DIW Wochenbericht 47 / 2023, S. 649-656
Souleymane Faye, Sarah Godar, Gabriel Zucman
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„Auch wenn Offshore-Finanzvermögen gemessen an der Wirtschaftsleistung weltweit über die Zeit ziemlich konstant waren, hat sich viel verändert. So hat die Bedeutung der Schweiz stark abgenommen, die asiatischer Zentren ist kräftig gestiegen und Steuervermeidungsmotive spielen wohl eine geringere Rolle.“ Sarah Godar
Trotz internationaler Reformen mit dem Ziel, grenzüberschreitende Steuerhinterziehungsaktivitäten einzudämmen, ist die Bedeutung globaler Offshore-Finanzvermögen von 2001 bis 2021 relativ konstant geblieben: Gemessen an der globalen Wirtschaftsleistung schwanken sie um etwa zehn Prozent. Deutlich verschoben hat sich allerdings die geografische Verteilung auf die Finanzzentren. Die relative Bedeutung der Schweiz hat abgenommen, während der Anteil, der in asiatischen Steueroasen gehaltenen Vermögen zugenommen hat. Ein steigender Anteil der Offshore-Finanzvermögen stammt aus Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen. Die Beständigkeit der Offshore-Finanzvermögen trotz gestiegener steuerlicher Transparenz könnte darauf hindeuten, dass Steuerhinterziehung heute nicht (mehr) das primäre Motiv für das Halten von Offshore-Konten und -Depots ist. Eine Auswertung der von Deutschland erhaltenen Daten aus dem automatischen Informationsaustausch könnte zur Klärung beitragen. Um eine Umgehung der Transparenzregeln zu verhindern und den Datenaustausch weltweit zu stärken, sollte die Politik auch Immobilienvermögen mit einbeziehen und auch ärmeren Ländern schneller Datenzugang gewähren.
Im Zuge der Enthüllungen um die sogenannten Panama-Papers 2016 füllten Berichte über mit Offshore-Vermögen verbundene Steuertricks und Möglichkeiten der Verschleierung von Korruption und Geldwäsche die Schlagzeilen der internationalen Presse. Seitdem hat sich allerdings einiges in der Welt der Offshore-Finanzen verändert. Insbesondere der automatische Informationsaustausch über Finanzkonten, den die G20 und die OECD 2014 auf den Weg brachten, führte dazu, dass eine wachsende Anzahl von Ländern seit 2017 Informationen über die von Anleger*innen im Ausland gehaltenen Finanzvermögen austauschte.OECD (2023): A Brief History of the AEOI. Automatic Exchange Portal (online verfügbar, abgerufen am 12. November 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anderes vermerkt). Inzwischen haben sich über 100 Länder dem InformationsaustauschIm Jahr 2014 beschlossen die G20 und die OECD die Einführung eines automatischen Informationsaustauschs über im Ausland gehaltene Finanzkonten. angeschlossen, was die Geheimhaltung von Offshore-Finanzvermögen gegenüber den Steuerbehörden deutlich erschwert haben dürfte.
Nach wie vor kann der Umfang von in Offshore-Finanzplätzen gehaltenen Vermögen nur geschätzt werden. Dazu können systematische Abweichungen zwischen globalen finanziellen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten genutzt werden.Gabriel Zucman (2013): The Missing Wealth of Nations: Are Europe and the US net Debtors or net Creditors? Quarterly Journal of Economics, 128(3), 1321–1364 (online verfügbar). Nachfolgend wird erstmals eine aktualisierte Schätzung der globalen Offshore-Finanzvermögen bis ins Jahr 2021 vorgelegt.Auf der systematischen Abweichung basierende Schätzungen liegen derzeit nur bis 2018 vor. Vgl. ECORYS (2021): Monitoring the amount of wealth hidden by individuals in international financial centres and impact of recent internationally agreed standards on tax transparency on the fight against tax evasion – Final report, Europäische Kommission, Directorate-General for Taxation and Customs Union (online verfügbar). Um länderspezifische Entwicklungen abzubilden, wird auch die Verteilung nach Steueroasen und nach Wohnsitzländern der Eigentümer*innen von Offshore-Vermögen von 2001 bis 2021 geschätzt.
