DIW Wochenbericht 16 / 2024, S. 239-246
Mattis Beckmannshagen, Annika Sperling
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„Seit der Wiedervereinigung hat die Erwerbsbeteiligung von Frauen deutlich zugenommen. Gerade Mütter würden aber häufig gern ihre Arbeitszeit ausweiten – ihr enormes Potenzial für den Arbeitsmarkt bleibt oft ungenutzt.“ Mattis Beckmannshagen
Ob in den Tarifverhandlungen oder der Debatte über den Fachkräftemangel: Die Arbeitszeiten der Beschäftigten in Deutschland werden derzeit kontrovers diskutiert. Unterschiedliche Seiten bringen eine Ausweitung oder auch eine Reduzierung der Arbeitszeit ins Spiel. Auf Grundlage von Daten des Sozio-oekonomischen Panels wirft die vorliegende Untersuchung einen detaillierten Blick auf die Entwicklung der Arbeitszeiten seit der Wiedervereinigung. Die Analyse zeigt, dass die durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeiten der Beschäftigten zwar gesunken sind, das Gesamtarbeitsvolumen aber gleichzeitig stieg und 2023 seinen bisherigen Höhepunkt von 55 Milliarden Stunden erreicht hat. Insbesondere für Mütter ist es noch immer schwierig, Familie und Beruf zu vereinbaren. Das führt dazu, dass Frauen häufig weniger arbeiten, als sie gerne würden. Mit Blick auf den hohen Fachkräftebedarf sollten politische Maßnahmen darauf abzielen, Frauen stärker bei der Ausweitung ihrer Arbeitszeiten zu unterstützen.
Die Arbeitszeiten in Deutschland sind in den vergangenen Jahren zunehmend zum Gegenstand gesellschaftlicher Debatten geworden. Während Gewerkschaften in Tarifverhandlungen immer häufiger kürzere Arbeitszeiten fordern, streben Arbeitgeberverbände das Gegenteil an. Sie stützen sich dabei auf die im internationalen Vergleich geringe durchschnittliche Wochenarbeitszeit in DeutschlandEurostat (2023): Durchschnittliche normalerweise geleistete Wochenarbeitsstunden in Haupttätigkeit, nach Geschlecht, Alter, Stellung im Beruf, Vollzeit-/Teilzeittätigkeit und Wirtschaftszweigen (online verfügbar, abgerufen am 20. März 2024, dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). und den großen Bedarf an Fachkräften. Dabei argumentieren sie, insbesondere die jüngeren Generationen Y und ZGeneration Y umfasst Personen, die in den 1980ern und in der ersten Hälfte der 1990er Jahre geboren wurden. Generation Z umfasst Personen, die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und in den 2000er Jahren geboren wurden. sollten „mehr Bock auf Arbeit“Table Media (2023): Interview mit dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter (online verfügbar). haben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die CDU haben gefordert, die regelmäßige Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden auszudehnenJochen Gaugele und Alessandro Peduto (2022): BDI-Präsident Russwurm: Große Sympathie für 42-Stunden-Woche. Funke Mediengruppe vom 18. Juni 2022 (online verfügbar). beziehungsweise Überstunden von der Lohnsteuer zu befreien.Siehe Reformplan für eine starke Wirtschaft der CDU (2024) (online verfügbar).
Dieser Wochenbericht beleuchtet, wie sich die Arbeitszeiten in Deutschland seit der Wiedervereinigung entwickelt haben. Im ersten Teil wird sowohl die geschlechts- als auch kohortenspezifische Zeitaufteilung zwischen Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit untersucht. Diese Zeitaufteilung entspricht jedoch nicht immer den Wünschen der Beschäftigten. Deshalb konzentriert sich der zweite Teil dieses Wochenberichts auf Unterbeschäftigte, also Arbeitnehmer*innen, die gerne mehr arbeiten würden. Es wird untersucht, welche soziodemographischen Charakteristika häufig mit Unterbeschäftigung einhergehen und inwiefern Potenzial ungenutzt bleibt, den Fachkräftebedarf zu decken. Die Datengrundlage liefert das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), da es neben detaillierten Informationen zur Arbeitszeit auch weitere Daten für Einzelpersonen und Haushalte erfasst (Kasten 1).
