Blog Marcel Fratzscher vom 6. Mai 2024
Viele Menschen wundern sich, warum die hohen Zinsen auf ihrem Sparkonto nicht ankommen. Und sie sich sogar finanziell einschränken müssen. Es ist Zeit für Transparenz.
Viele Sparer*innen haben jahrelang sehnsüchtig auf das Ende der Nullzinsen gewartet, in der Hoffnung, dass sich ihr Sparen dann endlich wieder lohnt. Nun, da die Zinsen seit fast zwei Jahren wieder höher sind, realisieren viele, dass sie davon nicht nur nicht profitieren, sondern sie ihren Konsum und ihren Lebensstandard reduzieren mussten. Eine aktuelle Studie der Bundesbank erklärt die Gründe und unterstreicht, wie dringend wir in Deutschland einen besseren öffentlichen Diskurs zu Sparen und Schulden benötigen.
Diese Kolumne erschien am 3. Mai 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Wieso sollen höhere Zinsen auf die Ersparnisse auf dem Sparkonto nicht etwas Gutes aus der Sicht der Sparer*innen sein? Für die Antwort müssen wir zuallererst wissen, dass private Vermögen nicht nur aus Spareinlagen bestehen. In der Tat machen sie nur einen kleinen Anteil aller privaten Vermögen in Deutschland aus, die sich insgesamt auf die schier unvorstellbare Summe von etwa 17.700 Milliarden Euro belaufen – das Vierfache der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung. Der größte Teil der Vermögen besteht aus Immobilien und Betriebsvermögen. Aber auch größere Konsumgüter wie Autos gelten als Vermögen. Um daraus das Nettovermögen zu berechnen, werden Verbindlichkeiten wie Hypotheken oder Kredite abgezogen.
Deutschland ist im globalen und im europäischen Vergleich ein sehr reiches Land mit viel privatem Nettovermögen. Die neue Studie der Deutschen Bundesbank zeigt, dass das mittlere private Nettovermögen (also des Haushaltes in der Mitte der Verteilung, sodass die Hälfte aller anderen Haushalte weniger und die andere Hälfte mehr hat) in den letzten 15 Jahren von 54.000 Euro auf über 103.000 Euro gestiegen ist.
Dies klingt erst einmal positiv, aber ein genaues Hinschauen zeigt ein deutlich differenzierteres Bild. Zum einen hat Deutschland die größte Ungleichheit bei privaten Vermögen im gesamten Euroraum. Das wird auch nochmals mit den neuen Zahlen der Bundesbank bestätigt: Die reichsten zehn Prozent besitzen mehr als 61 Prozent aller Nettovermögen, die unteren 50 Prozent lediglich 2,3 Prozent. Was Deutschland dabei besonders macht – auch im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien oder den USA, die eine noch höhere Ungleichheit bei Vermögen haben –, ist, dass mit 40 Prozent ein ungewöhnlich großer Anteil der Menschen in Deutschland kein nennenswertes Nettovermögen besitzt. Dies sind knapp 40 Prozent aller Menschen, die keinerlei private Absicherung gegen die großen Unwägbarkeiten des Lebens haben – gegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit (bei denen die Sozialsysteme nur einen Teil der Einkommen kompensieren), bei zusätzlichen Ausgaben für die Kinder oder wenn im Haushalt ein neuer Kühlschrank oder eine Waschmaschine benötigt wird.
Eine häufig geäußerte Kritik an diesem Argument ist, dass diese Nettovermögen keine Ansprüche an die Rentenversicherung enthalten. Dies ist richtig, weil solche Ansprüche kein Vermögen sind, auch weil es bei einem finanziellen Engpass ad hoc nicht zur Verfügung steht. Solche Anwartschaften können lediglich teilweise erklären, wieso manche Menschen weniger sparen.
