Blog Marcel Fratzscher vom 8. Dezember 2023
Die Haushaltsverhandlungen stecken fest. Dabei gäbe es Möglichkeiten, die Krise zu lösen - wenn alle Seiten sich bewegen. Dafür müsste man allerdings sowohl an die Schuldenbremse als auch an die Rente ran.
Der Streit um die Finanzpolitik hat die Bundesregierung in eine gefährliche Paralyse getrieben. Es droht ein erheblicher, wirtschaftlicher Schaden. Die Spaltung verläuft nicht nur zwischen den Parteien, sondern teilweise auch innerhalb der Parteien – in der CDU etwa gibt es auf Ebene von Bund und Ländern sehr unterschiedliche Positionen. Sie sind jedoch nicht unvereinbar, es besteht die Möglichkeit auf einen »Grand Bargain« , also eine umfassende Einigung mit Zugeständnissen auf allen Seiten. Diese würde Deutschland die Chance geben, eine wirkliche Zeitenwende einzuläuten.
Dieser Gastbeitrag von Marcel Fratzscher erschien am 7. Dezember 2023 im Der Spiegel.
Die einen setzen die Prioritäten bei Investitionen – bei Klimaschutz, Transformation, Infrastruktur und Bildung - und wollen dafür notfalls auch zusätzliche Schulden machen, Steuern erhöhen und die Schuldenbremse reformieren. Den anderen geht es vor allem um eine Begrenzung der Ausgaben und Schulden, um den Staat besser und effizienter zu machen. Der zentrale Punkt ist: Diese Positionen sind nicht unvereinbar. Denn der Staat wird langfristig nur dann starke öffentliche Investitionen tätigen, die Daseinsfürsorge stärken und auf Krisen reagieren können, wenn Schulden begrenzt bleiben und Finanzmärkte Vertrauen haben.
Zugleich sind aktuell nicht zu hohe Staatsausgaben die Bedrohung für nachhaltige Staatsfinanzen, sondern unzureichende öffentliche Investitionen, die unweigerlich die Wettbewerbsfähigkeit, den Wohlstand und damit die Steuereinnahmen erodieren. Nach 20 Jahren negativer Nettoinvestitionen ist Deutschland bereits weit auf diesem Pfad fortgeschritten und muss nun einen Richtungswechsel vollziehen.
Wie könnte ein »Grand Bargain« aussehen? Die kurze Antwort lautet: Die Finanzpolitik sollte kurzfristig deutlich stärkere öffentliche Investitionen in Klimaschutz, Transformation und sozialen Ausgleich durch höhere Schulden finanzieren und gleichzeitig mittelfristig Reformen und Einsparungen bei den Sozialsystemen und dem Steuersystem vornehmen.
Die kurzfristige Lösung für die Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro im Jahr 2024 könnte wie folgt aussehen: Die Bundesregierung hält die Schuldenbremse ein und gründet im Gegenzug ein Sondervermögen für Klimaschutz und Transformation von 100 Milliarden Euro – also im gleichen Umfang wie das Sondervermögen für die Bundeswehr. Dieses Sondervermögen darf ausschließlich für Investitionen in Klimaschutz und Infrastruktur genutzt werden und explizit keine Subventionen finanzieren, wie sie beispielsweise für energieintensive Unternehmen geplant waren. Gleichzeitig müssen alle Einnahmen aus der Bepreisung von CO₂ durch ein Klimageld ab 1. Januar 2025 an die Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt werden – so wie im Koalitionsvertrag versprochen und bisher nicht eingelöst. Dieses Sondervermögen wird den Bundeshaushalt ausreichend entlasten, sodass die Bundesregierung alle Versprechen einlösen kann.
Zudem müssen jetzt grundlegende Reformen bei Ausgaben und Steuern angegangen werden, die jedoch erst mittel- bis langfristig ihre Wirkung entfalten können. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) haben nicht Unrecht mit ihren Forderungen, die Sozialausgaben dürften nicht stetig weiter steigen und einen immer größeren Teil der Wirtschaftsleistung vereinnahmen. Bereits heute sind die Steuern und Abgaben für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen im internationalen Vergleich zu hoch und schwächen den Wirtschaftsstandort zunehmend. Zudem bedeutet auch ein stetig wachsender Sozialstaat eine stärkere Umverteilung von jung zu alt.
Mittelfristig ist auch eine Reform der Schuldenbremse vonnöten. Die Tatsache, dass Regierungen jeglicher politischer Couleur auf Ebene von Bund und Ländern immer wieder die Schuldenbremse umgehen, zeigt doch, dass kaum jemand sie noch als zeitgemäß und hilfreich erachtet. Eine Regel, die von fast allen immer wieder umgegangen wird, hat ihre Daseinsberechtigung verloren und gehört abgeschafft oder reformiert. Die Verteidigung der Schuldenbremse durch die, die gleichzeitig sich an der Umgehung beteiligen, ist zynisch. Eine kluge Schuldenbremse sollte öffentliche Investitionen ausnehmen. Und sie benötigt auch eine breitere Definition von Investitionen, um explizit alle Bildungsausgaben und Klimaschutzmaßnahmen zu berücksichtigen.
Ein »Grand Bargain« zur Beendigung der politischen Krise in Deutschland sollte daher drei Elemente enthalten: kurzfristig eine Priorisierung von Investitionen für Klimaschutz und Transformation, mittelfristige Reformen von Sozialsystemen, Steuern und Bürokratie, und eine neue und klügere Schuldenbremse. Alle demokratischen Parteien könnten sich eine solche Einigung als Erfolg anheften. Wichtiger noch: Sie würde nicht nur die politische Krise beenden, sondern wäre auch die wichtigste Voraussetzung dafür, Deutschland zukunftsfähig zu machen und künftigen Generationen eine starke Wirtschaft mit hohem Wohlstand zu vererben.
Themen: Finanzmärkte , Geldpolitik , Öffentliche Finanzen