Die Regierung sollte froh sein über eine Commerzbank-Übernahme

Blog Marcel Fratzscher vom 7. Oktober 2024

Berlin bringt zahlreiche Argumente vor, warum das Institut nicht aus Italien übernommen werden sollte. Sie sind alle falsch.

Nach Volkswagen und der Meyer-Werft ist das Eingreifen bei der Commerzbank schon der dritte Versuch der Bundesregierung in wenigen Wochen, aktiv in Wirtschaft und Unternehmen zu intervenieren. Dieser Kurs des Protektionismus und das Verständnis des Staats als Vetoakteur in der freien Wirtschaft sind fehlgeleitet und werden der deutschen Wirtschaft schaden und Europa weiter spalten.

Die Bundesregierung stützte die Commerzbank in der globalen Finanzkrise mit massiven Hilfen, die den deutschen Staat mit knapp 25 Prozent zum größten Anteilseigner der Bank machten. So beteiligte sich der staatliche Rettungsfonds 2008 und 2009 mit einem Eigenkapital von 18,2 Milliarden Euro an der Commerzbank, aber nur ein Teil davon konnte in den Folgejahren zurückzahlt werden, sodass der Staat im Sommer 2024 noch immer 16,5 Prozent der Anteile hielt.

Dieser Gastbeitrag erschien am 5. Oktober 2024 in der Wirtschaftswoche.

Die Empörung ist groß

Ihr Versprechen eines zügigen Ausstiegs konnte die Bundesregierung bisher nicht umsetzen, auch weil die Commerzbank einen schwierigen Reformprozess durchlief. Und die Bundesregierung war der Überzeugung, dass sie nicht leicht ihre Anteile an der Commerzbank verkaufen könnte, ohne neue Turbulenzen und Probleme auszulösen. Zumal der Verkauf noch immer einen Milliardenverlust für den deutschen Staat bedeutet.

Nun hat sie 4,5 Prozent des Unternehmens verkauft. Und scheint überrascht zu sein, dass sich die italienische Großbank UniCredit diesen Anteil gesichert und über den Markt weiteren Anteile erworben hat, sodass sie nach Zustimmung der Regulierungsbehörden über 25 Prozent der Stimmanteile der Commerzbank hätte – einen so hohen Anteil, dass eine Fusion der beiden Banken unter Führung von UniCredit das logische Resultat wäre.

Die Ablehnung und Empörung in Deutschland über diese geplante Übernahme ist groß. Selbst der Bundeskanzler hat diese kritisiert. Die Bundesregierung hat den geplanten Verkauf der weiteren zwölf Prozent ihrer Anteile gestoppt. Auch andere Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz äußern Empörung.

Das Interesse von UniCredit ist nicht neu

Dabei ist das Vorgehen von UniCredit nicht ungewöhnlich, sondern viele Übernahmen und Fusion laufen nach einem ähnlichen Muster ab. Unternehmen geben selten ihre Pläne frühzeitig bekannt, um nicht die Spekulation zu befeuern und den Preis nach oben zu treiben. Dabei ist das Interesse von UniCredit an der Commerzbank nicht neu und allen Entscheidungsträgern seit vielen Jahren bekannt.

Gibt es gute Argumente gegen diese Übernahme? Zum einen argumentieren die Kritiker, Deutschland und sein Finanzsystem würden durch die Übernahme geschwächt. Die Sorge: Wichtige strategische Entscheidungen würden künftig am UniCredit-Hauptsitz in Mailand getroffen. Dies könnte in Krisenzeiten bedeuten, so argumentieren Kritiker, dass knappe Liquidität aus Deutschland abgezogen und anderswo eingesetzt wird.

Auch in der globalen Finanzkrise hat UniCredit nicht zum Nachteil deutscher Kunden gehandelt

Dies entbehrt jedoch jeglicher Grundlage, zumal UniCredit bereits 2005 die HypoVereinsbank (HVB) in München erworben und seitdem gezeigt hat, dass sie diese Bank gewinnbringend auch für deutsche Unternehmen und die deutsche Wirtschaft nutzt. Die HypoVereinsbank profitiert von dem größeren Know-how und Netzwerken und hat sich seitdem gut im deutschen Markt entwickelt. Auch in der globalen Finanzkrise oder der europäischen Schuldenkrise der 2010er Jahre gibt es keinen Beleg, dass UniCredit zum Nachteil deutscher Kunden gehandelt hätte.