Vor der Implementierung des Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA)Im Jahr 2010 beschlossen die USA den Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA), mit dem ausländische Finanzinstitute verpflichtet wurden, Informationen über Auslandskonten von US-amerikanischen Kund*innen automatisch an die US-Behörden zu übermitteln. Das unter FATCA geschlossene Abkommen mit der Schweiz kippte 2013 das Schweizer Bankgeheimnis für US-Amerikaner*innen. FATCA garantiert keine volle Reziprozität beim Datenaustausch, da nicht alle Informationen, die die USA von ausländischen Finanzinstituten anfordern, auch in den USA erhoben werden. Vgl. Congressional Research Service (2022): The Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA). In Focus, July 15 (online verfügbar). und des Common Reporting Standard (CRS) war ein Großteil des in Offshore-Finanzzentren gehaltenen Vermögens vor den Steuerbehörden verborgen. Inzwischen hat sich der Spielraum für Steuerhinterziehung stark reduziert. Erste Hochrechnungen basierend auf dänischen CRS-Daten legen nahe, dass den Steuerbehörden bei vermutlich nur noch etwa 30 Prozent der dänischen Offshore-Vermögen die Eigentümer*innen unbekannt sind.Hjalte Boas et al. (2023): Taxing Capital in a Globalized World: The Effects of Automatic Information Exchange. EU Tax Observatory Working Paper. Die bis 2021 aktualisierten Daten zeigen jedoch eine relative Stabilität der Offshore-Finanzvermögen im Zeitverlauf, was darauf hindeutet, dass Steuerhinterziehung heute nicht das primäre Motiv für die Nutzung von Offshore-Finanzzentren ist.
Offshore-Finanzvermögen sind Bankkonten und Wertpapierdepots mit Aktien oder Anleihen, die Privathaushalte außerhalb ihres Wohnsitzlandes halten. Das Entscheidende ist, dass die Konten oder Depots nicht bei einer inländischen Bank geführt werden, sondern bei einer ausländischen depotführenden Bank. Wenn also eine in Deutschland ansässige Person Guthaben auf einem Bankkonto in der Schweiz hält, fällt das in die Kategorie Offshore-Finanzvermögen. Ebenso ist dies der Fall, wenn sie Aktien oder Anleihen eines deutschen oder französischen Unternehmens in einem Depot bei einer englischen Bank hält.
In Deutschland und vielen anderen Ländern ist es legal, Finanzvermögen im Ausland zu halten. Die damit erzielten Erträge müssen aber den inländischen Behörden gemeldet werden, da die meisten Länder das weltweite Einkommen ihrer Einwohner*innen besteuern, unabhängig davon, wo es anfällt. In Ländern, die Vermögen besteuern, muss außerdem auch der Wert des Vermögens selbst angegeben werden. Lange Zeit war es sehr einfach, Steuern auf Offshore-Einkommen und -Vermögen zu hinterziehen. Denn bis 2017 leiteten die meisten Finanzinstitute die Daten über ihre ausländischen Anleger*innen nicht an die Steuerbehörden in deren jeweiligen Wohnsitzländern weiter. Wenn überhaupt, erfolgte dies nur auf Anfrage, weil bereits ein Verdacht bei den Steuerbehörden vorlag.Niels Johannesen und Gabriel Zucman (2014): The End of Bank Secrecy? An Evaluation of the G20 Tax Haven Crackdown. American Economic Journal: Economic Policy 2014, 6(1), 65–91 (online verfügbar). Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur liefert zahlreiche Hinweise darauf, dass Steuerhinterziehung floriert, wenn es keine automatische Datenübermittlung durch Dritte gibt, sondern sich die Behörden auf die Selbstauskunft der Steuerzahler*innen verlassen.Henrik Kleven et al. (2011): Unwilling or Unable to Cheat? Evidence from a Tax Audit Experiment in Denmark. Econometrica 79(3), 651–692 (online verfügbar). Dies trifft wohl besonders auf Steuern auf im Ausland verdiente Kapitalerträge zu, da sich seit den 1920er Jahren in der Schweiz und später auch in anderen Finanzzentren eine Schattenfinanzindustrie entwickelte, die sich darauf spezialisierte, das Vermögen ausländischer Kund*innen zu verstecken.Gabriel Zucman (2015): The Hidden Wealth of Nations. University Chicago Press, 2015.
