DIW Wochenbericht 3 / 2025, S. 19-21
Virginia Sondergeld, Katharina Wrohlich, Lavinia Kinne, Anja Kirsch
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„Tief verankerte Stereotype spielen eine Rolle dabei, ob Frauen eine Führungsposition erreichen. Das liegt daran, dass Stereotype sowohl die Entscheidungen von Frauen und ihre Ambitionen, in eine solche Position zu gelangen, als auch die externen Bewertungen, beispielsweise von möglichen Arbeitgebern, beeinflussen.“ Virginia Sondergeld
Erneut gibt es in den 200 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands mehr Vorständinnen und Aufsichtsrätinnen als ein Jahr zuvor. Fast jedes fünfte Vorstandsmitglied (gut 19 Prozent) war im Spätherbst 2024 in dieser Unternehmensgruppe eine Frau, in den Kontrollgremien lag deren Anteil bei rund einem Drittel. In den größten börsennotierten Unternehmen des Landes (DAX-40) waren die Zahlen mit fast 26 Prozent Frauenanteil in Vorständen und sogar knapp 40 Prozent in Aufsichtsräten noch höher. Die Steigerungen der vergangenen Jahre setzen sich also fort – nicht besonders schnell, aber auch nicht besonders langsam. Immerhin haben sich die Frauenanteile in den Vorständen in den vergangenen zehn Jahren in allen untersuchten Unternehmensgruppen – ausgehend von größtenteils einstelligen Werten – mindestens verdoppelt, teilweise sogar deutlich mehr. Bei den DAX-40-Unternehmen waren im Spätherbst 2024 erstmals drei Frauen Vorstandsvorsitzende, nachdem es zuvor in der Regel keine oder nur eine gab. Ebenfalls ermutigend ist, dass Banken und Versicherungen, also der Finanzsektor, deutlich aufgeholt haben. Zudem lässt sich aus den Zahlen ablesen, dass gesetzliche Vorgaben zu wirken scheinen: Die Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen, die gut 60 Unternehmen seit 2022 bei nächster Gelegenheit umsetzen müssen, hat dazu beigetragen, dass der Frauenanteil in den Vorständen dieser Unternehmen mit fast einem Viertel höher ist als in der Top-200-Gruppe. Immer mehr Unternehmen berufen zudem mindestens eine zweite Frau in ihren Vorstand – sie tun also mehr, als sie gesetzlich müssten.
Ist also alles gut und auf dem richtigen Weg? Das lässt sich nicht aus den Zahlen allein ablesen. Es reicht nicht, Frauen einfach nur in Vorständen und Aufsichtsräten dabei zu haben – die Unternehmenskultur muss auch so ausgestaltet sein, dass Frauen ihre Fähigkeiten und Kompetenzen einbringen und umsetzen können. Ein besserer Zugang zu Spitzenpositionen ist kein Allheilmittel, wenn traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen oder geschlechterstereotype Zuschreibungen von Eigenschaften Frauen weiter daran hindern, ihre Fähigkeiten erfolgreich einzusetzen. Wichtig ist, dass Unternehmen auch ihre Abläufe und Arbeitsweisen ändern, um Frauen beispielsweise gleichrangig in Entscheidungsfindungsprozesse einzubinden. Wollen sie hingegen nur gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen und gesetzliche Pflichten erfüllen, ansonsten aber alles beim Alten belassen, ist nicht allzu viel gewonnen.
Doch der Fortschritt hängt nicht allein von der Unternehmenskultur ab, er wird auch von anderer Stelle beeinflusst, wenn auch (wahrscheinlich) unbewusst: von den Medien. Wie eine zusätzliche Analyse im Rahmen des diesjährigen Managerinnen-Barometers des DIW Berlin zeigt, berichten drei große deutsche Tageszeitungen geschlechterstereotyp über Vorständinnen und Aufsichtsrätinnen von DAX-Unternehmen. Frauen werden häufiger als Männer mit Begriffen in Zusammenhang mit Familie beschrieben, zum Beispiel „Kind“ oder „Mutter“ – solche Begriffe werden typischerweise nicht mit hohen Führungspositionen assoziiert. In Artikeln über Männer in Vorständen und Aufsichtsräten werden hingegen häufiger Wörter aus den Bereichen Wirtschaft und Führung verwendet.
Von der Realität ist das nicht gedeckt: Managerinnen sind sogar seltener verheiratet und leben seltener mit Kindern in einem Haushalt als Manager, obwohl die jeweiligen Anteile in der Gesamtbevölkerung nahezu identisch sind. Und trotzdem wird bei Frauen in hohen Führungspositionen der Privatwirtschaft häufiger über deren familiäre Situation berichtet. So werden bestehende Geschlechterungleichheiten womöglich verfestigt oder zumindest langsamer abgebaut. Mit der Folge, dass nicht nur Unternehmen Frauen vielleicht seltener für bestimmte Positionen in Betracht ziehen, sondern Frauen sich auch selbst weniger zutrauen und bestimmte Karrierewege gar nicht erst oder zumindest seltener gehen.
Die Fortschritte, die das DIW Managerinnen-Barometer erneut ausweist, sind ohne Zweifel positiv. Doch es bleibt jede Menge Luft nach oben – um echte Gleichstellung zu erreichen, muss mehr geschehen, und zwar nicht nur an einer Stelle. Gefragt sind in erster Linie die Unternehmen und neben ihnen und der Politik eben beispielsweise auch die Medien und die Öffentlichkeit insgesamt.
Themen: Unternehmen, Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: D22;J16;J59;J78;K38;L21;L32;M12;M14;M51
Keywords: corporate boards, board composition, boards of directors, board diversity, women directors, executive directors, gender equality, gender quota, Germany, women in management, gender stereotypes, NLP
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-3-1