So kann der Streit ums Rentenpaket gelöst werden

Blog Marcel Fratzscher vom 27. September 2024

Die Rentenpolitik droht zur Sollbruchstelle der Ampel zu werden. Dabei ist der Zoff unnötig und einfach lösbar. Wenn die Politik endlich ihr Nullsummendenken überwindet.

Der nächste Streit in der Bundesregierung ist mit der Debatte im Bundestag zum Rentenpaket II entbrannt. Zwar hat das Kabinett die Reform nach monatelangen Diskussionen beschlossen, trotzdem gibt es Widerstände bei den Grünen und vor allem bei der FDP. Dabei ist der Streit unnötig – und lösbar. Das Rentenpaket II ist ein richtiger Schritt, es kann jedoch durch drei Maßnahmen verbessert werden.

Generell stellen Veränderungen eines umlagefinanzierten Rentensystems die Politik vor ein Dilemma. Sie muss über eine erhebliche Umverteilung von Jung zu Alt und zwischen Arm und Reich entscheiden. Dabei sind die Anreize für die Politik so gesetzt, dass sie kurzfristig etwas Gutes für ältere Menschen tun kann, aber langfristig eine große Belastung für die Wirtschaft und die junge Generation entsteht. Das Dilemma: Ältere (und vermögende) Menschen sind sehr viel zahlreicher und einflussreicher. Zudem sind sie Wählerinnen und Wähler der Union und der SPD.

Diese Kolumne erschien am 27. September 2024 auf ZEIT ONLINE in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Das Rentenpaket II hat zwei Kernelemente: die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die durch eine stufenweise Erhöhung der Beitragssätze von 18,9 auf über 22 Prozent bis 2039 finanziert wird. Und das sogenannte Generationenkapital, bei dem die Bundesregierung bis zu 200 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden primär in Aktien investieren will, damit die finanzielle Rendite die Rentenbeiträge langfristig um 0,4 Prozentpunkte senkt.

Egal, wie man es dreht und wendet: Das Rentenpaket II ist eine Umverteilung von Jung zu Alt und schwächt die Generationengerechtigkeit. Eine ifo-Studie zeigt, dass die größten Gewinner des Rentenpakets II die heute 58-jährigen Babyboomer sind. Und alle, die heute jünger als 26 Jahre alt sind, gehören zu den Verlierern.

Auch das Generationenkapital ist eine Umverteilung von Jung zu Alt. Denn ohne es könnte das Rentenniveau nicht stabil gehalten werden. Die Perfidität des Generationenkapitals zeigt sich darin, dass die Bundesregierung 200 Milliarden Euro größtenteils an Schulden — und an der Schuldenbremse vorbei — in ausländische Unternehmen investieren will. Sie ist aber nicht gewillt, solche Schulden für Investitionen in Bildung, Ausbildung, Infrastruktur bei Kitas und Schulen, Klimaschutz und weitere Dinge zu tätigen, die primär den jungen und den künftigen Generationen zugutekommen. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung sieht eine größere Rechtfertigung für Investitionen in ausländische Unternehmen als in die Bürgerinnen und Bürger und deren Zukunft.

Das richtige und notwendige Element des Rentenpakets ist die Stabilisierung des Rentenniveaus. Dies ist alternativlos für die vielen Millionen Menschen in Deutschland heute, die für ihren Lebensunterhalt primär auf die gesetzliche Rente angewiesen sind, auch weil sie kaum eigene Ersparnisse haben und mit dem Renteneintritt einen geringeren Lebensstandard erwarten müssen. Die Altersarmut wird sich in den nächsten 15 Jahren deutlich verschärfen, da viele der Babyboomer – vor allem Frauen – in ihrem Arbeitsleben zu geringe Rentenansprüche erwerben konnten. Die Bundesregierung hat also keine andere Wahl, als das Rentenniveau für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen zumindest zu stabilisieren – zumal viele Sozialverbände eine deutliche Erhöhung des Rentenniveaus fordern.

Der zentrale Fehler im Streit um die gesetzliche Rente liegt darin, dass diese ausschließlich als ein Verteilungskampf zwischen Jung und Alt und zwischen Arm und Reich gesehen wird. Die Debatte ist dominiert von einem Nullsummendenken, bei dem der Nutzen der einen (der Gruppe der jungen Menschen) zwingend der Schaden der anderen (der Rentner) ist.

Bei der gesetzlichen Rente geht es jedoch nicht nur um einen solchen Verteilungskampf, sondern es gibt ein riesiges Potenzial, durch Reformen den Kuchen zu vergrößern, also allen Gruppen gleichermaßen zu helfen. Die Bundesregierung sollte daher das Rentenpaket II abändern und durch weitere Maßnahmen ergänzen.