Das SOEP ist eine repräsentative, seit 1984 wiederholte und multidisziplinäre Haushaltsbefragung von aktuell etwa 15000 Haushalten pro Jahr.Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Journal of Economics and Statistics, 239 (2), 345–360. Für diesen Wochenbericht wurden Angaben zum Arbeitsleben von abhängig Beschäftigten im Alter zwischen 18 und 65 Jahren im Zeitraum von 1991 bis 2021 analysiert. Dazu zählt auch ihre tatsächliche und gewünschte Arbeitszeit. Die Angaben zur Arbeitszeit beziehen sich ausschließlich auf die Haupttätigkeit der Beschäftigten, etwaige Nebentätigkeiten werden im Rahmen des Berichts nicht berücksichtigt.
Mithilfe dieser Angaben kann festgestellt werden, ob die befragte Person mehr oder weniger arbeitet, als sie es sich wünscht. Um Schwankungen in diesen Angaben Rechnung zu tragen, gilt in diesem Wochenbericht eine Person als unterbeschäftigt, wenn die gewünschte Arbeitszeit mindestens vier Wochenstunden über der tatsächlichen Arbeitszeit liegt.
Neben den Angaben zur Arbeitszeit werden die Befragten im SOEP außerdem alle zwei Jahre auch nach der Stundenanzahl gefragt, die sie werktags und am Wochenende für verschiedene Alltagsaktivitäten aufwenden. Diese beinhalten unter anderem die Zeit für Kinderbetreuung, Hausarbeit, Freizeit und Sport. Um die Vergleichbarkeit mit der Arbeitszeit zu gewährleisten, wurden die Angaben für diesen Wochenbericht auf wöchentliche Werte hochgerechnet. Bei allen Stundenangaben ist zu berücksichtigen, dass es sich um Selbstauskünfte handelt. Subjektive Wahrnehmung sowie soziale Erwünschtheit können hier also zu verzerrten Angaben führen, insbesondere da das Thema Gleichstellung der Geschlechter im betrachteten Zeitraum an Bedeutung gewonnen hat.
In der Entwicklung der durchschnittlichen tatsächlichen Wochenarbeitszeit der Beschäftigten seit 1991 zeigen sich deutliche Geschlechterunterschiede: Frauen arbeiten im Schnitt weniger Wochenstunden als Männer. Ihre durchschnittliche Arbeitszeit ist seit 2011 konstant, während die der Männer kontinuierlich sinkt (Abbildung 1). Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit aller Beschäftigten weist daher einen abnehmenden Trend auf, was suggeriert, es würde in Deutschland insgesamt weniger gearbeitet.
Trotz der gesunkenen durchschnittlichen Arbeitszeit steigt die Summe aller jährlich gearbeiteten Stunden in Deutschland seit circa 2005 jedoch stark (Abbildung 2). Dieser Trend lässt sich sowohl auf Basis der im SOEP erhobenen wöchentlichen Stunden als auch bei den jährlichen Stunden aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) nachweisen.Einzig in den Jahren 2020 und 2021 weichen die Datenquellen stärker voneinander ab. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die wöchentlichen Arbeitszeiten im SOEP unterjährige Arbeitsunterbrechungen oder -reduzierungen (zum Beispiel durch Kurzarbeit) im Verlauf der Coronapandemie weniger genau abbilden. Demnach wurde im wiedervereinigten Deutschland noch nie so viel gearbeitet wie im Jahr 2023, als die abhängig Beschäftigten insgesamt knapp 55 Milliarden Stunden Arbeit leisteten. Das Arbeitszeitvolumen lag 1991 bei 52 Milliarden und erreichte 2005 einen Tiefpunkt von 47 Milliarden Stunden.