Berlin sollte nicht übergriffig werden

Nun lässt sich einwenden, dass dies aber in der Zukunft so sein könnte. Aber auch diese Sorge ist unbegründet, zumal es nicht die Aufgabe einer Bundesregierung ist, die Finanzierung von Unternehmen und Banken zu managen, sondern die der Regulatoren auf europäischer und nationaler Ebene. Auch diese haben wiederholt gezeigt, dass sie ihre Aufgabe gut erfüllen. Die Bundesregierung sollte also nicht übergriffig werden und versuchen, den Job der Regulierungsbehörden zu tätigen.

Ein zweites Argument ist nationalistischer Natur. So sagen einige Kritiker, Deutschland solle nicht sein Tafelsilber veräußern und ein altes Traditionsunternehmen an ausländische Eigentümer verkaufen. Auch dieses Argument zeigt den Zynismus und die Hybris dieser Kritiker. Deutsche Unternehmen kaufen oder beteiligen sich jedes Jahr für viele Milliarden Euro an Unternehmen im Ausland. Gleichzeitig ist die Empörung in Deutschland häufig groß, wenn ausländische Unternehmen es wagen, deutsche Unternehmen erwerben zu wollen.

Ausländische Unternehmen bringen neuen Schwung

Dabei würde die deutsche Wirtschaft von solchen ausländischen Direktinvestitionen stark profitieren. Denn ausländische Unternehmen bringen neues Know-how, Zugang zu ausländischen Märkten oder notwendiges Kapital. Davon profitiert letztlich die gesamte deutsche Volkswirtschaft. Es kann zwar richtig sein, wenn die Politik den Verkauf von kritischer Infrastruktur oder Technologie an nicht-europäischen Unternehmen, vor allem aus autokratischen Regimen, verhindert. Aber die Commerzbank ist weder ein kritisches Unternehmen, noch steht ein Verkauf an ein nichteuropäisches Unternehmen zur Diskussion. Aber vielleicht schwingt bei manchem Kritiker auch das ein oder andere Vorurteil gegenüber einer Übernahme aus Italien mit.

Nicht mehr, sondern weniger Risiko

Ein drittes Argument gegen die Übernahme ist, dass dadurch eine noch viel größere Bank entstehen würde, die „Tool big to fail“ sein könnte, also in Krisenzeiten kaum mehr zu retten sei - siehe die Not der Schweiz im Falle der Schieflage von Credit Suisse. Auch dieses Argument steht auf tönernen Füßen, denn ein Zusammenschluss würde die Risiken nicht erhöhen, sondern deutlich reduzieren. Denn UniCredit ist schon heute eine der wenigen paneuropäischen Banken, ist also in vielen nationalen Märkten aktiv. Dies bedeutet, dass die Risiken – durch faule Kredite oder Marktverwerfungen – sehr viel breiter gestreut und diversifiziert sind, als dies für die Commerzbank alleine heute der Fall ist, da die Commerzbank hauptsächlich in Deutschland und in einem engen Marktsegment tätig ist. 

Ein Zusammenschluss würde also mehr Diversifikation von Risiken und damit mehr Stabilität in Krisenzeiten bedeuten, nicht nur für Europa als Ganzes, sondern auch für Deutschland.

Die Bundesregierung wollte sich doch für die Kapitalmarktunion einsetzen

Als viertes ist das Handeln im Fall der Commerzbank ein krasser Wortbruch der Bundesregierung gegenüber ihrem Versprechen, sich für die Integration Europas und insbesondere für eine Kapitalmarktunion und die Vollendung der Bankenunion einzusetzen — so wie dies kürzlich auch in dem wichtigen Bericht von Mario Draghi zu den wirtschaftspolitischen Reformen für Europa betont wird. Eine solche Integration erfordert, dass Finanzsystem und Finanzinstitutionen viel stärker länderübergreifend und paneuropäisch sein müssen.

Denn ein größerer und tieferer Markt bedeutet mehr Wettbewerb, geringere Kosten und damit günstigere Finanzierungskosten für die Unternehmen, sodass mehr private Investitionen, Innovation und Wachstum entstehen. Die USA sind diesen Weg konsequent nach der globalen Finanzkrise gegangen, in Europa steht er noch aus. Will Europa wettbewerbsfähiges Finanzinstitutionen haben, dann muss sie den Weg der Konsolidierung und den Abbau der Fragmentierung dringend bewältigen.

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