DIW Wochenbericht 9 / 2024, S. 123-130
Jonas Jessen, Lavinia Kinne, Katharina Wrohlich
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„Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt und in der Sorgearbeit beeinflussen sich wechselseitig. Deshalb muss man, um die Ungleichheit in der Sorgearbeit zu reduzieren, auch die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen. Die vielleicht größte Stellschraube ist die Elternzeit. Eine Ausweitung der Partnermonate könnte einiges bewegen. Aber auch eine Reform des Ehegattensplittings ist nötig.“ Jonas Jessen
Der Gender Care Gap, also der geschlechtsspezifische Unterschied in der Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit wie Kinderbetreuung und Hausarbeit, ist in Deutschland vergleichsweise hoch. Frauen übernehmen deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Besonders mit der Familiengründung steigt der Gender Care Gap nachhaltig an. Zu Beginn der Corona-Pandemie vor knapp vier Jahren wurde vielfach befürchtet, dass sich der Gender Care Gap noch vergrößern könnte. Empirische Analysen zeigen, dass sich in jungen Familien zu Beginn der Pandemie in der Tat Geschlechterungleichheiten in der Sorgearbeit verschärft haben. Vor allem Mütter haben den erhöhten Betreuungsbedarf der Kinder zu Hause infolge von Kita- und Schulschließungen aufgefangen. Die Untersuchungen auf Basis von Daten des Beziehungs- und Familienpanels pairfam in diesem Wochenbericht zeigen jedoch, dass sich der Gender Care Gap inzwischen wieder auf das Niveau von vor der Pandemie zurückbewegt hat – wenngleich dieses immer noch hoch ist. Wenn die Politik Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt wirksam bekämpfen will, sollte sie die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit stärker in den Fokus nehmen und bestehende Hemmnisse für eine gleichmäßigere Aufgabenteilung abbauen. Das wäre zum Beispiel durch eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld sowie einer Reform des Ehegattensplittings und der Minijobs möglich.
Anlässlich des Internationalen Frauentages am 8. März erhalten zahlreiche Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern erhöhte Aufmerksamkeit. Insbesondere der Gender Pay Gap, also die geschlechtsspezifische Lohnlücke, die nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2023 zum vierten Mal in Folge bei 18 ProzentDer Gender Pay Gap berechnet sich als Differenz der durchschnittlichen Bruttostundenlöhne zwischen Männern und Frauen im Verhältnis zum durchschnittlichen Bruttostundenlohn der Männer. Eine ausführliche Diskussion des Begriffs findet sich im Online-Glossar des DIW Berlin unter „Gender Pay Gap“ (online verfügbar). Zur aktuellen Höhe des Gender Pay Gaps siehe Statistisches Bundesamt (2024): Gender Pay Gap 2023: Frauen verdienten pro Stunde 18 Prozent weniger als Männer. Pressemitteilung Nr. 027 vom 18. Januar 2024 (online verfügbar; abgerufen am 16. Februar 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). lag, rückt in den Fokus der Öffentlichkeit – nicht zuletzt dank der medienwirksamen Kampagne des „Equal Pay Day“, der dieses Jahr in Deutschland auf den 6. März fällt.Der „Equal Pay Day“, der in den USA initiiert und 2007 erstmalig in Deutschland organisiert wurde, steht jährlich für den Tag, bis zu dem Frauen quasi unbezahlt arbeiten. In diesem Jahr fällt er auf den 6. März (18 Prozent von 366 Tagen entsprechen 66 Tagen). Siehe dazu auch die Website der Kampagne „Equal Pay Day“ (online verfügbar).
In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gender Pay Gap steht der Gender Care Gap – also die geschlechtsspezifische Lücke in der unbezahlten Sorgearbeit. Dazu zählen die Kinderbetreuung, Hausarbeit (Kochen, Putzen, Waschen), Reparaturen sowie die informelle Pflege von Angehörigen.Siehe dazu auch den Eintrag „Gender Care Gap“ im Online-Glossar des DIW Berlin (online verfügbar). Zahlreiche Studien haben in den vergangenen Jahren die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern untersucht.Nina Klünder (2017): Differenzierte Ermittlung des Gender Care Gap auf Basis der repräsentativen Zeitverwendungsdaten 2012/13. Expertise für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (online verfügbar); sowie Claire Samtleben (2019): Auch an erwerbsfreien Tagen erledigen Frauen einen Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung. DIW Wochenbericht Nr. 10, 139–144 (online verfügbar). Aktuell gibt das Statistische Bundesamt den durchschnittlichen Gender Care Gap für Deutschland mit knapp 44 Prozent an.Vgl. Statistisches Bundesamt (2024): Gender Care Gap 2022: Frauen leisten 43,8 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Pressemitteilung Nr. 073 vom 28. Februar 2024 (online verfügbar).
