Blog Marcel Fratzscher vom 16. September 2024
Kaum ein Land besteuert Arbeit so stark und Vermögen so gering wie Deutschland. Das wollen viele ändern – für Milliardäre weltweit. Ein Vorschlag kommt nun aus Brasilien.
Die Idee, Hochvermögende stärker zu besteuern, drängt sich gerade in Zeiten klammer Kassen und schwachen Wirtschaftswachstums auf. Bisher sind verschiedene Vorstöße aber immer wieder verpufft. Doch nun liegt ein bemerkenswerter Vorschlag der Regierung Brasiliens auf dem Tisch, die in diesem Jahr die Präsidentschaft der G20, der Vereinigung der 20 größten Volkswirtschaften der Welt, innehat. Sie fordert die Einführung einer Milliardärssteuer – eine Idee, die viele frühere Staats- und Regierungschefs unterstützen. Was in der Vergangenheit immer wieder blockiert wurde, scheint nun zum Greifen nahe. Aber wie fair wäre eine solche Steuer für Milliardärinnen und Milliardäre, ist sie tatsächlich wünschenswert?
Das Konzept dahinter hat der französische Ökonom Gabriel Zucman ausgearbeitet. Demnach sollen alle Menschen weltweit mit einem Vermögen von mehr als einer Milliarde US-Dollar (das sind umgerechnet knapp 930 Millionen Euro) in Zukunft jährlich zwei Prozent ihres Vermögens als Steuern an den eigenen Staat entrichten. Das würde knapp 250 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen im Jahr bedeuten, die die jeweiligen Regierungen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Klimaschutz und andere Dinge investieren oder Bürgerinnen und Bürger entlasten können.
Diese Kolumne erschien am 20. September 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Mein Kollege Stefan Bach, Steuerexperte am DIW Berlin, hat dies für Deutschland ausgerechnet: Auf Grundlage der Reichenliste des manager magazins gibt es in Deutschland heute 255 Haushalte mit einem Nettovermögen von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Zusammen besitzen diese Menschen also ein Nettovermögen von 630 Milliarden Euro. Allerdings haben nicht alle Milliardäre mit deutscher Staatsbürgerschaft ihren Wohnsitz auch in Deutschland. Das heißt, sie zahlen also auch nicht den Großteil ihrer Steuern hierzulande. Wenn Deutschland eine solche Milliardärssteuer von zwei Prozent nur auf die Vermögen der hierzulande ansässigen Milliardäre einführen würde, dann kämen immerhin knapp 5,7 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen jedes Jahr zusammen. Würde Deutschland diese auf alle Hochvermögenden mit einem Nettovermögen von mehr als 100 Millionen Euro ausweiten, würden knapp 16,9 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern eingenommen. Dies ist keine riesige Summe – der Bundeshaushalt allein enthält Ausgaben von knapp 450 Milliarden Euro pro Jahr –, aber es ist umfänglich genug, damit der Staat viele Löcher stopfen und sinnvolle Investitionen anstoßen könnte.
Kaum ist der Vorschlag auf dem Tisch, melden sich die Kritiker*innen zu Wort. Vier Argumente werden vorgebracht. Zum einen wird eingewendet, eine solche Steuer sei unverhältnismäßig. Fakt ist jedoch: Es gibt weltweit kaum ein Land, das Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland. 40 Milliarden Euro, oder knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung, betragen die vermögensbezogenen Steuereinnahmen (insbesondere auf Erbschaften, Grund und Boden und Kapital) in Deutschland – bei privaten Gesamtvermögen von zwischen geschätzt mindestens 7.700 Milliarden Euro, wenn nicht mehr als 10.000 Milliarden Euro. Vermögen wird hierzulande also mit rund 0,4 Prozent seines Wertes jedes Jahr besteuert. Länder wie die USA, Frankreich, Kanada oder Großbritannien besteuern private Vermögen drei- bis viermal stärker. Wenn Deutschland private Vermögen ebenso stark besteuern würde, stünden jedes Jahr knapp 80 bis 120 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen zur Verfügung.