Der Anstieg des Arbeitszeitvolumens geht darauf zurück, dass insbesondere die Erwerbsbeteiligung von Frauen zugenommen hat: Zwischen 1991 und 2022 ist der Anteil um 16 Prozentpunkte auf 73 Prozent gestiegen.Statistisches Bundesamt (2023): Erwerbstätigenquoten 1991 bis 2022 (online verfügbar). Allerdings ist fast die Hälfte der erwerbstätigen Frauen in Deutschland teilzeitbeschäftigt,Eurostat (2023): Teilzeitbeschäftigung als Prozentsatz der gesamten Beschäftigung, nach Geschlecht und Alter (online verfügbar). was zu einer im europäischen Vergleich relativ geringen durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigten von 34,7 Wochenstunden (2022) führt.Dieser Mechnismus erklärt auch die hohe durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland in den 90er Jahren. Die Erwerbsteiligung von Frauen war damals niedriger und der Anteil der Arbeitnehmerinnen, denen ihre Karriere besonders wichtig war, war höher. Diese arbeiten häufiger in Vollzeit, was den Durchschnitt nach oben treibt. Diese Zahl weicht aufgrund unterschiedlicher Erhebungsverfahren leicht von den in Abbildung 1 dargestellten Werten ab. In Spanien betrug die Erwerbsbeteiligung von Frauen 2022 beispielsweise 64 ProzentEurostat (2023): Erwerbstätigenquote nach Geschlecht (online verfügbar). mit einer Teilzeitquote von knapp 20 Prozent.Eurostat (2023): Teilzeitbeschäftigung als Prozentsatz der gesamten Beschäftigung, nach Geschlecht und Alter (online verfügbar). Dies zeigt sich in der dort höheren durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 37,6 Stunden.Eurostat (2023): Durchschnittliche normalerweise geleistete Wochenarbeitsstunden in Haupttätigkeit, nach Geschlecht, Alter, Stellung im Beruf, Vollzeit-/Teilzeittätigkeit und Wirtschaftszweigen (online verfügbar). Einen detaillierten internationalen Vergleich von Arbeitszeiten, der u.a. auch Urlaubstage mit einbezieht liefert Alexander Bick, Bettina Brüggemann und Nicola Fuchs-Schündeln (2019): Hours Worked in Europe and the United States: New Data, New Answers. Scandinavian Journal of Economics 121(4), 1381–1416.
Die deutlich gestiegene Erwerbsbeteiligung von Frauen spiegelt einen größeren gesellschaftlichen Wandel wider: Haushalte bewegen sich zunehmend weg vom traditionellen Einverdienermodell und hin zu Zweiverdienerhaushalten, in denen beide Partner*innen erwerbstätig sind. Diese Entwicklung stellt Familien bei der Zeit- und Aufgabenverteilung vor Herausforderungen. Im Folgenden wird dargestellt, wie die Zeit für Erwerbsarbeit, Kindererziehung und Hausarbeit in Haushalten mit Kindern unter 16 Jahren getrennt nach Männern und Frauen in verschiedenen Altersgruppen in den Jahren 1999, 2009 und 2019 verwendet wird.Diese Jahre wurden gewählt, da die Zeit-Allokation im Haushalt in den Jahren 2020 und 2021 stark durch Einschränkungen in Folge der Coronapandemie beeinflusst wurden. Durch diese Perspektive lassen sich Aussagen darüber treffen, wie sich die Aufteilung über Generationen hinweg verändert hat. Die Angaben zur Zeitverwendung im Haushalt – wie auch die Arbeitszeiten – beruhen auf Selbstauskünften. Sich im Laufe der Zeit veränderte Einstellungen zur Geschlechtergerechtigkeit können die Angaben durch soziale Erwünschtheit beeinflussen.Die Daten der Zeitverwendungserhebung (ZVE) 2022 des Statistischen Bundesamts zeigen ähnliche Entwicklungen wie die hier präsentierten. Leichte Abweichungen entstehen jedoch durch unterschiedliche Definitionen von Aktivitäten und Zuschnitt der Stichprobe. Für mehr Informationen zur ZVE 2022 siehe auch: Statistisches Bundesamt (2024): Wo bleibt die Zeit? Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland 2022 (online verfügbar). Ein Blick auf die Entwicklung der tatsächlichen Arbeitszeit verdeutlicht die geschlechtsspezifischen Unterschiede, offenbart jedoch nur geringe kohortenspezifische Veränderungen (Abbildung 3, links). In beiden jüngsten Altersgruppen der Männer ist die wöchentliche Arbeitszeit seit 1999 um durchschnittlich zwei Stunden zurückgegangen. Weniger klare Entwicklungen zeigen sich bei Frauen. Nur in der Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen ist ein eindeutig ansteigender Trend bei der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit zu beobachten.Für die gewünschten und tatsächlichen Arbeitszeiten der unter 25-jährigen sowie die Rolle von studierenden Beschäftigten siehe Susanne Wanger und Enzo Weber (2023): Arbeitszeit: Trends, Wunsch und Wirklichkeit. IAB-Forschungsbericht Nr. 16.