Genau wie der Gender Pay Gap ist der Gender Care Gap jedoch nicht für alle Altersgruppen gleich, sondern steigt insbesondere ab dem 30. Lebensjahr stark an. Für erwerbstätige Personen im Alter von 35 bis 39 Jahren beträgt er sogar über 100 Prozent. Das bedeutet, dass Frauen in dieser Altersgruppe mehr als doppelt so viel unbezahlte Sorgearbeit übernehmen wie Männer.Vgl. Clara Schäper, Annekatrin Schrenker und Katharina Wrohlich (2023): Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an. DIW Wochenbericht Nr. 9, 99–105 (online verfügbar). Diese Entwicklung des Gender Care Gaps über den Lebensverlauf hängt mit der Familiengründung zusammen, die nicht nur zu einer starken Zunahme der Sorgearbeit insgesamt führt, sondern insbesondere auch mit einer starken Zunahme der Ungleichheit in der Aufteilung der Sorgearbeit einhergeht.
Den deutlichen Zusammenhang zwischen der Geburt eines Kindes und dem Anstieg des Gender Care Gaps zeigt eine Auswertung von Daten des Beziehungs- und Familienpanels pairfam (Kasten 1). Betrachtet man zum Beispiel bei Paaren die Aufteilung der Hausarbeit (also Kochen, Putzen und Waschen) als einen Teilbereich der unbezahlten Sorgearbeit vor und nach der Geburt eines Kindes, zeigt sich eine starke Abnahme des Anteils jener Paare, die sich die Hausarbeit annähernd gleich („etwa 50/50“) aufteilen. Während vor der Geburt des ersten Kindes in knapp der Hälfte der Paare Mann und Frau ähnlich große Teile der Hausarbeit übernehmen, liegt der Anteil in den Jahren nach der Geburt des Kindes um bis zu 27 Prozentpunkte niedriger (Abbildung 1, rechter Teil). Der Anteil der Paare, in denen „überwiegend die Mutter“ oder „(fast) vollständig die Mutter“ die Hausarbeit übernimmt, steigt hingegen stark an (um zehn beziehungsweise 21 Prozentpunkte).
Die Analysen beruhen auf Daten des Beziehungs- und Familienpanels pairfam.Vgl. dazu Johannes Huinink et al. (2011): Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics (pairfam): Conceptual framework and design. Zeitschrift für Familienforschung, 23(1), 77–100; und Josef Brüderl et al. (2023): The German Family Panel (pairfam). GESIS Data Archive. ZA5678. Data file Version 14.1.0 (online verfügbar). Das Panel wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) von 2008 bis 2022 gefördert und wird seitdem im Rahmen des familiendemografischen Panels FReDA fortgeführt. Jedes Jahr waren über 12000 zufällig ausgewählte Personen der Geburtsjahrgänge 1971 bis 1973, 1981 bis 1983, 1991 bis 1993 und 2001 bis 2003 (letztere seit 2019) Teil der pairfam-Befragung. In der Studie wurden sowohl Hauptauskunftspersonen als auch deren Familienangehörige befragt. Die Familienangehörigen beantworteten dabei einen Fragebogen von geringerem Umfang.