Offshore-Banken bieten ihren Kund*innen allerdings eine Reihe von Dienstleistungen an. Steuerhinterziehung muss daher nicht das primäre Motiv dafür sein, Vermögen in Depots im Ausland zu halten. So können Offshore-Banken Finanzdienstleistungen anbieten, die im Inland gar nicht oder nur zu höheren Kosten verfügbar sind, wie zum Beispiel Vermittlerleistungen, Vermögensverwaltung oder Zugang zu bestimmten Investmentfonds. Weitere Motive können Misstrauen in die Stabilität des inländischen Finanz- und Währungssystems sowie die Umgehung von Finanzmarktregulierungen wie Devisenkontrollen sein. Offshore-Banken können Anleger*innen auch dabei behilflich sein, ihr Vermögen vor ihren Geschäftspartner*innen zu verstecken, um zum Beispiel das Insolvenzrecht zu umgehen, es im Scheidungsfall vor ihren Ehepartner*innen zu verstecken, Einnahmen aus Korruption oder kriminellen Aktivitäten zu verbergen oder internationale Sanktionen zu umgehen. Wenn Offshore-Konten für diese fragwürdigen Zwecke verwendet werden, sind sie üblicherweise mit undurchsichtigen Eigentumsstrukturen verbunden, die durch das Zwischenschalten von Briefkastenfirmen, Trusts und Strohmännern in verschiedenen Ländern die Identifizierung der wirtschaftlichen Eigentümer*innen erschweren.
Es war lange Zeit schwierig, den Umfang des von Privathaushalten offshore gehaltenen Vermögens zu schätzen und es den Wohnsitzländern seiner Eigentümer*innen zuzuordnen. Eine verbesserte Datenverfügbarkeit ermöglichte in den frühen 2010er Jahren zunehmende Forschung in diesem Bereich. Die Methode für die Schätzung der globalen Offshore-Finanzvermögen basiert auf systematischen Anomalien in internationalen Investitionsstatistiken. Öffentliche Statistiken der Schweizer Nationalbank sowie der Bank for International Settlements ermöglichten es, erste Schätzungen zur internationalen Verteilung von Offshore-Finanzvermögen vorzunehmen und sie den Wohnsitzländern ihrer Eigentümer*innen zuzuordnen.Annette Alstadsæter, Niels Johannesen und Gabriel Zucman (2018): Who Owns the Wealth in Tax Havens? Macro Evidence and Implications for Global Inequality. Journal of Public Economics 162: 89-100 (online verfügbar)..
Im Kern basiert dieses Vorgehen auf der Beobachtung, dass in den internationalen Investitionsstatistiken jedes Jahr weltweit mehr grenzüberschreitende Verbindlichkeiten als Vermögen erfasst werden. Ein naheliegender Grund für diese systematische Diskrepanz ist, dass Privathaushalte ihre Vermögen in ausländischen Depotbanken halten. Wenn zum Beispiel ein*e deutsche*r Anleger*in Aktien eines US-Unternehmens in einem Schweizer Depot hält, wird dieser Vermögensbestand in der deutschen Statistik nicht erfasst, weil diese auf Erhebungen von deutschen Finanzinstituten und Unternehmen beruht. Damit wird der Aktienbesitz in Deutschland nicht als Vermögen erfasst. Die US-Behörden melden aber eine Verbindlichkeit gegenüber dem Rest der Welt, denn sie beobachten, dass Aktien eines US-Unternehmens in dem Depot einer Schweizer Bank gehalten werden. Die Schweizer Behörden melden korrekterweise weder Vermögenswert noch Verbindlichkeit für die Schweiz, da die Aktien im Besitz einer*s in Deutschland ansässigen Anlegers*in sind. Im Ergebnis werden weltweit mehr Verbindlichkeiten als Vermögenswerte gemeldet. Auf dieser Diskrepanz basiert die Schätzung (Kasten).