Mütter wenden unabhängig vom Alter stets deutlich mehr Zeit für Kinderbetreuung auf als Väter (Abbildung 3, Mitte). Dazu fällt bei den Müttern der Altersgruppe 35 bis 44 auf, dass der Zeitaufwand für Kinderbetreuung 2019 deutlich höher war als noch 1999 (43 zu 28 Stunden pro Woche). Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass das durchschnittliche Alter der Frauen zum Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes in diesem Zeitraum gestiegen ist.Zwischen 2009 und 2022 ist das Durchschnittsalter der Frauen in Deutschland bei Geburt des ersten Kindes um knapp 1,5 Jahre auf 30,1 gestiegen. Eurostat (2023): Fruchtbarkeitsziffern (online verfügbar). Väter im Alter zwischen 25 und 44 hingegen verbringen 2019 durchschnittlich circa zehn Stunden pro Woche mehr Zeit mit Kinderbetreuung als noch 1999. Trotz dieses Aufholtrends bleibt der Mehraufwand für Mütter eklatant: Bei den 25- bis 34-Jährigen liegt die Differenz bei 28 Wochenstunden.
Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich auch bei der Hausarbeit (Abbildung 3, rechts). Frauen geben in allen Altersgruppen an, deutlich mehr Stunden pro Woche mit Aktivitäten im Haushalt zu verbringen als Männer. Auffällig ist jedoch, dass die durchschnittlichen wöchentlichen Angaben der Frauen über alle Altersgruppen hinweg in den vergangenen 20 Jahren deutlich um 4,5 bis sechs Stunden gesunken sind. Bei Männern wiederum stieg die durchschnittliche Zeit für Hausarbeit in allen Altersgruppen leicht an. Insbesondere bei den 35- bis 44-Jährigen wuchs der zeitliche Aufwand seit 1999 um mehr als 1,5 Stunden auf etwa sechs Stunden an.
Während die Erwerbsbeteiligung von Frauen also stark gestiegen ist, scheint sich die Aufgabenverteilung im Haushalt über die betrachteten zwei Jahrzehnte kaum verändert zu haben. Die durchschnittliche Zeit, die Männer für Kinderbetreuung und Hausarbeit aufwenden, hat zwar leicht zugenommen. In diesem Kontext sind auch die leicht gesunkenen Wochenarbeitszeiten von Männern zu betrachten. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Zeit, die Frauen mit Hausarbeit verbringen, deutlich zurückgegangen. Dennoch würde es bei einem Fortlaufen dieser Trends noch Jahrzehnte dauern, bis eine ausgeglichene Arbeitsteilung erreicht wäre – insbesondere bei der Kinderbetreuung.