Die erste notwendige Reform ist, das Generationenkapital zu streichen und die dafür vorgesehenen 200 Milliarden Euro in ein Sondervermögen für Bildung, Qualifizierung und Infrastruktur zu stecken. Ein besseres Bildungssystem erhöht die Produktivität und damit das Lohnniveau und die Rentenbeiträge der Beschäftigten. Eine deutliche Reduzierung der Schulabbrecher und eine Qualifizierung der 2,8 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren heute in Deutschland, die keinen Berufsabschluss haben, sollten oberste Priorität haben. Eine solche Umwidmung wäre im besten Interesse der jungen und künftigen Generationen, und es würde über eine erhöhte Leistungsfähigkeit der Beschäftigten auch den Rentnerinnen und Rentnern helfen.

Eine Stärkung der privaten Vorsorge nach dem Vorbild Schwedens, so wie beispielsweise kürzlich vom FDP-Sozialpolitiker Johannes Vogel zu Recht gefordert, sollte ein weiteres Element sein, ist jedoch grundlegend anders als ein staatliches Generationenkapital, das durch öffentliche Schulden finanziert wird.

Rentenpolitik findet auch auf dem Arbeitsmarkt statt

Ein zweiter Bereich sind Reformen im Arbeitsmarkt. Der beste Weg, um das Rentenniveau zu stabilisieren, sind nicht Beitragserhöhungen, sondern mehr Menschen zu besseren Löhnen und mehr Stunden in Arbeit zu bringen. Deutschland hat zwei riesige ungehobene Potenziale: die Erwerbstätigkeit von Frauen und von Geflüchteten. In kaum einem Land arbeiten mehr Frauen unfreiwillig in Teilzeit und zu wenigen Stunden in Minijobs. Und auch die 3,5 Millionen Schutzsuchenden – wovon die große Mehrheit langfristig bleiben will und wird – sind ein enormes Potenzial.

Reformen von Ehegattensplitting, Versicherung und Minijobs würden schnell zu mehr Beschäftigung und damit zu einem höheren Beitragsaufkommen für die gesetzliche Rente führen. Interessanterweise sind es häufig Politiker der FDP, die einerseits besonders vehement eine fehlende Generationengerechtigkeit der Rente monieren, aber solche Reformen im Arbeitsmarkt ablehnen. Dies ist widersprüchlich und auch nicht mit einer liberalen und freiheitlichen Denkweise vereinbar. Denn was ist daran liberal, sich gegen den Abbau von Hürden im Arbeitsmarkt und mehr Entscheidungsfreiheit auszusprechen?

Zu den notwendigen Reformen gehört auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters. Die Bundesregierung hat diesbezüglich gute Reformen auf den Weg gebracht und macht es nun älteren Menschen leichter, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten.

Nicht nur mehr Arbeitsstunden und Beschäftigungsjahre, sondern auch bessere Löhne sind wichtig, um die Menschen besser gegen Altersarmut abzusichern und gleichzeitig mehr Rentenbeiträge zu generieren. Daher gehört auch die Diskussion um eine Mindestlohnerhöhung oder wie man die Sozialpartnerschaft stärken kann zwingend zur Diskussion um eine Stärkung der Altersvorsorge.

Das dritte Element sind Anpassungen im Rentensystem selbst, vor allem beim sogenannten Äquivalenzprinzip und der Versicherung von Beamten und Selbstständigen in der gesetzlichen Rente. Die größte Schwäche ist, dass Menschen mit geringen Arbeitseinkommen und Löhnen viel zu geringe Rentenansprüche erwerben, sodass viele in der Altersarmut landen. Hinzu kommt die Stärkung der betrieblichen Vorsorge. Manche dieser Elemente sollen im Rentenpaket III umgesetzt werden, das nach dem Rentenpaket II auf den Weg gebracht werden soll.

Der Streit um das Rentenpaket II ist symptomatisch für die Ampel: Gute Arbeit wird schlechtgeredet, sodass die gesellschaftliche Ablehnung entsteht und das Vertrauen schwindet. Anstatt das Rentenpaket II nun zu torpedieren, sollte die Politik das Paket durch weitere Reformen ergänzen. Und sie sollte das Rentenpaket II in einem wichtigen Punkt ändern – nämlich das Generationenkapital in ein Sondervermögen für Bildung, Qualifizierung und Infrastruktur überführen. Dann wäre dies eine gute Rentenreform, die auch im Sinne künftiger Generationen ist.

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