Im Sommer 2020 wurde eine Zusatzerhebung durchgeführt, in der die veränderte gesellschaftliche Situation infolge der Corona-Pandemie untersucht werden sollte.Vgl. dazu Sabine Walper et al. (2020): The pairfam COVID-19 survey: Design and instruments. Release Version. LMU Munich: pairfam Technical Paper 15; und Sabine Walper et al. (2020): The pairfam COVID-19 survey. GESIS Data Archive. ZA5959. Data file Version 1.0.0 (online verfügbar). Dabei lag der Fokus der Befragung auf coronabedingten Veränderungen im Familienleben. Befragt wurden alle Hauptauskunftspersonen, die in der vorherigen Befragungswelle enthalten waren (oder lediglich temporär für diese Welle ausfielen). In den Wintern 2020/21 und 2021/22 wurde schließlich die reguläre pairfam-Befragung fortgeführt. Die Analysen in diesem Bericht beruhen überwiegend auf der letzten regulären Befragung vor der Pandemie (2018/19), der Corona-Zusatzerhebung sowie den zwei folgenden Befragungswellen. Da Geschlechterunterschiede untersucht werden, beschränken sich die Analysen auf gemischtgeschlechtliche Paarhaushalte.
Die Daten enthalten ausführliche Information zu soziodemografischen Eigenschaften der Befragten, deren Erwerbssituation sowie Einstellungen und Details zu Beziehungen. Außerdem gibt es Fragen zur Arbeitsteilung in der Partnerschaft, dem Hauptthema dieses Berichts. Die ausformulierte Frage lautet:
„Wie haben Sie und Ihre Partnerin/Ihr Partner sich derzeit die Arbeit in folgenden Bereichen zeitlich aufgeteilt?“
Die Antwortmöglichkeiten sind:
Für eine direktere Interpretation der Antwortmöglichkeiten weiblicher und männlicher Auskunftspersonen, die jeweils etwa die Hälfte der Befragten ausmachen, wurden die Antworten geschlechtsspezifisch rekodiert. Somit umfassen die Antworten skaliert das Spektrum von „der Mann übernimmt diesen Bereich (fast) vollständig“ bis „die Frau übernimmt diesen Bereich (fast) vollständig“.
Um die Veränderungen in der Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit zu untersuchen, werden die Antworten aus 2018/19 als Referenzperiode herangezogen und in der Folge Abweichungen während und nach der Corona-Pandemie untersucht.
Die Analysen zu den Effekten von Kindern auf die Aufteilung unbezahlter SorgearbeitSiehe Abbildung 1 in diesem Bericht. basieren auf allen Befragungswellen von 2008 bis 2022. In den Analysen wird die abhängige Variable, also verschiedene Aufteilungen der Sorgearbeit, auf Indikatoren für die Jahre vor und nach der Geburt des ersten Kindes regressiert. Zudem werden Alters- und Kohorteneffekte herausgerechnet. Die dargestellten Koeffizienten zeigen somit, wie sich die Aufteilung der Sorgearbeit relativ zum Referenzzeitpunkt (zwei Jahre vor der Geburt des ersten Kindes) verändert hat. Da es zuvor keine Kinderbetreuung gibt, sind die Koeffizienten vor der Geburt des ersten Kindes deterministisch auf null gesetzt. Für Hausarbeit hingegen ist auch die Aufteilung vor der Geburt des ersten Kindes dargestellt. Die Schätzungen basieren auf insgesamt 19665 Beobachtungen, die auf 5840 Auskunftspersonen beruhen. Die Stichprobe in der Schätzung beschränkt sich auf Paare, die entweder in den folgenden Befragungsjahren ein Kind bekommen werden und/oder die bereits in vorherigen Wellen ein Kind bekommen haben.
In der Analyse der Aufteilung von Sorgearbeit während der und rund um die Corona-PandemieSiehe Abbildung 2 in diesem Bericht. werden gemischtgeschlechtliche Paarhaushalte in den entsprechenden vier Befragungswellen beobachtet. Die Stichprobe besteht hierbei aus 7352 Beobachtungen, die auf 3186 Befragungspersonen beruhen. In den beiden Stichproben sind 56 bis 60 Prozent der Auskunftspersonen weiblich.
Für die Darstellung der Aufteilung der Sorgearbeit über die vier Befragungswellen um die Pandemie herum und wie sich die Aufteilung von Befragung zu Befragung verändert hat,Siehe Abbildung 3 in diesem Bericht. wird die Stichprobe auf Haushalte beschränkt, die in allen vier Befragungswellen beobachtet werden. Dadurch kann gewährleistet werden, dass die Übergänge zwischen den Befragungen untersucht werden können. Die Stichprobe enthält hierbei 2324 Beobachtungen und 581 Auskunftspersonen.
