Die verpasste Chance der Neunziger

Medienbeitrag vom 18. August 2024

Deutschland könnte weiter sein beim Klimaschutz, hätten wir bereits die Energiepreise erhöht.

Dieser Gastbeitrag von Claudia Kemfert und Stefan Bach erschien am 18. August 2024 bei der Frankfurter Rundschau.

Schon 30 Jahre ist es her, dass das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) eine einflussreiche Studie („Ökologische Steuerreform auch im nationalen Alleingang!“) vorlegte, an der zwei der Autor:innen dieses Gastbeitrags beteiligt waren. Vorgeschlagen wurde eine langfristig steigende Energiesteuer.

Die sollte die Energiepreise sukzessive und planbar erhöhen und hätte Einnahmen von bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts erzielt. Damit sollten die Sozialbeiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gesenkt und ein „Öko-Bonus“ an die Haushalte ausgezahlt werden.

Kernidee war eine Umverteilung der hohen steuerlichen Belastungen von Arbeitseinkommen hin zur Besteuerung von Umweltnutzung und CO2-Emissionen. Das sollte ökologische und wirtschaftliche Anreize schaffen, um Emissionen zu vermeiden, umweltfreundlichere Technologien zu entwickeln und die Beschäftigung zu fördern.

Die Diskussion ist nicht neu

Klingt vorausschauend? Ja, war es auch. Seit den 1980er Jahren wurden Umweltsteuern diskutiert – „die Preise sollen die ökologische Wahrheit sagen“. Visionär wirkt aus heutiger Sicht der vorgeschlagene „Öko-Bonus“, der insbesondere Geringverdienende relativ stark entlastet hätte. Das will die Ampel-Koalition heute mit dem Klimageld erreichen, das die CO2-Bepreisung kompensieren soll. Damals fehlten die administrativen Voraussetzungen und die sozialpolitische Akzeptanz. Heute ist der Bundesregierung das Geld ausgegangen.

Mitte der 1990er Jahre gab es viel Aufmerksamkeit und intensive Debatten zu diesem und ähnlichen Vorschlägen, aber auch heftigen Widerstand aus der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie. Der damalige Kanzler Helmut Kohl soll Chemiemanagern beim Saumagen versprochen haben, dass es eine solche Reform mit ihm nicht geben werde. Dabei hatten sich in der Union Wolfgang Schäuble, Angela Merkel, Klaus Töpfer und andere durchaus aufgeschlossen für das Thema gezeigt. Auch in der FDP gab es Interesse, bis Guido Westerwelle Generalsekretär wurde und fortan alle Steuererhöhungen verteufelte.

Die Grünen setzten dann in der rot-grünen Bundesregierung von 1998 an das Thema auf die Agenda. Sie trotzten der SPD und „Autokanzler“ Gerhard Schröder durchaus substanzielle Erhöhungen bei den Spritsteuern ab. Bei Gas und Heizöl war man schon deutlich zurückhaltender. Und als dann die Weltmarktpreise für Energie in den Nullerjahren deutlich anzogen, wuchs der Volkszorn wider den Preiswucher bei der Energie. Seit 2003 wurden die Energiesteuern nicht mehr erhöht. Gemessen an der Inflation sind sie seitdem real um ein Drittel gesunken.

Umwelt- und klimapolitisch blieb die ökologische Steuerreform von Rot-Grün ein Flop, finanz- und sozialpolitisch war sie aber top. Denn die Einnahmen von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung stützen bis heute die Rente. Das senkt den Rentenbeitragssatz um 1,2 Prozentpunkte und erhöht die Renten um 1,5 Prozent.

"Wäre Deutschland in den 1990er Jahren den Reformvorschlägen des DIW Berlin zur ökologischen Steuerreform gefolgt, wären wir heute beim Klimaschutz deutlich weiter."

Für die Klimapolitik haben andere Instrumente deutlich mehr gebracht, allen voran die Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Der Anteil von Ökostrom liegt heute deutlich über 55 Prozent, der Anteil von Kohle geht immer weiter zurück.

Dennoch: Wäre Deutschland in den 1990er Jahren den Reformvorschlägen des DIW Berlin zur ökologischen Steuerreform gefolgt, wären wir heute beim Klimaschutz deutlich weiter. Durch hohe CO2-Preise plus Anreize für erneuerbare Energien wäre vermutlich bereits in den 2000er Jahren deutlich mehr in Wind, Solar und Biomasse investiert worden.

Das hätte nicht nur die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert. Es hätte auch dazu beigetragen, eine nachhaltige Industrie und neue Arbeitsplätze bei grünen Technologien zu schaffen und damit das deutsche Wirtschaftsmodell auf eine nachhaltigere Basis zu stellen.

Die Zeit rennt davon

Natürlich waren und sind derartige Reformen mit großen Herausforderungen verbunden. Die Erfahrungen der letzten Jahre machen aber deutlich, dass man eine umfassende ökologisch-soziale Transformation nicht herbeifördern kann und sollte, zumal wenn klimaschädliche Subventionen beibehalten werden.

Dazu braucht es Preissignale, um den Markt als dezentrales Steuerungs- und „Entdeckungsverfahren“ zu nutzen. Zugleich muss man Belastungen kompensieren und Anpassungshilfen zahlen, wenn Menschen zu geringe Möglichkeiten haben, sich anzupassen.

Diese Chance wurde in den 1990er Jahren vertan – als man noch Zeit hatte, die Dekarbonisierung sukzessive einzuleiten. Jetzt rennt uns die Zeit davon.

Stefan Bach
Stefan Bach

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

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