Warum die AfD bei jungen Männern so gut ankommt

Blog Marcel Fratzscher vom 9. September 2024

Wer den Rechtsruck im Osten verstehen will, muss auf die jungen Wähler schauen. Vor allem Männer fühlen sich als Verlierer der Modernisierung – es gibt nur wenig Abhilfe.

Die Europawahlen im Juni und nun die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen haben einen dramatischen Rechtsruck hervorgebracht. Erklärt werden kann das vor allem durch das veränderte Wahlverhalten von Männern – insbesondere von jungen Männern. Daher ist es wichtig, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen und vor allem die hohe Unzufriedenheit der jungen Generation zu verstehen.

In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich das Wahlverhalten in fast allen westlichen Demokratien verändert: So waren Männer und Frauen lange sowohl in ökonomischen als auch in soziokulturellen Fragen ähnlich progressiv oder konservativ. Seit 20 Jahren geht das Wahlverhalten von Männern und Frauen in westlichen Demokratien jedoch stark auseinander.

In Deutschland hat diese Entwicklung etwas später eingesetzt, zeigt sich jedoch seit der Bundestagswahl 2021 überdeutlich. So ordnen sich Frauen selbst sehr viel häufiger einem linken und progressiven Spektrum zu, wogegen Männer sich sehr viel stärker im konservativen Lager verorten. Diese Selbsteinschätzung spiegelt sich auch im Wahlverhalten wider, wie Ansgar Hudde in seiner jüngsten Studie zeigt. Bei den Europawahlen im Juni und nun bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sind diese Unterschiede im Wahlverhalten von Männern und Frauen nochmals deutlich größer geworden. 

Diese Kolumne erschien am 6. August 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

In keiner Altersklasse wählen Frauen und Männer so unterschiedlich wie bei den Jungwählerinnen und -wählern im Alter von 18 bis 24 Jahren. Ungewöhnlich viele junge Männer und sehr wenige junge Frauen wählen die FDP. Dagegen stimmen ungewöhnlich viele junge Frauen, aber relativ wenige junge Männer, für die Grünen. Am größten ist die Dominanz männlicher Wähler – über alle Alterskohorten hinweg recht stabil – bei der bei AfD.

AfD-Wähler sind männlich und haben nicht so viel Geld

In Thüringen erzielte die AfD unter jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren mit 38 Prozent einen höheren Stimmenanteil als in jeder anderen Alterskohorte. Die rechtsextreme Partei war auch in Sachsen bei den Jungen überdurchschnittlich stark. In Thüringen stimmten 38 Prozent und in Sachsen 35 Prozent aller Männer für die AfD, im Vergleich zu 27 Prozent und 26 Prozent aller Frauen. Und auch in anderen Dimensionen gibt es enorme Unterschiede im Wahlverhalten: 47 Prozent aller Wählerinnen und Wähler mit einfacher Bildung, 49 Prozent aller Arbeiter und 51 Prozent aller Menschen mit einer schlechten finanziellen Lage haben in Thüringen ihre Stimme der AfD gegeben.

Um die starken Ergebnisse für die AfD erklären zu können, müssen wir daher vor allem die Motivation von Männern und insbesondere jungen Männern besser verstehen. Der Leipziger Sozialpsychologe Oliver Decker weist in einem Interview mit der taz darauf hin: Umfrageergebnisse des International Social Survey Panel zeigten, dass die Menschen in Deutschland – Ost und West – im Gegensatz zu anderen Ländern besonders stolz auf die wirtschaftlichen Erfolge ihres Landes seien. Die Deprivationsthese besage, dass Abstiegsängste zu mehr Zustimmung für antidemokratische Ansichten führen. Wirtschaftskrisen, Rezessionen und Stagnation machen demnach also rechtsextreme Parteien stark.

