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Die Verweigerung des Klimageldes verschärft die soziale Ungleichheit

Blog Marcel Fratzscher vom 28. Juli 2023

Die Bundesregierung hatte das Klimageld versprochen, um einen sozialen Ausgleich für die CO₂-Bepreisung zu schaffen. Ohne diesen Ausgleich werden viele Menschen arm.

Die Bundesregierung bleibt bisher so manches Versprechen aus dem Koalitionsvertrag schuldig. Eines dieser noch nicht erfüllten Versprechen ist das Klimageld. Dies sollte sie dringend umsetzen, denn die hohen Energiekosten bei einem gleichzeitig steigenden CO₂-Preis erhöhen die Ungleichheit zwischen Arm und Reich weiter und schwächen die gesellschaftliche Akzeptanz für dringend notwendige Reformen bei Klima- und Umweltschutz.

Dieser Text erschien am 28. Juli 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Eine aktuelle Studie des DIW Berlin zeigt, dass Haushalte mit niedrigen Einkommen in Deutschland relativ zu ihrem Einkommen in Zukunft noch viel stärker von einem durch den wachsenden CO₂-Preis verursachten Anstieg der Energiekosten belastet werden als Haushalte mit hohen Einkommen. Wenn der Preis langfristig betrachtet bei 150 Euro pro Tonne in den Sektoren Wärme und Verkehr liegt, müssten die zehn Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen knapp sechs Prozent mehr ihres Nettoeinkommens fürs Heizen und für Kraftstoffe ausgeben. Für die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung beträgt diese zusätzliche Belastung lediglich 1,5 Prozent ihres Einkommens. Noch einmal: Hierbei handelt es sich nur um den Anstieg der finanziellen Belastung.

© DIW Berlin

Bereits heute geben die zehn Prozent der einkommensschwächsten Haushalte durchschnittlich knapp sieben Prozent ihres Nettoeinkommens alleine für Heizkosten aus. In Zukunft werden wohl alleine die Heizkosten aufgrund der steigenden CO₂-Steuer circa zwölf Prozent des Nettoeinkommens verschlingen. Auch wenn dies eine langfristige Betrachtung darstellt (der CO₂-Preis im Sektor Wärme soll bis 2026 auf circa 60 Euro steigen und liegt damit deutlich unter den langfristig angenommenen 150 Euro), macht sie die Größenordnungen der zusätzlichen Belastungen für Haushalte mit geringen Einkommen deutlich. Man muss auch wissen, dass darin noch nicht einmal die Kosten für Strom enthalten sind – schon heute geben die einkommensschwächeren Haushalte etwa sieben Prozent ihres Nettoeinkommens dafür aus. Auch fehlen in dieser Rechnung noch die Kosten für Kraftstoffe, die allerdings bei Ärmeren häufig gering sind, da mehr als die Hälfte kein Auto besitzt.

Hohe Energiekosten werden zum Treiber von Ungleichheit

Das Beispiel der Heizkosten zeigt in bedrückender Art und Weise, welche massiven Zusatzbelastungen Haushalte mit geringen Einkommen künftig erwarten. Und ein Teil davon ist verursacht durch die CO₂-Steuer. Um an dieser Stelle nicht missverstanden zu werden: Die Steuer ist richtig und notwendig, weil durch sie die wirklichen Kosten des Verbrauchs von fossilen Energieträgern für Umwelt und Klima etwas realistischer widergespiegelt werden. Sie kann dazu beitragen, unseren Energieverbrauch und dadurch verursachte Emissionen zu reduzieren. Dennoch kann die CO₂-Bepreisung nur dann zum Erfolgskonzept werden, wenn wirksame soziale Ausgleichsmechanismen in Kraft treten.

Noch eindeutiger wird diese Notwendigkeit, wenn man betrachtet, dass die genannten Belastungen lediglich Durchschnittswerte darstellen und somit viele Härtefälle ignorieren, etwa bei Familien mit geringem Einkommen. Die Berechnungen meiner Kollegen am DIW Berlin zeigen, dass unter den Einkommensschwächsten jeder vierte Haushalt in Zukunft sogar mehr als zehn Prozent des monatlichen Einkommens zusätzlich für Energie (inklusive CO₂-Steuer) entrichten werden muss. Für viele bedeutet das eine erhebliche Einschränkung ihres Lebensstandards. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die zusätzliche Belastung geringer ausfallen wird, beispielsweise bei Haushalten in der Grundsicherung, deren Heizkosten vom Staat übernommen werden.