Auch bei der Kinderbetreuung ist der Anteil der Paare, die angeben, dass diese Tätigkeit überwiegend oder (fast) vollständig von der Mutter übernommen wird, deutlich höher als der Anteil der Paare, die eine gleichmäßige Aufteilung angeben (Abbildung 1, linker Teil). Nur in wenigen Paaren übernehmen Väter einen im Vergleich zu Müttern größeren Anteil der unbezahlten Sorgearbeit, sowohl vor als auch nach der Geburt des ersten Kindes.
Vor ziemlich genau vier Jahren, im März 2020, wurden im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie kurzfristig Kitas und Schulen in ganz Deutschland geschlossen. Die wegfallende Bildung und Betreuung mussten Eltern größtenteils zu Hause gewährleisten. Damals stand die Befürchtung im Raum, dass in erster Linie Mütter die Hauptlast der zusätzlichen Bildungs- und Betreuungsaufgaben übernehmen müssen. Dadurch würde die ohnehin schon hohe geschlechtsspezifische Ungleichheit der Sorgearbeit in Deutschland noch stärker zunehmen.In diesem Zusammenhang wurde häufig von einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen gesprochen. Vgl. zum Beispiel Jutta Allmendinger (2020): Zurück in alte Rollen. Corona bedroht die Geschlechtergerechtigkeit. WZB Mitteilungen Nr. 168. Auf der anderen Seite wurde jedoch auch auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Wegfall von Betreuungseinrichtungen dazu beitragen könnte, die Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung zu steigern und damit mittelfristig einen Wandel in den sozialen Normen herbeizuführen.Vgl. zum Beispiel Titan Alon et al. (2020): The impact of COVID-19 on gender equality. NBER Working Paper 26947 (online verfügbar); sowie Claudia Hupkau und Barbara Petrongolo (2020): Work, Care and Gender during the COVID-19 Crisis. Fiscal studies, 41(3), 623–651.
Zahlreiche empirische Studien haben die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit in den ersten Monaten der Corona-Pandemie untersucht. Studien für Deutschland, die auf unterschiedlichen Befragungsdaten in den ersten Wochen und Monaten der Corona-Pandemie beruhten, kamen mehrheitlich zu dem Schluss, dass Mütter den Großteil der zusätzlichen Sorgearbeit übernahmen.Vgl. Sabine Zinn, Michaela Kreyenfeld und Michael Bayer (2020): Kinderbetreuung in Corona-Zeiten: Mütter tragen die Hauptlast, aber Väter holen auf. DIW aktuell Nr. 51 (online verfügbar); Gundula Zoch, Ann-Christin Bächmann und Basha Vicari (2020): Kinderbetreuung in der Corona-Krise: Wer betreut, wenn Schulen und Kitas schließen? NEPS Corona & Bildung, Bericht Nr. 3; Katja Möhring et al. (2020): Die Mannheimer Corona-Studie: Schwerpunktbericht zu Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung (online verfügbar). Gleichzeitig zeigen die Daten aber auch, dass auch Väter mehr Zeit insbesondere für Kinderbetreuung aufwendeten als vor der Pandemie.Zinn et al. (2020), a.a.O.
Eine Studie aus dem Frühjahr und Sommer 2020 wertete pairfam-Daten zur Aufteilung der Hausarbeit und Kinderbetreuung bei Paaren mit mindestens einem Kind im Alter von bis zu 14 Jahren aus und kam ebenfalls zu dem Schluss, dass diese Aufteilung etwas ungleicher war als vor der Pandemie. Zwar blieb der Anteil der Paare, in denen sich beide Elternteile Kinderbetreuung und Hausarbeit gleichmäßig aufteilten, nahezu konstant. Allerdings stieg der Anteil der Paare, die angaben, dass diese Tätigkeiten (fast) vollständig von der Frau übernommen wurden. Der Anteil der Paare, in denen diese Tätigkeiten „überwiegend“ die Frau übernahm, sank entsprechend.Jonas Jessen, C. Katharina Spieß und Katharina Wrohlich (2021): Sorgearbeit während der Corona-Pandemie: Mütter übernehmen größeren Anteil – vor allem bei schon zuvor ungleicher Aufteilung. DIW Wochenbericht Nr. 9, 131–139 (online verfügbar). Studien für andere Länder kamen zu ähnlichen Ergebnissen (Kasten 2).