Der Wandel hin zu mehr Zweiverdienerhaushalten bedeutet für viele Familien mehr Abstimmungsbedarf. Die damit einhergehenden Herausforderungen können dazu beitragen, dass Beschäftigte Kompromisse eingehen müssen und nicht immer so viel arbeiten, wie sie es wünschten. Im SOEP werden neben den tatsächlichen auch die gewünschten Arbeitszeiten erhoben. Auf dieser Grundlage lassen sich Indikatoren für Über- und Unterbeschäftigung berechnen, die eine Diskrepanz von plus/minus vier Wochenstunden zwischen gewünschter und tatsächlicher Arbeitszeit voraussetzen (Kasten 1). Aufgrund des viel diskutierten Bedarfs an Fachkräften, der in den kommenden Jahren wegen der demographischen Entwicklung voraussichtlich weiterwächst,Michael Berlemann und Marina Eurich (2023): Arbeitslosigkeit, Fachkräftemangel und Demografie. Wirtschaftsdienst 103(2), 147–148. konzentriert sich der zweite Teil dieses Wochenberichts auf Beschäftigte, die mehr Stunden arbeiten möchten, also von Unterbeschäftigung betroffen sind.Für eine Analyse von Unter- und Überbeschäftigung sowie daraus resultierenden Implikationen für die Ungleichheit in Erwerbseinkommen siehe Mattis Beckmannshagen und Carsten Schröder (2022): Entwicklung der Arbeitszeiten treibt die Ungleichheit der Erwerbseinkommen. DIW Wochenbericht Nr. 33/34, 427–434 (online verfügbar); Mattis Beckmannshagen und Carsten Schröder (2022): Earnings inequality and working hours mismatch. Labour Economics 76, 102184. Es wird untersucht, wie sich Unterbeschäftigung über die Zeit entwickelt hat und wer im Jahr 2021 unterbeschäftigt ist. Daraus wird abgeleitet, wie die gewünschte Ausweitung der Arbeitszeit realisiert werden kann und ob diese dazu beitragen kann, den Fachkräftebedarf partiell zu decken. Seit der Wiedervereinigung ist der Anteil der unterbeschäftigten Frauen an der Gesamtheit der Beschäftigten stets höher als derjenige der Männer und schwankt deutlich stärker (Abbildung 4).Hier sei angemerkt, dass die Befragten in der Gesamtheit häufiger überbeschäftigt sind, 48 Prozent würden eine Verringerung ihrer Arbeitszeit bevorzugen. Im Jahr 2021 würden die Beschäftigten im Durchschnitt gerne 3,5 Stunden pro Woche weniger arbeiten. In der zweiten Hälfte der 2000er Jahre war die Unterbeschäftigung unter Frauen besonders hoch, sinkt seitdem aber wieder leicht.
Welche Personengruppen sind besonders häufig von Unterbeschäftigung betroffen? Während der Wohnort für männliche Beschäftigte keinen Unterschied macht, sind Frauen in Westdeutschland häufiger unterbeschäftigt als in Ostdeutschland (Tabelle 1). Männer arbeiten in der ersten Erwerbsphase zwischen 18 und 28 Jahren überdurchschnittlich oft weniger, als sie es wünschten. Bei Frauen hingegen scheinen insbesondere Kinder mit einem höheren Unterbeschäftigungsrisiko einherzugehen. Während Mütter mit einer Wahrscheinlichkeit von 18 Prozent überdurchschnittlich häufig unterbeschäftigt sind, ist dies für Väter nicht der Fall.
In Prozent
N | Insgesamt | Männer | Frauen | |
---|---|---|---|---|
Gesamt | 9398 | 11 | 8 | 14 |
Ost | 1642 | 9 | 8 | 10 |
West | 7755 | 12 | 8 | 15 |
18-28 Jährige | 1228 | 16 | 17 | 14 |
29-40 Jährige | 2448 | 12 | 9 | 15 |
41+ Jährige | 5722 | 10 | 6 | 14 |
Kinder im HH | 3485 | 12 | 6 | 18 |
Minijob | 497 | 37 | 37 | 37 |
kein Abschluss | 284 | 31 | 23 | 50 |
Schulabschluss | 1117 | 20 | 17 | 24 |
beruflicher Bildungsabschluss | 4494 | 10 | 7 | 14 |
Hochschulabschluss | 3172 | 9 | 7 | 11 |
Hilfsarbeitskräfte | 759 | 27 | 19 | 32 |
Fachkräfte | 2909 | 13 | 9 | 19 |
Gehobene Fachkräfte | 2115 | 9 | 9 | 10 |
Führungskräfte und Akademiker | 2183 | 6 | 5 | 7 |
Anmerkungen: Anteil der Unterbeschäftigten im Jahr 2021 in verschiedenen Personengruppen. Berlin wurde als zu Westdeutschland zugehörig behandelt. Anforderungsniveaus basierend auf ISCO-08. N entspricht der Anzahl an Personen in der jeweiligen Gruppe.
Quelle: Eigene Berechnungen basierend auf SOEP, v38 (gewichtet).