Ein zweiter Einwand gegen die Besteuerung von Vermögen ist der administrative Aufwand. Mein Kollege Stefan Bach schätzt diesen Aufwand auf vier bis acht Prozent bei Vermögen von ein bis zwei Millionen Euro. Dies ist prozentual nicht mehr als die Kosten beispielsweise für die Veranlagung der Einkommensteuer. Bei Milliardenvermögen dürfte der Aufwand sogar deutlich kleiner sein. Die Kosten für die öffentliche Verwaltung können also kein Argument gegen eine Milliardärssteuer sein, zumal die Berechnungen auf einer ähnlichen Grundlage stattfinden könnten, wie dies zurzeit für Erbschaften geschieht – so der Vorschlag von Gabriel Zucman und der G20-Präsidentschaft Brasiliens.
Ein dritter Einwand betrifft die Frage der Gerechtigkeit. Haben sich diese Menschen ihr Vermögen nicht auch hart erarbeitet? Handelt es sich bei der Milliardärssteuer also um eine Neiddebatte gegen Leute wie Elon Musk, die Großes für die Menschheit geleistet haben? Dies mag sicherlich für manche Milliardäre zutreffen, allerdings für viele auch nicht. Die meisten deutschen Milliardäre, vor allem solche, die in den vergangenen Jahren dazu erst geworden sind, haben ihr Vermögen Erbschaften zu verdanken und nicht ihrer eigenen Hände Arbeit. Und die vorgeschlagene Milliardärssteuer von zwei Prozent ist nicht exorbitant und würde nur einen kleinen Teil des jährlichen Zuwachses der Vermögen abschöpfen. Die großen Vermögen würden also weiter wachsen, nur eben nicht mehr ganz so schnell.
Ein vierter Kritikpunkt ist der der Substanzbesteuerung, also dass eine solche Steuer die Milliardäre und ihre Unternehmen so stark schwächen könnte, dass sie nicht mehr die gleiche Leistungsfähigkeit haben. Auch diese Befürchtung kann leicht ausgeräumt werden. Der Vorschlag der Milliardärssteuern beinhaltet nämlich, dass die bereits gezahlte Einkommensteuer gegengerechnet wird. Selbst der bekannte US-Investor Warren Buffett plädiert seit Jahren für eine stärkere Besteuerung der Superreichen. Im Jahr 2012 belegte er seine Position sehr eindrucksvoll: Seine Sekretärin zahle 36 Prozent ihres Einkommens an Steuern, er selbst als Milliardär lediglich 17 Prozent. Es ist also nicht nur so, dass Milliardäre Steuern auf ihre Vermögen zahlen, sondern sie haben auch meist die Möglichkeit, ihre Einkommensteuer zu minimieren. In anderen Worten: Die Milliardärssteuer soll lediglich sicherstellen, dass wenige Hochvermögende nicht weniger Steuern auf ihr Einkommen (das heißt Rendite auf ihr Vermögen) zahlen, als Gutverdienende an Steuern auf ihr Einkommen auf ihre Arbeit zahlen.
Als Rechenbeispiel: Bei einer jährlichen Rendite von fünf Prozent auf große Vermögen – eine eher konservative Annahme – würde eine Vermögensteuer von zwei Prozent auf den Wert der Vermögen also lediglich 40 Prozent des Zuwachses der Vermögen abschöpfen. Dies ist eine ähnliche Größenordnung wie das, was Spitzenverdienende jedes Jahr an Einkommensteuer entrichten.
16,9 Milliarden Euro an zusätzlichen jährlichen Einnahmen durch eine Vermögensteuer für alle Hochvermögenden mit mehr als 100 Millionen Euro ist viel zusätzliches Kapital, das Politik und Gesellschaft in Bildung, Infrastruktur, Klimaschutz oder Daseinsfürsorge investieren könnten. Oder sie könnten es nutzen, um die Startchancen junger Menschen durch ein Lebenschancenerbe oder Grunderbe zu verbessern.
Obwohl es kein überzeugendes Argument gegen die Milliardärssteuer gibt, wird sie trotzdem schwer umzusetzen sein: Denn niemand hat eine stärkere Lobby und mehr politischen Einfluss als Hochvermögende. Die Hoffnung ist, dass sich mittlerweile selbst viele der Hochvermögenden für eine stärkere Besteuerung einsetzen. Höchste Zeit für die Politik, mit mehr Mut eine solche Milliardärssteuer umzusetzen.
Themen: Öffentliche Finanzen , Steuern , Verteilung