Eine Diskrepanz zwischen grenzüberschreitenden Verbindlichkeiten und Vermögen in den internationalen Investitionsstatistiken wurde schon früh vom Internationalen Währungsfonds (IWF) analysiert und bildet die Grundlage der Schätzungen globaler Offshore-Vermögen.Zucman (2013), a.a.O. Die wichtigsten Datenquellen für diese Schätzung sind der Coordinated Portfolio Investment Survey (CPIS) des IWFs und die External Wealth of Nations Database (EWN).Philip R. Lane und Gian Maria Milesi-Firetti (2007): The external wealth of nations mark II: Revised and extended estimates of foreign assets and liabilities, 1970-2004. Journal of International Economics, 73(2), 223–250 (online verfügbar). Die Berechnung der globalen Vermögen basiert auf der CPIS-Version vom Juni 2023, die bilaterale Portfolio-Bestände von 93 Ländern und Gebieten und internationalen Organisationen gegenüber 212 Schuldnerländern umfasst. Die Verbindlichkeiten stammen aus der EWN-Version vom Dezember 2022, die grenzüberschreitende Vermögensbestände und Verbindlichkeiten von 212 Ländern umfasst. Da nicht alle Länder Daten über alle ihre grenzüberschreitenden Finanzvermögen an den IWF übermitteln, werden eine Reihe von Korrekturen unter Hinzuziehung zusätzlicher Datenquellen vorgenommen, um die Offshore-Vermögen nicht zu überschätzen. Dies betrifft insbesondere die Kaimaninseln, China und die erdölexportierenden Länder des Mittleren Ostens.Für Einzelheiten siehe: Souleymane Faye, Sarah Godar und Gabriel Zucman (2023): Global Offshore Wealth, 2001-2021. EU Tax Observatory. Die Differenz aus der Summe der globalen Verbindlichkeiten und der Summe der globalen Vermögen ergibt die globalen Offshore-Wertpapier-Vermögen.
Eine weitere wichtige Datenquelle für die Schätzung sind detaillierte Statistiken der Schweizer Nationalbank über Wertpapiere und Bankguthaben, die Schweizer Banken für im Ausland ansässige Kund*innen verwalten. Aus ihnen geht hervor, dass Bankeinlagen im Jahr 2013 etwa 18 Prozent des in der Schweiz gehaltenen Offshore-Vermögens ausmachten. Die Schätzung des Anteils der als Bankeinlagen gehaltenen Finanzvermögen weltweit orientiert sich an diesem Wert. Die Schweizer Daten enthalten außerdem eine jährliche Aufschlüsselung nach Wohnsitzland der Anleger*innen.
Für Offshore-Vermögen außerhalb der Schweiz werden Daten der Bank for International Settlements (BIS), die seit 2016 auch bilaterale Länderstatistiken über das Eigentum an grenzüberschreitenden Bankeinlagen veröffentlicht, verwendet. Daraus lässt sich zum Beispiel ableiten, in welchem Umfang Deutsche Bankeinlagen in Luxemburg halten. Unter der Annahme, dass das Eigentum an Wertpapieren einer ähnlichen geografischen Verteilung folgt, lässt sich abschätzen, welchen Anteil Deutsche an (nicht in der Schweiz verwalteten) Offshore-Finanzvermögen halten und wie relevant Luxemburg im Vergleich zu anderen Steueroasen mit relevanter Vermögensverwaltungsindustrie ist.
