Blog Marcel Fratzscher vom 11. August 2023
Wer die Übergewinnsteuer für Banken kritisiert, hat zwar durchaus gute Argumente auf seiner Seite. In dieser Krise haben aber die Befürworter die besseren.
Die Entscheidung von fünf europäischen Regierungen – jüngst auch der italienischen –, eine Übergewinnsteuer für Banken einzuführen, hat in Deutschland die Diskussion darüber wieder aufleben lassen. Vertreter von Finanzinstituten lehnen selbstverständlich das Konzept ab – und auch zahlreiche Ökonomen sind strikt dagegen. Sie haben zwar gute Argumente auf ihrer Seite. Aber die Befürworter haben in dieser Krise die besseren.
Viele Banken in Europa machen zurzeit Rekordgewinne. Sie profitieren von den deutlich steigenden Zinsen, die sie jedoch kaum an die Sparerinnen und Sparer weitergeben. Das erinnert an das vergangene Jahr, als viele Energiekonzerne vom starken Anstieg der Energiepreise profitiert haben und ihre Gewinne zum Teil vervielfachen konnten. Es waren vor allem solche Konzerne, denen durch die Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien oder einheimischer Kohle kaum Mehrkosten entstanden. Die Explosion der Energiekosten resultierte in einer hohen Inflation, die die Europäische Zentralbank zwang, die Zinsen deutlich zu erhöhen – innerhalb von zwölf Monaten stieg der Leitzins um vier Prozentpunkte an.
Dieser Text erschien am 11. August 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Nun profitieren viele Banken vom Zinsanstieg: Sie erhalten kurzfristige Einlagen ihrer Sparer und legen im Gegenzug einen Teil des Geldes in langfristigen Anleihen an, für die sie höhere Zinsen erhalten, als sie ihren Kunden zahlen. Oder sie vergeben langfristige Kredite, die durch den Zinsanstieg nun eine deutlich höhere Rendite abwerfen. Eine Analyse des Finanzdienstleisters Standard and Poor's zeigt, dass in Deutschland und im Euroraum die Banken durchschnittlich nur 20 Prozent der höheren Zinsen an die Sparerinnen und Sparer weitergegeben haben und dadurch ihre Gewinne drastisch erhöhen konnten.
Diese hohen Gewinne hat Länder wie Spanien, Ungarn, Tschechien, Litauen und nun Italien dazu bewogen, diese Erträge zusätzlich zu besteuern. Die italienische Regierung hat die Steuer spezifisch auf Nettozinserträge auf 40 Prozent erhöht und rechnet mit drei Milliarden Euro zusätzlichen Steuereinnahmen pro Jahr.
Kritiker der Steuer sagen zum einen, man könne leistungslose Gewinne, also Übergewinne, nicht genau definieren. Denn welcher Teil des Gewinns ist leistungslos und welcher geht auf aktive Entscheidungen des Finanzinstituts zurück? Doch wie bereits Aristoteles anmerkte: Die Schwierigkeit, einen Tatbestand zu definieren, ist kein ausreichendes Argument, diesen zu leugnen. Die Gewinne vieler Banken auf ihre Zinserträge liegen weit über dem historischen Vergleich. Und auch die Tatsache, dass nur ein sehr geringer Anteil dieser Zinserhöhungen an die Sparerinnen und Sparer weitergegeben wird, ist nicht zu bestreiten.
Unter anderem der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums führt an, eine Übergewinnsteuer schüfe Verzerrungen und hätte falsche Lenkungswirkungen. Das Problem der hohen Gewinne würde so nicht durch den Markteintritt neuer Wettbewerber gelöst, sondern in der Zukunft weiter bestehen bleiben. In der Theorie ist dieses Argument plausibel, in der Praxis jedoch nicht. Denn viele Finanzinstitute haben erhebliche Marktmacht, was sich daran zeigt, dass viele Kundinnen und Kunden ihre Bank nicht wechseln, obwohl diese sie kaum an den höheren Zinsen beteiligt.