Darüber hinaus geht geringfügige Beschäftigung – sowohl bei Männern als auch bei Frauen – besonders häufig mit Unterbeschäftigung einher: 37 Prozent der geringfügig Erwerbstätigen arbeiten weniger Stunden, als sie sich wünschen. Für viele Beschäftigte scheint die seit 2024 bei 538 Euro liegende Geringfügigkeitsgrenze eine Hürde für die Ausweitung ihrer Arbeitszeit darzustellen.Da es sich für viele geringfügig Beschäftigte aufgrund höherer steuerlicher Belastung nicht lohnt, mehr als die derzeitige Grenze für sozialversicherungsfreies Einkommen von 538 Euro im Monat zu verdienen, stellen Minijobs in Verbindung mit dem Mindestlohn von aktuell 12,41 Euro eine faktische Begrenzung der Arbeitszeit auf maximal circa zehn Wochenstunden dar (Stand Januar 2024). Zudem sind bei beiden Geschlechtern Menschen mit geringeren Bildungsabschlüssen besonders häufig unterbeschäftigt. Dies heißt aber nicht, dass Unterbeschäftigte ausschließlich einfache Hilfstätigkeiten ausführen. Zwar ist unter den als Hilfsarbeitskräften klassifizierten Beschäftigten (Kasten 2) der Anteil an Unterbeschäftigung am höchsten, allerdings arbeiten auch Fachkräfte überdurchschnittlich oft weniger, als sie wollen. Auch hier sind geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen. Nur bei den Frauen sind Fachkräfte besonders oft unterbeschäftigt. Während Unterbeschäftigung also insgesamt mit zunehmendem Qualifikationsniveau sinkt, sind es insbesondere weibliche Fachkräfte, die weniger arbeiten, als sie wollen. Im Hinblick auf den hohen Fachkräftebedarf scheint hier also ungenutztes Potenzial vorhanden zu sein.
Bei ISCO-08 (nachfolgend ISCO) handelt es sich um eine international einheitliche Klassifikation von Berufen (englisch: International Standard Classification of Occupations) aus dem Jahr 2008. Sie wurde von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) konzipiert und dient der internationalen Vergleichbarkeit. Bei der Klassifizierung werden sowohl das Gebiet der Tätigkeit (zum Beispiel Bürokräfte oder Handwerksberufe) als auch der Komplexitätsgrad berücksichtigt. Dieser wird anhand der zu erfüllenden Aufgaben, dem höchsten geforderten formalen Bildungsabschluss und der erforderlichen Erfahrung bestimmt. Die Berufsgruppen lassen sich demnach in vier Anforderungsniveaus gruppieren: Hilfskräfte, Fachkräfte, gehobene Fachkräfte und akademische Berufe.International Labour Organization (ILO) (2012): International Standard Classification of Occupations. Structure, Group Definitions, and Correspondence Tables, S. 12. Für die Analyse im vorliegenden Wochenbericht wurde zum letztgenannten Niveau die Gruppe der Führungskräfte hinzugefügt. Die Gruppe der Soldat*innen wurde nicht berücksichtigt.
Mit Ausnahme der Pandemiejahre ist das Arbeitszeitvolumen im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gestiegen. Diese positive Entwicklung stellt gleichzeitig eine Herausforderung dar – sowohl für Familien und deren Aufteilung von Erwerbs- und Carearbeit als auch für Arbeitgeber, die auf die Wünsche ihrer Beschäftigten hinsichtlich Arbeitszeit und -flexibilität eingehen wollen.
Die Bedürfnisse von Familien sind unterschiedlich, sodass pauschale Lösungen wenig zielführend sind und den gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sogar behindern könnten. Außerdem ist nicht immer vorhersehbar, wie sich vorgeschlagene Arbeitszeit-Reformen auswirken. In Frankreich hatte eine Steuerbefreiung von Überstunden beispielsweise keinen Effekt auf das Gesamtarbeitsvolumen. Nur hochqualifizierte Beschäftigte gaben an, mehr Überstunden gemacht zu haben, um von den steuerlichen Vorteilen zu profitieren.Siehe Pierre Cahuc und Stéphane Carcillo (2014): The Detaxation of Overtime Hours: Lessons from the French Experiment. Journal of Labor Economics 32(2), 361–400.