Geringverdienende haben kaum Anpassungsspielraum

Das Problem der ungleichen Verteilung betrifft aber nicht nur die zusätzliche Belastung durch die CO₂-Bepreisung. Haushalte mit hohen Einkommen verfügen in der Regel über mehr Spielraum, sich dem höheren Preisniveau anzupassen. Diesen Menschen fällt es häufig leichter als Menschen mit wenig Einkommen, Energie und damit verbundene Kosten einzusparen. Eine Familie in einem großen, gut isolierten Haus kann eher auf die Beheizung kaum genutzter Räume verzichten als eine Familie in einer voll ausgelasteten Achtzigquadratmeterwohnung in schlechtem Zustand.

Ähnlich verhält es sich bei Investitionen in technische Neuerungen. Es ist leichter für eine Familie mit hohem Einkommen, die alte Gasheizung durch eine Wärmepumpe oder das große Auto mit Verbrennungsmotor durch ein E-Auto zu ersetzen, als dies für eine Familie mit geringem Einkommen möglich ist. Vor allem die überwältigende Mehrheit der Familien mit geringen Einkommen, die zur Miete wohnen, haben häufig keinen Einfluss auf die energetische Effizienz ihrer Wohnung. Entsprechend schlecht sind die Aussichten, die zusätzlichen Belastungen durch die CO₂-Bepreisung auf diese Weise einzudämmen.

All dies unterstreicht, dass die auch durch den CO₂-Preis verursachte Steigerung der Energiepreise ein Motor für soziale und wirtschaftliche Ungleichheit ist und sein wird. Ein wachsender CO₂-Preis wird diese Benachteiligung weiter verstärken.

Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung ihr Versprechen des Koalitionsvertrags zügig erfüllt und die zusätzlichen Einnahmen aus der CO₂-Steuer als Klimageld an die Bürgerinnen und Bürger zurückgibt. Die untenstehende Grafik zeigt, dass ein einheitliches Pro-Kopf-Klimageld einen großen Teil der zusätzlichen Kosten von Haushalten mit geringen Einkommen abdecken und sie somit sehr effektiv entlasten könnte.

© DIW Berlin

Die Bundesregierung bleibt die Antwort schuldig, wann und wie sie dies umsetzen will. Die Vermutung liegt nahe, dass sie dies auf absehbare Zeit auch nicht tun wird. Wie in den Diskussionen um die Energiepauschale im vergangenen Jahr, verweist die Ampel-Regierung erneut auf die fehlende staatliche Infrastruktur, um zielgenau Auszahlungen an Haushalte leisten zu können.

Nicht in der Lage oder nicht gewillt?

Nun stellt sich die Frage, ob die Politik tatsächlich nicht in der Lage, oder vielmehr nicht gewillt ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, insbesondere Menschen mit wenig Einkommen entlasten zu können. Denn gerade in Zeiten knapper Kassen ist es bequem, zusätzliche Einnahmen wie durch die CO₂-Bepreisung für andere Zwecke zu verwenden. So hat der Bundesfinanzminister beispielsweise umgehend durch ein sogenanntes Inflationsausgleichsgesetz die kalte Progression bei der Besteuerung von Einkommen mit 15 Milliarden Euro im Jahr abgesenkt, wovon hauptsächlich Spitzenverdienende profitieren und Haushalte mit geringen Einkommen so gut wie keinen Euro erhalten.

Es ist höchste Zeit, dass die Politik das Projekt Klimageld umsetzt. Auch wenn das Klimageld in Form einer einheitlichen Pro-Kopf-Pauschale den Großteil der finanziellen Zusatzbelastung für einkommensschwache Haushalte abfedert, wäre eine einkommensabhängige Ausgestaltung wünschenswert. Genauso dringend ist eine von Einkommen und Bedarfen abhängige finanzielle Förderung individueller Anpassungspotenziale, vor allem bei der Umstellung von Heizungen im Zuge der Reform des Gebäudeenergiegesetzes.

Wenn die Politik es ernst meint mit dem Klimaschutz, dann muss sie die soziale Akzeptanz für die notwendigen Instrumente schaffen – und dazu gehört zweifelsohne ein angemessen hoher CO₂-Preis und ein funktionierender Ausgleichsmechanismus. Damit wirkt sie auch der wachsenden Ungleichheit entgegen und fördert neben der ökologischen auch die soziale Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft. Nur so haben Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft in Deutschland eine wirkliche Chance.

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