind mindestens genauso gut und häufig besser qualifiziert als Männer und fehlen auf dem Arbeitsmarkt. Bereits heute gibt es zwei Millionen offene Stellen und in den kommenden zehn Jahren werden weitere fünf Millionen Beschäftigte netto aus Altersgründen den Arbeitsmarkt verlassen. Die Steigerung der Arbeitszeiten von Frauen wird – noch deutlich vor der Zuwanderung – entscheidend sein, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen und unseren wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern.

Viertens wäre der Staat ein großer Gewinner einer Reform. Denn das Ehegattensplitting kostet ihn jedes Jahr 20 Milliarden Euro. Zudem hätte eine stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen zwei weitere Vorteile für den Staat: Zum einen würden die Steuereinnahmen deutlich steigen, da mehr Menschen arbeiten und die Wirtschaft mehr produzieren kann. Zum anderen würde es die Sozialsysteme entlasten, wenn weniger Menschen auf soziale Leistungen angewiesen sind und selbst ein besseres Einkommen erzielen könnten.

Die Reform des Ehegattensplittings als Teil eines Reformpakets

Unser Gesellschaftsvertrag der sozialen Marktwirtschaft und die Gerechtigkeit erfordern eine Reform des Ehegattensplittings. Denn es fördert eben nicht Familien, sondern lediglich Ehen mit ungleichen Einkommen.

Das folgende Beispiel illustriert die Ungerechtigkeit, die dadurch entsteht: Eine alleinerziehende Mutter mit 60.000 Euro zu versteuernden Einkommen zahlt 15.242 Euro an Steuern. Ein verheiratetes Paar mit dem gleichen Einkommen, bei dem der Mann 60.000 Euro verdient und die Frau nicht arbeitet, zahlt dagegen lediglich nur 9.400 Euro an Steuern – also 5.842 Euro weniger.

Eine weitere Unfairness ist, dass die 20 Milliarden Euro zum größten Teil den Spitzenverdienenden zugutekommen, also den Ehen, in denen meist der Mann ein sehr hohes Einkommen hat und den Spitzensteuersatz zahlt und die Frau wenig oder gar nicht arbeitet. Ehepaare mit geringen oder gleichen Einkommen profitieren dagegen gar nicht oder wenig.

Das DIW Berlin hat seit vielen Jahren immer wieder eine Reform des Ehegattensplittings angemahnt und dazu konkrete Vorschläge gemacht – beispielsweise ein Realsplitting oder ein Familiensplitting – und auch die Schwächen des Ehegattensplittings immer wieder betont.

Die Reform des Ehegattensplittings ist wichtig. Aber diese Reform sollte nicht isoliert betrachtet werden, sondern Teil eines Reformpakets sein, um Fachkräfte zu mobilisieren und wirkliche Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen zu gewährleisten. Notwendig sind die Abschaffung der Mitversicherung bei Partnerschaft und – vielleicht am wichtigsten – die Abschaffung der Minijobs. Denn von den über sieben Millionen Menschen mit Minijob sind die meisten Frauen und für mehr als zwei Millionen ist der Minijob der Haupterwerb. Auch die Situation am Arbeitsmarkt und die Bezahlung muss für Frauen verbessert werden. Deutschland hat immer noch einen der größten Gender-Pay-Gaps unter den Industrieländern. Eine bessere Kinderbetreuung, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr Flexibilität im Job sind daher genauso notwendig.

Das Ehegattensplitting ist ein Überbleibsel des Patriarchats. Es ist erstaunlich, dass gerade die FDP sich gegen die Reform des Ehegattensplittings ausspricht. Denn das Ehegattensplitting bedeutet in der Realität eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen. Es schafft Hürden und Fehlanreize, nicht oder weniger zu arbeiten, in erster Linie für Frauen und insbesondere nach der Familiengründung. Das Ehegattensplitting abzuschaffen, wäre somit eine höchst liberale Entscheidung, denn es würde die Freiheit der Hälfte der Menschen in unserer Gesellschaft erhöhen. 

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