Junge Frauen ziehen weg

Das zeigt sich auch bei den aktuellen Wahlen: 51 Prozent haben die AfD aufgrund einer persönlichen schlechten Situation gewählt. Und das gilt besonders für junge Männer, denn heute haben junge Frauen im Durchschnitt eine bessere Qualifizierung als Männer. Sie haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die Schule wie auch ihr Studium oder Ausbildung erfolgreich abzuschließen, und tun dies meist mit besseren Noten. Das sind bessere Grundvoraussetzungen für eine bessere finanzielle Lage von jungen Frauen.

Hinzu kommt eine regionale Dimension: Es sind, gerade im Osten, überproportional häufig junge Frauen, die aus strukturschwächeren Regionen in die Städte abwandern, um dort ihre Ausbildung zu absolvieren und bessere Optionen am Arbeitsmarkt zu erlangen. Zurück bleiben häufig Männer, die Schwierigkeiten haben, eine Partnerin zu finden und eine Familie zu gründen, die weniger mobil und wirtschaftlich verletzlich sind. Daher ist es nicht überraschend, dass Forderungen der AfD und auch des BSW nach Grenzschließungen, einem Stopp von Zuwanderung, einer Abschottung von Europa und einer Zementierung des Status quo vor allem bei Männern in strukturschwachen Regionen besonders gut resonieren.

Die Globalisierung hat die Arbeitswelten verändert

Hinzu kommt eine Gesellschaft, in der das Kollektiv zunehmend weniger zählt, dafür die Individualität und individuelle Leistung in den Mittelpunkt rücken: Gerade in Westdeutschland dominierte bis Mitte der 1990er-Jahre das Familienmodell des Alleinverdieners: Der Mann war verantwortlich für die Arbeit und das Einkommen und die Frau für Kinder und Haushalt. Aus einer kollektiven Perspektive ist es egal, wer von den Partnern arbeitet und das Geld verdient. Aus einer individuellen Perspektive spielt dies jedoch eine wichtige Rolle.

Eine zweite, ökonomische Erklärung für den Rechtsruck und den Gender-Gap im Wahlverhalten ist die These der Verlierer der Modernisierung: Vor allem Männer zählen dazu, Frauen und viele Minderheiten dagegen haben von der Modernisierung profitieren können.  Die Globalisierung der Wirtschaft hat zu vielen strukturellen Veränderungen geführt. Arbeitsplätze in der Industrie – in denen traditionell Männer dominant sind – fallen weg oder wandern ab und werden durch neue Arbeitsplätze in Dienstleistungsbereichen – in denen vorrangig Frauen beschäftigt sind – ersetzt.

Junge Männer sind besonders unsicher

Diese Entwicklung wird durch den technologischen Wandel verstärkt, der vor allem Arbeitsplätze im verarbeiteten Gewerbe und in der Mittelschicht ersetzt. Dadurch schrumpft die Mittelschicht: Viele Männer mit ehemals gut bezahlten Industriearbeitsplätzen werden verdrängt, sie müssen sich nun in weniger gut bezahlten Dienstleistungsjobs bewerben und sich dem Wettbewerb mit Frauen stellen. Dies verschiebt auch die Einkommensverhältnisse und das Machtgefüge innerhalb Partnerschaften und Familien.

Diese zwei Erklärungsansätze, die mit großen demografischen Veränderungen einhergehen, könnten zu einem erheblichen Teil den Rechtsruck und die Popularität von AfD und auch BSW in Ostdeutschland erklären — unsere neue Studie am DIW Berlin zeigt, dass AfD und BSW vor allem in solchen Wahlkreisen besonders stark sind, in denen junge, gut qualifizierte Menschen abwandern.

Wieso aber ist dieser Gender-Gap vor allem unter jungen Menschen so stark ausgeprägt? Ein Teil der Antwort ist sicherlich, dass junge Menschen den größten Teil ihres Lebens noch vor sich haben, sich in ihrem Job und ihrem sozialen Umfeld noch nicht etabliert haben und noch viele Unsicherheiten bewältigen müssen.

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