Zwar wird der Abbau von Unterbeschäftigung allein den Fachkräftebedarf in Deutschland nicht decken, aber dennoch besteht hier Potenzial, das diesen zumindest abmildern könnte. Es wäre erstrebenswert, mit gezielten politischen Maßnahmen die unterbeschäftigten Personengruppen dabei zu unterstützen, ihre gewünschte Arbeitszeit zu realisieren.
Dabei liegen vor allem zwei Handlungsoptionen nahe: Zum einen scheint die Geringfügigkeitsgrenze für viele Beschäftigte eine Hürde darzustellen, ihre Arbeitszeit zu erhöhen. Insbesondere in Verbindung mit den aus dem Ehegattensplitting resultierenden steuerlichen Anreizen lohnt sich eine Ausweitung der Arbeitszeit über die Minijobgrenze hinaus oft kaum – gerade für Frauen, die häufig Zweitverdienerinnen sind. Ziel sollte also sein, Minijobs zu reduzieren und in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu überführen.Siehe hierzu Alexandra Fedorets et al. (2021): Der Makel der Minijobs. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. November 2021. In diesem Kontext stellt sich die Frage, inwiefern die Minijob-Reform vom Oktober 2022 Unterbeschäftigung unter geringfügig Beschäftigten reduziert. Zuvor führte eine Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze – durch die im Moment der Überschreitung sprunghaft erhobenen Sozialversicherungsbeiträge – zu einem Verlust im Nettoverdienst. Seit der Reform steigen die Arbeitnehmerbeiträge nur schrittweise an, sodass ein Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze nicht mehr zwangsläufig mit Nettoverlusten einhergeht.Zur Reform der Minijob-Regelung siehe Holger Schäfer (2022): Wird die Minijob-Falle entschärft? IW-Kurzbericht Nr. 44. Auch die von der Ampel-Koalition geplante Reform der Lohnsteuerklassen III und V zielt darauf ab, die individuelle Steuerbelastung von Zweitverdiener*innen zu reduzieren. Es ist jedoch fraglich, wie stark sich diese auf das Arbeitsangebot auswirkt, da sie lediglich die Steuerlast zwischen den Partner*innen verschiebt. Nur eine zusätzliche Reform des Ehegattensplittings würde sich auch auf das gemeinsame Nettojahreseinkommen des Haushalts auswirken.Stefan Bach et al. (2022): Abschaffung der Lohnsteuerklasse V sinnvoll, ersetzt aber keine Reform des Ehegattensplittings. DIW Wochenbericht Nr. 10, 160-165 (online verfügbar).
Ein weiterer Ansatzpunkt ist der Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Im Jahr 2022 besuchten 36 Prozent der unter Dreijährigen eine Kindertagesbetreuung, während sich 49 Prozent der Eltern eine solche Betreuung wünschten.Kathrin Bock-Famulla et al. (2023): Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2023. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.). Der Bedarf wird also nach wie vor nicht vollständig gedeckt. Eine umfassendere Versorgung mit Kita-Plätzen ist daher unerlässlich, um Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten und so Müttern eine stärkere Erwerbsbeteiligung in ihrem gewünschten Umfang zu ermöglichen. Zuletzt ist aber auch eine ausgeglichenere Verteilung der unbezahlten Arbeit im Haushalt notwendig. Der vorliegende Bericht zeigt zwar, dass Väter heute deutlich mehr Zeit für Kinderbetreuung aufwenden als noch vor 20 Jahren. Dennoch ist der Zeitaufwand für Kinderbetreuung bei Müttern nach wie vor um ein Vielfaches höher. Die Politik kann hier Anreize setzen, die den langsamen gesellschaftlichen Trend hin zu einer ausgeglicheneren Aufgabenverteilung im Haushalt flankieren – beispielsweise bei der Ausgestaltung der Elternzeitregelungen.Jonas Jessen, Lavinia Kinne und Katharina Wrohlich (2024): Gender Care Gap in Deutschland: Kein anhaltender Anstieg infolge der Corona-Pandemie. DIW Wochenbericht Nr. 9, 123–130 (online verfügbar). Denn weitere Schritte auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sind notwendig, um das vorhandene Erwerbspotenzial bei Frauen auszuschöpfen und dem Arbeitskräftebedarf entgegenzusetzen.
Themen: Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J22;J21;J13
Keywords: labor supply, working hours, underemployment
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-16-1