Weltweit übernehmen Frauen deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer, wobei das Ausmaß des Gender Care Gaps über die Länder variiert. In einigen OECD-Ländern wie Südkorea, Japan, Mexiko und Türkei ist der Gender Care Gap ähnlich hoch wie in Deutschland. In vielen europäischen Ländern ist der durchschnittliche Gender Care Gap jedoch geringer.OECD (2017): Dare to Share – Deutschlands Weg zur Partnerschaftlichkeit in Familie und Beruf (online verfügbar); Jacques Charmes (2019): The Unpaid Care Work and the Labour Market. An analysis of time use data based on the latest World Compilation of Time-use Surveys. International Labour Office-Geneva (online verfügbar). Zudem ist in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern ein besonders starker Anstieg dieser Differenz in der Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen nach der Geburt des ersten Kindes zu beobachten.OECD (2017): The Pursuit of Gender Equality. An Uphill Battle (online verfügbar).
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit wurden in vielen Ländern untersucht. So zeigen beispielsweise Studien aus den USA insgesamt eine gleichere Aufteilung der Sorgearbeit im Jahr 2020 im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie. Allerdings ist auch hier eine erhöhte Last der Mütter im Vergleich zu den Vätern bezüglich der Hilfe mit Bildungsinhalten sowie beim Multitasking zwischen eigener Arbeit und Kinderbetreuung zu beobachten. Dies trat vor allem infolge der Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen auf und war insbesondere für Eltern mit geringerem Bildungsabschluss und Einkommen zu beobachten.Ran Liu und Siyun Gan (2024): Childcare Facility Closure and Exacerbated Gender Inequality in Parenting Time during the COVID-19 Pandemic. Sociology (im Erscheinen); Jennifer March Augustine und Katie Prickett (2022): Gender Disparities in Increased Parenting Time During the COVID-19 Pandemic: A Research Note. Demography, 59 (online verfügbar). Daraus ergab sich auch eine Differenz im Wohlbefinden zwischen Müttern und Frauen ohne Kinder: Mütter mit jungen Kindern (bis einschließlich Grundschulalter) berichteten während der Pandemie von erhöhter psychischer Belastung.Gema Zamarro und Maria J. Prados (2021): Gender differences in couples’ division of childcare, work and mental health during COVID-19. Review of Economics of the Household, 19 (online verfügbar).
Auch im Vereinigten Königreich wurde die zusätzliche Kinderbetreuung infolge der Eindämmungsmaßnahmen während der Pandemie vor allem von Müttern übernommen. Wie auch in den USA war dies meist unabhängig vom eigenen Beschäftigungsstatus der Mütter, sodass diese öfter ihre bezahlte und unbezahlte Arbeit zeitgleich gestemmt haben. Für Haushalte, in denen Männer nicht arbeiteten, war dagegen ein Trend zur gleicheren Aufteilung der Sorgearbeit zu beobachten. Ob dieser sich nach der Pandemie fortsetzen wird, müssen allerdings weitere Studien zeigen.Almudena Sevilla und Sarah Smith (2020): Baby steps: the gender division of childcare during the COVID-19 pandemic. Oxford Review of Economic Policy, 36(1) (online verfügbar).
Auch in Spanien haben Männer im Zuge der Pandemie ihre Beteiligung an unbezahlter Arbeit im Haushalt erhöht, aber nicht im gleichen Maße wie Frauen.Lidia Farre et al. (2022): Gender Inequality in Paid and Unpaid Work During Covid-19 Times. The Review of Income and Wealth, 68(2) (online verfügbar). Ein ähnliches Bild haben Studien für Kanada und AustralienRegan M. Johnston, Anwar Sheluchin und Clifton van der Linden (2020): Evidence of Exacerbated Gender Inequality in Child Care Obligations in Canada and Australia during the COVID-19 Pandemic. Politics & Gender, 16(4) (online verfügbar)., IndienPriyanshi Chauhan (2021): Gendering COVID-19: Impact of the Pandemic on Women’s Burden of Unpaid Work in India. Gender Issues, 38(4) (online verfügbar). sowie Nigeria und SüdafrikaIhuoma Faith Obioma et al. (2023): Gendered share of housework and the COVID-19 pandemic: Examining self-ratings and speculation of others in Germany, India, Nigeria, and South Africa. Journal of Social Issues, 79(6) (online verfügbar); Bianca Rochelle Parry und Errolyn Gordon (2021): The shadow pandemic: Inequitable gendered impacts of COVID-19 in South Africa. Gender, Work & Organization, 28(2) (online verfügbar). dokumentiert. Inwieweit sich diese Muster wie in Deutschland nach dem Ende der Pandemie zurück zu vorpandemischen Verhältnissen entwickeln werden, wird maßgeblich von den Institutionen und Normen der verschiedenen Länder abhängen.