Die Gegner kritisieren außerdem – nicht zu Unrecht –, dass es in der Theorie bessere Instrumente gibt, um die Marktmacht der Banken zu begrenzen und den Wettbewerb zu verbessern. So könnten beispielsweise mehr Transparenz und bessere Kontrollen durch Wettbewerbshüter und Regulierung helfen. Natürlich sollte die Politik diese Instrumente stärker nutzen. Allein reichen sie aber nicht aus, um Marktmacht und Übergewinne ausreichend zu reduzieren.
Ein viertes Argument der Kritiker ist, hohe Gewinne seien notwendig, damit Unternehmen Investitionen tätigten und Innovation schüfen. Auch dieses Argument ist nicht falsch. Es macht aber einen großen Unterschied, ob wir über die hohen Gewinne von BioNTech sprechen – die auf Innovation und Leistung beruhen – oder eben über die Zinserträge von Banken.
Für eine begrenzte Übergewinnsteuer spricht aber ein gewichtiges Argument, das in der Logik unserer sozialen Marktwirtschaft begründet liegt: Banken sind systemrelevant und genießen implizite oder explizite staatliche Garantien. Eine Volkswirtschaft mag gut ohne Automobilbranche oder Digitalkonzerne existieren können, aber nicht ohne Banken und ohne erschwingliche Energieversorgung.
Daher sind Regierungen in Krisenzeiten gezwungen, Banken und Energiekonzerne zu retten. Dies ist auch die deutsche Erfahrung der letzten beiden Jahrzehnte: Die Rettung der deutschen Banken während und nach der globalen Finanzkrise 2008 hat dem deutschen Staat – und damit den Bürgerinnen und Bürgern – mehr als 100 Milliarden Euro an direkten Kosten beschert – ganz zu schweigen von den indirekten Kosten durch den Einbruch der Wirtschaft und den Anstieg der Arbeitslosigkeit. Aber diese Hilfen haben auch Schlimmeres verhindern können. In der Energiekrise hat der Staat viel Geld in die Hand genommen, um Energiekonzerne zu retten. Allein die Rettung von Uniper hat den deutschen Staat mehr als 30 Milliarden gekostet.
Der Staat hat sich als Rettungsanker für Unternehmen der Grundversorgung bewährt. Er fungiert damit wie eine Versicherung letzter Instanz. Aber: Eine Versicherung erhöht die Prämien für diejenigen Mitglieder, die einen Schaden verursachen und dadurch Versicherungsleistungen erhalten. Wieso sollte der deutsche Staat nicht ebenfalls Branchen durch temporär höhere Prämien zur Kasse bitten, wenn sie von einer solchen Versicherung letzter Instanz profitieren? Wieso sollten die größten Risiken von Banken und Energiekonzern ultimativ auf die Bürgerinnen und Bürgern abgewälzt werden und nicht von den Unternehmen selbst zumindest mitgetragen werden? Uniper verdient ja inzwischen auch wieder sehr gut.
Eine Übergewinnsteuer sollte allerdings bestimmte Kriterien erfüllen. So sollte sie strikt nur für solche Branchen genutzt werden, die von einer staatlichen Garantie profitieren und in denen der Wettbewerb begrenzt ist. Eine Übergewinnsteuer muss zudem temporär begrenzt und darf nicht exzessiv sein, um die von den Kritikern genannten Verzerrungen und Fehlanreize zu begrenzen. Und sie sollte durch kluge Regulierung und Transparenz begleitet werden, damit Marktmechanismen wirken können und der Wettbewerb bestmöglich funktionieren kann.
Kaum ein Staat war in den letzten beiden Jahrzehnten großzügiger in seinen finanziellen Hilfen für Banken und Energiekonzerne als der deutsche. Es hat eine immense Umverteilung der Risiken von den Unternehmen hin zu den Bürgerinnen und Bürgern gegeben, die die finanziellen Kosten tragen mussten. Es ist aber ein essenzielles Grundprinzip und Voraussetzung einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft, dass diejenigen, die Risiken verursachen, nicht nur die Gewinne einstreichen, sondern auch die Verantwortung und Kosten ihres Handels tragen. Es widerspricht den Regeln der sozialen Marktwirtschaft, wenn dauerhaft Gewinne privatisiert, aber Verluste hingegen sozialisiert werden.
Themen: Finanzmärkte , Öffentliche Finanzen