Eine Unsicherheit, die sowohl die schweizerischen als auch die BIS-Daten betrifft, ist, dass ein wachsender Anteil der Bankeinlagen in Steueroasen laut Statistik Einwohner*innen anderer Steueroasen gehört. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies der vermehrten Nutzung von Briefkastenfirmen zuzuschreiben ist, mit denen Einwohner*innen aus Nicht-Steueroasen versuchen, gestiegene Transparenzvorschriften zu umgehen.Alstadsæter, Johannesen und Zucman (2018), a.a.O. So sank nach der Einführung der EU-Zinsrichtlinie, die die Schweiz verpflichtete, eine Quellensteuer auf Zinszahlungen an EU-Bürger*innen zu erheben, der Anteil der von Europäer*innen gehaltenen Einlagen in der Schweiz drastisch, während sich spiegelbildlich der Anteil der Steueroasen erhöhte. Die Korrelation der beiden aktualisierten Datenreihen ist auch in den letzten Jahren noch beachtlich. Unter der Annahme, dass Schweizer Bankkonten nicht tatsächlich Einwohner*innen von zum Beispiel Jersey gehören, werden die von Steueroasen in Steueroasen gehaltenen Vermögen umverteilt, und zwar entsprechend der geografischen Verteilung der in Steueroasen gehaltenen Vermögen, die Einwohner*innen von Nicht-Steueroasen gehören.
Im Jahr 2021 wurden Finanzvermögen im Wert von etwa 14 Billionen US-Dollar offshore gehalten. Von 2001 bis 2021 haben sich die Offshore-Vermögen weitgehend wie das globale, nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) entwickelt; sie bewegen sich dabei zwischen zehn und elf Prozent in Relation zum BIP (Abbildung 1). Die jährlichen Schwankungen sind größtenteils auf Preisentwicklungen an den Finanzmärkten zurückzuführen: In Jahren mit starken Zuwächsen auf den Aktienmärkten, wie zum Beispiel 2020 und 2021, legen die Vermögenswerte relativ zum BIP zu. Dies schlägt sich kurzfristig im steigenden Wert der Offshore-Vermögen nieder. Insgesamt ist aber weder ein klarer Wachstumstrend noch ein Rückgang der Offshore-Vermögen zu erkennen. In Zeiten zunehmender steuerlicher Transparenz kann dies darauf hindeuten, dass Steuerhinterziehung nicht das primäre Motiv für das Halten von Offshore-Vermögen ist.
Während die Höhe der Offshore-Vermögen eher konstant geblieben ist, hat sich ihre regionale Verteilung deutlich verschoben (Abbildung 2). Da die räumliche Abgrenzung zwischen zwei Offshore-Finanzzentren in der Praxis verschwimmen kann, wenn zum Beispiel Vermögenswerte von Banken in Zürich verwaltet, aber über eine Tochterfirma in Singapur gehalten werden, sollten die Ergebnisse nicht überinterpretiert werden. Dennoch lassen sich einige allgemeine Entwicklungen feststellen. Erstens scheint ein steigender Anteil der Offshore-Vermögen in asiatischen Offshore-Finanzzentren verwaltet zu werden, vor allem in Singapur und Hongkong: Der Anteil der asiatischen Offshore-Finanzzentren ist im letzten Jahrzehnt von 25 auf 40 Prozent gestiegen. Zweitens wird ein schrumpfender Anteil in der Schweiz verwaltet, einst das Epizentrum der Offshore-Vermögensverwaltung. Heute beträgt der Anteil der in der Schweiz gehaltenen Vermögen nur noch etwa 20 Prozent. Der Anteil europäischer Finanzzentren hat ebenfalls leicht abgenommen, während der Anteil amerikanischer Finanzzentren etwas über dem der frühen 2000er Jahre, aber unter seinem Höhepunkt im Jahr 2014 liegt.
