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Zeit, sich endlich der historischen Verantwortung zu stellen: Kommentar

DIW Wochenbericht 49 / 2023, S. 698

Marcel Fratzscher

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Der Weltklimagipfel in Dubai wird nicht nur darüber entscheiden, ob wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen können, sondern auch darüber, wie gerecht wir leben wollen. Der Vorstoß Deutschlands und der gastgebenden Vereinigten Arabischen Emirate, in den Fonds für den Ausgleich von Klimaschäden einzuzahlen, lässt hoffen, dass die richtigen Impulse von dieser Konferenz ausgehen. Unbestritten ist, dass die wohlhabenden Industrieländer eine deutlich größere Verantwortung für den Klimawandel tragen als der globale Süden – und zwar nicht nur für unser heutiges Handeln. Ein zentraler Grund für unseren großen Wohlstand ist, dass unsere Vorfahren die industrielle Revolution vorantrieben und neue Technologien entwickelten, die die Grundlagen unseres heutigen Wohlstands bilden. Dies bedeutet, dass mehr als 80 Prozent der CO2-Emissionen in der Atmosphäre heute von unseren Vorfahren stammen.

Natürlich haben auch die Menschen im globalen Süden von den technologischen Neuerungen profitiert, beispielsweise in der Medizin oder der Digitalisierung. Häufig basieren diese auf dem Einsatz natürlicher Ressourcen, die in den Ländern des globalen Südens abgebaut und in den Industrieländern genutzt werden. Aber die Menschen in Afrika und Asien sind auch die größten Opfer des Klimawandels und der Umweltzerstörung. Diese entziehen den Menschen die Lebensgrundlage für die Landwirtschaft oder Fischerei, führen zu Wassermangel, Überschwemmungen und enormer gesundheitlicher Belastung, lösen viele Konflikte aus und zwingen immer häufiger Menschen, ihre Heimat zu verlassen.

Die Ausweitung der Verantwortung auf die historische Dimension, lässt sie noch ungleich schwerer wiegen. Umso wichtiger ist, dass der globale Norden als Hauptverantwortlicher des Klimawandels nachdrücklich die richtigen Weichen auf dem Weltklimagipfel stellt.

Zum einen müssen die Industrieländer ihren Fußabdruck für Klima und Umwelt massiv reduzieren. Es ist nicht damit getan, mit dem Finger auf China als dem gegenwärtig größten CO2-Emittenten zu zeigen. Damit wird das Argument entkräftet, Deutschland würde gegenwärtig ja nur einen Bruchteil der globalen Emissionen verursachen. Historisch gesehen liegen wir im weltweiten Vergleich auf Platz sechs. Tatsache ist, dass Deutschland und wir Deutschen schon heute viel mehr des Klimabudgets verbraucht haben, als uns zusteht.

Als Zweites bedeutet dies eine Verpflichtung, dass die historisch größten Gewinner und Nutznießer des Ressourcenverbrauchs die größten Verlierer kompensieren. Erst jetzt auf der Weltklimakonferenz in Dubai leisten Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate erste Zahlungen von 200 Millionen Dollar, damit der schon auf den Vorläufer-Konferenzen beschlossene Loss-and-Damage-Fonds starten kann. Aber immer noch fließt vor allem in den Industrieländern viel Geld an einheimische Unternehmen, um beispielsweise die gestiegenen Kosten für fossile Energieträger zu kompensieren.

Als Drittes gibt es nicht nur zwischen den Ländern Gewinner und Verlierer. Auch innerhalb von Gesellschaften profitieren in der Regel einige wenige von der Nutzung natürlicher Ressourcen. So hat die britische Zeitschrift The Economist gezeigt, dass in vielen Ländern mehr als ein Drittel des Vermögens der Milliardär*innen auf Monopole oder einen privaten Zugriff auf natürliche Ressourcen, vor allem fossile Energie, zurückzuführen ist. Dies gilt nicht nur für autokratische Länder wie Russland, sondern in einem gewissen Maße auch für westliche Demokratien. Und auch in unseren westlichen Demokratien leiden immer mehr Menschen unter dem Klimawandel und müssten die am stärksten belasteten Menschen durch die Gewinner kompensiert werden.

Noch werden die Regierungen der Industrieländer ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht. Sie reduzieren weder ausreichend ihre Emissionen, noch zahlen sie eine angemessene Kompensation für die Länder des globalen Südens oder kompensieren die Verlierer innerhalb ihrer eigenen Gesellschaft. Es wird Zeit, sich der Verantwortung zu stellen!

Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 1. Dezember bei Zeit Online erschienen.

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