Empirische Studien auf Basis von Daten aus dem Winter 2020/21, also knapp ein Jahr nach Beginn der Pandemie, kamen zu dem Ergebnis, dass die Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit im Wesentlichen derjenigen aus der Zeit vor der Pandemie (im Jahr 2019) entsprach (Abbildung 2).Vgl. hierzu beispielsweise Jonas Jessen et al. (2022): The gender division of unpaid care work throughout the COVID-19 pandemic in Germany. German Economic Review 23(4), 641–667; sowie Christina Boll, Dana Müller und Simone Schüller (2023): Neither backlash nor convergence: dynamics of intra-couple childcare division during the COVID-19 pandemic in Germany. Journal for Labour Market Research, 57(27) (online verfügbar). Der im ersten Lockdown 2020 höhere Anteil an Paaren, in denen „(fast) vollständig“ die Mutter Kinderbetreuung und Hausarbeit übernahm, war im Winter 2020/21 nicht mehr zu beobachten.
Mittlerweile liegen die pairfam-Daten auch für das zweite Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie vor. Diese Daten, die insbesondere detaillierte Informationen zur Aufteilung der Hausarbeit und Kinderbetreuung zwischen Müttern und Vätern geben, können somit für die Zeit vor der Pandemie (2019) sowie zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten während und nach der Pandemie (Frühjahr und Sommer 2020, Winter 2020/21 und Winter 2021/22) verglichen werden. Während im Sommer 2020 und im Winter 2020/21 viele Familien noch von Eindämmungsmaßnahmen wie Kita- und Schulschließungen betroffen waren, war das im Winter 2021/22 größtenteils nicht mehr der Fall.Für einen Überblick über den zeitlichen Ablauf sämtlicher Eindämmungsmaßnahmen siehe Sachverständigenausschuss nach § 5 Absatz 9 Infektionsschutzgesetz, Bundesgesundheitsministerium (2022): Evaluation der Rechtsgrundlagen und Maßnahmen der Pandemiepolitik (online verfügbar). Die Analysen konzentrieren sich auf Paarhaushalte mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren.
Im Jahr 2019, also vor der Corona-Pandemie, gab die Mehrheit (59 Prozent) der Befragten an, dass die Kinderbetreuung überwiegend von der Mutter übernommen wurde. In etwa 30 Prozent der Fälle war die Kinderbetreuung etwa gleich aufgeteilt. Weniger als neun Prozent der Befragten gaben an, dass die Kinderbetreuung (fast) vollständig die Mutter übernahm. In weniger als drei Prozent aller Haushalte betreute im Jahr 2019 der Vater (fast) vollständig oder überwiegend die Kinder. Sehr ähnliche Muster ergaben sich bei der Hausarbeit.
Im Vergleich dazu war die Aufteilung von Kinderbetreuung und Hausarbeit im Frühsommer 2020, also zum ersten Messzeitpunkt nach Beginn der Corona-Pandemie, ungleicher. Besonders auffallend ist der Rückgang des Anteils der Paare, in denen überwiegend die Mutter Kinderbetreuung und Hausarbeit übernahm. Im fast gleichen Ausmaß stieg hingegen der Anteil der Paare, in denen (fast) vollständig die Mutter diese Tätigkeiten verrichtete (Abbildung 2). Eine detaillierte Analyse der „Wanderungen“ der Paare zeigt, dass auch einige Paare, in denen vor der Pandemie überwiegend die Mutter diese Tätigkeiten übernahm, im ersten Lockdown eine gleichere Aufteilung wählten (Abbildung 3). Allerdings wechselten auch einige Paare mit zunächst gleicher Aufgabenteilung im Frühjahr/Sommer 2020 zu einer Aufteilung, bei der die Mutter Kinderbetreuung und Hausarbeit überwiegend übernahm.
