Wissenschaft zwischen Freiheit und NS-Diktatur
(1925 bis 1945)

1925 gründete Ernst Wagemann das Institut für Konjunkturforschung (IfK), den Vorläufer des heutigen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Das Institut entstand in einer Zeit, als die empirische Wirtschaftsforschung und Konjunkturanalyse – inspiriert vom Harvard- Barometer - weltweit an Bedeutung gewannen.

DIW-Geschichte zum Nachlesen

Das Kapitel "Wissenschaft zwischen Freiheit und NS-Diktatur (1925 bis 1945)" finden Sie in der DIW-Chronik "Die Vermessung der Wirtschaft – 100 Jahre DIW Berlin", die Sie unter folgendem Link (Flip-PDF) lesen können.

Ziel war es, wirtschaftliche Entwicklungen zu beobachten, zu analysieren und Prognosen zu erstellen, um der Politik und Wirtschaft Handlungsempfehlungen zu geben. Finanziert von einer breiten gesellschaftlichen Allianz aus staatlichen Institutionen, Wirtschafts- und Industrieverbänden sowie Gewerkschaften war es als außeruniversitäres Wirtschaftsforschungsinstitut einzigartig in Deutschland.

1928: Der erste Wochenbericht erscheint

Das IfK etablierte sich schnell als führende Einrichtung der Wirtschaftsforschung in Deutschland. Es veröffentlichte regelmäßig Berichte zur wirtschaftlichen Lage und entwickelte innovative Methoden der Konjunkturforschung. Besonders bekannt wurden die "Wochenberichte", die ab 1928 erschienen und aktuelle Wirtschaftsdaten und -analysen enthielten.

In der frühen Geschichte des Instituts spielte die Forschung Arthur Hanaus eine wichtige Rolle. Als junger Agrarökonom promovierte Hanau 1927 mit einer bahnbrechenden Dissertation über "Die Prognose der Schweinepreise", in der er den sogenannten "Schweinezyklus" beschrieb. Dieser erklärt zyklische Schwankungen von Angebot und Nachfrage auf dem von Zeitverzögerung geprägten Schweinemarkt: Hohe Preise führen zu steigenden Ferkelmengen. Bis die Schweine schlachtreif sind, ist ein Überangebot entstanden, die Preisen fallen. Die Produktion wird weniger lukrativ, die Angebotsmenge sinkt, bis die Preise wieder steigen und der Zyklus erneut startet.

Während der Weltwirtschaftskrise ab 1929 gewann das IfK weiter an Bedeutung. Es analysierte die Krise detailliert und entwickelte Vorschläge zu ihrer Bewältigung. Der sogenannte "Wagemann-Plan" von 1932, der eine Ausweitung des Geldvolumens und eine aktive Konjunkturpolitik forderte, erregte große Aufmerksamkeit, stieß aber auch auf Kritik.

Arbeit für das Nazi-Regime

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann eine neue, aus heutiger Sicht immer noch belastende, Phase, in der das Institut das nationalsozialistische Regime mit kriegswirtschaftlichen Analysen unterstützte und dem NS-Unrechtsstaat folgte. Zunächst geriet Wagemann kurzzeitig unter Druck und wurde als Leiter des Statistischen Reichsamtes entlassen. Er passte sich jedoch schnell an das neue Regime an, trat der NSDAP bei und konnte seine Position als Direktor des IfK wiedererlangen.

In der Folgezeit wurde das Institut zunehmend in die Strukturen und Ziele des NS-Staates eingebunden. Es wuchs erheblich und weitete seine Aktivitäten aus. Ab 1936 nahmen Auftragsarbeiten für staatliche Stellen stark zu. Das IfK, das 1941 in "Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung" umbenannt wurde, trug mit seiner Forschung zur wirtschaftlichen Planung des Krieges und der Ausbeutung besetzter Gebiete bei und ist unter anderem mitverantwortlich für die Ermordung und Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Insassen.

Besonders bedeutsam für das Regime war die 1938 gegründete Industrieabteilung unter Leitung von Rolf Wagenführ. Sie entwickelte Methoden der wirtschaftlichen Verflechtungsanalyse, die für die Rüstungsplanung genutzt wurden. Ab 1942 arbeitete diese Abteilung direkt für das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion.

Berechnungen für Ausbeutung von Zwangsarbeitern und Vernichtungspolitik

Das DIW erstellte während des Krieges zahlreiche Gutachten zu Themen wie Arbeitseinsatz, Ernährungswirtschaft und Rohstoffversorgung. Dabei war es auch an Planungen beteiligt, die zur Ausbeutung von Zwangsarbeitern und zur Vernichtungspolitik in den besetzten Ostgebieten beitrugen.

Gegen Kriegsende geriet das Institut zunehmend unter Druck. Einige Mitarbeiter wurden als politisch unzuverlässig eingestuft, Wagemann selbst war zeitweise gefährdet. Im Frühjahr 1945 verließ er Berlin, und das Institut wurde faktisch aufgelöst.

Wissenschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des IfK/DIW

Die Geschichte des IfK/DIW in der Zeit des Nationalsozialismus ist bislang nicht eingehend erforscht. Das DIW Berlin möchte diese Lücke schließen und fördert daher ein Forschungsvorhaben des Historischen Instituts der Universität Stuttgart, das im Frühjahr 2025 beginnen wird. Dabei werden zunächst das Personal, die Organisation und die Vernetzungen des IfK/DIW von der späten Weimarer Republik bis in die frühe Bundesrepublik untersucht. Insbesondere sind die personellen Verflechtungen mit Organisationen (Verbände, Behörden, Militär) des „Dritten Reichs“ in den Blick zu nehmen und NS-Belastungen zu rekonstruieren. Darauf aufbauend werden die Themen, Inhalte und Methoden der DIW-Forschung von der Weltwirtschaftskrise über den NS-Wirtschaftsaufschwung und den „Totalen Krieg“ bis hin zur Beratung des Marshallplans in der Nachkriegszeit analysiert. Mit dieser Forschungskooperation verbindet das DIW Berlin eine Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit mit einer übergreifenden Erforschung der Geschichte der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren. Die Ergebnisse werden der Öffentlichkeit nach Abschluss vorgestellt. 

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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