Die sich verändernde räumliche Verteilung der Offshore-Finanzvermögen könnte auf institutionelle Veränderungen hin zu mehr steuerlicher Transparenz zurückzuführen sein. Es wäre nicht unplausibel anzunehmen, dass sich durch die verstärkten internationalen Berichtspflichten die Kosten für den Zugang zu Schweizer Diskretion erhöht haben und andere Schattenfinanzzentren dadurch relativ attraktiver geworden sind. So könnten Offshore-Bankeinlagen aus Ländern, die am automatischen Informationsaustausch unter dem CRS teilnehmen, teilweise in die USA verschoben worden sein, weil der Informationsaustausch unter FATCA nicht dasselbe Niveau an Transparenz garantiert wie unter dem CRS und die USA an letzterem nicht teilnehmen.Elisa Casi, Christoph Spengel und Barbara Stage (2020): Cross-Border Tax Evasion after the Common Reporting Standard: Game Over? Journal of Public Economics 2020(190 (online verfügbar). Der Aufstieg der asiatischen Offshore-Finanzzentren, die am automatischen Informationsaustausch teilnehmen, könnte aber auch auf ökonomische Entwicklungen zurückzuführen sein. Es könnte zum Beispiel sein, dass der Zugang zu den Wachstumsmärkten Asiens vermehrt über Singapur oder Hongkong organisiert wird. Wohlhabende Anleger*innen aus asiatischen Ländern, die ihr Vermögen offshore halten möchten, könnten wiederum asiatische Offshore-Zentren aufgrund von geografischer oder kultureller Nähe gegenüber europäischen oder amerikanischen bevorzugen. Für Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen rangiert Hongkong unter den Top Zehn der Schattenfinanzplätze zum Beispiel weiter oben als die Schweiz.Petr Janský, Markus Meinzer und Miroslav Palanský (2021): Is Panama really your tax haven? Secrecy jurisdictions and the countries they harm. Regulation & Governance 16(3), 673–704 (online verfügbar).
Gruppiert nach Einkommensniveaus zeigt sich zudem, dass Offshore-Finanzvermögen zunehmend auch von Haushalten in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen gehalten werden (Abbildung 3). Ihr Anteil ist von 2014 bis 2021 um etwa acht Prozentpunkte gestiegen, während der Anteil von Haushalten in Ländern mit hohem Einkommen abgenommen hat. Diese Entwicklung könnte mit unterschiedlich starkem Wachstum des BIP in den entsprechenden Regionen korrelieren. Auf der individuellen Länderebene ist dieser Zusammenhang aber nicht eindeutig.
Die Verteilung von Offshore-Finanzvermögen nach Wohnsitzländern der Eigentümer*innen wurde zum ersten Mal für das Jahr 2007 geschätzt.Alstadsæter, Johannesen und Zucman (2018), a.a.O. Auch heute werden die größten Offshore-Vermögen in Relation zum BIP von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Venezuela gehalten. Einwohner*innen dieser Länder halten Offshore-Vermögen von über 100 Prozent des heimischen BIPs (Abbildung 4). An dritter Stelle lag im Jahr 2021 Taiwan, dessen Offshore-Vermögen im Vergleich zu 2007 erstaunlich kräftig zugenommen haben. Ebenso ergeben sich relativ starke Zuwächse für das Vereinigte Königreich, Griechenland, Thailand und Dänemark. Für die meisten Länder ist der Anteil der Offshore-Vermögen am BIP hingegen im Vergleich zu 2007 wie im weltweiten Durchschnitt leicht gestiegen oder konstant geblieben. Ausnahmen sind Argentinien und Deutschland, deren Offshore-Vermögen in Prozent des BIPs den aktuellen Schätzungen zufolge deutlich zurückgegangen sind. Außerdem haben die Offshore-Vermögen der Türkei, Belgiens, Kolumbiens, der USA und Brasiliens an Bedeutung verloren. Diese Ergebnisse sind zunächst noch vorläufig und stützen sich aufgrund lückenhafter Daten auf eine Reihe von Annahmen (Kasten). Die beobachteten Tendenzen sind aber nicht unplausibel.