Neun Monate später, im Winter 2020/21, ging der Anteil der Paare, in denen (fast) ausschließlich die Mutter Kinderbetreuung und Hausarbeit übernahm, wieder deutlich zurück. Paare, bei denen zu Beginn der Pandemie die Sorgearbeit fast ausschließlich von Müttern übernommen wurde, teilten diese nun wieder etwas gleicher auf. Zudem nahm der Anteil der Paare, die sich Hausarbeit und Kinderbetreuung etwa gleich aufteilten, weiter zu und lag zudem höher als im Jahr 2019 vor der Corona-Pandemie. Diese Aufteilung blieb mit Blick auf die Kinderbetreuung auch im Jahr darauf (Winter 2021/22) nahezu konstant.
Die Beobachtung, dass sich die Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen Müttern und Vätern – nach einer kurzfristig ungleicheren Aufteilung im ersten Lockdown 2020 – aufgrund der Corona-Pandemie offenbar nicht wesentlich verändert hat, wird durch die neuen Daten aus dem Winter 2021/22 also bestätigt. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Hausarbeit: Zwar stieg der Anteil der Paare, in denen die Mutter die Hausarbeit (fast) vollständig übernahm, um drei Prozentpunkte, allerdings waren diese Änderungen im statistischen Sinne nicht signifikant. Insgesamt kann für keine Konstellation der Aufteilung von Hausarbeit mit statistischer Sicherheit gesagt werden, dass es im Vergleich zu vor der Pandemie Veränderungen gab.
Deutschland hat – beispielsweise im Vergleich zu den nordischen Ländern Schweden, Norwegen, Finnland und Dänemark – einen relativ großen Gender Care Gap. Frauen übernehmen also in sehr viel höherem Ausmaß unbezahlte Sorgearbeit wie Kinderbetreuung und Hausarbeit als Männer. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde vielfach die Befürchtung geäußert, dass die damit verbundenen Kita- und Schulschließungen diese Ungleichheit noch verstärken könnten. Zumindest kurzfristig schien das auch der Fall zu sein – im Frühjahr und Frühsommer 2020 stieg die Ungleichheit in der unbezahlten Sorgearbeit bei Paaren mit Kindern im Vergleich zum Jahr vor der Pandemie etwas an. Allerdings ging diese Ungleichheit schon im ersten Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie wieder auf das vorpandemische Niveau zurück. Auch neueste Daten aus dem zweiten Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie bestätigen diesen Befund.
Somit hat sich die Befürchtung, dass es aufgrund der Corona-Pandemie zu einer starken Retraditionalisierung kommen würde, nicht bestätigt. Die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern in Deutschland wurde infolge der Pandemie mittelfristig zumindest nicht noch ungleicher – sie verbleibt auf konstant hohem Niveau.
Der Gender Care Gap hängt mit vielen arbeitsmarktbezogenen Gender Gaps zusammen. Sowohl bei der unbezahlten Sorgearbeit als auch auf dem Arbeitsmarkt steigen die Geschlechterungleichheiten stark an, wenn Paare Kinder bekommen. Wenn die Politik arbeitsmarktbezogene geschlechtsspezifische Ungleichheiten wie den Gender Pay Gap schließen oder vermindern möchte, dann muss sie auch am Gender Care Gap ansetzen. Zahlreiche politische Handlungsoptionen, um Anreize für eine gleichere Aufteilung der Erwerbs- und der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern zu setzen, liegen schon länger auf dem Tisch: Eine Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld könnte beispielsweise die starke Zunahme der Ungleichheit in der Sorgearbeit nach der Geburt eines Kindes verringern. Des Weiteren könnte eine Reform des Ehegattensplittings sowie der steuerlichen Behandlung der Einkünfte aus Minijobs die finanzielle „Teilzeit-Falle“ für verheiratete Frauen reduzieren und somit langfristig zu einer gleicheren Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern führen.
Themen: Ungleichheit, Gesundheit, Gender, Familie, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: D13;J16;J22
Keywords: gender, child care, families, division of care work, Covid-19, pairfam
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-9-1