DIW Wochenbericht 39 / 2024, S. 612
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Gerade in Zeiten klammer Kassen und schwachen Wirtschaftswachstums werden Forderungen lauter, Hochvermögende stärker zu besteuern. Nun liegt dazu ein bemerkenswerter Vorschlag Brasiliens vor, das in diesem Jahr die G-20-Präsidentschaft innehat. Gefordert wird eine Steuer für Milliardäre. Ist eine solche Milliardärsteuer fair oder ist sie ein Auswuchs einer Neiddebatte?
Brasilien legt mit dem durch den französischen Ökonomen Gabriel Zucman ausgearbeiteten Vorschlag ein sehr transparentes Konzept vor: Alle Menschen weltweit mit einem Vermögen von mehr als einer Milliarde US-Dollar sollen jährlich zwei Prozent ihres Vermögens als Steuern an den eigenen Staat entrichten. Das würde knapp 250 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen im Jahr bedeuten, die die Regierungen etwa in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Klimaschutz investieren könnten. Mein Kollege Stefan Bach, Steuerexperte am DIW Berlin, hat dies für Deutschland ausgerechnet: Auf Grundlage der Reichenliste des Manager Magazins gibt es hierzulande heute 255 Haushalte mit einem Nettovermögen von mehr als einer Milliarde US-Dollar. Zusammen besitzen diese ein Nettovermögen von 630 Milliarden Euro. Allerdings haben nicht alle Milliardäre mit deutscher Staatsbürgerschaft ihren Wohnsitz auch in Deutschland, zahlen also auch nicht den Großteil ihrer Steuern hier. Wenn Deutschland eine solche Milliardärsteuer von zwei Prozent nur auf die Vermögen der hierzulande ansässigen Milliardäre einführen würde, dann kämen knapp 5,7 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen jedes Jahr zusammen. Würde Deutschland diese auf alle Hochvermögenden mit einem Nettovermögen von mehr als 100 Millionen Euro ausweiten, würden knapp 16,9 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern eingenommen. Dies ist keine riesige Summe – der Bundeshaushalt allein enthält Ausgaben von knapp 450 Milliarden Euro pro Jahr –, aber es ist genug, um viele Löcher zu stopfen und sinnvolle Investitionen anzustoßen.
Kritiker bringen vier Argumente gegen die Steuer vor. Zum einen sei sie unverhältnismäßig. Fakt ist jedoch: Es gibt weltweit kaum ein Land, das Arbeit stärker und Vermögen geringer besteuert als Deutschland. 40 Milliarden Euro, oder knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung, betragen die vermögensbezogenen Steuereinnahmen (insbesondere auf Erbschaften, Grund und Boden und Kapital) in Deutschland – bei privaten Gesamtvermögen von geschätzt mindestens 7700 Milliarden Euro.
Ein zweiter Einwand gegen die Besteuerung von Vermögen ist der administrative Aufwand. Mein Kollege Stefan Bach schätzt den Aufwand auf vier bis acht Prozent bei Vermögen von ein bis zwei Millionen Euro. Dies ist prozentual nicht mehr als die Kosten beispielsweise der Veranlagung der Einkommensteuer.
Ein dritter Einwand betrifft die Frage der Gerechtigkeit. Haben sich diese Menschen ihr Vermögen nicht auch hart erarbeitet? Die meisten deutschen Milliardäre, vor allem solche, die in den letzten Jahren Milliardäre geworden sind, haben ihr Vermögen Erbschaften zu verdanken und nicht ihrer eigenen Hände Arbeit. Und die vorgeschlagene Milliardärsteuer von zwei Prozent ist nicht exorbitant und würde nur einen kleinen Teil des jährlichen Zuwachses der Vermögen abschöpfen.
Ein vierter Kritikpunkt ist der der Substanzbesteuerung, wonach eine solche Steuer die Milliardäre und ihre Unternehmen so stark schwächen könnte, dass sie nicht mehr die gleiche Leistungsfähigkeit haben. Auch dieser Kritikpunkt kann leicht ausgeräumt werden. Der Vorschlag der Milliardärsteuern beinhaltet nämlich, dass die bereits gezahlte Einkommensteuer gegengerechnet wird. Obwohl es kein überzeugendes Argument gegen die Milliardärsteuer gibt, wird sie trotzdem schwer umzusetzen sein: Denn niemand hat eine stärkere Lobby und mehr politischen Einfluss als Hochvermögende. Die Hoffnung ist, dass sich mittlerweile selbst viele der Hochvermögenden für eine stärkere Besteuerung einsetzen.
Dieser Kommentar ist am 13. September bei Zeit Online erschienen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Steuern