Unterschiede in der Implementierung des CRS könnten erklären, warum sich die Offshore-Vermögen der Länder unterschiedlich entwickelt haben. Zum Beispiel gibt es messbare Unterschiede beim Aufwand, den nationale Behörden betreiben, um die ordnungsgemäße Datenerhebung der Finanzinstitute zu etablieren, die Qualität der gelieferten Daten zu überprüfen und bei den Sanktionsmechanismen.Annette Alstadsæter et al. (2023): Lost in Information: National Implementation of Global Tax Agreements. NMBU Skatteforsk Working Paper No. 10 (online verfügbar). Es ist wahrscheinlich, dass der automatische Informationsaustausch in reichen Ländern eine stärker abschreckende Wirkung entfaltet, da die institutionellen Kapazitäten eine effektive Umsetzung begünstigen. Einige ärmere Länder, die aufgrund mangelnder institutioneller Voraussetzungen die OECD-Standards für die Datenerhebung noch nicht erfüllen, erhalten bisher keine Daten aus dem automatischen Informationsaustausch. Diese restriktive Regelung sollte überdacht werden, gerade weil der Anteil des globalen Südens an den Offshore-Vermögen gestiegen ist.
Der relative Rückgang der deutschen Offshore-Finanzvermögen könnte hingegen ein gutes Zeichen für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung in Deutschland sein. Nach Auskunft der Bundesregierung haben die deutschen Steuerbehörden für das Jahr 2019 Informationen über ausländische Kontosalden in Höhe von 526 Milliarden Euro aus dem CRS erhalten.Deutscher Bundestag (2021): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Fabio De Masi, Jörg Cezanne, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 19/30741 (online verfügbar). Über die Qualität dieser Daten und der daraus gewonnenen Erkenntnisse liegen bisher keine öffentlichen Informationen vor. Mehr Transparenz könnte Aufschluss darüber geben, wie viel der noch offshore gehaltenen Finanzvermögen den Behörden inzwischen bekannt ist und ob der Rückgang der Offshore-Finanzvermögen tatsächlich mit einem Rückgang der offshore gehaltenen Vermögen verbunden ist. Da der automatische Informationsaustausch bisher nur Finanzvermögen abdeckt, wäre auch eine Abwanderung in andere Anlageformen, insbesondere Immobilien denkbar.Jeanne Bomare und Ségal Le Guern Herry (2022): Will we ever be able to track offshore wealth? Evidence from the offshore real estate market in the UK. EU Tax Observatory Working Paper No. 4 (online verfügbar). Diese sollten daher zukünftig in den automatischen Informationsaustausch mit einbezogen werden.
Die Schätzung der globalen Offshore-Finanzvermögen für die Jahre 2001 bis 2021 zeigt, dass die weltweiten Offshore-Finanzvermögen in Relation zum globalen BIP über die Zeit recht stabil geblieben sind. Bemerkenswert ist der sinkende Anteil der in der Schweiz gehaltenen Offshore-Vermögen und der Aufstieg asiatischer Offshore-Finanzzentren. Das Eigentum an Offshore-Finanzvermögen konzentriert sich zwar immer noch stark in Ländern mit hohem Einkommen, aber der Anteil von Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen hat sich über die letzten zehn Jahre leicht erhöht. Die Politik sollte darauf hinwirken, dass auch ärmere Länder schnellstmöglich Zugang zu Daten aus dem automatischen Informationsaustausch erhalten, um Steuerhinterziehung auch dort effektiv bekämpfen zu können. Immobilien sollten in den automatischen Informationsaustausch miteinbezogen werden, um die Umgehung der neuen Transparenzregeln zu verhindern. Die Bundesregierung sollte ausreichende Ressourcen für eine zeitnahe Auswertung der CRS-Daten durch die Steuerbehörden sicherstellen und den Erfolg des automatischen Informationsaustauschs evaluieren. Eine Bereitstellung anonymisierter Daten für die Forschung wie in Dänemark könnte den Wissenstand zu Offshore-Vermögen und den Auswirkungen des CRS auch in Deutschland verbessern.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Steuern, Konjunktur
JEL-Classification: H26;H87;E21
Keywords: wealth, tax havens, tax evasion
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-47-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/280714