Berücksichtigt werden muss bei der Vermögensverteilung, dass diese offiziellen Statistiken die Vermögen der Hochvermögenden, vor allem der Milliardäre, unterschätzen, weil nur wenige in den Statistiken erfasst sind. So geht eine Studie des DIW Berlin davon aus, dass die privaten Nettovermögen in Deutschland um mindestens 25 Prozent unterschätzt werden und die wirkliche Ungleichheit der Vermögen deutlich höher sein dürfte als in den offiziellen Statistiken.
Nun zurück zur Frage: Wer profitiert von höheren Zinsen? Natürlich sind es die Hochvermögenden, wohingegen die meisten Haushalte mit wenig oder ohne Nettovermögen und auch viele Haushalte mit mittleren Nettovermögen nicht profitieren. Sie alle werden unter dem Strich finanziell stärker belastet und müssen ihren Konsum reduzieren.
Das hat zwei Gründe: Zum einen bedeuten höhere Zinsen eben nicht nur mehr Zinserträge auf die Ersparnisse, sondern auch eine stärkere Belastung durch Kredite. Viele Menschen mit mittleren und geringen Vermögen haben Kredite für den Konsum, als Hypothek auf das Eigenheim oder für den eigenen Betrieb und müssen entsprechend bedeutend höhere Zinsen daher eine höhere finanzielle Belastung und somit weniger Geld für den Konsum und den eigenen Lebensstandard. Als Beispiel: Eine Familie mit einer Hypothek auf ihr Eigenheim mag zwar als vermögend gelten, aber Zinserhöhungen werden die Zahlungen auf die Hypothek mittelfristig erhöhen (und zudem auch den Wert der Immobilie reduzieren). Sie muss in vielen Fällen ihren Konsum reduzieren, um die höheren Zinsausgaben zu kompensieren, wenn sie nicht auch erhebliche liquide Vermögen hat.
Der zweite Grund sind die indirekten Effekte der Zinserhöhungen auf Arbeitseinkommen und andere Einkommen. So reduzieren Zinserhöhungen die Einkommen der ärmeren Hälfte der Bevölkerung durch geringere Arbeitseinkommen. Denn höhere Zinsen bedeuten, dass sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten und sich mittelfristig auch die Nachfrage und damit die Rendite der Unternehmen reduziert. In Folge entwickeln sich die Löhne und Einkommen der Beschäftigten schlechter. Auch Haushalte von Selbstständigen mit mittleren Vermögen sind häufig stark negativ von höheren Zinsen betroffen, weil ihre Betriebsvermögen weniger Einkommen schaffen. Die Eigentümerin eines Geschäfts mag zwar ein mittleres Nettovermögen durch ihr Geschäft besitzen, höhere Zinsen auf ihre Kredite und weniger Umsatz wegen einer geringeren Nachfrage können jedoch dazu führen, dass die Eigentümerin sich selbst weniger Einkommen für ihren monatlichen Lebensunterhalt auszahlen kann.
Die Kehrseite dieser Effekte ist, dass höhere Zinsen ja per se kein Selbstzweck sind, sondern in der Regel angehoben werden, um die Inflation zu reduzieren und Preise stabil zu halten. Dies ist wichtig, um die Kaufkraft und damit den Lebensstandard vor allem von Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zu schützen. Daher braucht es eine differenzierte Analyse der Effekte von Zinsveränderungen.
Vieles deutet heute darauf hin, dass die EZB nun die Zinsen senken könnte und sollte, da sie ihr Ziel der Preisstabilität wieder erreicht. Die Wirtschaft ist aber nach wie vor schwach, und die Zinsen werden nur nach und nach sinken. Für sehr viele Menschen in diesem Land werden daher die negativen Effekte der hohen Zinsen weiter überwiegen – nicht nur für die vielen Menschen mit wenigen oder keinen Ersparnissen, sondern auch für viele in der Mittelschicht.
Themen: Finanzmärkte , Geldpolitik , Verteilung