Wachstum, Wissenschaft und Wissenstransfer
(1945 bis 1966)

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erlebte 1945 einen Neuanfang unter schwierigen Bedingungen. Nach dem Ende des NS-Regimes hatte sich das Kuratorium aufgelöst und der Präsident Ernst Wagemann war untergetaucht. Die Initiative zur Wiederbelebung des Instituts ging von den verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus. Sie baten Ferdinand Friedensburg, einen politisch unbelasteten ehemaligen Institutsmitarbeiter, die Leitung zu übernehmen. Friedensburg nahm an und leitete auf Anweisung der sowjetischen Militärverwaltung die Entnazifizierung ein, bei der etwa zwei Drittel der Mitarbeitenden entlassen wurden.

DIW-Geschichte zum Nachlesen

Das Kapitel "Wachstum, Wissenschaft und Wissenstransfer (1945 bis 1966)" finden Sie in der DIW-Chronik "Die Vermessung der Wirtschaft – 100 Jahre DIW Berlin", die Sie unter folgendem Link (Flip-PDF) lesen können.

Trotz dieser Einschnitte gelang es dem DIW, sich rasch neu aufzustellen. Im September 1945 bezog es neue Büroräume in Berlin-Dahlem. Ein provisorisches Kuratorium wurde gebildet und ein neuer Träger-Verein gegründet. Die Finanzierung übernahm zunächst die Stadt Berlin.

In der Folgezeit musste das DIW seine Unabhängigkeit gegenüber Einflussversuchen der KPD/SED verteidigen. Gleichzeitig begann es, sich intensiv mit der neuen wirtschaftlichen Realität zu befassen. Das Institut analysierte die Mangelwirtschaft der Nachkriegszeit und veröffentlichte ab 1945 wissenschaftliche Ergebnisse zu verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Ein wichtiger Meilenstein war 1947 die erste Nachkriegspublikation zur deutschen Wirtschaft zwei Jahre nach deren Zusammenbruch.

Das DIW entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer leistungsfähigen Forschungseinrichtung. Die Mitarbeitenden knüpften neue politische und wissenschaftliche Netzwerke und beteiligten sich an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute

Ferdinand Friedensburg

Ferdinand Friedensburg (1886-1972) spielte eine Schlüsselrolle bei der Wiederbelebung des DIW nach 1945. Als politisch unbelasteter ehemaliger Institutsmitarbeiter ermöglichte er den Neustart und prägte dann die Entwicklung des Hauses für mehr als 22 Jahre bis 1968.

Friedensburg stammte aus einer großbürgerlichen, liberal-konservativ geprägten Familie in Schlesien. Er war kein Ökonom, sondern hatte Jura und Montanwissenschaft studiert. Nach einer Verwaltungslaufbahn in der Weimarer Republik wurde er als unbeugsamer Anhänger der demokratischen Ordnung bereits 1933 von den Nationalsozialisten in den Ruhestand geschickt. Ab 1939 arbeitete er als externer Mitarbeiter für das DIW, bis ihm die Gestapo 1944 diese Arbeit verbot.

Nach 1945 engagierte sich Friedensburg stark in der Berliner Politik. Er war Mitbegründer der CDU, wurde Abgeordneter und Erster Bürgermeister von Groß-Berlin. Von 1952 bis 1965 gehörte er für Berlin dem Bundestag an, von 1954 an war er auch Mitglied des Europäischen Parlamentes, bzw seiner Vorgängerversammlung.  So verfügte der DIW-Präsident über vielfältige politische Beziehungen in Berlin, Bonn und Europa, die der Entwicklung des Instituts zugutekamen.

Die "Gelehrtenrepublik" im Wirtschaftswunder

Das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre lieferte die materielle Grundlage und führte auch zum Aufschwung des DIW. Sein Budget wuchs kontinuierlich, von 500.000 D-Mark 1950 auf 5 Millionen D-Mark 1970. Die Zahl der Mitarbeitenden stieg von 58 (1949) auf 129 (1967). 1956 bezog das Institut einen Neubau in Berlin-Dahlem.

Herzstück des DIW waren die wissenschaftlichen Abteilungen, denen Friedensburg weitgehende Freiheit gab. Die Struktur wurde immer wieder angepasst, so entstanden neue Bereiche wie "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung" oder "Auslandswirtschaft West" oder das “Berlin-Referat” und die DDR-Abteilung. 1959 zählte das DIW neun Forschungsabteilungen.

Mit seinem innovativen keynesianischen Ansatz erforschte das DIW in den 1950er und 1960er Jahren eine breite Palette wirtschaftswissenschaftlicher Themen. Besondere Bedeutung erlangten die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, die Input-Output-Rechnung sowie die Beschäftigung mit West-Berlin und Osteuropa. Das Institut lieferte grundlegende Daten zur ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik und erarbeitete wirtschaftspolitische Empfehlungen.

Die wachsende Bedeutung der DIW-Politikberatung zeigte sich auch in der Beteiligung an der Gemeinschaftsdiagnose der Arbeitsgemeinschaft wirtschaftswissenschaftlicher Institute im Auftrag der Bundesregierung, die von Friedensburg geleitet wurde. Auf seine Initiative hin wurde 1957 auch ein europäisches Netzwerk gegründet, die Association

d’Instituts Européens de Conjoncture Économique. Zudem gab das DIW auf Basis seiner West-Berlin-Forschung Empfehlungen an den Berliner Senat. 1961 übernahm es die Federführung für ein vom Bundestag beauftragtes Energiegutachten.

So entwickelte sich das DIW in den Nachkriegsjahrzehnten zu einem wichtigen Akteur in der empirischen Wirtschaftsforschung und Politikberatung der jungen Bundesrepublik. Es leistete einen bedeutenden Beitrag zur Analyse und Gestaltung der wirtschaftlichen Entwicklung in einer Zeit tiefgreifenden Wandels.

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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