Blog Marcel Fratzscher vom 13. Juni 2024
Neue Strafzölle auf E-Autos aus China sind notwendig. Der konkrete Kompromiss könnte sich jedoch als kontraproduktiv erweisen.
Die Europäische Kommission hat Strafzölle auf bestimmte Elektroautohersteller aus China beschlossen. Diese strittige Entscheidung ist ein Kompromiss vor allem zwischen deutschen und französischen Interessen. Die Strafzölle sind notwendig, um die Prinzipien eines fairen Wettbewerbs in der Marktwirtschaft zu verteidigen und den europäischen Wirtschaftsstandort zu schützen. Allerdings könnte sich der Kompromiss als unzureichend und kontraproduktiv erweisen.
Dieser Gastbeitrag von Marcel Fratzscher erschien am 13. Juni 2024 bei der Wirtschaftswoche erschienen.
Kaum eine Frage der europäischen Handelspolitik der letzten Jahre war so umstritten, wie die der Strafzölle auf die Importe von E-Autos aus China. Vor allem die Bundesregierung und deutsche Automobilhersteller, haben sich vehement gegen solche Strafzölle ausgesprochen. Die Sorge ist groß, dass China Gegenmaßnahmen ergreifen könnte, und deutsche Automobilhersteller sowie andere deutsche und europäische Unternehmen, die im chinesischen Markt tätig sind, sanktioniert. Zudem gibt es Bedenken, dass auch Exporte von E-Autos deutscher Hersteller aus China nach Europa von den Strafzöllen betroffen sein könnten.
Auf der anderen Seite der Debatte stehen jene, die in den Sanktionen den Schutz marktwirtschaftlicher Prinzipien sehen. Die Belege massiver staatlicher Subventionen für chinesische Hersteller von E-Autos sind stichhaltig. Solche Subventionen nehmen verschiedene Formen an, von finanziellen Subventionen der Produktionsprozesse, bis hin zu extrem geringen Kosten für Energie, Rohstoffe und Infrastruktur.
Nun lässt sich zurecht einwenden, dass auch die Bundesregierung immer wieder die eigene Industrie mit massiven Subventionen unterstützt, sei es mit finanziellen Zahlungen in der Corona Pandemie oder jetzt mit vergünstigter Energie für manche Industrieunternehmen. Vor allem unsere europäischen Nachbarn haben immer wieder moniert, die großzügigen Ausnahmen für Deutschland bei den EU-Regeln für staatliche Beihilfen sei eine Wettbewerbsverzerrung, zum Vorteil deutscher Unternehmen und zum Nachteil anderer europäischer Unternehmen. Dagegen ist die Größenordnung solcher Subventionen deutlich kleiner als die der chinesischen Regierung, und vor allem sind die staatlichen Hilfen der Bundesregierung zeitlich begrenzt.
Die Argumente für marktwirtschaftliche Prinzipien und fairen Wettbewerb, und daher für Strafzölle auf E-Autos aus China sind im Ganzen überzeugender und stichhaltiger. Die Außenwirtschaftspolitik Deutschlands wurde viel zu lange vom Gedanken des Merkantilismus bestimmt, also der kurzfristigen Maximierung von Marktanteilen und wirtschaftlichen Erträgen, im Gegensatz zu langfristig und global fairem Wettbewerb. Das Abwandern der Solarindustrie nach China ist nur ein Beispiel.
Europa und Deutschland müssen aufpassen, dass sie die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, was dazu geführt hat, dass eine massive Asymmetrie in der Abhängigkeit von China entstanden ist. Diese Abhängigkeit besteht nicht so sehr im bilateralen Handel, sondern sehr viel stärker bei den Direktinvestitionen und bei Rohstoffen. So erzielen die 40 größten deutschen Konzerne durchschnittlich 25 bis30 Prozent ihrer Erträge in China. Und China hat in wichtigen Rohstoffen, wie seltenen Erden oder Lithium, eine so dominante Marktstellung weltweit, dass Restriktionen ganz empfindliche Störungen und enorme Kosten für ausländische Unternehmen bedeuten. Nie war Deutschland so stark abhängig von China wie es aktuell ist. Und diese Abhängigkeit macht wirtschaftlich und politisch erpressbar.
Gerade jetzt, da deutsche Automobilkonzerne einen großen Aufholbedarf bei der E-Mobilität haben, wäre es schädlich für den Wirtschaftsstandort Europa und Deutschland, auf Strafzölle zu verzichten. Ja, kurzfristig würde ein Verzicht auf Strafzölle manche Vorteile haben: Deutsche Konsumenten könnten günstigere E-Autos kaufen, was die Verkehrswende und den Umstieg auf klimaschonende Technologien beschleunigen würde. Und es würde die Sorge um Sanktionen gegen deutsche Unternehmen reduzieren. Aber langfristig könnte die Produktion und Entwicklung von E-Autos zunehmend nach China und anderswo in der Welt verlagert werden und damit Innovationsfähigkeit und gute Arbeitsplätze in Deutschland und Europa verloren gehen.
Die Tatsache, dass deutsche Automobilhersteller durch solche Sanktionen gezwungen werden, ihre Produktion in China zu reduzieren oder zumindest nicht weiter auszubauen, ist ein weiterer positiver Aspekt solcher Strafzölle. Denn deutsche Unternehmen müssen dringend die Asymmetrie ihrer Abhängigkeit reduzieren. Zumal gerade die großen Industriekonzerne nicht seltene Unterstützung vom deutschen Staat einfordern, wenn ihre wirtschaftlichen Pläne nicht aufgehen und Verluste entstehen. Wenn also Unternehmen Risiken eingehen, für die letztlich auch der Staat mit haften muss, dann ist es auch Recht und Pflicht staatlicher Institutionen, die privaten Risiken zu begrenzen. Und die jetzt erhobenen Strafzölle tun dies ein Stück weit.
Nun lässt sich die Frage stellen, wieso die EU abgestufte Strafzölle zwischen 17 und 38 Prozent für bestimmte Hersteller aus China erhebt, da die USA unter US Präsident Biden sich kürzlich erst für Zölle von 100 Prozent entschieden hat. Die Höhe scheint ein Kompromiss zwischen den widerstreitenden deutschen und französischen Interessen zu sein. Allerdings könnte sich dieser Kompromiss als unzureichend und gar kontraproduktiv erweisen. Denn die sehr viel höheren Strafzölle in den USA könnten dazu führen, das chinesische Unternehmen sehr viel stärker auf den europäischen Markt drängen und der chinesische Staat lediglich die Subventionen für die eigenen Unternehmen weiter deutlich erhöhen, damit diese in Europa Fuß fassen können.
Themen: Industrie , Märkte , Unternehmen